Aus der Schatztruhe - Ausgewogenheit im Leben unseres Herrn - Die moralische Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch

Aus der Schatztruhe

Ausgewogenheit im Leben unseres HERRN

Wir blättern in der Literatur unserer Väter

In dieser Rubrik geben wir in unregelmäßigen Abständen Auszüge aus Werken geschätzter Diener Gottes vergangener Zeiten wieder, denen der Herr ein tiefes Verständnis seines Wortes geschenkt hat. Die aktuelle Botschaft dieser Artikel ist auch im 21. Jahrhundert eine echte Herausforderung. Die hier abgedruckten Texte sind aus Werken, die zum größten Teil inzwischen vergriffen sind oder nicht in deutscher Sprache vorliegen.

Distanz und vertrauliche Nähe, Heiligkeit und Gnade im Leben unseres Herrn

Gewiss war keiner unter den Menschen so gnädig, so herablassend, so zugänglich wie Er. Man bemerkt in seinem ganzen Wesen eine Zartheit und eine Freundlichkeit, die man vergeblich bei anderen Menschen suchen würde; und dennoch fühlt man immer, dass Er hier „ein Fremdling“ war. Ja, ein Fremdling überall dort, wo der Gott widerstrebende Mensch den Schauplatz beherrschte; aber sobald sich irgendein Elend oder ein Bedürfnis nach Ihm auftat, zeigte Er sich in vertraulicher Nähe. Die Distanz, in der Er sich hielt, und die Vertraulichkeit, mit der Er nahte, beides war vollkommen. Er betrachtete nicht nur das Ihn umringende Elend, sondern Er nahm Anteil daran, und das mit einem Mitgefühl, das nur in Ihm selbst seine Quelle hatte. Er verwarf nicht nur die Ihn umringende Unreinigkeit, sondern Er hielt auch den Abstand der Heiligkeit von jeder Berührung mit dem Bösen und jeglicher Befleckung aufrecht.

Betrachten wir Ihn in dieser Distanz und in dieser Nähe, so wie uns das 6. Kapitel in Markus Ihn darstellt. Es ist eine rührende Szene. Die Jünger kehren nach ermüdendem Tagewerk zu dem Herrn Jesus zurück. Er ist besorgt für sie, nimmt Anteil an ihrer Müdigkeit, und sagt ihnen: „Kommt ihr selbst her an einen öden Ort für euch allein und ruht ein wenig aus“ (Markus 6,31). Doch da die Volksmenge Ihm bereits vorausgeeilt ist, wendet Er sich mit derselben Liebe auch diesen Menschen zu, nimmt Kenntnis von ihrer Lage, und setzt sich dann nieder, um sie zu unterweisen, da sie in seinen Augen wie Schafe waren, die keinen Hirten hatten. In diesem allen sehen wir, wie der Herr Jesus den mannigfaltigen Bedürfnissen, die sich vor Ihm auftaten, entgegenkam; mochte es sich um die Müdigkeit der Jünger oder um die Unwissenheit und den Hunger der Menge handeln. Er trug Sorge für das eine wie für das andere. Doch die Jünger, unzufrieden über die Fürsorge, die Er der Menge widmet, fordern Ihn auf, sie zu entlassen. Das aber entspricht nicht den Gedanken des Herrn; und so kommt es zwischen Ihm und seinen Jüngern zu einer Entfremdung, die sich kurz danach darin kundgibt, dass Er sie in ein Schiff steigen lässt1, damit sie vor Ihm an das jenseitige Ufer fahren, während Er die Volksmenge entlassen will. Diese Trennung hat für die Jünger eine neue Not im Gefolge. Der Wind und die Wellen sind ihnen auf dem See entgegen; aber als die Gefahr aufs Höchste gestiegen ist, erscheint der Herr Jesus wieder in ihrer Nähe, um ihnen zu helfen und ihnen Mut einzuflößen.

Welch eine Harmonie sehen wir in dieser Verschmelzung von Heiligkeit und Gnade! Der Herr Jesus ist uns nahe, wenn wir müde sind, wenn wir Hunger leiden oder uns in Gefahr befinden; aber Er ist fern von den Regungen unseres natürlichen Charakters, fern von unserer Selbstsucht. Seine Heiligkeit machte ihn zu einem völligen Fremdling in einer unreinen Welt; seine Gnade erhielt Ihn stets tätig in einer Welt voller Leiden und Bedürfnisse. Und gerade hierin zeigt sich die moralische Herrlichkeit des Lebens unseres Heilands in ganz besonderem Licht: Obwohl Er durch den Charakter dessen, was Ihn umgab, notwendigerweise zu einem einsamen Mann wurde, veranlassten Ihn doch das Elend und die Leiden um Ihn her, ununterbrochen tätig zu sein. Und da diese Tätigkeit sich den verschiedensten Menschen gegenüber offenbarte, musste sie sich auch in die verschiedensten Formen kleiden. Christus hatte mit Widersachern, mit einer Volksmenge, mit Seinen zwölf Jüngern und mit einzelnen Personen zu tun; und diese hielten Ihn nicht nur ununterbrochen, sondern auch auf mannigfaltige Art in Tätigkeit; und Er musste wissen (und wusste es sicher in vollkommener Weise), welche Antwort Er einem jeden zu geben hatte.

Bei gewissen Gelegenheiten sehen wir den Herrn an dem Tisch anderer sitzen; aber das dient wiederum nur dazu, neue Züge seiner Vollkommenheit vor unseren Blicken zu enthüllen. ...

Während Er aber so wieder und wieder das Haus von Pharisäern als Lehrer betrat und als solcher den moralischen Zustand, wie er sich dort vorfand, verurteilte, erblicken wir Ihn in der Wohnung von Zöllnern als Heiland. Levi bereitete Ihm ein Mahl in seinem Haus und führte Zöllner und Sünder in seine Gesellschaft ein. Und als das, wie es ganz natürlich war, den Ärger der Schriftgelehrten, der religiösen Leiter des Volkes, erregte, offenbarte sich der Herr als Heiland, indem Er zu ihnen sagte: „Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was dass ist: Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer; denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (Mt 9,12.13). Wie einfach sind diese Worte, aber wie treffend und bedeutungsvoll zugleich! Simon, der Pharisäer, war unwillig darüber, dass eine Sünderin in sein Haus kam und sich Jesus näherte, während Levi, der Zöllner, gerade Sünder einlud, um die Mitgäste des Herrn Jesus zu sein; und infolgedessen handelt der Herr im Haus des einen wie ein Tadler, während Er Sich im Haus des anderen in den Gna- denreichtümern des Erlösers zeigt. (aus: J.G. Bellett, Die moralische Herr- lichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch, Ernst-Paulus-Verlag)

Biographische Angaben

John Gifford Bellett (1795–1864)

  • wurde geboren am 19. Juli 1795 in Dublin und
  • studierte am Trinity College in Dublin. Während dieser Zeit (1817) bekehrte er sich,
  • studierte bis 1821 Rechtswissenschaft in London
  • kehrte nach Dublin zurück und trat seine erste Stelle an.
  • Schon bald gab er die Stelle auf, um seine ganze Zeit dem Studium und der Verkündigung des Wortes Gottes zu widmen.
  • J.G. Bellett heiratet Mary Drury. Vier ihrer Kinder gingen schon im Kindesalter heim.
  • Er machte schon früh die Bekanntschaft mit J.N. Darby, die zu einer lebenslangen Freundschaft wurde.
  • Er gehörte zu den ersten Brüdern, die sich 1828 in Dublin, Fitzwilliam Square 9, in einem Privathaus versammelten, um einfach nach den Anweisungen der Schrift das „Brot zu brechen”.
  • Bellett lebte und wirkte die meiste Zeit seines Lebens in Irland.
  • Am 10. Oktober 1864 ging Bellet heim (ein Jahr nach dem Tod seiner Frau).

Belletts schriftstellerisches Werk

J.G. Bellett, den man auch die „Nachtigall unter den Brüdern“ genannt hat, tat einen Dienst, der jede Entfremdung zu vermeiden suchte. Man sagte von ihm, dass er nichts schrieb oder sagte, was Zwiespalt erregte, sondern dass sein Dienst die Herzen besonders mit der Person des Herrn beschäftigte. J.G. Bellett hinterlässt ein reiches schriftstellerisches Werk. Neben seinen bekannten Büchern über die Patriarchen und die vier Evangelien, schrieb er noch über Hiob, Elisa, Esra, Nehemia, Esther, die Psalmen, Hebräer, sowie viele kürzere Artikel in Zeitschriften.

Seine unbestreitbar wertvollsten Bücher sind jedoch:

  • „Der Sohn Gottes” und
  • „Die moralische Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch”.

Das letztgenannte Buch, aus dem der Auszug in diesem Heft stammt, und das wir unseren Lesern sehr empfehlen möchten, war das letzte Buch, das er vor seinem Heimgang schrieb.

In deutscher Sprache sind folgende Bücher von JGB erhältlich2:

  • Die kleinen Propheten (€ 4,40) Betrachtung über das Evangelium nach Lukas (€ 7,00)
  • Gedanken zum Brief an die Epheser (€ 3,50)
  • Der geöffnete Himmel (Hebräer) (€ 4,00)
  • Die moralische Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch (€ 4,00).

Von den in englischer Sprache erhältlichen Büchern möchten wir nur auf die folgenden drei hinweisen:

  • The Patriarchs
  • Short Meditations, Satz von drei Bänden
  • Son of God (in deutsch leider zurzeit vergriffen)

Eine Episode aus J.G. Bellets letzten Tagen

Es wird berichtet, dass er in seinen letzten Tagen von einem seiner Freunde besucht wurde, der ihn in körperlich schwacher Verfassung antraf. Seine mageren Hände waren gefaltet, Tränen rannen über seine Wangen, und er sagte: „Mein teurer Herr Jesus, du weißt, wie vollkommen ich mit Paulus sagen kann: abzuscheiden und bei Christo zu sein ... ist weit besser. ... Ach, bei dem Mann von Sichar zu sein, bei dem, der stillstand, um Zachäus zu rufen, bei dem Mann von Johannes 8, bei dem Mann, der am Kreuz hing, bei dem Mann, der starb! Oh, bei IHM zu sein, ehe die Herrlichkeiten, die Kronen und das Reich in Erscheinung treten! Es ist wunderbar, wunderbar! Allein mit dem Mann von Sichar, dem Mann am Tore von Nain; und ich werde allezeit bei IHM sein! Nehmt diesen traurigen, traurigen Schauplatz, wo Er verworfen wurde, und gebt mir Seine Gegenwart! (aus: A. Remmers, Gedenket eurer Führer)

Die Wertschätzung, die er bei seinen Brüdern genoss, geht aus dem Brief von G.V. Wigram hervor, in dem er auf die obige Begebenheit Bezug nimmt.

„Es scheint, er ist so hingenommen von der Gegenwart des Herrn, dass es sein Verlangen ist, ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn zu sein. Ich habe ihn selbst nicht gesehen, aber von dem, was andere sagen und was er mir geschrieben hat, habe ich den Eindruck, er ist zu sehr mit seiner eigenen Freude an Christus beschäftigt und denkt zu wenig an uns und die Heiligen des Herrn. Denn sicherlich würde der Heimgang eines Mannes, der ein Diener des Wortes ist, der dessen Inhalt so reich austeilt, in unseren Tagen ein großer Verlust für die Geliebten Gottes sein. Ich beuge mich Gottes Willen, was immer es sei. Aber ich schaue doch nach oben, vielleicht vermag mein schwaches Gebet einen wertvollen Knecht noch in seinem Dienst zu erhalten. Petrus wurde auf das Gebet hin aus dem Gefängnis entlassen in der Nacht, bevor er getötet werden sollte und tat danach, wie ich denke, noch einen guten Dienst. Nun, ich weiß, dass Er alles wohl machen wird. G.V. Wigram, 29. September 1864

 

1 Dieser Sachverhalt lässt sich nach Johannes 6,14.15 in Verbindung mit Matthäus 14,22 auch noch anders erklären: die Absicht des Volkes, den Herrn zum König zu machen, kam der Vorstellung der Jünger sehr entgegen. Deshalb schickt der Herr die Jünger fort und Er selbst zieht sich zurück.

2 Alle hier genannten Bücher sind beim Herausgeber dieser Zeitschrift erhältlich.