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Sollte ein Christ an Betriebsratswahlen teilnehmen?

Frage:

Im Anschluss an die Frage, ob ein Christ an Streiks teilnehmen sollte (Heft 1/2016), wurde folgende ergänzende Nachfrage gestellt: Ab einer gewissen Unternehmensgröße besteht gemäß Mitbestimmungsrecht die Pflicht, einen Betriebsrat zu installieren.

Nun stellt sich die Frage, ob man sich in dieser Arbeit als Christ engagieren darf. In Unternehmen, die von Christen geführt werden und in denen viele Christen arbeiten, gibt es oft auch gläubige Betriebsräte. Ist es für uns richtig, sich an Betriebsratswahlen zu beteiligen?

 

Antwort:

Diese Frage mag auf den ersten Blick für FMN-Leser irrelevant sein. Das aber ist sie nicht. Denn schon Auszubildende werden oft in der ersten Woche ihrer Lehre darauf hingewiesen, dass sie bei der Wahl von Azubi-Vertretungen mitmachen sollen. So ist diese Frage für jüngere und ältere Christen von Bedeutung.

 

Betriebsverfassungsgesetz

Zunächst einmal gilt es zu bedenken, dass die „Pflicht“, ab einer bestimmten Belegschaftsgröße Betriebsräte[1] vorzusehen, der Unternehmerseite gilt. Das heißt, sie kann dann, wenn die Mitarbeiterschaft nach § 1 Betriebsverfassungsgesetz die Einrichtung eines Betriebsrats fordert, diesem Wunsch nicht verschließen. Für Arbeitnehmer gibt es keine Pflicht, einen Betriebsrat einzurichten. Es gibt vergleichsweise viele Unternehmen ohne Betriebsrat, in denen die Arbeitnehmer glauben, auf dieses Instrument verzichten zu können.

 

Vorbemerkungen

Schüler kennen Klassensprecherwahlen. An Hochschulen gibt es fachliche Vertreterwahlen. In vielen staatlichen Einrichtungen gibt es vergleichbar Vertreterwahlen. Liegt das alles auf derselben Linie?

Wir wollen vorsichtig sein, bei solchen Fragestellungen zu dogmatisch zu sein. Denn Gottes Wort äußert sich hierzu nicht direkt. Zudem handelt es sich bei Wahlen innerhalb von Unternehmen und Behörden gelegentlich um die Wahl fachlicher Vertreter, wenn zum Beispiel in Unternehmen oder in Fachverbänden Entscheidungsgremien aus ökonomischen Gründen nicht zu groß sein sollen.

Zudem gilt es zu bedenken, dass der Gesetzgeber die Mitbestimmung, zu der die (mögliche) Einrichtung und Wahl eines Betriebsrats gehört, gesetzlich geregelt hat (vgl. Röm 13,1). Das ist Teil vom sogenannten „Check and Balances“, also dem Sicherstellen, dass Unternehmensleitungen nicht einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer handeln. Diese Kenntnis bewahrt davor, extrem zu werden.

 

Gewissensentscheidungen

Man darf auch nicht außer acht lassen, dass es Gewissensentscheidungen gibt, die wir nicht für andere festlegen können. Das gilt gerade für Punkte, die in Gottes Wort nicht konkret behandelt werden. Wir haben jedoch die Pflicht, Grundsätze, die wir in der Schrift finden, auf solche konkreten Fälle anzuwenden.

Wenn jemand die Betriebsratswahl nicht um des eigenen Vorteils willen wahrnimmt, sondern als Teil seiner Arbeitspflicht ansieht, kann er das unter Umständen mit seinem Herrn tun. Allerdings gilt es zu bedenken, dass Arbeitsverträge keine Pflicht zur Teilnahme an der Betriebsratswahl enthalten. Das macht zurückhaltend. Wir sollten gerade bei Dingen, die wir nicht machen müssen, sehr gut abwägen, ob ein solches Handeln wirklich „der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes“ ist. Finden wir dafür einen Auftrag Gottes oder ist das Teil unserer christlichen Freiheit?

 

Sind Betriebsratswahlen vergleichbar mit politischen Wahlen?

Eine Hilfe kann vielleicht darin liegen, die Betriebsratswahl anderen Wahlen gegenüberzustellen. Die Rechtslage und die Prozesse bei der Betriebsratswahl sind vergleichbar mit politischen Wahlen, bei denen ebenfalls keine Wahlpflicht besteht und an der sich Christen unter anderem aufgrund ihrer himmlischen Stellung (Phil 3,20; vgl. auch Joh 17,11) nicht beteiligen.[2]

Nun kann man fragen: Wieso kann man politische Wahlen und Betriebsratswahlen miteinander vergleichen? Der Betriebsrat ist die betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer eines Betriebs, also der gesamten Belegschaft, gegenüber dem Arbeitgeber. Eine (politische) Wahl wiederum ist ein Verfahren zur Bestellung einer repräsentativen Person oder mehrerer Personen als entscheidungs- oder herrschaftsausübendes Organ in Staaten, Bundesländern usw. Aus solchen Wahlen gehen Abgeordnete (z. B. bei Landtags- und Bundestagswahlen), Präsidenten und Regierungschefs hervor. Bei anderen Wahlen werden Aufsichtsräte, Betriebsräte und ähnliches gewählt. Das unterstreicht: Der Prozess und das Ziel sind vergleichbar: Es werden jeweils Personen gewählt, welche die Wähler in einem bestimmten Gremium – sei es Betriebsrat oder Parlament – vertreten und in seinem Sinn Entscheidungen treffen sollen. In beiden Fällen geht es um das Ausüben und die Bündelung von Einfluss und Macht.

Nun ist noch zu überlegen, ob die Tatsache, dass ein Unternehmen im Wesentlichen aus Christen besteht, für uns einen Unterschied macht. Wenn es stimmt, dass christliche Betriebsratswähler bzw. Kandidaten die Chance haben, christliche Grundsätze in einem weltlichen Unternehmen zu fördern, dann haben z. B. christliche Landtagswähler bzw. -kandidaten gleichfalls die Chance, christliche Grundsätze in weltlichen Bundesländern zu befördern. Das aber macht die Teilnahme an politischen Wahlen nicht annehmbarer für Christen. Denn diese Welt und alles, was zu ihr gehört, stehen bereits heute unter dem Gerichtsurteil Gottes (Joh 16,8.11). Daher verbinden wir uns nicht mit ihr – auch nicht durch Wahlen.

 

Nicht nur „einfache“ Mitarbeiter betroffen

Es gibt im Übrigen nicht nur für „normale“ Mitarbeiter, sondern auch für leitenden Angestellten Vertretungsorgane. Für leitende Angestellte gibt es eine Vertretung („Sprecherausschuss“, Vertretung der Leitenden). Das zeigt: Auch sie haben sich denselben Herausforderungen zu stellen, wenn es um Wahlen geht.

Wenn man das Prinzip der Interessenverbände aufgreift, gilt dieses Prinzip sogar auch für Selbstständige und Arbeitgeber. Solche Interessenvertretungen fangen bei den Verbänden an, gehen über Handwerkerinnungen und machen auch vor Hochschul- und Beamtenvertretungen nicht halt. Wer hier wählt oder noch weitergeht und sich wählen lässt, ist der Politik und politischen Vertretungen nicht nur im Prozess, sondern auch im Ergebnis nahe gekommen ...

Wenn wir die Verhältnisse im Neuen Testament ansehen, leiten wir manche Schlussfolgerung für uns aus den Belehrungen über die Sklaven ab. Sie hatten keine Rechte und wären durch derartige Aktionen wie die Wahl einer Sklavenvertretung ihrem Vorgesetzten ungehorsam gewesen. Dieser Grundsatz ist auch heute zu beachten. Allerdings können wir die Position der Sklaven nicht eins zu eins auf uns heute übertragen. Wir sind in diesem Sinn keine Sklaven.

 

Das Prinzip „Welt“

Meine persönliche Empfehlung ist dennoch, sich nicht an Betriebsratswahlen zu beteiligen. Arbeitnehmer schließen sich zusammen, so dass nicht ein einzelner Arbeitnehmer der Unternehmensführung entgegensteht. Denn ein Betriebsrat kann einflussreicher und mit größerer Macht auftreten. Dieses Ziel der Machtausübung und der Verstärkung des Einflusses ist das Prinzip Babels (1. Mo 11,4.6). Das ist die Methode „Welt“. Wir sind noch in der Welt (und sollen deshalb arbeiten, 2. Thes 3,10). Wir sind aber nicht von der Welt (Joh 17,11) und engagieren uns daher – vom Grundsatz her – weder aktiv noch passiv für sie.

Es spielt in der Beurteilung dieser Frage übrigens keine Rolle, ob das Unternehmen von einem gläubigen Christen geführt und verantwortet wird bzw. im Wesentlichen aus gläubigen Christen besteht. Denn das Prinzip bleibt in beiden Fällen dasselbe. Wofür benötigt man sonst einen Betriebsrat?

Das heißt, selbst dann, wenn der Arbeitgeber durch gläubige Eigentümer, Geschäftsführer oder Mitarbeiter gekennzeichnet ist, wäre es ein „weltliches Prinzip“, einen Betriebsrat zu wählen (oder sich selbst zur Wahl zu stellen), auch wenn dieser im Wesentlichen aus Gläubigen besteht. Hinzu kommt: Warum bedarf es dann eines Betriebsrats, um gute Vorschläge verwirklichen zu können? Entweder ist der Arbeitgeber „christlich geprägt“ und nimmt gute Ideen auf. Wenn er aber nur auf „Druck“ reagiert, wird dann nicht der „christliche“ Betriebsrat in einem „christlichen“ Unternehmen wieder zu einem politischen Instrument und das „Christliche“ ist ohnehin nicht spürbar?

 

Ausgewogen bleiben

Aber auch an dieser Stelle sollte man sich ein ausgewogenes Urteil bewahren. Denn Arbeitnehmer haben dann, wenn ein Betriebsrat wirklich Nutzen gestiftet hat, von dem profitiert, was dieser für sie erwirkt hat. Dafür sollte man Gott danken. Diese Dankbarkeit macht allerdings nicht blind und beinhaltet keine Aufforderung zur Mitarbeit. Denn man darf nicht übersehen, dass der Betriebsrat im Allgemeinen eine Funktion von Machtausübung wahrnimmt, die oft gegen den Willen der Unternehmenseigner eingesetzt wird. Will sich ein Gläubiger an der Bildung und Ausgestaltung eines solchen Instrumentes beteiligen?

Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nicht, was der Apostel Paulus an Titus schreibt: „Die Knechte ermahne, sich ihren eigenen Herren unterzuordnen, in allem wohlgefällig zu sein, nicht widersprechend“ (Tit 2,9).

 

Empfehlung

Nach meinem Empfinden ist die Teilnahme an Betriebsratswahlen im Prinzip ein Stück Politik auf Unternehmensebene. Dadurch, dass ich in einem größeren Unternehmen durch meine Tätigkeit immer wieder mit dem Betriebsrat und mit einzelnen Betriebsräten zu tun hatte, habe ich das direkt auch erlebt. So bildet der Betriebsrat für mich eine Art Gegenpol zur Unternehmensleitung, der auch sinnvolle Entscheidungen durchaus blockieren kann (und immer wieder auch will). Er vertritt häufig eigennützige Interessen der Arbeitnehmer bzw. ihrer Vertreter, was nicht zu der grundsätzlich von Christen geforderten Unterordnung passt (vgl. 1. Pet 2,18). Daher rate ich von der Teilnahme an Betriebsratswahlen ab.

 


[1] Im öffentlichen Dienst heißt der Betriebsrat übrigens Personalrat, im kirchlich-karitativen Bereich die Mitarbeitervertretung.
[2] Zu einer ausführlichen Beschäftigung mit diesem Thema empfehle ich den Artikel „Wählen – warum (nicht)?“ von Martin Schäfer in FMN, Heft 6/2002.