Bibel praktisch

Befreiung

Mit “Befreiung” scheinen viele Gläubige nicht so recht etwas anfangen zu können, jedenfalls viel weniger als mit Begriffen wie „Erlösung“ oder „Rechtfertigung“. Stellen wir uns einmal ein Lamm vor, das wunderbar gereinigt worden ist und absolut sauber vor uns steht. Aber dieses Lamm weiß, dass es jeden Augenblick wieder in den Schlamm fallen kann, ja dass es das sogar tun muss. Damit kommt es immer wieder in Situationen, die seiner eigenen Natur im Unterschied zu einem Schwein, das sich gerne im Dreck wälzt (2. Pet 2,22), vollkommen widersprechen.

Dieses hypothetische Lamm veranschaulicht, was es bedeutet, wenn wir als Christen wohl von unseren Sünden gereinigt, uns aber nicht von der Macht der Sünde befreit wissen: ein schrecklicher Zustand!

Der Apostel Paulus erklärt im Römerbrief, wie und warum Christen von der Macht der Sünde befreit sind. Dabei beschreibt er auch, welche Erfahrungen ein wiedergeborener Mensch zuweilen macht, bis er dahin kommt, auch praktisch als befreiter Christ zu leben (Römer 5,12 bis 8,4).

Dieser Abschnitt mag auf den ersten Blick etwas schwer verständlich sein. Aber er ist grundlegend für unser Glaubensleben. Ohne diese Belehrungen verstanden zu haben, kann man nicht glücklich leben und auch kaum Fortschritte in anderen Bereichen der Wahrheit machen. Denn ein nicht befreiter Christ dreht sich, wie wir noch sehen werden, zu sehr um sich selbst, als dass er sich eingehender mit Christus oder der Wahrheit beschäftigen könnte. Wir wollen uns einige Schritte anschauen, die wir verstehen müssen, damit wir wirklich ein glückliches Leben als Christ führen können.

Schritt 1: Was mit Christus geschehen ist, betrifft uns (Römer 5)

Im zweiten Teil von Kapitel 5 (ab Vers 12) zeigt der Apostel Paulus, dass alle Gläubigen unter der Auswirkung des Werkes des Herrn Jesus stehen. Seine Beweisführung ist zugleich schlagend und einfach: Was Adam tat (indem er Gottes Gebot übertrat), wirkte sich auf alle seine Nachkommen aus. Alle erbten die Sünde, alle begingen selbst Sünden, und alle starben bzw. müssen sterben. Genauso wirkt sich das, was Christus am Kreuz getan hat, auf die aus, die Ihm gehören: Sie alle sind durch Ihn in die Stellung von Gerechten versetzt worden.

Keine dieser beiden Tatsachen kann geleugnet werden: Dass alle Nachkommen Adams sterben müssen, weiß jeder. Und dass alle, die zu Christus gehören, gerechtfertigt sind, hatte Paulus soeben ausführlich gezeigt (s. Kap. 5,1).

Damit steht fest: Die Handlung des jeweiligen Oberhauptes wirkt sich jeweils auf die ganze Nachkommenschaft (oder Familie) aus.

Schritt 2: Dann sind wir folglich als tot zu betrachten (Römer 6)

Der zweite Schritt ist eine Weiterführung des ersten, und jetzt geht es nur noch um die Familie, die zu Christus gehört. Wenn ich zu dieser neuen Rasse, zu dieser neuen Familie gehöre, wenn mein „Haupt“ in diesem Sinne Christus ist, dann trifft sein Tod auch auf mich zu: Wenn Christus gestorben ist, sind wir auch gestorben. Wenn Er „der Sünde“ gestorben ist (6,10), dann sind wir es auch (6,2)! Wenn Er also dem Bereich der Sünde entkommen ist und nie mehr etwas mit ihr zu tun hat, dann trifft das auf uns auch zu (Natürlich hat Er nie Sünde in sich gehabt, und wir haben sie immer noch in uns wohnend; gemeint ist hier aber, dass Christus nach seinem Tod nie mehr etwas mit Sünde zu schaffen haben wird.  Er wird sie nicht mehr behandeln oder berücksichtigen müssen.)

Schritt 3: Wer tot ist, ist frei 

Dieser Punkt ist erstens offensichtlich und zweitens wird er ausdrücklich von Paulus bestätigt: „Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde“ (6,7). Ein Sklave muss, so lange er lebt, seinem Herrn gehorchen. Wenn er aber gestorben ist, hat sein Herr keinerlei Autorität mehr über ihn. Es wäre eine irrige Annahme zu denken, der Sklave müsse nach seinem Tod immer noch seinem Herrn gehorchen. Da der Gläubige also, wie wir gesehen haben, mit Christus gestorben ist, hat die Sünde als alter Herr keine Autorität mehr über diejenigen, die zur Familie Christi gehören.

Schritt 4: Wer tot ist, soll sich auch als tot betrachten

Gott hat uns gesagt, dass wir tot sind. Er betrachtet uns als gestorben, weil wir zu Christus gehören, der gestorben ist. Wenn Gott uns so sieht, können und sollen wir uns auch so verhalten. Wir können und sollen uns der Sünde gegenüber für tot halten, d.h. wir brauchen ihr nicht zu gehorchen, sondern können einfach dem Herrn danken, dass wir dieser Versuchung nicht zu folgen brauchen. Und wir haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht und Berufung, uns der Sünde gegenüber als tot zu betrachten (s. Kap. 6,11).

Schritt 5: Dann muss ich also das Gesetz halten, um nicht mehr zu sündigen? (Römer 7,1-6)

Wie kann ein Christ nun so leben, dass es dem Herrn gefällt? Der erste Impuls vieler - auch gläubiger – Menschen ist oft, dass sie Regeln einhalten möchten und auch meinen, das aus eigener Kraft tun zu können. Damit stellt sich die Frage: Sollte ich versuchen, das Gesetz zu halten, um nicht mehr zu sündigen? Das wäre der sichere Weg zum Versagen. Wir haben keine Kraft, das (oder überhaupt irgendein) Gesetz zu halten. Wir sind „nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (6,14). Ja, wir sind sogar „dem Gesetz“ gestorben. Die Begründung ist wieder dieselbe - nämlich durch den Tod von Christus: „Dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus.“ (7,4)

Schritt 6: Aber woher bekomme ich die Kraft, dementsprechend zu leben? (Römer 8,1-4)

Einem Gläubigen ist klar, dass er Kraft braucht, um Gott in unserem Leben zu gefallen. Wir haben sie nicht in uns selbst, auch nicht in unserer neuen Natur, dem neuen Leben, das Gott uns mit der neuen Geburt geschenkt hat. Die neue Natur hat gute Eigenschaften und die richtigen Wünsche, aber sie hat in sich keine Kraft. Diese Kraft gibt Gott uns: Er gibt uns den Heiligen Geist. Dieser beschäftigt uns mit Christus, erfüllt uns mit Freude und führt uns – wenn wir dennoch einmal versagen – zum Selbstgericht, so dass Er uns dann wieder mit Christus beschäftigen kann. Er zeigt uns, dass Gott uns nun „in Christus“ sieht und nichts an uns findet, das zu verdammen wäre (8,1). Er zeigt uns auch, wie schrecklich die Sünde ist, und dass Gott sie in Christus gerichtet hat (8,3). Und das Ergebnis? Wir dürfen „im Geist wandeln“, d.h. in der Kraft des Heiligen Geistes leben (8,4). Die gerechten Forderungen des Gesetzes zu erfüllen, wird hier sozusagen zum Nebenprodukt (wenn wir im Geist wandeln, tun wir sogar viel mehr, als das Gesetz verlangt).

Schritt 7: Und wenn meine Erfahrung dem widerspricht? (Römer 7,7-25)

Die Lehre über die Befreiung ist an sich einfach: Wir sind tot. Das ist so, weil Gott es so sagt. Und als Tote sind wir befreit – sowohl von der Macht der Sünde als auch vom Gesetz.

Unser eigentliches Problem liegt in der Praxis der Befreiung. Es besteht darin, dass unsere Erfahrung der Lehre zu widersprechen scheint. Gott sagt, wir sind tot, aber wir fühlen es nicht und unsere Erfahrung ist oft ganz anders: Wir reagieren sehr wohl auf Provokationen, Versuchungen, etc. Wenn wir versuchen, aus eigener Anstrengung diesen Zyklus zu durchbrechen, werden wir scheitern. Und zwar so lange, bis wir – oft durch bittere Erfahrung – folgende Punkte lernen (Paulus schreibt hier in der Ich-Form, nicht etwa, weil es um ihn selbst ginge, sondern weil dieser Abschnitt von persönlicher Erfahrung handelt):  

  1. Das Gesetz, Gesetzlichkeit oder eine gesetzliche Haltung kann mir nicht helfen, Gott zu gefallen. Es kann mich nur verurteilen (Röm 7,7ff.).
  2. Wenn ich aus eigener Anstrengung Gott gefallen möchte, versage ich immer wieder (7,15.16.19).
  3. Gott hat recht, wenn Er mich verurteilt (7,12).
  4. Nicht ich verübe die Sünden, sondern die in mir wohnende Sünde, dieser Motor, der nichts anderes kann und will als sündigen (7,17).
  5. In meinem Fleisch, d.h. in dem, was ich von Natur aus bin, wohnt nichts Gutes (7,18).
  6. Ich selbst habe keine Kraft, mich zu befreien, sondern brauche einen Befreier von außen (7,24).
  7. Ich bin in einer ganz neuen Stellung vor Gott: in Christus Jesus und daher nicht unter Verdammnis (8,1). Gott liebt mich, selbst wenn ich gesündigt habe.

Manche lernen aus dieser Erfahrung schnell, andere verbringen Jahre damit . Manche mögen auch das volle Evangelium des Heils – inklusive Befreiung von der Macht der Sünde – hören und (nahezu) sofort im Glauben annehmen und sich daher nicht lange in dem Zustand aufhalten, der in Römer 7 beschrieben wird.

Aber das Wichtigste ist nicht, wie lange es dauert, sondern dass man wirklich in Römer 8 „ankommt": dass man es nicht in eigener Kraft versucht, sondern in der Kraft des Geistes lebt (8,4).

Die Befreiung von der Macht der Sünde im praktischen Sinn ist eigentlich auch einfach: Eine Kraft beugt sich einer stärkeren Kraft. Wir haben das Fleisch, die sündige Natur, noch in uns. Aber wir brauchen ihren Impulsen nicht mehr zu gehorchen. Aus eigener Kraft können wir nicht widerstehen. Aber wenn wir in Gemeinschaft mit dem Herrn leben und dem Geist Gottes erlauben, uns mit Christus zu beschäftigen, dann können wir als frohe Christen leben. Und wenn wir einmal versagen, dann bekennen wir das, so dass wir wieder in der Kraft des Geistes Gottes leben können.

Die Versuchungen bzw. die Impulse der alten Natur werden also überwunden von der stärkeren Kraft des Heiligen Geistes, so wie die Schwerkraft von einem Magneten (bei Metallteilen) oder durch Aerodynamik (bei einem Flugzeug) überwunden werden kann.

Zusammenfassung

Christen gehören zu Christus. Daher identifiziert Gott sie mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus. Letzteres geht über die Belehrungen des Römerbriefes hinaus und wir im Epheser- und Kolosserbrief gezeigt. Die Stellung Christi ist ihre Stellung. Der Glaube akzeptiert das. Als mit Christus gestorben befinden wir uns nicht mehr im Machtbereich der Sünde und auch nicht unter der Autorität des Gesetzes. Wir brauchen der Sünde nicht mehr zu dienen, sondern wir können (und sollen) ein ganz neues Leben führen. Die Kraft dazu haben wir nicht in uns selbst, sondern im Heiligen Geist.