Keine Rücksicht auf mein Leben

„Keine Rücksicht auf mein Leben ...“ – Jim Elliot war nicht allein

Im letzten Heft berichteten wir von dem Missionar Jim Elliot, der den Versuch, den Aucas das Evangelium zu bringen, mit dem Leben bezahlte. Bei diesem „Unternehmen Auca“ war Jim Elliot nicht allein. Er hatte noch vier Mitarbeiter, die mit ihm gingen – und mit ihm starben. Und dann hatten alle fünf noch Ehefrauen, die bei dem ganzen Vorhaben alles andere als eine Nebenrolle spielten.

Im Auftrag ihres Herrn

Die folgenden vier Männer, Brüder in Christus und Freunde Jim Elliots, folgten mit ihm dem Auftrag ihres Herrn, den Aucas die Botschaft von der Liebe Gottes zu bringen:

Nate Saint – der Dschungelpilot

Nate, geboren 1923, war in dem Jahr, in dem er starb, 32 Jahre alt. Er war ein begeisterter Flieger und hatte schon an der High School Flugunterricht genommen. Nach dem Krieg ging er an das Wheaton College, um sich auf den Missionsdienst vorzubereiten. Doch schon bald verließ er die Schule und schloss sich der MAF1 an. Im September 1948 ließ er sich auf der Missionsstation Shell Mera in Ecuador nieder. Von dort versorgte er mit dem Flugzeug Missionare mit Medizin, Post usw. Einmal machte er mit seinem Flugzeug eine Bruchlandung. Ein paar Wochen später erschien er wieder auf der Arbeit, vom Nacken bis zur Hüfte in ein Korsett gekleidet. Ein Hinweis darauf, aus welchem Holz diese Männer geschnitzt waren.

Nate überbrachte die letzte Nachricht der Männer über Funk. Sie lautete: „Ich sichtete eben eine Abordnung von zehn Aucas. Wahrscheinlich werden sie gerade zum Nachmittagsgottesdienst hier sein. Betet für uns! Heute ist der Tag! Ich rufe euch um 16.30 Uhr wieder“ – Um 15.12 Uhr wurde Nates Armbanduhr gegen einen Stein geschleudert und das Wasser des Curaray lief in das zerbrochene Gehäuse – diese Uhrzeit dokumentiert das Ende dieses treuen Mitarbeiters im Reich Gottes2.

Pete Fleming – der Geisteswissenschaftler

Pete kam aus Seattle, Washington. Mit 27 Jahren war er jünger als sein Freund Jim Elliott. Er hatte einen Universitätsabschluss in Sprachwissenschaften erworben. Als Linguist arbeitete er unter den Ketschuas an einem Alphabetisierungsprogramm. Ähnlich wie bei seinem Freund Jim Elliott gab es auch in Petes Leben als junger Mensch wichtige Impulse für sein weiteres Leben. Dabei spielten zwei Männer eine wichtige Rolle. Der eine war Lorne Sanny von den Navigatoren3. Lassen wir seine spätere Frau darüber berichten: „Pete nahm an einer Bibelstudiengruppe teil, die Lorne für die christlichen Jungen auf der High School begonnen hatte. Als sie gemeinsam die Bibel studierten und Verse auswendig lernten, erkannte Pete die Wichtigkeit des persönlichen Bibelstudiums. Er wurde in seinem Leben disziplinierter und hatte bald Hunderte von Versen gelernt. Sein Leben gewann Tiefe und Sinn, und er wurde eifriger dabei, seinen Freunden von Jesus zu erzählen.“4 Der andere war Willis Shanks von „Jugend für Christus“. Pete selbst gibt Willis ein sehr schönes Zeugnis. „In dieser Nacht (als Willis bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war) habe ich zu Hause gedacht, dass sein Leben dem größten Dienst in der Welt geweiht war: Ein Freund von jungen Kerlen zu sein, die sonst keine Freunde hatten ... Er war nie zu beschäftigt, um sich Zeit für einen Freund zu nehmen. Ich konnte in seinem Büro sitzen und stundenlang mit ihm reden, obwohl sich auf seinem Schreibtisch die unerledigte Arbeit stapelte. Aber was das Beste war: Er half mir nicht nur, sondern führte mich auch zu dem Freund, der uns näher ist als ein Bruder. Ich habe seitdem oft gedacht, dass die amerikanische Jugend nicht mehr Jugendorganisationen, sondern mehr Freunde braucht – Freunde wie Willis Shank. Jeder junge Mensch wird eine kalte Straße verlassen, wenn er ein warmes Herz findet.“5 Im Leben von Pete und den anderen wurde erneut deutlich: Energie und Einsatz, die in junge Menschen investiert werden, bringen „Zinsen“ und Frucht für den Herrn. Wenn auch für den Einzelnen (wie Willis Shanks) der ganze Umfang erst in der Ewigkeit offenbar werden wird.

Ed McCully – der „sportliche Redner“

Ed aus Milwaukee, Wisconsin galt während seines Jurastudiums als Leichtathletik- und Footballstar. Aber er gewann auch einen „Rednerwettbewerb“ an der Universität. Nach Beendigung seines Jurastudiums schrieb er in einem Brief an Jim: „Ich habe jetzt nur ein Verlangen: mein Leben rücksichtslos Christus zu weihen – mit all meiner Energie und Kraft.“6

Er hatte anfangs vorgehabt, eine Juristenkarriere einzuschlagen. Doch ein Jahr nach Beendigung seines Studiums empfand er den Ruf in die Missionsarbeit. 1952 gingen Ed und Marilou, seine Frau, mit ihrem 8 Monate alten Sohn Steve nach Ecuador zu den Ketschua-Indianern. Von dort schlossen sie sich später den anderen Familien an, die das Evangelium zu den Waorani7 bringen wollten.

Ed war der Einzige, der nicht mit den anderen beerdigt werden konnte. Sein Körper war vom Flugzeug aus zwar gesehen und identifiziert worden, wurde dann allerdings wieder in den Fluss gespült und konnte nicht mehr geborgen werden.

Roger Youderian – der Fallschirmjäger

Roger stammte von einer Ranch in Montana. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er als Fallschirmjäger in Belgien. Er gehörte zu der Ehrengarde von General Eisenhower.

Nach dem Krieg besuchte er eine Uni in Minneapolis, wo er auch seine Frau Barbara kennen lernte. Später gingen sie als Missionare zu den Kopfjägern der Jivaros in Ecuador. Nachdem die anderen vier schon erste Kontakte zu den Aucas aufgenommen hatten, kamen sie zu der Überzeugung, dass sie noch einen fünften Mann in ihrem Team benötigten. Dabei kamen sie auf Roger – er war im Dschungel zu Hause, war es gewohnt, wie die Jivaros zu leben, und er war ein Experte in Überlebenstechniken. Die Männer wurden (mit Ausnahme von Ed McCully, s.o.) auf einhelligen Wunsch der Witwen an dem Ufer des Curaray, da wo sie ihr Leben aus Liebe zu ihrem Herrn und aus Liebe zu den Aucas gelassen hatten, begraben. Die Frauen flogen später über das gemeinsame Grab ihrer Männer. Als das Flugzeug abschwenkte, sagte Marj Saint: „Das ist der erhabenste, schönste kleine Friedhof auf dieser Welt“8.

Fünf Frauen – stark im Glauben

Jeder der fünf Missionare war verheiratet, wenn auch die Frage, ob sie besser als Unverheiratete dem Herrn auf dem Missionsgebiet dienen könnten, zumindest für Jim Elliot und Pete Fleming eine ernsthafte Frage gewesen war. Die meisten der Missionare hatten auch Kinder. Diese fünf Frauen waren nicht nur echte Hilfen für ihre Männer, sondern sie mussten zudem erleben, dass ihre Männer ermordet wurden. In so einer Situation nicht zu verzweifeln und bitter zu werden, sondern den Mördern weiterhin das Evangelium zu bringen, das zeugt von einer Glaubenskraft, die ihre Quelle nicht im Menschen findet.

Marj Saint – die Krankenschwester

Die Frau von Nate Saint organisierte während des ganzen Unternehmens den Funkverkehr zwischen den Männern und der Station. Die Saints haben drei Kinder. Der Brief, den sie nach dem Tod des Mannes und Vaters an ihre Kinder schrieb, gibt einen guten Einblick in das geistliche Leben dieser Männer und Frauen. Ich möchte einen Auszug hier wiedergeben:

„... Aber dann kam der Tag, an dem ich euch sagen musste, dass euer Vati nicht zurückkommen würde, um mit uns zu leben – mit vier Freunden war er in den Himmel gegangen, um dort mit Jesus zu leben. ... Eines Tages werden eure Herzen noch empfänglicher, wird euer Verstand noch wissbegieriger sein als heute. Dann werdet ihr fragen: ‚Warum ist unser Vater zu diesen wilden Aucas gegangen?‘ Als beste Antwort darauf erinnere ich euch an den Abend, an dem Vati euch die Geschichte von Noah vorlas und anschließend darum betete, dass er so gläubig wie Noah alles tun würde, was Gott ihn heiße. ... Lange habt ihr Kinder für die Aucas gebetet. Nun leben Tante Rachel9 und Tante Betty10 bei ihnen im Dschungel. Eines Tages, vielleicht schon bald, werdet ihr den Menschen begegnen, die Vati töteten. Euer Vater würde sich wünschen, dass ihr sie liebt und unserem himmlischen Vater dafür dankt, dass unsere Gebete für diese Menschen erhört worden sind. Es ist mein Herzenswunsch, dass diese Lebensbeschreibung euch, Kathy, Stevie und Philip, ... zeigen möge, wie wichtig es ist, Gottes Führung in unserem Leben zu erkennen und Ihm in schlichtem Gehorsam zu folgen.

In Liebe Eure Mutter“11

Olive Fleming – die späte Chronistin

Olive Fleming hat es (anders als Elisabeth Elliot) erst ziemlich spät unternommen, ihr Leben und das ihres Mannes niederzuschreiben. 1998 erschien dieses Buch unter dem Titel „Unfolding Destinies“ (deutsche Ausgabe siehe Fußnote 4).

Die Flemings hatten als einziges der fünf Ehepaare keine Kinder. Olive berichtet später über den Empfang der „Hiobsbotschaft“: „Am Donnerstag, den 1. Januar 1956, stand ich im Schlafraum des Hauses der Saints in Shell Mera, Ecuador, die Arme überkreuzt und die Augen auf den Major der Luftwaffe Nurnberg und den Marinehauptmann DeWitt gerichtet. Im Raum waren auch vier andere Missionarsfrauen: Marjorie Saint, Elisabeth (Betty) Elliot, Marilou McCully und Barbara Youderian. Wir versuchten, zu begreifen, was uns der Major gerade gesagt hatte – dass die Leichname unserer Ehemänner, die vermisst waren, seit sie direkten Kontakt zu den wilden Auca-Indianern hatten, im Curaraj-Fluss treibend gefunden worden waren. Keiner von ihnen war schon wirklich identifiziert worden, denn die Körper waren vom Hubschrauber aus gesichtet worden, aber als er eine Beschreibung aus seinem Notizbuch vorlas, stockte mir das Herz. ‚Der eine hatte einen roten gewebten Gürtel‘ sagte er. Sofort schauten die anderen vier Frauen mich an. Wir wussten es alle. ‚Das ist Pete‘, sagte ich wie betäubt.“12

Als die US Air Force am 13. Januar die fünf Witwen über das gemeinsame Grab ihrer Männer flogen, musste Olive an . Korinther 5,1 denken: „Denn wir wissen, dass, wenn unser irdisches Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau von Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, ein ewiges, in den Himmeln.“ Gott schenkte ihr diesen Glaubensblick, von dem auch wir heute noch lernen können.

Barbara Youderian – noch eine Krankenschwester

Barbara arbeitete auch auf dem Missionsfeld als Krankenschwester in dem Dschungelkrankenhaus. Barbara und Roger hatten zwei Kinder. Die Tatsache, dass über Barbara Youderian wenig Informationen vorliegen, schmälert nicht im Geringsten den großen Anteil, den auch sie an der Arbeit ihres Mannes hatte. Der Herr, dem sie dienten, wird alles einmal vollkommen beurteilen und belohnen.

Marilou McCully – die werdende Mutter

Die Frau von Ed McCully war zur Zeit der Ermordung ihres Mannes schwanger, die Familie erwartete in Kürze die Geburt des dritten Kindes. Es gibt ein Bild von Marilou, auf dem die übermüdet aussehende Frau ein Flugzeug besteigt, die Hand an der Stirn und den Blick auf die wartenden Ketschuas gerichtet, die mit Trauer ihre Abreise beobachteten. Matt, der Sohn, mit dem sie damals schwanger war, hat seine Mutter später einmal gefragt: „Kannst du dich noch erinnern, welche Gedanken bei dieser Gelegenheit durch deinen Kopf gingen?“ Ihr Sohn fährt dazu fort: „Viele Menschen hätten vielleicht gedacht: ‚Wie soll es mit mir weitergehen?‘ Doch sie sagte mir, ihre Gedanken seien gewesen: ‚Diese armen Menschen. Wer wird ihnen jetzt helfen?‘ Da stand sie, gerade 27 Jahre alt, mit einem dreijährigen und einem einjährigen Kind, im achten Monat schwanger mit dem dritten Kind, ihr Mann war gerade ermordet worden – und sie machte sich Sorgen um die Ketschuas! Ich denke, das zeigt, was für einen bemerkenswerten Charakter meine Mutter und die übrigen Frauen hatten.“13

Elisabeth Elliot – die Schriftstellerin

Die Frau von Jim Elliot hat die Ereignisse um das Leben ihres Mannes und ihre Erfahrung aus jener Zeit und danach in zahlreichen Büchern festgehalten. Sie ist daher sicher die bekannteste von den Frauen. Somit brauchen wir hier nicht viel über sie zu schreiben.

Menschen wie du und ich

Die fünf Auca–Missionare und ihre Frauen haben viele Generationen von jungen Christen beeindruckt und auch geprägt. Ich habe Jim Elliots Tagebücher im Zug auf dem Weg zur Uni gelesen, und so mancher Satz ist mir so schnell nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Waren diese Männer und Frauen „Supermenschen“, an die wir „Normalchristen“ nicht heranreichen? Nein, es waren Menschen wie du und ich, die auch die Gefühle kannten, die uns oft bewegen. Lassen wir abschließend noch einmal Olive Fleming zu Wort kommen: „Sie bemühten sich, den Willen Gottes zu erfahren und zu tun, aber oft wussten sie nicht genau, was sein Wille war. Manchmal kämpften sie mit Zweifeln, Entmutigung und Gefühlen des Versagens. Sie machten Fehler. Sie waren sich in manchen Dingen nicht einig. Manchmal befolgten sie den Rat von anderen und manchmal nicht. Ich teile ihre menschlichen Kämpfe nicht mit, (...) um das geistliche Format dieser Männer zu schmälern. Ich glaube im Gegenteil, dass ihr Glaube und ihre Entschlossenheit dadurch noch deutlicher zu Tage treten. Sie hatten die gleichen Fragen über Gottes Berufung und ihre Folgen, die wir alle haben. Sie hatten mit menschlichen Leidenschaften und ihrer geistlichen Leidenschaft zu tun, mit romantischer Liebe und mit christlicher Liebe, Leid und Schmerz. Kurz, Pete Flemings Leben gleicht dem Leben von all denen, die Gott vertrauen und ehrlich seine Führung für ihr Leben suchen.“14

 

1 Missionary Aviation Fellowship – sozusagen eine Gemeinschaft fliegender Missionare; Piloten, die entlegene Missionsstationen anfliegen.

2 Russell T. Hitt, Der Dschungelflieger, Konstanz 1962, S.228

3 Eine christliche Studentenorganisation

4 Olive Fleming Liefeld, Olive and Pete Fleming – Ein Leben für die Aucas. Die Geschichte unserer Liebe,
Holzgerlingen 2001, S. 23–24

5 ebenda, S.25-26

6 www.plymouthbrethren.org

7 In der Literatur wird meistens, wie auch z.T. in diesem Artikel, der Name ‚Aucas‘ verwendet. Dieser Name wurde dem Volksstamm von außen zugelegt. Er bedeutet ‚nackte Wilde‘. Ihr eigentlicher Stammesname ist Waorani (oder Huaorani).

8 Elisabeth Elliot, Durchs Tor der Herrlichkeit, Konstanz 1962, S.201

9 Rachel Saint, die Schwester von Nate Saint

10 Elisabeth Elliot, die Frau Jim Elliots

11 Russell T. Hitt, Der Dschungelflieger – Nate Saint, sein Leben und sein Zeugnis, S. 233-234

12 Olive Fleming Liefeld, Olive und Pete Fleming, S.11

13 Matt McCully, A Trip to Ecuador

14 Olive Fleming Liefeld, Olive and Pete Fleming, S. 19