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Palliativ-Medizin

Möglicherweise hat so mancher Leser in seinem Familien- oder Bekanntenkreis schon einmal erleben müssen, wie eine schwere Krankheit bei der betroffenen Person ein unvorstellbar schmerzhaftes Leiden und Sterben verursacht hat. Im Rahmen dieses Themenheftes wollen wir deshalb auch einige Informationen über die heutigen Möglichkeiten der Palliativ-Medizin vorstellen. Dazu haben wir uns mit Dirk Wennmann, dem Leiter des Altenwohn- und Pflegezentrums Moormerland-Warsingsfehn, unterhalten. Die spezialisierte palliative Versorgung ist dort sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung ein Schwerpunktbereich.

 

Was ist Palliativ-Medizin?

Der Begriff palliativ leitet sich von lateinisch pallium („Mantel“) ab und bedeutet wörtlich „ummantelnd“. Dieser Ausdruck umfasst ein weites Bedeutungsfeld – in der Fachsprache wird deshalb häufig der Begriff „Palliative Care“ verwendet, der deutlich machen soll, dass es nicht nur um eine rein medizinische Herangehensweise geht. Vielleicht hilft an dieser Stelle eine Definition weiter, die von der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften herausgegeben wurde: „Mit einem Ansatz, welcher neben körperlichen Symptomen auch psychische, soziale und spirituelle Aspekte ernst nimmt, strebt Palliative Care an, Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden Krankheiten während des Krankheitsverlaufes bis zum Tod eine möglichst gute Lebensqualität zu ermöglichen.“ An dieser Definition sieht man bereits, dass es bei palliativer Behandlung bzw. Versorgung um eine „ganzheitliche Betreuung“ geht, also mehr als nur um eine bloße Versorgung mit Schmerzmitteln.

 

Wenn in der Definition auch von „spirituellen Aspekten“ gesprochen wird – welche Gedanken gibt es dazu aus biblischer Sicht?

Mir sind im Laufe der Zeit und während meiner Arbeit im Palliativ-Bereich zwei Bibelverse wichtig geworden, die erstaunlich gut zu diesem Thema passen und deshalb auch eine Art „biblische Richtlinie“ sein können. Die erste Stelle ist Prediger 8,8: „Kein Mensch hat Macht über den Wind, den Wind zurückzuhalten; und niemand hat Macht über den Tag des Todes.“ Bei allem medizinischen Fortschritt und den heutigen – wirklich umfangreichen – Möglichkeiten der Schmerztherapie bleibt diese Wahrheit doch bestehen: Unser Gott bestimmt allein den Tag des Todes, Er ist der Herr über Leben und Tod. Gleichzeitig macht eine weitere Bibelstelle aus Sprüche 31,6 aber auch Mut, sich besonders um diejenigen zu kümmern, die unter großen Schmerzen und Unruhen leiden: „Gebt starkes Getränk dem Umkommenden und Wein denen, die betrübter Seele sind.“ Hier finden wir sozusagen einen alttestamentlichen Hinweis auf den schon damals bekannten und im Wort Gottes festgehaltenen Einsatz von „Medikamenten“ bei Sterbenden – mit dem Ziel, Schmerzen, Unruhe, Angst etc. zu lindern.

Wann kommt Palliativ-Medizin denn heute zum Einsatz?

Wie es bereits in der oben zitierten Definition ausgedrückt wird, greift eine palliative Versorgung vor allem bei unheilbaren bzw. immer weiter fortschreitenden Erkrankungen, die unter anderem oft mit großen Schmerzen einhergehen.

Wie kann man sich solch eine Behandlung vorstellen?

Im Bereich „Palliative Care“ orientiert man sich an dem Ziel einer „möglichst guten Lebensqualität“ – das bedeutet für einen schwer erkrankten Menschen, dass er möglichst schmerzfreie Tage erleben soll. Um die Behandlung steuern zu können, vereinbaren wir mit dem Patienten eine sogenannte „Schmerzskala“ (von 1 bis 10), sodass dann eine genaue Dosierung der Medikamente möglich ist.

Heißt das, dass ein Betroffener überhaupt keine Schmerzen mehr hat?

Das kann man so nicht sagen. Dennoch ist es heutzutage durch die guten Wirkstoffe und genauen Dosierungsmöglichkeiten fast immer möglich, die Schmerzen in einem erträglichen Bereich zu halten. Es kann aber natürlich sein, dass der Betroffene durch die starken Medikamente in einer Art „Dämmerzustand“ gehalten wird; wenn er dann noch einmal den Besuch von Angehörigen bewusst erleben will, ist es möglich, die Dosierung für eine Zeit runterzufahren. Ein ganz wichtiger Punkt ist eben die „möglichst gute Lebensqualität“ des Patienten und – damit eng verbunden – auch die Autonomie des Patienten. Er bestimmt selbst, ob die Dosis beispielsweise für den Besuch der Enkel runtergesetzt werden soll, oder ob er für einige Stunden „gar nichts“ spüren möchte.

Schmerztherapie ist aber nur ein Teilbereich in der palliativen Versorgung. Weitere Maßnahmen sind auch oft notwendig in den Bereichen von Atembeschwerden, Übelkeit, Unruhe oder bei der Versorgung von großen Wunden.

Mit welcher Haltung geht das Pflegepersonal an solch eine Palliativ-Betreuung heran?

Diese Frage berührt einen wichtigen Punkt. Palliativ Care schließt immer auch die Betreuung des Betroffenen (bis hin zur Sterbebegleitung) sowie die Begleitung und Betreuung der Angehörigen mit ein. Besonders wichtig ist in jedem Fall die offene Kommunikation über die vorliegenden Krankheitsbilder und die daraus resultierenden Notwendigkeiten bzw. Möglichkeiten in der palliativen Behandlung. Gegenüber dem Patienten ist die enge Absprache im Hinblick auf die Dosierung und andere Begleitumstände der Behandlung wichtig, gegenüber den Angehörigen ist eine genaue Aufklärung über die (oftmals) schwer verständlichen, ärztlichen Befunde und der daraus resultierenden Behandlung von großer Bedeutung. Besonders wenn das Sterben des Betroffenen näher rückt, helfen oft einfache Erklärungen dessen, was jetzt mit dem Körper passiert, um das ohnehin schwere Erleben etwas zu erleichtern. Dazu ein Beispiel: Ersticken zu müssen oder unter Atemnot zu sterben ist oftmals die Angst vieler Patienten. Wenn das Leben aus dem Körper weicht, wird die Atmung oft flacher, sodass die Sauerstoffkonzentration im Blut stetig geringer wird und die Kohlendioxidkonzentration im Blut steigt; das führt dazu, dass das Bewusstsein des Sterbenden geringer wird und er dann einschläft (so genannte CO2-Narkose). Dies bedeutet, er wird den Zustand von z.B. Atemnot nicht mehr bewusst erleben.

Kannst du etwas genauer erklären, wie man sich die seelsorgerliche Begleitung solcher Patienten und ihrer Angehörigen vorstellen kann?

Die biblisch orientierte Seelsorge ist unser größtes Anliegen in der palliativen Versorgung. Es ist uns immer ein großes Gebetsanliegen, dass der Herr uns einen Zugang zu den Herzen von Sterbenden und auch ihren Angehörigen schenkt. Dieses bezieht sich sowohl auf Gläubige als auch besonders auf Menschen, die noch keinen Frieden mit Gott haben.

Es ist immer eine besondere Herausforderung, bei Glaubensgeschwistern zu spüren, wie es innerlich bei ihnen aussieht. Habe ich es mit einem Gotteskind zu tun, das in freudiger Erwartung ist, bald vor seinem Herrn und Heiland zu stehen, oder sind besondere Anfechtungen am Werk? Das können z. B. nicht bereinigte Sünden oder noch nicht geregelte Dinge sein; manchmal gerät auch auf einmal die Heilsgewissheit ins Wanken. Das rechte Wort zur rechten Zeit kann immer nur der Herr bewirken – dafür ist intensives Gebet um Weisheit und Abhängigkeit vom Herrn notwendig. Hier gibt es kein Schema, jede Begleitung ist völlig anders.

Wenn wir spüren, dass wir es mit einem Sterbenden zu tun haben, dem die Vergebung fehlt, dann ist es wichtig „alle gläubigen Mitarbeiter“ mit ins Boot zu nehmen und sich vom Herrn zeigen zu lassen, wer in welcher Situation welche Botschaft weitergeben kann. Oftmals ist eine intensive Begleitung notwendig. Um wirklich in Frieden heimgehen zu können, ist zunächst die persönliche Erfahrung der eigenen Vergebung nötig. Dem folgt dann auch oft die Vergebung, die man anderen zuspricht, wenn das möglich ist. Ich habe mehrere Situationen vor Augen, in denen Familien, oftmals nach langer Zeit, am Sterbebett wieder zueinandergefunden haben. – Echte Bekehrungen in der letzten Lebensphase zu erleben, ist etwas unbeschreiblich Gewaltiges.

Die Angehörigenbegleitung während und auch nach der Sterbephase ist ein weiterer großer Bereich in der Seelsorge. Es ist in unserer Region u. a. üblich, dass am Bett des Verstorbenen ein Abschiednehmen im Kreise der Familie und der engeren Freunde stattfindet. Da werden wir oft gebeten eine kurze Trauerandacht zu halten. Diese Gelegenheit nutzen wir gerne, um Trostworte mit dem Evangelium zu verbinden. Intensive Kontakte und Begleitungen von Angehörigen bleiben oft über lange Zeit bestehen.

Häufig werden wir gefragt, woher wir die Kraft und Energie für unsere Arbeit nehmen. Die Antwort ist dann immer dieselbe: In uns selber haben wir überhaupt keine Kraft, aber wir dürfen täglich neu die beste Kraftquelle anzapfen, die es gibt (vgl. Phil 4,13 und 2. Kor 12,9).

Abschließend noch eine Frage: Wie sieht der rechtliche Rahmen zur Palliativ-Medizin aus?

Für uns als Behandelnde ist es immer am besten, wenn auf Seiten des Patienten eine Patientenverfügung vorliegt, in der genau geregelt ist, wie sich der Betroffene die Rahmenbedingungen seiner Behandlung (z.B. hinsichtlich der lebensverlängernden Maßnahmen) vorstellt. Wenn keine solche Verfügung vorliegt, wird mithilfe der Angehörigen und des behandelnden Arztes der sogenannte „mutmaßliche Wille“ des Patienten festgestellt und dementsprechend gehandelt. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass im Zweifel immer eine Palliativbehandlung erfolgt.

Es ist das Ziel, Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen oder chronisch fortschreitenden Krankheiten während des Krankheitsverlaufes eine bis zum Tod möglichst gute Lebensqualität zu ermöglichen. Das bedeutet für uns, die Lebensqualität durch eine Veränderung der aktuellen Situation zu verbessern und Unterstützung bei der Bewältigung belastender Beschwerden und Behinderungen zu geben.

 

Lieber Dirk, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch führten Michael Vogelsang und Fokko Peters.