Gottes Werk in Zelle und Konzentrationslager

Gottes Werk in Zelle und Konzentrationslager1 (Teil 2)

Im letzten Heft erschien der erste Teil des bewegenden Berichts von H.L. Heijkoop über seine Zeit der Haft während des Dritten Reichs. Seine geistliche Haltung und die Wirkung der Gnade Gottes auf andere sind auch in dem zweiten Teil Ansporn, auf diesen Gott, der Wunder tut, zu vertrauen.

Im KZ in Vught

Am 13. Jan. 1943 wurden wir mit 250 Männern aus Amersfoort nach Vught gebracht. In dem damaligen Augenblick wussten wir nicht, wo wir hinkamen. Wie immer gingen in Amersfoort die wildesten Gerüchte um, die variierten zwischen einem „Vernichtungslager“ in Deutschland und einem neuen Lager in den Niederlanden. Jede Äußerung und Tat der SS wurde heftig besprochen, ob daraus wohl eine Schlussfolgerung über die Bestimmung des Transports zu ziehen sei. Wir bekamen ein Stück Brot für unterwegs mit. Trotz des Hungers fanden wir es schlimm, dass es mindestens zweimal so groß war wie die normale Tagesration. Das wies auf eine weite Reise hin: also aus Holland heraus.

Als wir im Zug saßen, achteten wir ängstlich auf die Richtung: nach Utrecht, also nicht nach Deutschland. Allgemeines Aufatmen. So kamen wir nach Vught. Nach einem knapp einstündigen Marsch, aufgejagt durch die Gewehrkolben der SS, kamen wir in das Lager. Es war tatsächlich ein neues Lager und noch lange nicht fertig. Wir waren die ersten holländischen Gefangenen. Am Tag zuvor waren aus deutschen Lagern 20 Berufsverbrecher angekommen. Die hatten den Spezialauftrag erhalten, den Holländern „Ordnung“ beizubringen. Wenn sie es gut erledigen würden, würden sie freigelassen werden.

Sie sind dem Befehl in der Tat gut nachgekommen, was besonders im ersten halben Jahr Hunderten Gefangenen das Leben gekostet hat. Bei uns begann es so, dass sie uns einer Leibesvisitation unterzogen und alles, Wertvolles oder Wertloses, selbst das Essgeschirr, wegnahmen. So verlor ich ein Exemplar der „Korte Verklaring“ über 3. Mose2, das ich in Amersfoort bekommen hatte und unter meiner Kleidung trug.

Die Verhältnisse waren in den ersten Monaten in Vught viel schlechter als in Amersfoort. Nicht nur, weil das Essen noch geringer war. Hinzu kam, dass die deutschen Antreiber den ganzen Tag probierten, uns mit Knüppeln auf einem mörderischen Arbeitstempo zu halten, besonders in den ersten Tagen. Das Schlimmste war, dass wir auch abends und nachts keine Ruhe hatten. Es war unmöglich, mit ein paar Mann auch nur ein bisschen abseits zu sitzen, um über geistliche Dinge zu reden.

Schon am ersten Tag traf ich einige gläubige Prediger, die unter mir schliefen. Am zweiten oder dritten Tag traf ich Bruder Gans jr. aus Eindhoven. Im Allgemeinen musste sich unser geistlicher Kontakt auf ein kurzes Wort, einen Händedruck oder ein ermunterndes Kopfnicken beschränken.

Gottes Sorge für seine Kinder

In einer der ersten Wochen war ich dabei, als einer dieser Prediger einige Faustschläge ins Gesicht bekam, weil er gerade mit einem SS-Mann gesprochen hatte. Er hatte diesem SS-Mann das Evangelium gebracht, was ein deutscher Gefangener gesehen hatte. Alle, die geistliche Hilfe geben konnten, wurden planmäßig verfolgt. So kam bereits in den ersten Tagen der Befehl, dass Prediger und Geistliche nur in die schwersten Außenkommandos gestellt werden sollten. Aber auch in diesen Tagen konnten wir Gottes Hand sehen: Einige Wochen später kam der Befehl aus Berlin, dass sie überhaupt nicht arbeiten dürften, es sei denn, sie wollten es von sich aus.

Wenn wir einfältig sind, sehen wir Gottes Sorge für die Seinen in tausend Geschehnissen. Auch in Vught sahen wir sie in unzählbaren Dingen, jeder in seinem eigenen Leben. Als wir am 13. Januar ankamen, wurden uns die zwei dünnen Decken, die wir aus Amersfoort mitbekommen hatten, abgenommen. Wir mussten ohne irgendeine Bedeckung schlafen. Zu der Zeit lag Schnee, und es fror sehr stark. Eine Woche später bekamen wir eine Decke zurück.

Die meisten von uns hatten keine Jacke und keine Unterwäsche, oder höchstens Lumpen. An jedem Tag hatten wir drei Appelle, die zusammen gewöhnlich einige Stunden dauerten. Außerdem mussten die meisten tagsüber draußen arbeiten. In den Monaten Januar bis März wurden wir jedoch nur zwei- oder dreimal nassgeregnet. Von der Woche an, in der wir in Vught ankamen, war es so mild und trocken, dass es jedem auffiel.

Ich sprach darüber einmal mit einem ungläubigen Arzt, als wir nebeneinander auf dem Appellplatz standen, und sagte, dass wir darin doch Gottes gütiges Sorgen für uns sehen könnten, da (das Wetter) eigentlich unnatürlich sei. „Man kann es kaum anders sagen“, antwortete er. Aber kurz danach fügte er hinzu: „Aber die beiden letzten Winter waren so schrecklich streng; und wenn wir hier auch nicht saßen, so gab es doch andere.“ Das ungläubige Herz benutzt gerade die stärksten Beweise von Gottes Güte und seiner Erhörung von Gebeten seiner Kinder, um den Unglauben zu rechtfertigen.

Das Philipskommando – endlich Bibeln!3

Es kann als ein außergewöhnliches Vorrecht betrachtet werden, dass der zu Ende gehende Winter so sehr mild war. Jeden Tag haben wir Gott dafür aus tiefstem Herzen gedankt.

Ende Februar wurde über ein neues Kommando, das Philipskommando, ge- sprochen. Das musste etwas sehr Schönes werden. Dabei würden wir unsere Arbeit innerhalb sicherer Mauern ausüben können. Und es wurde auch tatsächlich unser sicherer Schutz gegen Regen und Kälte, gegen Naziterror und das barbarische Getue der Kapos und anderer asozialer Individuen.

Aber die Philips-Arbeitsstätten sollten auch zur Zentrale werden, aus der viel geistliche Energie ins Lager strömen würde.

Schon bald formten sich dort Gefangenengruppen, die mittags zusammen einen Abschnitt aus der Bibel lasen und überdachten, und die dann im gemeinsamen Gebet Gott ihre Not und ihren Dank brachten. Welch eine Kraft ging davon aus! Der Stacheldraht entfiel. Wir wussten uns wieder eins mit allen, die innerhalb und außerhalb der Lager und Gefängnisse ihre Knie vor unserem himmlischen Vater beugten. Wir wussten uns wieder stark, weil wir – schwach in uns selbst – das Gebet als stärkste Waffe behalten hatten.

Ungefähr Ende Mai 1943 strömten Bibeln und Neue Testamente dutzendweise in das Lager. Dank Philips und anderer wurden die Gebote der deutschen Lagerleitung in dieser Hinsicht mit Füßen getreten. Es erreichten uns ganze Pakete mit Bibeln, die trotz der spähenden Augen unserer Verräter sofort verteilt wurden.

Auch in den Baracken, in denen wir die Nächte verbrachten, blieb die Auswirkung hiervon nicht aus. Abends kletterten die Gefangenen zueinander aufs Bett, um den Tag gemeinsam mit dem Lesen von Gottes Wort zu beschließen. Wir fühlten uns von Gottes Liebe getragen. Seine reichen Verheißungen, niedergeschrieben in dem „Vertrag“, den wir nun wieder in Händen hielten, galten auch für uns. Gottes Wort tat sein Werk in unseren Herzen.

Leider gab es auch unter den Gläubigen solche, die seelisch „am Boden lagen“ und sich kaum oder gar nicht gegen den Druck stemmen konnten. Aber das war doch nur eine kleine Minderheit. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass selbst der größte Glaubensheld auch Augenblicke von Kleinmut gekannt hat.

Niemand kann auch nur annähernd den geistlichen Gewinn dieser Jahre der Unterdrückung in Vught ermessen.

Durch das Leid sind die, die Christus kannten, gewachsen und haben zu trennen und zu unterscheiden gelernt. Vieles in ihrem Leben war vorher nicht in Ordnung. Dort haben sie es empfunden und das Versprechen abgelegt, dass Gott Anrecht auf ihr ganzes Leben und ihre ganze Kraft hat. Deshalb würden sie ihr Leben mit größerer Liebe und vollkommener Hingabe in Gottes Dienst stellen.

Die, die Christus nicht als Retter einer gefallenen Welt und als ihren Retter kannten, haben in dieser großen Drangsal über Ihn reden und von seiner Liebe zeugen hören. Von dem ausgestreuten Samen ist sicher viel zwischen die Dornen, auf den Weg oder auf das Steinige gefallen (Matthäus 13,1-9). Einmal wird sichtbar werden, ob und inwieweit Gott das Wort, das in seinem Namen weitergesagt wurde, zum ewigen Segen gesetzt hat.

 

1 Übersetzt aus: H.L.H. in „Uit het Woord der Waarheid“, Winschoten 1946/1947, Umschlagseiten

2 Eine in den Niederlanden sehr bekannte Auslegungsreihe über die ganze Bibel

3 Der folgende Text stammt von einem der Mitbrüder von H. L. Heijkoop: Übersetzt aus: J.K. in „Uit het Woord der Waarheid“, Winschoten 1947/1948, Umschlagseiten (gekürzt)