Bibel praktisch

Leben aus den Toten - der Staat Israel nach fünfzig Jahren

Am 14. Mai 1998 jährt sich die Staatsgründung Israels zum fünfzigsten Mal. Ein passender Anlaß, über das Geschehen in Nahost nachzudenken. Dabei denken wir nicht so sehr an die augenblickliche politische Lage in Israel wie z. B. die Frage, wie lange Netanjahu noch Ministerpräsident ist. Wir denken auch nicht so sehr an die zunehmend schwierigere wirtschaftliche Lage in Israel. Uns interessiert auch nicht in erster Linie das militärische Gleich- oder Ungleichgewicht in der Region, die Gefahr eines erneuten Krieges usw., sondern die Frage, wann und wie das Volk Israel aus seinem gestlichen Todesschlaf aufwacht.


Der Titel dieses Artikels Leben aus den Toten entstammt einem Vers in Römer 11, wo der Apostel Paulus der Frage nachgeht, was eigentlich aus Israel werden sollte, nachdem Gott damals angefangen hatte, sich ein himmlisches Volk aus allen Nationen der Erde zu sammeln, die Versammlung Gottes. Die eindeutige Antwort ist, daß Gott sein Volk Israel nicht für immer verstoßen hat. Paulus stellt im weiteren Verlauf dieses Kapitels die rhetorische Frage: ,,Dem wenn ihre Verwerfung [die Beiseitesetzung Israels] die Versöhnung der Welt [der Gläubigen aus allen Völkern] ist, was wird die Annahme anderes sein als Leben aus den Toten?" (Röm 11,15).


Es gibt eine Zukunft für das Volk Israel, und zwar auf dieser Erde. Unzählige biblische Prophezeiungen über eine glorreiche Zeit dieses Volkes als Haupt der Nationen warten auf ihre Erfüllung. Doch bei alledem müssen wir deutlich unterscheiden zwischen dem Beginn einer ,,äußeren" Wiederherstellung des Volkes Israel als Nation einerseits und seiner ,,inneren" geistlichen Wiederherstellung andererseits. Dazu wollen wir uns zwei wichtige Prophezeiungen der Bibel näher ansehen, die eine aus dem Mund des Herrn Jesus während seiner letzten Erdentage und die andere aus der Feder des Propheten Hesekiel, der die Wegführung der Bewohner des Südreiches miterlebt hat.

Das Gleichnis vom Feigenbaum


,,Von dem Feigenbaum aber lernt das Gleichnis: Wenn sein Zweig schon weich wird und die Blätter hervortreibt, so erkennt ihr, daß der Sommer nahe ist. Ebenso auch ihr, wenn ihr dies alles seht, so erkennt, daß es nahe an der Tür ist" (Mt 24,32.33).


Die Jünger hatten den Herrn zu Beginn dieses Kapitels u. a. gefragt: „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?" (Mt 24,3). Das Gleichnis vom Feigenbaum ist ein Teil der Antwort, die der Herr auf diese Fragen gab. Die Fragen drehten sich also um ein Ereignis in Verbindung mit dem Kommen Jesu, sein Kommen wird ein bestimmtes Zeitalter zur Vollendung bringen und zugleich ein neues einleiten. Nun, um welche Zeit geht es? Es geht zum einen um den Abschluß der Zeit der Zerstreuung Israels unter alle Völker als Folge der Ablehnung und Kreuzigung des Messias. Diese Zeit wird zu Ende kommen, wenn das Volk Israel zu Gott zurückkehrt und als Folge davon den Messias von Herzen mit den Worten willkommen heißen wird: ,,Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!" (Mt 23,39). Das ist zugleich der Beginn einer neuen Zeit, nämlich der Zeit des tausendjährigen Friedensreiches. Doch die Wiederherstellung dieses Volkes erfolgt in zwei Phasen, die der Herr Jesus mit den Jahreszeiten Frühling und Sommer vergleicht. Der Frühling ist die Zeit, wo die Blätter ausschlagen, und der Sommer ist die Zeit der reifen Früchte.

Woher wissen wir, daß der Feigenbaum ein Bild von dem Volk Israel ist? Einige Tage bevor der Herr Jesus die Worte vom Feigenbaum zu den Jüngern sprach, ging Er morgens mit den Jüngern von Bethanien, wo sie Übernachtet hatten, nach Jerusalem. Er hatte Hunger. Als sie an einem Feigenbaum vorbeikamen, trat Er auf den Baum zu und suchte Feigen. Doch Er fand nichts als Blätter. Daraufhin verfluchte Er den Baum, der augenblicklich verdorrte. Auf die Verwunderung der Jünger hin sagte Jesus zu ihnen, daß sie mit dem Feigenbaum dasselbe tun könnten, wenn sie nur Glauben hätten. Sie würden sogar einen Berg ins Meer verpflanzen können. Sie brauchten nur im Glauben Gott zu bitten (siehe Mt 21,19-22).

Auch jene aber, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingentopft werden; denn Gott vermag sie wiederum einzupfropfen.       Römer 11,23 

Diese Begebenheit macht deutlich, wovon der Feigenbaum  ein Bild ist: von dem ungläubigen Volk Israel! Der Herr hatte viele Jahre inmitten dieses Volkes gewirkt und Frucht für Gott gesucht. Doch was fand Er? Allgeimein gesprochen nichts als Ablehnung. Wenige Tage später würde das Volk seinen Messias ans Kreuz schlagen. Statt Frucht für Gott zu bringen, töteten sie  seinen Sohn (vgl. Mt 21,33-41)! Der Herr bereitete seine Jünger auf diese Feindschaft vor, die auch sie erfahren würden. Doch im  Glauben würden sie die Feindschaft überwinden. Auch sie würden dieses abtrünnige Volk als einen dürren Baum betrachten können und als einen Berg, ein großes Hindernis, das sie jedoch im Glauben ins Meer werfen, also überwinden würden.

Von dem alten Volk Israel zur Zeit des Herrn Jesus ist nichts übriggeblieben. Gott selbst hat den Berg einige Jahrzehnte später ins Völkermeer geworfen. Und wir erleben in unseren Tagen, wie dieses Volk wieder zum Vorschein gekommen ist. Es gibt wieder einen Feigenbaum: einen Staat Israel. Die Zweige sind weich geworden und haben Blätter hervor gebracht. Der Frühling ist bereits vorbei. Er war die Zeit der nationalen Wiederherstellung dieses Volkes. Und das war ein großartiges Ereignis. Es ist immer etwas Besonderes, wenn man im Frühling miterleben darf, wie alles anfängt zu grünen und zu  blühen. Wir haben das in den letzten Wochen wieder in eindrucksvoller Weise miterlebt. Allerdings ist  der Frühling eben noch kein Sommer, wo die ersten Früchte reifen.

Der Herr Jesus machte also mit diesem denkbar kurzen Vergleich einen sehr wichtigen Unterschied deutlich. Die Wiederherstellung des Volkes Israel verläuft in zwei Phasen: zuerst die nationale Wiedeherstellung, wo gleichsam Leben  aus dem Tod hervorkommt. Wenn die nationale Wiederherstellung  schon ein großes Wunder war, dann wird die geistliche Wiederherstellung ein noch weitaus größeres Wunder sein.

Es gibt im Alten Testament ein ganzes Kapitel, das diese beiden Phasen der Wiederherstellung Israels mit einem anderen Bild sehr eindrucksvoll beschreibt: Hesekiel 37. In diesem Kapitel beschreibt Hesekiel eine Vision. Daraus lesen wir jetzt die ersten sechs Verse.

Das Tal der Totengebeine

„Die Hand des HERRN kam über mich, und der HERR führte mich im Geiste hinaus und ließ mich nieder mitten im Tale; und dieses war voll Gebeine. Und er führte mich ringsherum an ihnen vorüber; und siehe, es waren sehr viele auf der Fläche des Tales, und  siehe, sie waren sehr verdorrt. Und er sprach zu mir: Menschensohn, werden diese Gebeine lebendig werden? Und ich sprach: Herr,  HERR, du weißt es. Da sprach er zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret das Wort des HERRN! So spricht der Herr, HERR, zu diesen Gebeinen: Siehe, ich bringe Odem in euch, daß ihr lebendig werdet. Und ich werde Sehnen über euch legen und Fleisch über euch wachsen lassen und euch mit Hautüberziehen, und ich werde Odem in euch legen, daß ihr lebendig werdet. Und ihr werdet wissen, daß ich der eine  HERR bin" (Hes 37,1-6).

Hesekiel sah ein Tal voller Totengebeine; er sollte sie sich genau anschauen. Es waren sehr viele. Sie waren völlig verdorrt. Das erinnert mich an das Beinhaus von Donaumont bei Verdun, wo die Überreste von mehr als 100.000 nicht identifizierten Soldaten aufbewahrt werden, die dort im 1. Weltkrieg gefallen sind.

Dann fragte Gott Hesekiel, ob diese Gebeine wohl wieder lebendig würden. Auf die Antwort Hesekiels hin, daß Gott es wisse, bekam der Prophet den Auftrag, über die Gebeine zu weissagen: Gott würde wieder Odem in sie bringen, so daß sie lebendig würden, und zwar in folgender Reihenfolge: Zuerst würde Gott Sehnen über die Gebeine legen, dann Fleisch darüber wachsen lassen, sie mit Haut überziehen und schließen Odem hinengeben. Alle würden erkennen, daß Gott der Herr ist.

Im folgenden finden wir den Bericht, wie Hesekiel weissagte: ,, Und ich weissagte, wie mir geboten war. Da entstand ein Geräusch, als ich weissagte, und siehe, ein Getöse: und die Gebeine rückten zusammen, Gebein an Gebein. Und sah, und siehe, es kamen Sehnen über sie, und Fleisch wuchs, und Haut zog sich darüber obenher; aber es war kein Odem in ihnen" (V. 7.8). Genau das, was Gott gesagt hatte, geschah nach der Weissagung Hesekiels. Mit lautem Krachen rückten die Gebeine zusammen, Sehnen kamen darüber, Fleisch wuchs, und Haut zog sich darüber.

Doch dann geschah erst einmal gar nichts. Damit ist nämlich die erste Phase der Wiederherstellung des Volkes Israel abgeschlossen. Es ist sehr eindrucksvoll, das Getöse zu hören und die toten Leiber dieser vielen Menschen da zu sehen. Aber das Entscheidende fehlt: das Leben. Das Volk hat noch keinerlei Verbindung zu Gott! Und diese Zeit zwischen dem ersten Weissagen Hesekiels und dem zweiten Weissagen in die Zeit zwischen dem Frühling und dem Sommer, die wir in Matthäus 24 gefunden haben. 

Wir wollwn jetzt sehen, was weiterhin geschah:,, Und er sprach zu mir: Weissage dem Odem, weissage, Menschensohn, und sprich zu dem Odem: So spricht der Herr, HERR: Komm von den vier Winden her, du Odem, und hauche diese Getöteten an, daß sie lebendig werden! Und ich weissagte, wie er mir geboten hatte; und der Odem kam in sie, und sie wurden lebendig und standen auf ihren Füßen, ein überaus großes Heer"(V. 9.10). Nach diesem erneuten Weissagen des Propheten kam der Odem in die Getöteten. Sie wurden zum Leben erweckt und stellten sich hin auf ihre Füße. Da standen sie! Ein überaus großes Heer von Menschen. Das ist es, wovon der Apostel Paulus im Blick auf das Volk Israel sprach: Leben aus den Toten.

Wiederherstelung des Volkes Israel oder Auferstehung individueller Menschen?

Jetzt könnte die Frage aufkommen: Kann es nicht sein, daß es sich hier in diesem Kapitel um eine tatsächliche Auferstehung von Menschen handelt? Warum sollen wir diesen Vergleich als ein Bild der geistlichen Wiederherstellung dieses Volkes verstehen? Wir finden eine deutliche Antwort auf diese Frage in den folgenden Versen:,,Und er sprach zu mir: Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, sie sprechen: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren; wir sind dahin. Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich werde eure Gräber öffnen und euch aus euren Gräbern heraufkommen lassen, mein Volk, und werde euch in das Land Israel bringen"(V. 11.12).

Diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Es geht nicht um individuelle Personen aus dem Volk, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auferstehen werden. Dafür gibt es keinerlei weitere Hinweisein der Heiligen Schrift. Wer sollte denn in den Augenblikken auferstehen, wo sich diese Verse aus Hesekiel 37,9.10 erfüllen? Die echten Gläubigen aus dem Volk Israel der vergangenen Jahrhunderte? Oder etwa auch die ungläubigen Menschen von früher aus diesem Volk? Nein, alle ungläubigen Israelitenwerden auferstehen, wenn die Gerichtsverhandlung vor dem großen weißen Thron nach dem Tausenjährigen Reich stattfindet (Offb 20,11-15). Die gläubig gestorbenen Israeliten werden unter den Auferweckten sein- sie gehören zu den Toten in Christus-, wenn der Herr Jesus zur Heimholung der Kirche vor der Zeit der Gerichte komen (vgl. 1.Thes 4,14-18).

Außerdem: Wenn individuelle Menschen auferstehen werden, wird das eine Sache von  Bruchteilen einer Sekunde sein und nicht in unterschiedlichen Phasen verlaufen. Wir kommen daher zu keinem anderen Schluß, als daß es beim Einhauchen des Odems in Hesekiel 37 um die geistliche Wiederherstellung dieses Volkes geht.


Ausklang


Wir wünschen es uns sehr, daß sich diese beiden Prophezeiungen des Herrn Jesus und Hesekiel bald erfüllen. Wie nahe mag der Zeitpunkt der geistlichen Erweckung unter dem Volk Israel sein. Gott hat bereits begonnen, in aufsehenerregender Weise mit diesem Volk zu handeln, nicht nur im Blick auf die Grundung des Staates Israel vor 50 Jahren, sondern auch in der Zeit danach (denken wir nur an verschiedenen Kriege).

Wenn heute jedoch Juden zum lebendigen Glauben an Jesus Christus kommen und eine neue Geburt erleben, von der der Herr Jesus zu Nikodemus sprach (Joh 3,3-5), dann sind sie im gleichen Augenblick im religiosen Sinn keine Juden  mehr, weil sie der Versammlung Gottes hinzugrfügt werden (vgl Apg 2,42).

Der in diesem Heft ebenfalls abgedruckte Artikel Messianische Juden des amerikanischen Autors A. E. Bouter setzt sich mit der Frage auseinander, was es mit dieser Bewegung auf sich hat.

Jede Israelbegeisterung, die nicht berucksichtigt, daß das Volk Israel insgesamt für gott noch geistlichtot ist- obwohl die nationale Wiederherstellung ein Wunder Gottes war-, geht von falschen Voraussetzungen aus. Diese Begeisterung wird einer Ernüchterung weichen müssen, denn das Volk Israel wird noch eine furchtbare Zeit der Drangsal erleben, von der der Herr Jesus ebenfalls in Matthäus 24 gesprochen hat, nämlich in den Versen 15-22. Es gibt leider im Blick auf den jetzigen Zustand des Volkes Israel manche unnüchterne Strömungen unter Christen, die dadurch entstehen, daß man die nationale und die geistliche Wiederherstellung des Volkes Israel nicht unterscheidet. 

Auch wir wollen für den Frieden Jerusalems und Israels bitten (PS 122,6) Doch sollte unsere Bitte zuerst einmal darin bestehen, daß dieses Volk aus seinem Todesschlaf aufwacht. Mögen noch so viele Juden in das Land zurückkehren, so ist das doch noch nicht die geistliche Wiederherstellung dieses Volkes. Sie wird ein Werk des Geistes Gottes sein.

Bald wird eines der größten Wunder Gottes geschehen, wenn das Volk Israel aus seinem Todesschlaf erwacht. Ihre Annahme bei Gott wird Leben aus den Toten sein.