Berufung zum Dienst für den Herrn

So hat auch der Herr für die, die das Evangelium verkündigen, angeordnet, ,, vom Evangelium zu leben" (1. Kor 9, 14). Wir finden in diesem Vers eine sehr klare Belehrung. Der Apostel gibt am Anfang dieses Kapitels eine Aufzählung seiner Rechte als Apostel: „Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid nicht ihr mein Werk im Herrn? ... Haben wir etwa nicht das Recht, eine Schwester als Frau mit uns zu führen wie auch die übrigen Apostel und die Brüder des Herrn und Kephas? Oder haben allein ich und Barnabas nicht das Recht, nicht zu arbeiten [d. i. für die eigenen Bedürfnisse]?" (V. 1.5.6). So fährt er fort, seine Rechte vorzustellen, indem er sie aus dem Gesetz und den Verordnungen ableitet. Warum geht er hier so ausführlich auf seine Rechte ein? Ganz einfach, um aufzuzeigen, daß er alles aufzugeben vermochte um des Evangeliums willen: „Ich habe aber von keinem dieser Dinge Gebrauch gemacht. Ich habe dies aber nicht geschrieben, damit es so mit mir geschehe; denn es wäre besser für mich zu sterben, als daß jemand meinen Ruhm zunichte machen sollte" (V. 15).


Nun, lieber Freund, sicherlich hast du einen sehr markanten Unterschied festgestellt zwischen dem Apostel Paulus, wie er damals handelte, und den Zielen so mancher heute, die seine Worte anfuhren. Er führte seine Rechte nur an, um zu zeigen, daß er darauf verzichtete. Viele zitieren hingegen seine Worte, um auf diesen Rechten zu bestehen, auf die er verzichtet hatte um des Evangeliums willen.


Es wäre keine Gnade, keine moralische Schönheit, wenn jemand Vorrechte aufgibt, auf die er ohnehin kein Recht hat. Dort aber, wo man wirklich Rechte hat und sie aufgibt, zeigt sich echte Gnade. So war es bei Paulus. Er hatte ein Recht, von dem Evangelium zu leben (V. 14). Doch die Gnade brachte ihn dazu, durch die Arbeit seiner Hände zu leben. Er wollte nichts von den Korinthern annehmen. Damit wollte er sie beschämen. Er nahm ,,einmal und zweimal" eine Gabe von den Philippern an (Phil 4,16). Diese ,,Frucht" sollte überströmend sein für ihre Rechnung. In der Regel sorgte der Apostel durch die Arbeit seiner Hände für sich selbst. Welch einen erhabenen Platz nahm dieser unvergleichliche Diener Christi ein. Ist es nicht das höchste Vorrecht für einen Diener des Herrn, so zu handeln? Wer sich nicht an diesem Vorrecht erfreuen kann, beraubt sich einer ganz besonderen Würde.


Doch der Herr ist sehr gnädig und begegnet uns in all unserer Schwachheit und Armut. Unsere Gesellschaft ist so beschaffen, daß es sehr schwierig ist für jemand, der zu einem vollzeitigen Dienst berufen ist, zugleich für den täglichen Unterhalt für sich und für seine Familie - sofern er eine hat - zu sorgen. Wer einen irdischen Beruf ausübt, muß den Anforderungen darin entsprechen. Ist jemand selbständig, so muß er seiner Arbeit sorgfältig nachgehen, sonst wird sein Geschäft bald zugrunde gehen.

Wenn jemand daher eine Berufung fühlt, im Werk des Evangeliums zu arbeiten, so muß er sich sehr sicher sein. Die Gabe und die Berufung müssen eindeutig sein. Er muß wissen, daß er berufen ist und auch, was sein Dienst ist, sonst wird er früher oder später Schiffbruch erleiden. Wir haben innerhalb unseres näheren Bekanntenkreises solche gekannt, die ihren Beruf aufgaben, weil sie den Eindruck hatten, daß sie ganz zu dem Werk berufen waren, und im Glauben, wie sie es nannten,leben sollten (obwohl es sicher ein großer Irrtum ist, wenn man meint, das Leben des Glaubens auf solch einen engen Bereich einschränken zu können). Doch was geschah weiterhin? Sie zweifelten an ihrer Berufung. Später verließen sie sogar völlig den christlichen Weg. - Die besagten Personen hatten also weder eine Gabe noch eine Berufung zum Dienst. Das Aufgeben des Berufes war daher ein schwerwiegender Fehler. 

Wir zögern also nicht, lieber Freund, daran festzuhalten, daß in der Regel jeder in dem Beruf bleiben sollte, in dem er berufen worden ist, sofern er darin mit dem Herrn übereinstimmt. Wenn jemand jedoch zu dem Werk des Dienstes berufen ist und Gott ihm dazu eine Gabe gegeben hat, und sein irdischer Beruf stellt dann ein echtes Hindernis dar, wird aufrichtige Hingabe des Herzens gegenüber dem Herrn dahin führen, alles aufzugeben, um dem Ruf des Meisters zu folgen. Die Dinge müssen aber sehr klar sein. Sein Weg muß ein solides Fundament haben. Herz und Gewissen müssen vor Gott geübt sein, nicht vor Menschen; auch nicht vor seinen Brüdern, sonst wird er niemals darin dem Herrn dienen.