Biblische Begriffe

Anstoß, Ärgernis

Biblische Begriffe
Die Erläuterungen, die wir unter dieser Überschrift den Lesern vorstellen, haben.nicht das Ziel eine "theologische" Deutung zu geben, sondern sollen einfach Begriffe, die heute vielleicht anders verstanden werden oder auch ungebräuchlich geworden sind, erklären. Dabei möchten wir jeweils auf ihren Gebrauch im Zusammenhang der Heiligen Schrift eingehen. Dies kann natürlich kaum in erschöpfender Weise geschehen, könnte aber vielleicht dazu dienen, Denkanstöße für unsere Praxis als Christen zu geben.

Anstoß, Ärgernis

Wer von uns hat nicht schon einmal etwas als ein "Ärgernis" empfunden oder hat wohl ein mal gehört - als Ermahnung vielleicht -, dass er keinen Anstoß geben sollte ... und hat sich vielleicht daran nur wieder "geärgert"!? Ich möchte und kann dieses "Thema" sicher nicht erschöpfend behandeln, möchte aber bei der Erklärung dieser beiden Begriffe auf einige Punkte aufmerksam machen.
Die beiden Wörter kommen übrigens einige Male auch miteinander verbunden vor (z.B. Röm 14,13) - sie zeigen dann eine gewisse Steigerung an, denn ein "Ärgernis" sein ist noch schlimmer als "Anstoß geben". Aber ich greife schon vor, denn ich müsste ja zunächst einmal die Bedeutung der einzelnen Begriffe zu klären versuchen.
Die in der Elberfelder Übersetzung — aber auch in vielen anderen Übersetzungen - verwendeten Ausdrücke sind die Übersetzung von im wesentlichen zwei Grundwörtern im griechischen Neuen Testament: proskopä (oder auch proskomma) und skandalon. Das erstere besagt so etwas wie "Anstoß, Gelegenheit zum Anstoßnehmen", das zweite bedeutet "Falle" (womit man z.B. Tiere fängt), Strauchelholz oder Fallstrick (womit man jemanden zum Stolpern und Fallen bringt), Ärgernis, Veranlassung zu Sünde". Ableitungen von diesen beiden Wörtern sind dann die beiden Zeitwörter proskopein (= anstoßen, Anstoß nehmen, zum Straucheln bringen) und skandalizein (= Ärgernis geben, zu Fall bringen, zur Sünde verführen). Mehrere Begriffe im Alten Testament drücken ähnliche Sachverhalte aus.
Deutlich zu unterscheiden ist dabei natürlich auch zwischen Anstoß (oder auch Ärgernis) geben und Anstoß nehmen. Das erstere wird in Gottes Wort deutlich behandelt, das zweite findet sich als Ausdruck nicht in der Heiligen Schrift, wohl aber in unserem Sprachgebrauch. Ich möchte darauf am Schluss noch zurückkommen.
Der in Sünde gefallene Mensch "ärgert" sich an der Forderung Gottes, ärgert sich an der Heiligkeit des Herrn Jesus, des Sohnes des Menschen (vgl. Mt 11,6; 13,57; 15,12). Dies gilt insbesondere für die Juden; ihnen ist darum auch das Wort vom Kreuz ein Ärgernis (1. Kor 1,23; Gal 5,11). Das war übrigens auch schon durch Jesaja vorhergesagt worden: "’Ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses", die sich, da sie nicht gehorsam sind, an dem Worte stoßen, wozu sie auch gesetzt worden sind" (1. Pet 2,8; Röm 9,32.33; 11,9; vgl. Jes 8,14). So ist darin eine Gerichtsankündigung enthalten für die aus Israel, die nicht glauben, und gleichzeitig eine Verheißung für den, der glaubt: "Und wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden" (Röm 9,33). Und so sagt der Herr Jesus auch zu den Jüngern: "Glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird" (Mt 11,6).
Als der Herr Jesus in Matthäus 16 von Seinem Leiden und Sterben spricht und Petrus Ihn davon abhalten will, sagt der Herr zu ihm: "Geh hinter mich, Satan! du bist mir ein Ärgernis [griech. sakandalon], denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist" (Mt 16,23). Damit drückt der Herr aus, dass Satan die Absicht hat, Ihn zu Fall zu bringen, Ihn davon abzuhalten, den ganzen Willen Gottes zu tun. Das hatte dieser ja schon bei der dreimaligen Versuchung in Matthäus 4 versucht. Aber der Herr weist mit diesen Worten den Widersacher, der durch Petrus gesprochen hatte, zurück und von sich. Er war heilig (Lk 1,35), daher konnte Er nicht zu Fall gebracht werden!
Anders ist es mit uns Menschen, in denen die Sünde (noch) wohnt. Für uns ist ein "Anstoß" und ein "Argernis" (skandalon) sehr gefährlich. Dieses "Ärgernis" kann in uns selbst, in unserem Leben und unseren persönlichen "Schwachstellen" liegen: "Wenn aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so hau ihn ab und wirf ihn von dir. Es ist dir besser, lahm oder als Krüppel in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen oder mit zwei Füßen in das ewige Feuer geworfen zu werden. Und wenn dein Auge dich ärgert, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist dir besser, einäugig in das Leben einzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen zu werden" (Mt 18,8.9). Ich werde aufgefordert zu erkennen, was mir gefährlich werden kann für mein Leben als gläubiger Christ, und es mit Entschiedenheit zu meiden. Das "Ärgernis" kann aber auch durch andere vor uns gelegt werden, es kann sogar ein "Gläubiger" einem anderen zum "Anstoß" sein oder einen "Anstoß" geben, ihn dadurch in Gefahr oder auf einen gefährlichen Weg bringen.
Hier gilt für uns alle, Jüngere und Ältere, in unserem Zusammenleben Rücksicht aufeinander zu nehmen. Der Herr Jesus selbst erwartet dies von uns, wenn Er sagt: "Wer irgend einen der Kleinen, die an mich glauben, ärgern wird, dem wäre besser, wenn ein Mühlstein um seinen Hals gelegt, und er ins Meer geworfen würde" (Mk 9,42). Ein offenbar hartes Wort, das zeigt, wie ernst es dem Herrn damit ist, wenn ein "Kleiner", ein Kind (siehe Mt 18,5.6), zu Fall gebracht wird. Mit einem "Kind" oder einem "Kleinen" meint der Herr den, "der auf jede Anmaßung verzichtet, glaubt, was Gott sagt, auf Gott und nicht auf sein eigenes Urteil vertraut" (S. Prod’hom, Entretiens sur les Evangiles, I, 5.175). Sehr leicht können dann vermeintlich kluge und geistreiche Bemerkungen über das Wort Gottes oder sogenannte wissenschaftliche Erkenntnisse ein Hindernis und sogar ein Fallstrick werden.
Aber es geht nicht nur um solche Dinge. Selbst dann, wenn ich etwas tun möchte, das ich mit reinem Gewissen tun kann, aber von dem ich weiß, dass mein Bruder oder meine Schwester dabei Bedenken hat und es deshalb nicht tun würde, muss ich mir die Worte zu Herzen nehmen: "lasst uns nicht mehr einander richten, sondern richtet vielmehr dieses: dem Bruder nicht einen Anstoß oder ein Ärgernis zu geben" (Röm 14,13).
Im Römerbrief und im 1. Korintherbrief sind es Speisen, die der eine, der "stark" genannt wird, mit gutem Gewissen essen kann, die aber der andere, der "schwach" genannt wird, nicht wagt zu essen, weil er fürchtet, sich damit zu verunreinigen. (Im 1. Korintherbrief handelt es sich insbesondere um Fleisch, das möglicherweise einem Götzen geopfert worden war. Der "Starke" sah nichts dahinter, da er wusste, dass ein Götzenbild "nichts" ist, der "Schwache" dagegen war von dem Gedanken nicht frei, dass "Götzenfleisch" doch verunreinigt sei.) Die Grundbelehrung aber ist: "Zerstöre nicht einer Speise wegen das Werk Gottes. Alles zwar ist rein, aber es ist böse für den Menschen, der mit Anstoß isset" (Röm14,20). So kann ich durch mein Verhalten einem Mitbruder zum Anstoß sein und ihn damit zu Fall bringen. Denn wenn ich ihn durch mein — für ihn und sein Gewissen schlechtes — Verhalten dazu bringe, so zu handeln, wie ich es glaube verantworten zu können, tut er dies mit einem unreinen, befleckten, schlechten Gewissen vor Gott und kommt so durch mich auf einen verderblichen Weg. Will ich das? Darf ich das riskieren? Wenn ich meinen Bruder, "um dessentwillen Christus gestorben ist" (1. Kor 8,11), wirklich liebe, werde ich auf mein "erlaubtes" Verhalten gut verzichten können. Einfach aus Liebe zu ihm und zu unserem gemeinsamen Herrn und Heiland.
Es gibt viele Dinge, auf die wir im christlichen Miteinander aus Liebe zu unseren Geschwistern verzichten könnten. Verzichten ist zwar nicht gerade populär, aber es wird belohnt durch den Herrn selbst. Und dann wird es uns um dasselbe gehen wie dem Apostel Paulus, "indem wir in keiner Sache irgend einen Anstoß geben, damit der Dienst nicht verlästert werde" (2. Kor 6,3), dass wir zum echten Nutzen für unsere Mitgläubigen werden.
Wir wollen also keinen Anstoß geben, nicht zum Ärgernis sein. Aber wollen wir nicht auch darauf verzichten, Anstoß zu nehmen, wenn unsere persönliche Ansicht nicht beachtet wird? Wir sollten uns deshalb nicht so wichtig nehmen. Wir wollen das Wort des Herrn bewahren und dadurch unsere Liebe zu Ihm beweisen und darin auch unsere Mitgeschwister lieben und ihr Wohl suchen. In dieser Haltung werden wir weder Anstoß geben noch Anstoß nehmen.
Rainer Brockhaus