Sein Tun ist Wunderbar

Der Engel des Herrn

Der „Engel des Herrn“ ist ein Titel, der im Alten Testament auf eine bestimmte Person hinweist, die in unterschiedlichen Situationen erscheint und mit den Menschen spricht, zu denen sie gesandt ist. Es ist nicht irgendein Engel, sondern der Sohn Gottes selbst, der vor seiner Menschwerdung in einer Engelsgestalt zu Menschen kam.

 

Das hebräische Wort „Mal´ach“, das mit „Engel“ wiedergegeben wird, bezeichnet einen „Boten“, einen Gesandten bzw. den Repräsentanten einer Person1. Im Fall des „Mal´ach Adonais“ (bzw. „Mal´ach JHWH“, also des Engels des Herrn bzw. Engel Jahwes, zeigen die entsprechenden Bibelstellen, dass diese Person niemand anderes als Gott selbst ist. Von Gott gesandt und doch selbst Gott.

Der „Engel des Herrn“ wird auch „Engel des Bundes“ (in Maleachi 3,1) oder „Engel seines Angesichts“ (in Jesaja 63,8.9) genannt. Nicht immer wird direkt von Ihm als Engel gesprochen. So ist es in Josua 5,13-15 ein „Mann“ mit gezücktem Schwert, der sich als „der Oberste des Heeres des Herrn“ zu erkennen gibt.

 

Erste Vorkommen dieses Engels

Die Bezeichnung „Engel des Herrn“ begegnet uns das erste Mal in 1. Mose 16, als Hagar vor ihrer Herrin Sarai flüchtet. Dieser Bote des Herrn spricht mit ihr (V. 7) und wir erfahren, dass es Gott selbst ist, der hier redet: „Da nannte sie den Namen des Herrn, der zu ihr redete: Du bist der Gott des Schauens! Denn sie sprach: Habe ich nicht auch hier geschaut, nachdem er mich geschaut hat?“ (V. 13). Hagar war sich der Gegenwart Gottes bewusst. Er kennt sie und nennt sie mit Namen: „Hagar, Magd Sarais, woher kommst du, und wohin gehst du?“ (s. V. 8). Er, der Herzenskenner, wünscht eine wahrhaftige Antwort und ist bereit, sich ihr in Gnade zuzuwenden. Später erscheint ihr der Engel ein weiteres Mal und erbarmt sich über sie und ihr Kind als Retter (1. Mo 21). Wir sehen also, dass der Engel des Herrn sowohl mit Licht als auch mit Liebe, den Wesenszügen Gottes, verbunden wird.

Diese Person erscheint auch Abraham bei den Terebinthen Mamres (1. Mo 18), um einerseits Isaak und andererseits das Gericht über Sodom anzukündigen, das Er dann auch ausführt. Als Abraham bereit ist, seinen Sohn zu opfern, ist es der Engel des HERRN, der ihn zurückhält, um ihm ein stellvertretendes Opfer zu zeigen: den Widder im Dickicht. Dieser Widder deutet auf das vollkommene Opfer hin, das der HERR sich ersehen würde (1. Mo 22). Es ist bewegend zu sehen, dass Gott selbst bereit war, die Erfüllung des Opfernden und der Engel des Herrn die Erfüllung dieses Opfers am Kreuz von Golgatha zu werden.

Es ist der Engel des Herrn, der Jakob erscheint und sich ihm als „Gott von Bethel“ zu erkennen gibt (vgl. 1. Mo 31,11-13). Er ist derselbe, der an der Furt des Jabbok mit Jakob ringt (vgl. 1. Mo 32,25-32; vgl. Hos 12,3-5) und den der altgewordene Jakob den „Engel, der mich erlöst hat von allem Bösen“ (1. Mo 48,16) nennt.

 

Der Engel des Herrn und das Volk Israel

Der Engel des Herrn erscheint auch Mose in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch mit den Worten: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verbarg Mose sein Angesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen“ (2. Mo 3,6). Der „Ich bin“ ist der Sohn Gottes, wie später deutlich wird: „Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich“ (Joh 8,58). In Gnade und Heiligkeit offenbart Er sich Mose und dem Volk Israel, das Gott sich erwählt hat.

Als der Pharao Israel nachjagt, ist es der Engel des Herrn, der sich zwischen das Volk und das Heer der Ägypter stellt (2. Mo 14). Er ist der Führer und Hüter des Volkes in der Wüste. In 2. Mose 13,21 ist es „der Herr“ der vor ihnen herzieht, und in 2. Mose 14,19 der „Engel Gottes“. Eine ähnliche Stelle findet sich später, als Mose sich völlig überfordert fühlt, das Volk Israel durch die Wüste zu führen. Wie gnädig, dass Mose den Zuspruch hört: „Mein Angesicht wird mitgehen, und ich werde dir Ruhe geben“ (2. Mo 33,14). So hat es auch David erfahren: „Dieser Elende rief, und der Herr hörte, und aus allen seinen Bedrängnissen rettete er ihn. Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und er befreit sie“ (Ps 34,8). Auch Psalm 56 redet von dieser Zeit, „als die Philister ihn in Gat ergriffen“ (V. 1): „Auf Gott vertraue ich; ich werde mich nicht fürchten; was sollte der Mensch mir tun?“ (V. 12) – dies kann in der Tat nur der Gottesfürchtige sagen, der um den Beistand und die Gegenwart des Herrn weiß.

Es ist auch der „Engel des Herrn“, der Bileam entgegentritt, als dieser das Volk Israel verfluchen will (vgl. 4. Mo 22,22-35). Obwohl Israel ein widerspenstiges Volk ist, schützt der Herr sein Volk gegenüber dessen Feinden und lässt es letztlich segnen. Einige Zeit später muss Er das abtrünnige Volk ernstlich zurechtweisen, indem der Engel des Herrn von Gilgal nach Bochim heraufkommt, um bei ihnen Reue über ihre Sünden hervorzurufen (Ri 2,1-5). So finden wir hier den Engel des Herrn in Verbindung mit Gnade und Wahrheit.

 

Der Engel des Herrn und Friede sowie Herrlichkeit

Ob es warnende Worte sind oder tröstender Zuspruch – der Engel des Herrn ist immer zur richtigen Zeit zur Stelle. Als Gideon große Furcht hat, weil er in Verbindung mit seinem Opfer den Engel des Herrn gesehen hat, hört er die beschwichtigenden Worte: „Friede dir! Fürchte dich nicht, du wirst nicht sterben. Und Gideon baute dort dem Herrn einen Altar und nannte ihn: ‚Der Herr ist Frieden‘“ (Ri 6,22-24). So kennen auch wir unseren Gott: Im Neuen Testament wird Er siebenmal „Gott des Friedens“ genannt (Röm 15,33; 16,20; 1. Kor 14,33; 2. Kor 13,11; Phil 4,9; 1. Thes 5,23; Heb 13,20).

In Richter 13 fragt Manoah, der Vater Simsons, nach dem Namen des Engels, der ihm und seiner Frau erschienen ist, denn er weiß nicht, dass es der Engel des Herrn ist. Dieser gibt ihm eine erstaunliche Antwort: „Warum fragst du denn nach meinem Namen? Er ist ja wunderbar!“ (V. 18). Ein wunderbarer Name? Das erinnert an Jesaja 9,6: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit …“ (vgl. zu „wunderbar“ Jesaja 28,29).

Die Person unseres Herrn, wahrhaftig Gott und wahrhaftig Mensch, übersteigt bei Weitem unseren Verstand und unsere Vorstellungskraft. Sein ganzes Tun ist wunderbar (vgl. Ri 13,19).

 

 



[1] So wird es im Alten Testament z.B. auch für den Propheten Haggai (Hag 1,13) oder für Priester (s. Mal 2,7) verwendet. Maleachi (Mal´achi) heißt einfach „mein Bote“. Natürlich wird es auch für die Geistwesen verwendet, die wir Engel nennen (vgl. Hebräer 1,14); der Begriff beschränkt sich jedoch nicht auf diese.