Das Gesetz - Lebensregel für Christen

Bibelstudium

Das Gesetz – die Lebensregel für Christen? Teil 1

Gott gab seinem Volk am Sinai ein Gesetz. Die Bibel nennt es „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12). Müssen Christen dieses Gesetz halten? Brauchen Christen das Gesetz, um von Gott angenommen zu werden? Brauchen sie es, um Ihm in ihrem praktischen Leben zu gefallen? Was ist mit Vorschriften wie dem Sabbat oder dem Zehnten – gelten diese Gebote für uns? Ist man gesetzlich, wenn man sich am Gesetz orientiert? Was ist die Lebensregel des Christen? Diesen und anderen Fragen wollen wir mit einer kleinen Serie von Beiträgen nachgehen.

Zwei Definitionen vorab:

Ein Christ

  • Ein Christ ist ein Mensch, der über seine Sünden Buße getan hat, dem Herrn Jesus Christus geglaubt, ihn als Herrn anerkannt hat und getauft wurde, so dass er in seinem praktischen Leben als sein Jünger erkennbar ist (vgl. Apg 11,26; 26,28; 1. Pet 4,16).

Das Gesetz

  • Das Gesetz sind die 613 Gebote, die das Volk Israel – am Sinai und auch später – von Gott entgegen genommen hat, um sie zu befolgen; es handelt sich um fundamentale moralische Regeln (dazu zählen neun der sogenannten Zehn Gebote, z.B. 2. Mo 20,1–17), zivil-, straf- und staatsrechtliche Regeln (über den Umgang der Juden miteinander und mit anderen, z.B. 2. Mo 21 ff.) und kultische Regeln (z.B. über die kultische Reinheit oder den Priester- und Opferdienst, wie 3. Mo 1 ff.). Im Neuen Testament wird allerdings, wenn vom Gesetz gesprochen wird, zwischen diesen drei Bereichen nicht unterschieden1.

1. Der Christ wird nicht durch das Halten des Gesetzes gerechtfertigt

Gesetzeswerke?

Der Mensch ist ein Sünder. Sein wichtigstes Bedürfnis ist, dass Gott seine Sünden vergibt und dass er von Gott gerecht gesprochen wird. Das Gesetz hilft dabei nicht:

  • „Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden“ (Röm 3,20); das Gesetz schreibt dem Menschen vor, bestimmte Dinge zu tun und andere zu lassen, um Gott zufrieden zu stellen – das sind „Gesetzeswerke“. Gesetzeswerke sind kein geeignetes Mittel, um vor Gott gerechtfertigt zu werden. Der Grund: Niemand ist im Stande, das ganze Gesetz zu halten.

Gesetz

  • „Dass aber durch Gesetz niemand vor Gott gerechtfertigt wird, ist offenbar, denn der Gerechte wird aus Glauben leben“ (Gal 3,11; Röm 3,28); hier geht es um die Kraft oder den Grundsatz des Gesetzes: Nach diesem Grundsatz gibt es für den sündigen und schuldigen Menschen keine Rechtfertigung. Gott spricht den Menschen allein aufgrund des Glaubens gerecht.

Gnade

  • „Durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme“ (Eph 2,8 f.). Durch gute Werke kann sich niemand den Himmel verdienen. Jeder braucht Gottes Gnade, die ihn unverdientermaßen rechtfertigt. Gute Werke können nicht im Geringsten dazu beitragen.

Der Christ wird nicht gerechtfertigt, weil er etwas tut2 (z.B. das Gesetz befolgt), sondern weil er geglaubt hat, dass Christus alles für ihn getan hat (vgl. Phil 3,9).

Der Jude

Wie konnten die Juden unter Gesetz errettet werden?

Zwar heißt es in 5. Mose 6,25, in Römer 2,13 und 10,5, dass die Täter des Gesetzes gerechtfertigt werden. Das Gesetz war aber – mit Petrus‘ Worten – ein „Joch, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten“ (Apg 15,10; vgl. 13,39). Es konnte und kann faktisch nicht erretten, weil der in Sünde gefallene Mensch nicht in der Lage ist, es zu halten (vgl. Röm 8,3). Schon ein einziger Verstoß macht den Menschen schuldig, das ganze Gesetz gebrochen zu haben (Jak 2,10). „Darum, aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden“ (Röm 3,20).

Hatten die Juden dann überhaupt eine Chance errettet zu werden? Ja, denn es galt schon immer: „Der Gerechte wird aus Glauben leben“ (Hab 2,4). Dem Juden, der sich bemühte, das Gesetz treu zu beachten und für jeden Verstoß ein Sünd- oder Schuldopfer brachte, wurde schnell klar, dass er Gottes Gnade brauchte; im Blick auf das (da noch zukünftige) Opfer des Herrn Jesus konnte Gott die Sünden solcher Gläubiger mit Nachsicht betrachten (Röm 3,25.26). Leider kann das Alte Testament nur von relativ wenigen Juden berichten, die als Gerechte bzw. als Gläubige bezeichnet werden konnten. Schon in Bezug auf die Masse des Volkes während der Wüstenreise hören wir: „Aber an den meisten von ihnen hatte Gott kein Wohlgefallen“ (1. Kor 10,5).

2. Das Gesetz vom Sinai gilt nicht für Christen

Sinai

Jedes Gesetz hat einen genau definierten Geltungsbereich. Außerhalb dessen braucht es niemand zu beachten. Wenn z.B. in Skandinavien vorgeschrieben ist, dass PKWs tagsüber mit Licht fahren müssen, braucht das in Deutschland niemand zu beachten. Wenn ein Schüler seine Schullaufbahn beendet, gilt das Schulgesetz für ihn nicht mehr, usw. Für wen gilt nun das Gesetz vom Sinai, wer ist „unter Gesetz“?

a) Das Gesetz galt nur für das Volk Israel

Israel

  • Nicht die ganze Welt hat das Gesetz bekommen, sondern das Volk Israel (2. Mo 19 f.; vgl. 5. Mo 4,13; Ps 78,5; Hes 20,11; Apg 7,38; Gal 3,19; siehe insbesondere Röm 9,4).
  • Es müssen sich nur diejenigen an das Gesetz halten, für die das Gesetz gilt: „Alles, was das Gesetz sagt, redet es zu denen, die unter Gesetz sind“ (Röm 3,19).
  • Das Gesetz ist der Maßstab, nach dem Gott diejenigen richten wird, für die das Gesetz gilt: „So viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden“ (Röm 2,12.14; lies auch Gal 4,4 f. und 1. Kor 9,20 f.).

Das Wort Gottes unterscheidet die Juden (die „unter Gesetz“ sind) von allen anderen Menschen (die „ohne Gesetz“ sind). Wenn du kein Jude bist, warst du nie unter Gesetz und bist es auch heute nicht.

b) Das Gesetz galt nur von Mose bis Christus

Befristet

Zur Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität wurde 1988 die „Kronzeugenregelung“ eingeführt. Ein Angeklagter konnte Straffreiheit bekommen, wenn er mit seiner Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitrug. Dieses Gesetz war befristet und lief 1999 aus (kürzlich beschloss die Regierung, es wieder einzuführen und eröffnete ein neues Gesetzgebungsverfahren). Solche Befristungen gibt es entweder, weil nur ein vorübergehender Regelungsbedarf besteht oder weil der Gesetzgeber die Wirkung seiner Regelung zunächst erproben will. Auch das Gesetz vom Sinai war befristet3:

  • Das Gesetz wurde eingeführt „bis der Same käme“, „auf den Glauben hin“, „auf Christus hin“ (Gal 3,19.23.24); das Gesetz galt befristet („bis“), und es hatte eine bestimmte Zielrichtung („auf ... hin“). Dazu schreibt Paulus weiter: „Da aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter einem Erzieher“ (Gal 3,25).

Das Ende eines Erziehers

Erzieher

Das Gesetz vom Sinai zielte nicht nur auf das Verhalten, sondern auch auf die Gesinnung, den inneren Zustand des Menschen. Der war und ist aber unheilbar sündig. Wer das Gesetz halten wollte, musste unweigerlich an seiner sündigen Natur scheitern. Das Gesetz war damit ein „Erzieher“, der den Juden klar machen sollte, dass sie von Natur aus Gottes Ansprüche nicht erfüllen konnten. Weil Christus inzwischen gekommen ist, haben wir Christen nun den Segen unmittelbar aus Glauben und Gnade. Wir brauchen das Gesetz, diesen Erzieher nicht mehr (Gal 3,19 ff.).

Gebote

  • „Christus hat das Gesetz der Gebote in Satzungen hinweggetan“ (Eph 2,15; Kol 2,14), es wurde „seiner Schwachheit und Nutzlosigkeit wegen abgeschafft, denn das Gesetz hat nichts zur Vollen- dung gebracht“ (Heb 7,19). Es ist also klar, dass Gott entschieden hat, dass das Gesetz nicht ewig und universell gilt, sondern für bestimmte Menschen zu einer bestimmten Zeit4.

Das Zeitalter, in dem das Gesetz vom Sinai gelten sollte, ist vorüber. Christus ist das Ende des Gesetzes (Röm 10,4). Das Zeitalter der Gnade ist angebrochen (Röm 6,14; vgl. Joh 1,17). Der Gläubige des Alten Testaments stand mit dem Rücken zum Gesetz, mit dem Blick nach Golgatha. Der Christ soll es nicht umgekehrt machen.

c) Das Gesetz ist nicht für Gerechte bestimmt

Gerechte

Der Gesetzgeber richtet sich manchmal mit einem Gesetz an eine bestimmte Personengruppe mit dem Ziel, sie zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Zum Beispiel wurden Emissionszertifikate eingeführt, um Kraftwerksbetreiber und andere Industrieunternehmen dazu zu bewegen, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Auch das Gesetz vom Sinai verfolgt ein bestimmtes Ziel mit einer bestimmten Personengruppe:

Lebensregel

  • „Das Gesetz ist gut, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht, indem er dies weiß, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist, sondern für Gesetzlose, ... Gottlose und Sünder, für Unheilige und Ungöttliche, für Mörder, Hurer, ...“ (1. Tim 1,8 f.). Die meisten Menschen aus dem Volk Israel waren nicht wiedergeboren. Sie sollte das Gesetz zur Sündenerkenntnis und Buße bringen. Die jüdischen Gesetzeslehrer, gegen die sich Paulus in 1. Timotheus 1 wendet, wollten Christen, die das neue Leben hatten und Gottes Gedanken verwirklichen wollten, unter das Gesetz bringen. Natürlich kann ein Mensch – auch außerhalb des Judentums (um das es hier geht) – durch das Gesetz von einer Sünde überführt werden oder seinen sündigen Zustand erkennen. Das Gesetz – der Erzieher (s.o., Gal 3,24) – war aber nicht gegeben, damit von Gott gerechtfertigte Christen (Röm 3,24 ff.) heilig leben können.

Wer das Gesetz für einen Gerechten als Lebensregel benutzt, missbraucht es zu einem Zweck, zu dem Gott es nicht gegeben hat.

d) Der Christ ist dem Gesetz gestorben

Tod - tot

Seit 2002 stand Slobodan Milosevic, der frühere Präsident Serbiens, vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Ihm wurden zahlreiche Morde und andere Kriegsverbrechen in den Jugoslawien-Kriegen vorgeworfen. Am 11.03.2006 wurde er in seiner Zelle tot aufgefunden. Auch wenn es für jeden Menschen „gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Heb 9,27 – gemeint ist Gottes Gericht), ist Milosevic durch seinen Tod dem irdischen Gesetzesvollzug entzogen.

Der Christ ist für das Gesetz vom Sinai tot, er ist vom Gesetz frei:

Frei

  • „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, des aus den Toten Auferweckten, damit wir Gott Frucht brächten“ (Röm 7,4). Christus ist gestorben. Wir sind durch den Glauben mit Ihm eins. Sein Tod wird uns angerechnet und ist somit auch unser Tod.
  • „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe“ (Gal 2,19). Ich bin dem Gesetz gestorben, das heißt: ich bin für das Gesetz tot. Ich bin durchs Gesetz gestorben, weil Christus den Tod und die Verdammnis, die allein das Gesetz mir bringen konnte, stellvertretend für mich auf sich genommen hat (Gal 3,13). Das Gesetz hat jetzt keine Ansprüche mehr an mich – wenn ich im Glauben den Tod des Herrn Jesus für mich in Anspruch nehme.

Nicht das Gesetz hat Ansprüche an den Christen, sondern Chri- stus. Der Christ gehört Christus, um Gott Frucht zu bringen. Mit dem Gesetz ist es wie mit der Sünde (vgl. Röm 6,1 ff.): Der Christ ist für beides tot – er lebt nur für Gott (vgl. Phil 1,21). Der neue Mensch sucht nicht das Alte.

Lebt die wieder verheiratete Witwe noch für ihren ersten Mann?

Witwe

Paulus benutzt in Römer 7 ein deutliches Bild für das Verhältnis des Christen zum Gesetz: Eine Frau ist durch das Gesetz an ihren Ehemann gebunden, solange er lebt. Ist er gestorben, ist sie von ihm frei und kann sich wieder verheiraten. Dann lebt sie ganz für ihren zweiten Mann. So ähnlich (aber umgekehrt) ist es mit Christen: Selbst wenn sie früher (soweit sie Juden waren) an das Gesetz gebunden waren, so sind sie nun frei davon: Sie sind mit Christus gestorben und haben sich mit einem Anderen verbunden – nämlich mit dem auferstandenen Christus. Was würde man von einer Witwe halten, die wieder geheiratet hat, sich aber nach den Wünschen ihres früheren Mannes richtet? Was soll man von einem Christen halten, der sich nach den alten Geboten richtet, anstatt sich voll seinem neuen Herrn zu übergeben?

Man kann nicht sagen: „Ich bin dem Gesetz gestorben, aber ich nehme es als meine Lebensregel“. That is nonsense! J.N. Darby

3. Ein Gesetz taugt für den Christen prinzipiell nicht als Lebensregel

Gerechtigkeit

Halten wir fest: Der Christ wird nicht durch das Gesetz gerechtfertigt, und es gilt auch nicht unmittelbar für ihn – er ist nicht unter Gesetz. Und doch ist das Gesetz „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12). Es drückt Gottes Gedanken und Willen aus. Muss ein Christ nicht wenigstens die „moralischen Regeln“, die in diesem Gesetz enthalten sind (im Gegensatz zum Zeremonialgesetz), respektieren? Muss er nicht das Gesetz zu seiner „Lebensregel“ machen – zu einer Regel, der er in seinem praktischen Leben konsequent folgt?

Die Antwort lautet: Nein. Aus zwei Gründen. Erstens ganz formal: Das Gesetz ist unteilbar. Wenn der Christ das Gesetz halten müsste, dürfte er sich nicht bestimmte Vorschriften aussuchen – etwa die Zehn Gebote oder einzelne davon –, andere aber beiseite lassen. Das Gesetz bildet eine Einheit (Jak 2,10; Gal 5,3) – wer das Gesetz hält, muss es ganz halten, jedes einzelne Gebot. Der Christ ist aber gar nicht mehr unter Gesetz, es gibt für ihn keine Verp ichtung, das Gesetz vom Sinai zu befolgen, auch nicht seine „moralischen“ Regeln.

Jedes Gesetz

Die Belehrung des Neuen Testaments über das Gesetz geht aber noch weiter. Sie beschränkt sich nicht auf das Gesetz vom Sinai, sondern ist häufig ganz fundamental und bezieht sich auf jegliches Gesetz als Prinzip5. Insbesondere im Römer- und Galaterbrief erklärt Paulus, dass gute geistliche Gründe dagegen sprechen, dass der Christ sich dem Gesetz vom Sinai oder irgendwelchen anderen (selbst gemachten oder von anderen auferlegten) Geboten unterwirft – Stichwort „Gesetzlichkeit“ (dazu und zu der natürlich auch bestehenden Gehorsamsp icht des Christen gegenüber neutestamentlichen Geboten kommen wir in späteren Beiträgen dieser Serie).

a) Jedes Gesetz ist ein Stützpunkt für die Sünde

Was bedeutet es für einen Menschen, wenn er unter Gesetz ist? Was ist die moralische Wirkung gesetzlicher Vorschriften auf den Menschen – auch auf den Christen?

Sünden - Erkenntnis

  • „Durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde“, aber ohne die Kraft, die Sünde zu überwinden (Röm 3,20; 7,7.14 ff.). „Das Gesetz wurde der Übertretung wegen hinzugefügt“ (Gal 3,19; Röm 5,20). Wer unter Gesetz ist, sündigt nicht nur, sondern er übertritt das Gesetz. Darauf hat Gott einen Fluch gelegt, so dass das Gesetz den Zorn Gottes bewirkt (Röm 4,15)6.
  • Das Gesetz bewirkt keine Gerechtigkeit (Gal 2,21), weder für die Ewigkeit, noch in Bezug auf meinen Lebenswandel. Im Gegenteil: „Das Gesetz bewirkt jede Begierde“ (Röm 7,8.5), es lässt die Sünde „au eben“ (Röm 7,8 f.), es ist die „Kraft der Sünde“ (1. Kor 15,56). Wem etwas verboten wird, der hat sofort mit seiner Begierde zu kämpfen, das Verbot zu brechen. Die Sünde, die von Gott unabhängig sein will, zieht ihre Kraft aus den Verboten und Geboten Gottes. Dieser „Mechanismus“ gilt nicht nur für das Gesetz vom Sinai, sondern für jedes Gesetz. Durch gesetzliche Vorschriften wird auch heute7 der Christ zur Sünde verleitet. Die Sünde, die im Menschen – auch im Gläubigen – wohnt, nimmt das Gesetz als „Stützpunkt“8 für Begierde und sündiges Verhalten.

Dienst des Todes

  • Das Gesetz vom Sinai ist ein „Dienst des Todes und der Verdammnis“ (2. Kor 3,2 ff.). Es bestraft Ungehorsam mit Fluch9; wer sich dem Gesetz unterwirft, ist unter dem Fluch, weil niemand es halten kann (Gal 3,10). (Wenn er sich dann nach einem Versagen auf die Gnade beruft, ist er inkonsequent. Denn es ist nicht (auf)richtig, sich einerseits den moralischen Forderungen zu stellen, andererseits aber den unangenehmen Konsequenzen auszuweichen.)

Ein Christ, der gerechtfertigt ist, ist frei von Gottes Fluch, weil Christus stellvertretend für ihn „ein Fluch geworden ist“ (Gal 3,13).

Warum sollte er sich dem Gesetz unterwerfen, das Fluch, Tod und Verdammnis verspricht? Warum sollte er in seinem praktischen Leben die „Kraft der Sünde“ aktivieren?

b) Jedes Gesetz ist mit Sünde, Fleisch und Welt verbunden

Fleisch

  • Die Galater waren unter den Einfluss falscher Lehrer geraten und wollten zusätzlich zu ihrer Bekehrung das Gesetz beachten. Paulus schreibt ihnen: „Nachdem ihr im Geist angefangen habt, wollt ihr jetzt im Fleisch vollenden?“ (Gal 3,3; 2,18). Das Gesetz richtet sich an den natürlichen Menschen. Er ist auf seine natürliche, menschliche Kraft angewiesen – auf das „Fleisch“, das unfähig ist, Gottes Willen zu erfüllen. Es beruht auf dem Prinzip des „Tuns“, nicht des Glaubens und der Gnade (Gal 3,12).

Sünde

  • Der Christ, der sich unter das Gesetz stellt, stellt sich wieder auf den Boden, auf dem die Sünde wuchert, die in ihm wohnt. Statt frei für Gott zu leben, kehrt er in die Sklaverei der Sünde zurück und wird die entsprechenden Erfahrungen machen. Wer meint, er müsse Gesetz oder Gesetzlichkeit einsetzen, um in Eigenleistung Frucht für Gott hervorzubringen, wird feststellen, dass die Sünde überhand nimmt (vgl. Röm 7,14 ff.).

Welt

  • Es handelt sich bei dem Gesetz um „Elemente der Welt“ (Gal 4,3; vgl. Kol 2,20). Dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit dem, was Welt „in der Welt“ ist, dem von Satan kontrollierten System, in dem wir leben (1. Joh 2,16), sondern er bezeichnet ausdrücklich das Gesetz. Wenn sich der Christ, der sich von der Welt zu Gott bekehrt hat, unter Gesetz begibt, ist das für Gott wie Götzendienst. Denn der von Gott seinem Volk Israel früher gegebene Gottesdienst ist von Ihm zur Seite gestellt worden. Wer diesen Dienst nun wieder aufnimmt, dient nicht Gott, sondern Götzen. Letztlich dient so jemand wieder der Welt – nur in anderer Form (Gal 4,9.10).

Den traurigen Zustand der Knechtschaft unter „schwachen und armseligen“ Vorschriften hat Gott für den Christen beendet, indem er ihm das neue Leben gegeben hat. Deshalb soll der Christ nicht auf den „Mechanismus“ Gesetz/Fleisch zurückgreifen.

Der Christ ist durch die Bekehrung nicht unter Gesetz gekommen

Bekehrung

Mit der Bekehrung zeigt man „Glaubensgehorsam“ und möchte alle Gebote Gottes befolgen. Vorher war man „ohne Gesetz“ – kommt man mit der Bekehrung „unter Gesetz“?

Genau dieses Problem kam historisch schon recht früh auf, als nach der Entstehung der Versammlung die ersten nicht-jüdischen Menschen zum Glauben kamen. Manche jüdisch-stämmigen Christen meinten, diese neuen Christen müssten sich beschneiden lassen. Der Heilige Geist leitete die Apostel samt der ganzen Versammlung in Jerusalem zu folgender Klärung: „Es hat dem Heiligen Geist und uns gut geschienen, keine größere Last auf euch zu legen als diese notwendigen Dinge: euch zu enthalten von Götzenopfern und von Blut und von Ersticktem und von Hurerei“ (Apg 15,28.29; vgl. nochmals Röm 6,14 und die Bibelverse oben unter 2.).

4. Für’s nächste Mal

Zehnter

Im Blick auf manche Gesetzesvorschriften scheinen die Christen einig zu sein, dass sie nicht mehr beachtet werden müssen. Unsere Mäntel haben keine Quasten (5. Mo 22,12), Kredite werden nicht automatisch nach sechs Jahren erlassen (5. Mo 15,2), und ich habe noch keinen Christen gesehen, der Gott ein Tier opfert (3. Mo 1 ff.). Andere Gebote haben offensichtlich für manche Christen eine gewisse praktische Bedeutung. Nächstes Mal wollen wir deshalb anhand von ein paar Beispielen10 die oben dargestellte Lehre für die Praxis „abklopfen“. Überleg ́ Dir doch schon mal, wie der Christ mit folgenden Geboten umgeht:

  • den Zehnten geben (3. Mo 27,30 ff.)

Sabbat

  • den Sabbat heiligen (2. Mo 20,8)

Anschließend gehen wir im nächsten Heft der Frage nach: Welchen Nutzen hat das Gesetz für Christen?

Was unter dem Gesetz aufgenommen wird, geht im Fleisch verloren. J.N. Darby

 

1 Beispielsweise sind die beiden „größten Gebote“ (Gott und den Nächsten zu lieben) nicht in den Zehn Geboten enthalten (Mt 22,36 ff.; vgl. Mt 15,4).

2 Wenn Jakobus sagt: „Ein Mensch wird aus Werken gerechtfertigt und nicht aus Glauben allein“ (Jak 2,24), dann widerspricht er nicht dem Römerbrief, der die Frage erörtert: Wie kann ein Mensch gerechtfertigt werden vor Gott? Nein, Jakobus erörtert, wie jemand, der ein Glaubensbekenntnis hat, sich gegenüber anderen Menschen als gerecht erweisen kann. „Zeige mir deinen Glauben“ (Kap. 2,18), d.h. der (innerliche) Glaube muss sich durch gute Werke als echt erweisen. Es wird hier also nicht gesagt, dass sich der Mensch durch Gesetzeswerke das ewige Leben erwirbt. Jakobus macht klar, dass der Buße Taten folgen müssen: nicht gute Werke als Voraussetzung des Heils, sondern Werke des Glaubens als Folge des Heils; vertiefend dazu D. Melui, FMN 3/2004, 20 (23).

3 Aus Bibelstellen wie Jesaja 2,2.3 und Jeremia 31,33 (vgl. auch Jes 56,2–7; 66,23 – Sabbat, Bund, Opfer) leiten manche Ausleger ab, dass das Gesetz vom Sinai im 1000- jährigen Reich wieder eingesetzt werden wird. Es wird jedenfalls der Maßstab von Gottes zukünftigem Gericht sein, indem der, der unter Gesetz ist, durch das Gesetz gerichtet wird.

4 Aus Matthäus 5,17 ff. (das Gesetz wird nicht aufgelöst, kein Jota oder Strichlein wird vergehen) oder Stellen wie Offb 14,12 i.V.m. Dan 7,25 ergibt sich nichts anderes: Das Gesetz bleibt, aber der Christ ist ihm nicht unterworfen. Das Gesetz ist nicht „ewig“: es hat ein Ende, und es hatte auch einen Beginn: es „kam daneben ein“ (Röm 5,20).

5 Dies erkennt man daran, dass im griechischen Grundtext oftmals der Artikel fehlt – es heißt dann nicht „das Gesetz“, sondern „Gesetz“ (z.B. in Römer 7; in Vers 8 heißt es wörtlich ganz abstrakt: „Ohne Gesetz ist Sünde tot“). In der Elberfelder Übersetzung Edition CSV erkennt man das am Kleindruck des Artikels.

6 Das Gesetz ordnete bei manchen Rechtsverstößen Strafen an. Die Maximalstrafe war der Tod – natürlich der körperliche Tod. Weil das Gesetz aber zugleich die Regeln für die Beziehung zwischen den Juden und Gott aufstellte, erwies eine Gesetzesübertretung den Juden auch als „moralisch tot“, was für ihn daher letztlich auch den ewigen Tod, den „zweiten Tod“ (Off 21,8) brachte (vgl. Röm 5,12) – wenn er nicht Buße tat. Was in Römer 3 und 7, 2. Korinther 3, Galater 3 usw. über Gesetz, Fluch und Tod gesagt wird, bezieht sich durchweg auf diese letztgenannte, geistliche Ebene.

7 Auch für den Christen gibt es Gebote, die er zu befolgen hat (vgl. 1. Kor 7,19). Sie unterscheiden sich vom Gesetz vom Sinai dadurch, dass sie sich an von neuem geborene Menschen richten und dass es für den Christen weniger um die Befolgung eines Gesetzes geht als um die Leitung durch den Geist sowie den Gehorsam gegenüber Christus, der ihn liebt. Diese neutestamentlichen „Gebote“ werden im übernächsten Heft behandelt.

8 Röm 7,8: „Die Sünde aber, durch das Gebot Anlass nehmend, bewirkte jede Begierde in mir“; der Begriff, der hier mit „Anlass“ übersetzt wird, bedeutet auch „Stützpunkt“ oder „Militärbasis“.

9 In Galater 3,10 wird aus 5. Mose 27 zurückgegriffen. Dort ordnete Mose an, dass nach der Durchquerung des Jordan sechs Stämme auf dem Berg Gerisim stehen sollten, um das Volk zu segnen und sechs Stämme auf dem Berg Ebal, um zu fluchen (V. 11.12). Es ist bezeichnend, dass in den folgenden Versen nur von dem Fluch und nicht von dem Segen gesprochen wird.

10 Weitere Beispiele findet man bei M. Hardt, FMN 4/2002, 23 (26).