Ein See im Karstgebiet - und was er mir zu sagen hatte

Vermutlich kennen nur wenige die zweitgrößte Insel der Adria: Cres (Kroatien). Der Norden und Osten der Insel ist wegen der kalten Fallwinde — Bora genannt — kahl und unfruchtbar. Tatsächlich wirken die hohen Klippen und der darüber stehende Buschwald auf uns abweisend, wenn man mit dem Fährschiff die Meerenge überquert.
Ist man aber auf der windungsreichen Bergstraße ein Stück gefahren, dann öffnen sich aus der Höhe atemberaubende Blicke auf das blaue Meer, auf die Halbinsel Istrien (westlich) und auf die Nachbarinseln zur anderen Seite. Es ist eine karge Berglandschaft, wo Olivenbäume wachsen und Schafe ihre Nahrung suchen, karg und faszinierend zugleich.

Was uns aber beeindruckte, ist der Vrana-See. Schaut man von der Höhe auf ihn herab, will man nicht glauben, dass er fünf Kilometer lang und anderthalb Kilometer breit ist. Unauffällig liegt er in einem Talkessel. Aber er hat uns eine Lektion erteilt, die ich gern weitergeben möchte.

Süßwasser ist in dieser trockenen Gegend knapp. Aber aus diesem 84 m tiefen See trinkt die ganze Inselbevölkerung, und nicht nur sie, auch die vielen Touristen, die, wie wir, Sonne, Wärme und sauberes Wasser suchen. Woher bekommt nun dieser See sein Wasser, wo es doch nun wirklich sparsam regnet? Der Seegrund liegt noch um 68 m tiefer als der Meeresspiegel und ist durch wasserführende Hohlräume, wie sie im Karstgebiet häufig sind, mit dem Meer verbunden. Dabei sorgt die Filterwirkung des Gesteins dafür, dass kein salziges Wasser in den See gelangt. So hat er stets genug Wasser, auch wenn kein Regen fällt und die umliegende Vegetation unter Dürre leidet.

Ich bin ganz sicher, dass jeder aufmerksame Leser an dieser Stelle "Aha" ruft und unsere Lektion auch versteht. Wem kommt nicht ein anderes Bild, das die Heilige Schrift gebraucht, in den Sinn: "Und er [nämlich der Gerechte] ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und dessen Blatt nicht verwelkt; und alles, was er tut, gelingt" (Ps 1,3)? Diesen Vers kennen wir alle sehr gut, zum Teil sogar auswendig. Aber die Praxis dieser lebenswichtigen Wahrheit, die lässt oft zu wünschen übrig.

Natürlich steht auch uns allen dieser unterirdische Strom zur Verfügung, natürlich wollen wir uns alle von diesem Wasser nähren, und natürlich wollen wir alle für andere Menschen, ob gläubig oder nicht, zum Nutzen sein. Aber wie macht man das nun tatsächlich?

Einer ruft: Man muss in der Bibel lesen! Jawohl, das ist der Ausgangspunkt! Ein anderer schlägt vor: Regelmäßig beten! Keine Frage, das brauchen wir Christen alle. Lesen und lesen kann zweierlei sein, genauso das Beten. Es kommt darauf an, wie wir das tun. Bibellese und das Gebet kann nur "die Technik" sein, wenn dieser Ausdruck mir einmal erlaubt ist. Mechanische Beschäftigung mit Gottes Wort oder nur gewohnheitsmäßiges Verrichten von Gebeten bringen auch nicht das gewünschte Ergebnis. Wir haben es wohl alle schon erlebt. Und ich setze voraus, dass alle, die meine Erwägungen lesen, eine lebendige Verbindung mit Gott durch Jesus Christus haben. Ich spreche also zu Kindern Gottes. Andere, bloß bekennende Christen, werden sich kaum Probleme mit einem fruchtbaren Leben für den Herrn machen.
Nun, es gibt viele Hemmnisse gegen einen lebendigen Kontakt mit dem Herrn: Egoismus, Weltlichkeit, Genußstreben, Bequemlichkeit, ungeordnete Sünden und vieles andere mehr. Meist kennen wir auch unsere Blockiergründe, aber dann müssen wir damit aufräumen vor Gott.
Wir brauchen nicht nur Ordnung in unseren persönlichen Sachen - auch darüber lässt sich viel sagen -, sondern zuerst "Ordnung" in unseren Beziehungen zum heiligen Gott.
Wie machen wir uns nun Gottes Kraftquellen zunutze? Da ist unsere Bibel, das ind Stunden, in denen wir Gottes Wort hören. Das hat alles zunächst mit Fleiß und auch ein wenig mit Ausdauer zu tun. Solche vernachlässigten "Sekundärtugenden" gewinnen heute wieder ganz neue Bedeutung. Dann folgt das selbständige Nachdenken und Verarbeiten des Gelesenen und Gehörten. Wieviel Zeit verwenden wir darauf? Dritter Schritt, und ich wiederhole nur Binsenwahrheiten, es braucht Bereitschaft zum Annehmen von Gottes Botschaft. Das glauben wir doch, dass der Herr uns immer etwas zu sagen hat: zur Aufmunterung, zur Korrektur oder zum Tun. Viertens: Praxis ist gefragt, nicht Theorie, obwohl alles rechte Leben mit dem Herrn aus der Erkenntnis Gottes hervorgeht (vgl. 2. Pet 1,3). Das alles geht bekanntlich nur mit Glauben, d.h. Vertrauen zu Gott und Seinem Wort.

Dass wir bei dieser inneren Verfassung mit dem Herrn reden, versteht sich von selbst. Wir merken nämlich, dass es ohne Seine Hilfe überhaupt nicht geht. Das muss jeder einmal persönlich erlebt haben.

Vielleicht hätte ich besser mit dem Danken anfangen sollen, Danken für unsere Erlösung - wie hoch schätzen wir sie ein?-, dankbar für das, was und wie der Herr ist, in sich selbst und für uns. Nichts weniger kommt bei rechter "Gotteserkenntnis" naturgemäß zutage. Wenn wir überzeugt sind, vielleicht muss mancher Anfänger im Glaubensleben es erst noch werden, dass Gott allwissend und allmächtig ist, dann lernen wir, Ihn immer bei allen Entscheidungen zu befragen. Wer das tut und natürlich auch nach Seinen Weisungen handelt, für den tun sich neue Welten auf, eine völlig neuartige geistliche Lebensqualität. Und danach streben wir doch wohl alle!

In Vorträgen, Bibelstunden und Gesprächen hören wir, wir müssen "in Gemeinschaft mit dem Herrn" sein, wir müssten "von Ihm abhängig sein" - und konnten uns vielleicht nicht viel darunter vorstellen. Aber genau das ist es, was der Herr sagt: "Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun" (Joh 15,5). Fruchtlose Leute sind wirklich nicht unser Ziel!
Vielleicht sagen manche Leser an dieser Stelle: "Ich weiß das alles und will es ja auch! Aber wenn du meine Gefahren, meine Veranlagung oder meine Umgebung kennen würdest, dann würdest du auch mehr Verständnis haben für meine Situation!"
Zwischen dem Inselsee und dem Festland liegt ein Meeresarm von 20-30 km Breite, salziges Adriawasser. Und die Adria ist salziger als unsere Küstenmeere. Trotzdem gelangt das Süßwasser, wie gesagt, in den See. Du verstehst: Auch größte Hindernisse sind mit dem Herrn überwindbar.
Der Prophet schreibt: "Gesegnet ist der Mann, der auf den HERRN vertraut und dessen Vertrauen der HERR ist! Und er wird sein wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bache seine Wurzeln ausstreckt und sich nicht fürchtet, wenn die Hitze kommt; und sein Laub ist grün, und im Jahre der Dürre ist er unbekümmert, und er hört nicht auf, Frucht zu tragen" (Jer 17,7.8).
Ich glaube, dieser Gottesmann aus dem Orient hatte mehr Erfahrung mit Hitze und Dürre als wir, aber auch mit schlimmen Lebensverhältnissen. Dieser leidende Prophet!
Ulrich Weck