Prophetie

Daniel und der Sohn des Menschen

Wir haben Daniel schon gesehen in seiner vorbildlichen Treue, in seinem mutigen Glauben und in seiner aufrichtigen Demütigung. Wir haben schon darüber nachgedacht, dass ihm bemerkenswerte Prophezeiungen anvertraut wurden. Aber eine Besonderheit ist noch zu erwähnen: Daniel darf in einem Nachtgesicht den Herrn Jesus „wie eines Menschen Sohn“ sehen!

 

Das ist insofern eine Besonderheit, als mit „Sohn des Menschen“ im Alten Testament sonst nur noch in Psalm 8,5 und 80,18 der Herr Jesus gemeint ist. Dieser Titel beschreibt eine Herrlichkeit seiner Person, die im Alten Testament weitestgehend noch verborgen war. Erst nach der Verwerfung des Herrn Jesus durch sein irdisches Volk redet Er selbst häufig von sich als dem „Sohn des Menschen“.1

 

Der Christus

Mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes kam der „Christus“, der Gesalbte, der Messias, zu seinem irdischen Volk. Er war zwar im Alten Testament angekündigt, kam aber doch so anders, als die meisten Juden Ihn erwartet hatten. Er kam in Niedrigkeit und nicht in Macht. Einen solchen Christus wollte die große Masse des jüdischen Volkes nicht und sie lehnten Ihn ab. Nur einige erkannten Ihn als den Christus und nahmen Ihn an. Weil man Ihn ablehnte, stellte Er sich dann als der „Sohn des Menschen“ vor, der leiden, sterben und auferstehen würde.

 

Der Sohn des Menschen

Diesen Gedanken erkennt man rückblickend auch dann, wenn man Psalm 2 mit Psalm 8 vergleicht. In Psalm 2 geht es um den „Christus“, der als Sohn Gottes, von Gott gezeugt, auf die Erde kam (Ps 2,2.6.7). Aber in diesem Psalm wird auch seine Ablehnung vorgestellt (Ps 2,1-3). Aus dem Neuen Testament wissen wir, dass diese Ablehnung zu seinem Tod am Kreuz führte. Auf diesen Tod des Herrn Jesus weist Psalm 8 hin. Gerade dieser Psalm spricht von dem „Sohn des Menschen“, der zwar ein wenig (eine kurze Zeit) unter die Engel erniedrigt war wegen des Leidens des Todes (vgl. Heb 2,9), der aber mit Herrlichkeit und Pracht gekrönt über Erde und Himmel herrschen wird (Ps 8,6.7). Das ist also der Sohn des Menschen: Der Herr Jesus, der von seinem irdischen Volk abgelehnt und von den Nationen verachtet am Kreuz auf Golgatha starb, von Gott auferweckt und erhöht wurde und einmal über das ganze Universum herrschen wird. Gott hat Ihm das ganze Gericht und die ganze Herrschaft übertragen, „weil er des Menschen Sohn ist“ (Joh 5,27). Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen ist weit größer als das, was die Jünger von dem Christus erwarteten (Joh 1,51).

 

Daniel sieht den Sohn des Menschen

In dieser Herrlichkeit sieht Daniel den Herrn Jesus. Nachdem er die Entwicklung der vier großen Weltreiche gesehen hatte (Dan 7,1-12), erblickt er eine Person „wie eines Menschen Sohn“, die mit den Wolken des Himmels kommt und zu dem „Alten an Tagen“ kommt (V. 13). Dieser Person wird Herrschaft und Herrlichkeit gegeben (vgl. V. 14).

 

Der Alte an Tagen

Doch wer ist der Alte an Tagen? Er ist der, der sich auf aufgestellte Throne setzt. Sein Aussehen wird detailliert beschrieben (vgl. V. 9) und Daniel sieht, dass Feuer ausgeht von dem Platz, auf dem Er sitzt.

Die Beschreibung des Alten an Tagen enthält Merkmale, die wir auch in der Beschreibung des Herrn Jesus in Offenbarung 1 wiederfinden. Dort wird Er beschrieben als der Richter und Beurteiler inmitten der sieben goldenen Leuchter, also inmitten der Versammlungen (Off 1,12-16).

Auch hier in Daniel 7 wird uns die Herrlichkeit Gottes in seiner Oberhoheit und im Gericht gezeigt. Da es gerade der Herr Jesus ist, dem das ganze Gericht übertragen ist, ist auch der „Alte an Tagen“ eine Offenbarung Gottes im Sohn, im Herrn Jesus. Die symbolische Beschreibung ist wie folgt zu verstehen:

 

  • das weiße Gewand – seine vollkommene Reinheit und Heiligkeit;
  • das weiße Haar – seine vollkommene Weisheit;
  • der Thron wie Feuerflammen – die Gerechtigkeit und Heiligkeit in seiner Regierung;
  • die Räder am Thron – die Dinge nehmen ihren Lauf, Er bringt die Wege Gottes zum Ziel;
  • ein ausfließender Strom von Feuer – das Gericht in Gerechtigkeit und Heiligkeit, das von seinem Thron ausgeht.

 

Einer, wie eines Menschen Sohn

Wenn Daniel dann die Person sieht, die mit den Wolken des Himmels kommt und der die Herrschaft gegeben wird, dann steht mehr im Vordergrund, dass das Gericht den Weg frei macht für die Regierung des Herrn Jesus. Er ist sowohl der Richter als auch der Herrscher, der über alle Völker, Völkerschaften und Sprachen regieren wird.

Letztlich werden sowohl in dem Alten an Tagen als auch in dem Sohn des Menschen die Herrlichkeiten des Herrn Jesus vorgestellt. Bei dem Alten an Tagen steht mehr im Vordergrund, dass Er das Gericht des ewigen und alleinigen Gottes ausführen und seine Wege zu ihrem Ziel bringen wird. Bei dem, was über den Sohn des Menschen gesagt wird, wird die Betonung mehr auf seine Herrschaft gelegt, die Er als König der Könige und als Herr der Herren im 1000-jährigen Reich ausüben wird. Beides gehört zusammen und zeigt uns die Größe unseres Herrn.

 

Der Stein

Beide Aspekte hatte Daniel schon in Kapitel 2 gesehen. Da lesen wir von einem Stein, der zunächst das Bild (das die vier Weltreiche darstellt) schlägt und dann zu einem großen Berg wird. Zuerst wird Gericht an den Feinden ausgeübt und dann wird das Reich aufgerichtet, das schließlich die ganze Erde umfasst.2

Dass der Herr Jesus der „Stein“ ist, lernen wir schon aus dem Segen Jakobs (1. Mo 49,24). Hier in Daniel 2 sehen wir, wie sich einmal erfüllt, dass dieser Stein über das Königreich des Gottes des Himmels auf der Erde regieren wird, ein Reich, das von niemandem zerstört werden kann (Dan 2,44).

 

Die Merkmale seines Reiches

Wenn wir zurückgehen zu Daniel 7, dann finden wir dort drei Merkmale des Reiches, über das der Herr Jesus als Sohn des Menschen regieren wird.

 

  1. Es ist ein Reich, das universell ist und die ganze Erde mit allen Völkern und Sprachen umfasst.
  2. Es ist ein ewiges Reich, d.h. es währt so lange, wie die jetzige Erde besteht; danach kommt nichts mehr.
  3. Es wird nicht vergehen, denn der Herr Jesus selbst wird es in die Hand seines Gottes übergeben (1. Kor 15,24).

 

Kein bisheriges und kein zukünftiges Reich auf dieser Erde kann jemals mit diesen Kennzeichen beschrieben werden. Alles bleibt hinter dem Reich zurück, über das der Herr Jesus einmal regieren wird. Und wenn sein Reich schon so „besonders“ ist – wie viel größer und herrlicher ist dann seine Person! Er ist der Sohn des Menschen, der damals verachtet und ausgestoßen das große Werk am Kreuz auf Golgatha vollbracht hat. Er ist aber zugleich derjenige, der bald in großer Macht und Herrlichkeit kommen, alle seine Feinde vernichten und dann in Gerechtigkeit und Frieden herrschen wird. In Ihm, dem Sohn des Menschen, wird es eine Verbindung zwischen Himmel und Erde geben, durch die Segen von Gott auf die Erde und Lob zu Gott von der Erde fließen wird.

Diesen Sohn des Menschen darf Daniel, der treue Mann, sehen. Auch wir dürfen Christus betrachten. Er will uns immer mehr von sich und seiner Herrlichkeit erkennen lassen. Wir werden gerade dann mehr von Ihm verstehen, wenn wir wie Daniel ein Leben in Treue gegenüber Gott leben.

 

 

 

 



[1] Im Johannesevangelium kommt dieser Titel schon im ersten Kapitel vor (Vers 51), weil der Herr Jesus in diesem Evangelium von Anfang an als der Verworfene von seinem Volk gesehen wird (siehe Kapitel 1,11).
[2] Nach Psalm 8 wird sich die Herrschaft des Herrn Jesus sowohl über den Himmel als auch über die ganze Erde erstrecken, aber hier in Daniel 2 wird nur das gezeigt, was die Erde betrifft (Dan 2,35).