Galater 1,18-2,21

Zwei Männer – drei Begegnungen

Paulus und Petrus sind Führungspersönlichkeiten unter den ersten Christen. Der eine, Paulus, ist zum Apostel für die Nationen berufen, der andere, Petrus, zum Apostel für die Judenchristen. Der Galaterbrief erwähnt drei Begegnungen dieser beiden außergewöhnlichen Männer. Mit außergewöhnlichen Verläufen…

 

Erste Begegnung – Kennenlernen (Gal 1,18-20)

Das erste Treffen ist ein Kennenlernen: Paulus kommt drei Jahre nach seiner Bekehrung nach Jerusalem, „um Kephas kennenzulernen“ und bleibt fünfzehn Tage bei ihm. Es ist eine Begegnung mit Hindernissen, denn als er versucht, sich den Jüngern anzuschließen, glauben diese nicht, dass er dazugehört. Erst als Barnabas ihm die Tür öffnet, wird er in der Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen (Gal 1,18; Apg 9,26-28).

 

Zweite Begegnung – Arbeitstreffen (Gal 2,1-10)

Das zweite Zusammentreffen, 14 Jahre nach seiner Bekehrung, ist sozusagen ein Arbeitstreffen: Paulus ist erneut in Jerusalem, dieses Mal zusammen mit Barnabas. Beide sind von den Brüdern in Antiochien beauftragt worden, mit den Aposteln und Ältesten die Frage der Beschneidung für die Gläubigen aus den Nationen zu klären. Nachdem in der Besprechung Petrus die grundlegenden Gedanken zu dieser Frage vorgestellt und Barnabas und Paulus berichtet haben, „wie viele Zeichen und Wunder Gott unter den Nationen durch sie getan hat“, fasst Jakobus das Ergebnis zusammen. Die Apostel und Ältesten erkennen, dass Paulus „das Evangelium der Vorhaut“ und Petrus das „der Beschneidung“ anvertraut ist, jeder also seinen eigenen Dienstbereich hat. Jakobus, Petrus und Johannes reichen daraufhin Paulus und Barnabas die Hand der Gemeinschaft und verabschieden sie mit einem Brief, in dem die beiden als „Geliebte“ und als Männer bezeichnet werden, „die ihr Leben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus hingegeben haben“. Ein brüderliches Miteinander im Ringen um die Wahrheit und eine beeindruckende Empfehlung (Gal. 2,1-10; Apg. 15,1-29)!

 

Dritte Begegnung – Alarmstufe 1 (Gal 2,11-21)

Dann, offensichtlich wenig später und noch bevor Paulus zu seiner zweiten Missionsreise aufbricht, besucht Petrus ihn in Antiochien. In Übereinstimmung mit dem in Jerusalem gefassten Beschluss genießt Petrus die Freiheit mit den Gläubigen aus den Nationen und isst mit ihnen. Als jedoch andere Gläubige aus Jerusalem ankommen, zieht er sich von den Heidenchristen zurück und beendet die Praxis der gemeinsamen Mahlzeiten. Paulus erkennt, dass hierdurch der mühsame Beschluss von Jerusalem durchkreuzt und ausgehebelt wird. Er widersteht Petrus „ins Angesicht“, nimmt keine Rücksicht auf seine Person, und kritisiert ihn wegen der Heuchelei öffentlich „vor allen“.

Beim ersten Überdenken könnte man sich fragen, ob Paulus hier nicht überreagiert und den Verzicht auf gemeinsame Mahlzeiten zwischen Juden- und Heidenchristen zu wichtig genommen hat. Doch Paulus sieht das grundsätzliche Problem: In Jerusalem hat man unter der Leitung des Heiligen Geistes festgestellt, dass ein Gläubiger aus den Nationen das Gesetz nicht zu halten braucht. Jetzt vermittelt Petrus durch sein Verhalten, dass die aus den Nationen aber „jüdisch zu leben“ haben (V. 14). Was für ein Widerspruch! Damit verleugnet er die alleinige Grundlage der Gnade, auf der alle Christen stehen, verrät die Einheit des Leibes Christi und entzweit die Versammlungen.

 

Ein Apostel auf Irrwegen…

Die Bibel schweigt darüber, warum Petrus sich so verhält. Ist es Menschenfurcht, die ihm einen Fallstrick legt, ist es Inkonsequenz oder Nachgiebigkeit? Petrus verleugnet seine Überzeugung, lässt sich beeinflussen, heuchelt – und reißt andere mit, denn „mit ihm heuchelten auch die übrigen Juden, so dass selbst Barnabas durch ihre Heuchelei mit fortgerissen wurde“. Paulus schlussfolgert: „Wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, so erweise ich mich selbst als Übertreter“. Nein, es ist kein Ausrutscher, keine Lappalie. Hier steht Entscheidendes auf dem Spiel, nämlich die Einheit der Versammlung. Hier geht es um die Grundlage des Glaubens – und da kann, ja, da darf er nicht schweigen. Und so widersteht und widerspricht Paulus dem Petrus – und das „vor allen“ (Spr 29,25; Gal 2,11 ff.).

 

…mit gnädigem Ausgang

Führt dieses öffentliche Bloßstellen zu einer Trennung der beiden Apostel? Offensichtlich nicht, denn als Paulus Jahre später den ersten Brief an die Korinther schreibt, erwähnt er Petrus mehrere Male. Und in der Frage, ob ein Apostel verheiratet sein darf, beruft sich Paulus – neben den übrigen Aposteln und den Brüdern des Herrn – separat noch auf Petrus. Dieser schreibt einige Zeit später sogar über „unseren geliebten Bruder Paulus“ und „von der ihm gegebenen Weisheit“ – eine wertschätzende und brüderliche Liebeserklärung (1. Kor 1,12; 3,22; 9,5; 15,5; 2. Pet 3,15).

 

Diskrepanz zwischen Lehre und Praxis – auch bei uns?

Gemeinsam eine Lehre zu verteidigen, wie Petrus und Paulus es in Jerusalem getan haben, mag einfach sein. Zumindest einfacher, als sie dann im Alltag praktisch umzusetzen. Doch bevor wir jetzt Petrus im Herzen und vielleicht auch in Worten verurteilen, sollten wir uns fragen:

  • Gerne sprechen wir an Bibel- und Jugendtagen wie auch an Familienkonferenzen von einem Miteinander in Liebe und Frieden – doch wie sieht es damit dann in der Umsetzung zu Hause aus (Gal 5,13.22)?
  • Wir wissen, dass Christus uns freigemacht und zur Freiheit berufen hat – doch wie oft gebrauchen wir unsere Freiheit zu einem Anlass für das Fleisch (Gal 5,13)?

 

Ob Paulus an die Auseinandersetzung mit Petrus gedacht hat, wenn er später Timotheus schreibt: Die, „die sündigen, überführe vor allen, damit auch die Übrigen Furcht haben“ (1. Tim 5,20)? Die Geschichte des christlichen Zeugnisses beweist es, dass wir nüchtern, wach und fest im Glauben stehen müssen (1. Pet 5,8; 1. Kor 16,13). Damit wir, wenn Grundlagen des Glaubens verneint, uminterpretiert oder angegriffen werden, die Stimme erheben und öffentlich und ohne Ansehen der Person warnen und klarstellen können. Messlatte für Motivation und Haltung dabei muss aber sein, was Paulus schreibt und uns vorgelebt hat: „Durch die Liebe dient einander“ (Gal 5,13).