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Traurigkeit – (k)ein junger Mann weint

Wie wird der Apostel Paulus reagiert haben, als sein jüngerer Freund und Bruder Timotheus beim Abschied anfing zu weinen? Viele Jahre hatten sie im Dienst für den Herrn zusammengearbeitet. Jetzt wurde Paulus verhaftet. Paulus hat den Abschied nicht vergessen. In seinem letzten Brief an Timotheus schrieb er, dass er sich an die Tränen von Timotheus erinnerte (2. Tim 1,4).

 

Anlass, traurig zu sein

Hatte Timotheus befürchtet, seinen alten Freund und Bruder nie wieder zu sehen? Offensichtlich. Zu weinen, weil wir einen geliebten Menschen hier für immer verlieren könnten oder verloren haben, ist keineswegs sentimental, sondern ganz natürlich. Darüber hinaus gibt es viele Anlässe, die einen tief berühren und zum Weinen bringen können: Enttäuschungen, Konflikte in Beziehungen, Niedergang und Sünde im Volk Gottes …

 

Glaube und Tränen

Die Vorstellung, dass ein starker Glaube uns über jede Traurigkeit erhebt, ist verkehrt. Denken wir nur an Paulus, diesen Mann des Glaubens: Wie sehr schmerzte es ihn, als sein Mitarbeiter Epaphroditus todkrank wurde! Den Philippern schrieb er, dass Gott sich über ihn erbarmt hatte, damit er nicht „Traurigkeit auf Traurigkeit hätte“ (Phil 2,27). Der Glaube macht uns keineswegs empfindungslos gegenüber Sorgen und Leid, sondern gibt uns festen Halt, sodass wir nicht verzweifeln.

 

Weinen – eine Frage der Veranlagung

Traurig zu sein und zu weinen ist keine Schande – auch nicht für Männer! Doch weil Männer oftmals rationaler veranlagt sind als Frauen, weinen sie insgesamt weniger. Das Leid berührt sie nicht so stark wie Frauen. Und so fällt es ihnen mitunter leichter, über Verlust und Traurigkeit hinwegzukommen. Deshalb haben sie manchmal wenig Verständnis dafür, wenn Frauen weinen – und noch weniger, wenn Männer weinen. Doch Weinen bringt oftmals Erleichterung.

 

Gefühle zeigen

Timotheus war ein sensibler Mensch. In seinem Dienst für den Herrn, der manchen Kampf mit sich brachte, war ihm offensichtlich das eine oder andere „auf den Magen geschlagen“. Jedenfalls hatte er mit häufigem Unwohlsein bzw. häufigen Schwächen zu kämpfen (vgl. 1. Tim 5,23).

Timotheus ging offen und aufrichtig mit seinen Empfindungen um, sodass Paulus einen Einblick in sein Inneres bekam. Es war also keineswegs peinlich oder verletzend für Timotheus, dass der Apostel sich an Timotheus‘ Tränen erinnerte und ihm das auch noch schrieb. Paulus wird seinen jungen Freund auch nicht dafür getadelt haben. Nein, auch Paulus konnte weinen. Gerade in Ephesus, wo Timotheus sich befand, hatte Paulus heftigsten Widerstand erlebt, was für ihn nicht ohne Tränen verlief. Außerdem hatte er dort drei Jahre lang den Gläubigen gedient und dabei nicht aufgehört „einen jeden mit Tränen zu ermahnen“ (Apg 20,19.31). Paulus war ein Mann mit Herz. Wenn er sah, dass das geistliche Wohlergehen der Gläubigen in Gefahr stand, war er innerlich berührt: „Wem wird Anstoß gegeben [o. wer kommt zu Fall] und ich brenne nicht?“ (2. Kor 11,29). Paulus hatte natürliche und geistliche Gefühle und scheute sich nicht, sie zu zeigen.

 

Gefühle dürfen uns nicht verschlingen

Ob der Abschied von Paulus mit dazu beigetragen hatte, dass Timotheus etwas resignierte und im Dienst nachgelassen hatte? Wir wissen es nicht. Wichtig ist aber, dass Traurigkeit und schmerzhafte Gefühle uns nicht dauerhaft beherrschen dürfen. Sonst besteht die Gefahr, dass wir das Gleichgewicht verlieren und „aussteigen“.

Dieser Gefahr sah sich der Psalmdichter ausgesetzt, als er schrieb: „Was beugst du dich nieder, meine Seele, und was bist du unruhig in mir? Harre auf Gott …“ (Ps 42,12; 43,5). Die Bedrängnis vonseiten der Feinde belastete ihn sehr, und er fühlte sich von Gott vergessen. Da hören wir, wie er zu seiner Seele spricht und ihr nicht nur das Stoppschild zeigt, sondern auch den Ausweg: Er war sich sicher, dass Gott ihn retten würde. Daran wollte er festhalten. So behielt sozusagen der Geist die Oberhand, damit ihn die Gefühle nicht überwältigten.

 

Tränen ins Licht Gottes stellen

Da unser Denken und Fühlen nicht immer geistlich ist, wollen wir jederzeit bereit sein, es anhand der Bibel zu prüfen. Denn es kann sein, dass wir Tränen vergießen, weil wir verbittert sind. Oder wir weinen, weil wir nicht das bekommen, was wir unbedingt haben wollten. Esau zum Beispiel weinte, weil er den Segen des Erstgeborenen erben wollte, den sein Bruder Jakob schon erhalten hatte. Er fühlte sich total ungerecht behandelt. Er suchte den Segen unter Tränen. Doch diese Tränen gefielen Gott nicht, denn er fand keinen Raum zur Buße (vgl. Heb 12,17). Tränen des Eigenwillens passen zu gottlosen Menschen, aber nicht zu gläubigen Christen. Deshalb wollen wir auf uns selbst achthaben und keine schlechten Beweggründe zulassen, auch kein Selbstmitleid.

Die Geschichte Samuels lehrt uns, dass selbst treue Männer Gottes in gewissen Situationen geweint und getrauert haben und Gott ihnen keinen Trost spenden konnte, weil Er andere Gedanken und Empfindungen hatte. Als Gott den König Saul verworfen hatte, weil dieser sich von Ihm abgewandt hatte und ungehorsam gewesen war, schrie Samuel eine ganze Nacht zum Herrn. „Samuel trauerte um Saul, weil es den Herrn reute, dass er Saul zum König über Israel gemacht hatte“ (1. Sam 15,11.34). Offensichtlich meinte Samuel, dass Gottes Urteil zu hart wäre. Doch wir dürfen nicht Nachsicht üben und Leid tragen, wenn Gott eine Person oder Sache klar verurteilt. Manchmal muss Er uns vielleicht zurechtweisen – wie bei Samuel, den Gott fragte: „Bis wann willst du um Saul trauern, da ich ihn doch verworfen habe, dass er nicht mehr König über Israel sei?“ (1. Sam 16,1). Wie wichtig also, dass unsere Empfindungen nicht in Konflikt stehen mit den Aussagen des Wortes Gottes.

 

Traurig sein und dienen

Es ist wohltuend, wenn unsere Glaubensgeschwister Mitgefühl zeigen und mit uns weinen, ob hörbar oder nur „empfindbar“. Auch Paulus tat das. Doch er blieb dabei nicht stehen. Er erinnerte Timotheus an dessen ungeheuchelten Glauben und forderte ihn auf, seine Gnadengabe wieder anzufachen und seinen Dienst zu vollbringen (Kap. 1,6; 4,5). Timotheus hatte vom Herrn einen klaren Auftrag erhalten und den sollte er auch ausführen. Auf diese Weise holte Paulus seinen jungen Freund aus seinem „Loch“ wieder heraus. Wir lernen daraus, dass die tägliche Arbeit und der Dienst für den Herrn eine große Hilfe sind, übermäßige Traurigkeit und seelische Tiefs zu überwinden.

Das vollkommene Beispiel dafür finden wir – wie immer – bei dem Herrn Jesus. Er zeigte tiefstes Mitempfinden gegenüber den Schwestern Maria und Martha als ihr Bruder Lazarus gestorben war. Angesichts des eingetretenen Todes wurde Er heftig bewegt: „Er seufzte tief im Geist und erschütterte sich.“ Aber dann fragt er: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ (Joh 11,33.34) – und schreitet zur Tat. Er war immer Herr aller Empfindungen, auch der tiefsten. Zugleich war es seine Speise, den Willen seines Vaters zu tun und Ihm zu dienen, auch wenn es Ihm mal besonders schwer war.

 

Fazit

Wenn du weinst und andere es mitbekommen, brauchst du dich nicht dafür zu schämen. Ein gesundes Glaubensleben schließt Traurigkeit nicht aus. Aber vergiss nicht, dein Herz vor Gott zu prüfen. Und wenn die Traurigkeit nicht sogleich aufhören will, bemühe dich trotzdem, für den Herrn tätig zu sein. Traurigkeit schließt den Dienst für den Herrn nicht aus – sie schließt selbst Freude nicht aus, wie wir dem folgenden Vers entnehmen: „In allem erweisen wir uns als Diener Gottes … als Traurige, aber allezeit uns freuend“ (2. Kor 6,10).