Personen der Bibel

Jeremia, der weinende Prophet (1)

Das Buch Jeremia gehört zu den Büchern der Bibel, die nicht so häufig gelesen werden. Der Unterschied zu den meisten anderen prophetischen Büchern besteht darin, dass vergleichsweise viel über den Propheten selbst berichtet wird. Es stellt uns einen treuen Diener in einem schwierigen Umfeld vor. Wir wollen einige Schlaglichter auf Jeremia werfen und so sein Leben und seinen Dienst zu uns sprechen lassen. Für den ersten Teil wäre es gut, wenn man begleitend das erste Kapitel des Buches Jeremia lesen würde.

 

Jeremias Herkunft


Im ersten Kapitel des Buches Jeremia werden neben der eigentlichen Berufung zum Dienst einige Informationen über die Abstammung des Propheten gezeigt. Er stammte aus einer Priesterfamilie aus Anatot (V. 1). Bei dem hier genannten Hiljika, dem Vater Jeremias, handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht um den Hohenpriester Hilkija zur Zeit Josias. Ansonsten hätte die Familie vermutlich nicht in Anatot, sondern in Jerusalem gewohnt. Außerdem hätte er dann selbst Priesterdienst ausgeübt. Vielleicht stammte er aus der Familie Abjathars, der in 1. Könige 2,26 nach Anatot geschickt wurde. Anatot war nach Josua 21,9.10.18 eine Priesterstadt. Ob  Jeremia in einem gottesfürchtigen Umfeld aufwuchs, ist kaum anzunehmen, da es eine dunkle Zeit war. Doch Gottes Gnade hatte Jeremia bewahrt und ihn zu einem geeigneten Werkzeug werden lassen.

 

Jeremias Dienstzeit

Der Dienst Jeremias erstreckte sich über eine relativ langen Zeitraum (Kap. 1,2.3). Aus den Zeitangaben im Buch Jeremia können wir entnehmen, dass er seinen Dienst unter folgenden Königen bzw. Herrschern ausübte:

  • 18 Jahre unter Josia
  • 3 Monate unter Joahas
  • 11 Jahre unter Eljakim/Jojakim
  • 3 Monate unter Jojakin
  • 11 Jahre unter Mattanja/Zedekia
  • 2 Monate unter Gedalja (in Jerusalem nach dem Sieg der Babylonier)
  • danach noch eine unbekannte Zeit in Ägypten

Insgesamt ergeben sich ca. 40 Jahre Dienst allein unter den Königen von Israel unter zunehmend schwieriger werdenden Bedingungen. Er wird zu Beginn seines Dienstes vermutlich jünger als 30 Jahre alt gewesen sein; das genaue Alter ist nicht überliefert.

Der Beginn seines Dienstes fiel in eine außerordentlich segensreiche Zeit in Israel. Es war eine Zeit der Erweckung und des geistlichen Auflebens unter dem König Josia. Ein Vergleich mit dem Leben Josias, wie es in 2. Chronika 34–35 und 2. Könige 22 geschildert ist, zeigt, dass Josia im zwölften Jahr seiner Regierung mit der Reinigung Judas und Jerusalems begann. Im darauffolgenden Jahr, während dieser wunderbaren Segenszeit, begann Jeremia seinen Dienst. Die weitere Geschichte zeigt jedoch, dass diese Erweckungsbewegung nur äußerlich war und die Herzen der meisten Juden nicht beteiligt waren.

 

Jeremias Berufung

Im weiteren Verlauf von Kapitel 1 wird die Berufung Jeremias vorgestellt. In Vers 5 sehen wir, dass Gott ihn zum Diener auserwählt hatte. Das ist heute nicht anders: Auch wir suchen uns unseren Dienst nicht selbst aus, sondern Gott beauftragt uns zu einem bestimmten Dienst. Das ist einerseits eine Warnung, nicht eigenmächtig zu handeln, andererseits eine Ermunterung: Wir dürfen dem lebendigen Gott dienen!

Als Gott Jeremia zum Propheten bestellte, brachte dieser verschiedene Einwände vor (V. 6.7). Er meinte, er sei nicht dafür geeignet. Interessanterweise sucht Gott manchmal Werkzeuge aus, die nach menschlicher Sicht für die anstehenden Aufgaben nicht besonders geeignet sind. Einige Beispiele:

  • David war ein einfacher Kleinviehhirte. Erfahrungen in Menschenführung, Strategie oder Politik hatte er keine. Kriegserfahrungen konnte er ebenfalls nicht aufweisen. Trotzdem sollte er König von Israel werden und viele Kriege führen.
  • Der Hohepriester Jojada war mindestens 84 Jahre alt[1], als er von Gott die Aufgabe bekam, mit seiner Frau den kleinen Joas aufzunehmen und großzuziehen (2. Chron 22,11). Eine Aufgabe, für die man nach menschlichen Gesichtspunkten ein junges Ehepaar, möglichst mit eigenen Kindern, ausgewählt hätte.
  • Auch unter den zwölf Aposteln waren impulsive und harte Männer, die der Herr „Söhne des Donners“ nannte (Johannes, Jakobus)[2]. Ein anderer von ihnen sprach und handelte oft unbesonnen (Petrus). Andere waren kleinmütig usw. Jedenfalls waren sie nicht solche, die man menschlich gesehen als Leibgarde für den König der Könige aussuchen würde.

Gott hatte Jeremia für diesen Dienst erwählt (V. 5). Wir lernen, dass es nicht darauf ankommt, dass wir uns für eine Aufgabe geeignet halten, sondern ob Gott uns dafür bestimmt hat. Normalerweise werden auch wir früher oder später erkennen, dass Gott uns mit einer entsprechenden Gnadengabe ausgestattet hat, die sich an unsere natürliche Fähigkeit anlehnt. Außerdem werden unsere Glaubensgeschwister erkennen, welchen Dienst Gott uns gegeben hat. Und es ist gut, wenn wir unseren Dienst von ihnen beurteilen lassen.

 

Jeremias Einwände

Konkret führte Jeremia nun zwei Einwände an, warum er seiner Meinung nicht für diesen Dienst geeignet war. Zunächst behauptete er, er könne nicht reden. Die Antwort Gottes war, dass Er die Worte in seinen Mund legen würde.

Für den Dienst ist es nicht wichtig, dass man rhetorisch gebildet ist und gut zu reden versteht, sondern es ist viel wichtiger, dass man geheiligte Lippen hat (V. 9). Symbolisch finden wir diesen Vorgang in Jesaja 6. Dort spricht Jesaja zuerst davon, dass er „ein Mann mit unreinen Lippen“ sei. Daraufhin kommt einer der Seraphim und berührt die Lippen Jesajas mit einer glühenden Kohle vom Altar und teilt ihm mit, dass seine Ungerechtigkeit gewichen ist. Im Anschluss daran kann Jesaja auf die Frage Gottes „Wen soll ich senden?“ ausrufen: „Hier bin ich, sende mich.“ Mit geheiligten Lippen kann Jesaja seinen Dienst antreten. Geheiligte Lippen sind folglich eine wichtige Voraussetzung, um dem Herrn mit dem Wort dienen zu können; mehr als die Fähigkeit, sich gewandt ausdrücken zu können.

Der zweite Einwand Jeremias bezieht sich auf sein Alter. Er war jung, vermutlich unter 30 Jahren alt, wie wir weiter oben abgeschätzt haben. Er meinte, dass ihm die nötige Autorität fehlte. Aber es war ganz offensichtlich der Wille Gottes, in diesem Fall einen jungen Diener zu benutzen.

 

Jeremias schwere Aufgabe

In Vers 10 wird Jeremia der Inhalt seines Diensts vorgestellt. Es sind größtenteils Gerichtsankündigungen. Er sollte „ausrotten“, „niederreißen“, „zerstören“ und „abbrechen“; Gott sprach zwar auch von „bauen“ und „pflanzen“, aber das meiste war doch sozusagen destruktiver Art. Was mag Jeremia wohl bei dieser Aufgabenstellung empfunden haben? Er war ja noch jung. Sollten nicht gerade solche Zurechtweisungen und Gerichtsankündigungen von älteren und erfahreneren Dienern kommen? Damals war es gewiss noch schwieriger als heute, als junger Mensch solche Botschaften zu überbringen. Hier aber beruft Gott ausdrücklich einen jungen Mann für eine solche Aufgabe. Waren die Alten vielleicht für den Dienst nicht brauchbar, sodass Gott einen jungen Diener berufen musste? Wir wissen es nicht, lernen hier aber, dass auch Jüngere für solche Dienste berufen werden können.

Des Weiteren wird Jeremia die Aufgabe, zu zerstören und niederzureißen, als nicht sonderlich motivierend gefunden haben. Mit Gerichtsankündigungen macht man sich keine Freunde. Auch für den Diener selbst ist ein erbaulicher Dienst sicher befriedigender, aber Jeremia sollte ausdrücklich vom „Abreißen“ reden. Auch wird es für Jeremia gewiss attraktiver gewesen sein, in der Priesterstadt Anatot zu bleiben, anstatt durchs Land zu ziehen, um Gottes Gericht anzukündigen. Aber der wahre Diener fragt nicht danach, was ihm selbst am meisten Freude bereitet oder gefällt, sondern ist bereit, Gottes Auftrag auszuführen.

Wenn wir darüber nachdenken, in welcher Zeit Jeremia mit seinem Dienst begann, dann stellt sich auch die Frage, ob es in solch einer Erweckungszeit überhaupt angebracht war, Strafen und Gericht zu predigen. War es nicht sinnvoller, auf die Erweckung einzugehen und die Menschen mit positiven Botschaften zu ermuntern, um die Erweckung fortzuführen? Man sollte doch das richtige Verhalten belohnen, um es zu verstärken, anstatt die Leute zu demotivieren, würde man denken. Doch Gott hatte andere Pläne. Er schaute in die Herzen und sah, dass die große Erweckung zwar bei Josia stattgefunden hatte, die Herzen der Bevölkerung dagegen nicht erreicht worden waren.

 

Vorbereitung zum Dienst

Jeremia wurde nun durch zwei Visionen auf seine Aufgaben weiter vorbereitet. Zunächst sah er einen Mandelstab (V. 11.12). Im Hebräischen heißt der Mandelbaum „der Wachsame“. Dieser symbolisierte zum einen, dass Gott über sein Wort wachen würde, um es sehr bald auszuführen. Während der blühende Mandelbaum den Frühling ankündigt, würden die durch Jeremia übermittelten Worte das Gericht ankündigen. Mit dieser Botschaft sollte Jeremia ermutigt werden, dass Gott zu seiner Botschaft, die Jeremia dem Volk überbringen sollte, stehen würde.

Der siedende Topf, den Jeremia danach sah (V. 13-16), war ein Topf, dessen Öffnung nach Süden wies, so dass die siedende Flüssigkeit von Norden her ausgeschüttet wurde. Die Bedeutung ist, dass Gott das Gericht von Norden kommen lassen würde. Durch diese Vision wurde das Gericht durch Babylon angekündigt, obwohl das Babylonische Reich zu dieser Zeit noch gar nicht in dieser Form existierte. Allerdings war schon Hiskia mitgeteilt worden, dass die Babylonier Jerusalem plündern würden (2. Kön 20,17-18).

 

Ermutigung zum Dienst

Im letzten Abschnitt des ersten Kapitels (V. 17–19) finden wir dann die eigentliche Aussendung. Zunächst wurde Jeremia ermahnt, den Dienst aufzunehmen. Es erinnert ein wenig an die Aufforderung an Archippus: „Sieh auf den Dienst, den du empfangen hast, dass du ihn erfüllst.“ (Kol 4,17). Je nachdem, wie wir diesen Vers betonen, ergeben sich verschiedene Gedankenanstöße für den Diener:

  • „Sieh auf den Dienst“: Konzentriere dich auf den Dienst und fokussiere dich auf die Aufgaben, die der Herr dir gibt. Verschwende deine Zeit nicht mit unwichtigen Dingen, sondern „sieh auf den Dienst“.
  • „den du empfangen hast“: Kümmere dich um die Aufgaben, die der Herr dir gegeben hat und nicht um das, was andere zu tun haben. Oft weiß man besser, was die anderen Christen zu tun haben und meint, dass sie sich besser um ihre vermeintlichen Aufgaben kümmern sollten. Aber ich soll nicht auf den Dienst sehen, den andere empfangen haben, sondern mich um die Aufgaben kümmern, die der Herr mir gegeben hat (vgl. Joh 21,22).
  • „den du empfangen hast“: Es ist nicht mein Dienst, den ich mir selbst gegeben haben, es ist der Dienst des Herrn. Er ist derjenige, der die Aufgaben verteilt. Und ich empfange den Dienst vom ihm, ob mir die Aufgaben nun attraktiv erscheinen oder nicht. Jeremia hätte sich sicher auch schönere Aufgaben vorstellen können, aber er hat das, was er vom Herrn empfangen hat, treu ausgeführt, wie der weitere Verlauf zeigen wird.
  • „dass du ihn erfüllst“: Ich soll den Dienst erfüllen, d.h. ihn vollständig erledigen. Wir kennen vielleicht den einen oder anderen, der in seinem Leben viele Dinge angefangen, aber nichts richtig zu Ende geführt hat. Was im irdischen Leben schon nicht gut ist, ist im Blick auf den geistlichen Dienst noch verhängnisvoller. Der Herr möchte keine Diener haben, die die Aufgaben zu 50%, 80% oder 90% erledigen, sondern ich soll meine Aufgaben für meinen Herrn zu 100% erledigen!

So begann dann Jeremia seinen schweren Dienst, der ihn am Ende zum Märtyrer machen würde. Damit er dabei nicht verzweifelte, gab Gott ihm zuvor drei Verheißungen (V. 18):

  • Er würde ihn zu einer festen Stadt machen: Eine feste Stadt kann man nur schwer erobern. So würde auch Jeremia allen Versuchungen widerstehen, so dass er nicht dem Druck feindlich gesinnter Menschen nachgeben würde.
  • Er würde ihn zu einer eisernen Säule machen: Eisen ist ebenfalls ein Symbol für Festigkeit. Jeremia würde fest stehen und das Zeugnis Gottes tragen.
  • Er würde ihn zu einer ehernen Mauer machen: Eine Mauer trennt und scheidet zwischen dem Heiligen und dem Unheiligen (vgl. Hes 42,20). So würde Jeremia sich nicht von verkehrten (religiösen) Einflüssen abziehen lassen; der Herr würde mit ihm sein und ihn erretten.

 



[1] Jojada starb im Alter von 130 Jahren (2. Chronika 24,15). Joas regierte 40 Jahre (2. Chronika 24,1) und wurde vorher sechs Jahre von Jojada versteckt (2. Chronika 22,12). Die Zeit, die zwischen dem Tod Jojadas und dem Ableben Joas verging, wird in der Schrift nicht genannt, aber selbst wenn wir annehmen, dass dies nur wenige Monate wären, muss Jojada bei der Geburt des Joas 130-40-6 = 84 Jahre alt gewesen sein. Da zwischen dem Tod Jojadas und dem Tod Joas aber vermutlich eine längere Zeit lag, war Jojada vermutlich noch deutlich älter, als er die Pflege des kleinen Joas übernahm.
[2] Der Beiname „Boanerges“ mag eine Charakter-Beschreibung sein, hinter der sich sowohl Stärken als auch Schwächen verbergen.