Jesus Christus

Verhört – verurteilt – gekreuzigt (1)

Die Passionsgeschichte Jesu, die in direktem Zusammenhang mit seinem Kreuzestod steht, beeindruckt uns immer wieder. Wir können nicht oft genug unseren Retter und Herrn betrachten – wie unter schmachvollster Behandlung seine Herrlichkeit zum Vorschein kam. Die folgenden Zeilen sind Gedankenanstöße zum entsprechenden Bibeltext aus Johannes 18.

 

Johannes 18,12-14

Die Schar nun und der Oberste und die Diener der Juden nahmen Jesus fest und banden ihn; und sie führten ihn zuerst zu Annas, denn er war Schwiegervater des Kajaphas, der jenes Jahr Hoherpriester war. Kajaphas aber war es, der den Juden geraten hatte, es sei nützlich, dass ein  Mensch für das Volk sterbe. (V.12-14)

Der Sohn Gottes wird festgenommen und gebunden – aber nur, weil Er es zulässt. Dreimal berichtet der Evangelist Johannes, dass die Führer der Juden Jesus greifen wollten, doch „niemand legte die Hand an ihn, weil seine Stunde noch nicht gekommen war“ (Joh 7,30; vgl. 7,44; 10,39). Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, führt man Ihn nun vor den Hohenpriester Annas.

Annas hatte früher einmal offiziell als Hoherpriester amtiert. Und auch jetzt stand er immer noch in hohem Ansehen. Doch inzwischen war Kajaphas, sein Schwiegersohn, von der römischen Besatzungsmacht als Hoherpriester eingesetzt worden. Dessen Ratschlag, dass ein Mensch für das Volk sterben solle, damit das ganze Volk verschon bleibt, wird hier noch einmal erwähnt (vgl. Kap. 11,50). So wird schon hier angedeutet, dass der Tod Jesu eine fest beschlossene Sache ist – egal, wie die Ergebnisse der folgenden Gerichtsverhandlungen ausfallen.

Wie souverän ist Gott: Er benutzt die böse Absicht der religiösen Führer des Volkes, um Menschen zu segnen: Der Tod Jesu bringt allen denen Leben, die an Ihn glauben!

 

Johannes 18,19-21

Der Hohepriester nun fragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete ihm: Ich habe öffentlich zu der Welt geredet, ich habe allezeit in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen, und im Verborgenen habe ich nichts geredet; warum fragst du mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe; siehe, diese wissen, was ich gesagt habe. (V.19-21)

Jesus Christus, der Sohn Gottes, steht vor dem Hohenpriester Annas und wird verhört. Allein diese Tatsache lässt aufhorchen. Muss Er sich das gefallen lassen? Nein, aber Er lässt es geschehen! In Zukunft werden sich die Verhältnisse umkehren: Am Tag des Herrn, dem zukünftigen Gerichtstag, wird Annas vor dem göttlichen Richter erscheinen und sein unabänderliches Urteil empfangen. Er wird kein Wort erwidern können.

Auch die Vorgehensweise des Hohenpriesters lässt aufhorchen. Anstatt dass er seine Anschuldigung vorbringt und diese von Zeugenaussagen bestätigen lässt, fragt er den Angeklagten nach seinen Jüngern und seiner Lehre. Offensichtlich verfolgt er die Absicht, in den Antworten Jesu einen Anklagepunkt zu finden. Wie ungerecht ist dieses Verhör!

Annas möchte vom Herrn etwas über seine Jünger wissen. – Vielleicht dies: Warum hat Er sie wohl um sich geschart? Oder: Wie stehen sie jetzt zu Ihm? – Meint Annas vielleicht, dass Jesus und seine Jünger eine Provokation für die Römer darstellten und damit eine Gefahr für das jüdische Volk?

Dann fragt er den Herrn über seine Lehre, als ob dessen Lehre im Widerspruch zum Gesetz Moses stände.

Hat Annas selbst während der drei Jahre, in denen Jesus öffentlich lehrte, nichts von alledem mitbekommen? Das spricht nicht für ihn. Als Hoherpriester hätte er sich für das geistliche Wohler-gehen des Volkes Israel interessieren müssen. Der Herr macht ihm sein Versäumnis klar: Wenn Annas jetzt zu einer objektiven Beurteilung kommen will, muss er sich bei denen erkundigen, die alles aus erster Hand gehört haben.

Der Sohn Gottes antwortet in souveräner Weise. Dabei fällt auf, dass Er kein Wort über seine Jünger verliert – Er beschützt sie. Außerdem wird deutlich, dass Gottes Wahrheit nichts Geheimes ist; jeder darf und soll sie wissen!

 

Johannes 18,22-24

Als er aber dies gesagt hatte, schlug einer der Diener, der dabeistand, Jesus ins Angesicht und sagte: Antwortest du so dem Hohenpriester? Jesus antwortete ihm: Wenn ich übel geredet habe, so gib Zeugnis von dem Übel; wenn aber recht, warum schlägst du mich? Annas nun sandte ihn gebunden zu Kajaphas, dem Hohenpriester. (V. 22-24)

Auf die Antwort Jesu wird die Feindseligkeit der Anwesenden offenbar. Wie oft sind Menschen gewalttätig geworden, weil ihnen die Argumente ausgegangen sind. Oder meint dieser Diener etwa, der Herr würde gegen das Gebot in 2. Mose 22,27 verstoßen, wo es heißt: „Einem Fürsten deines Volkes sollst du nicht fluchen“? Nein, der Herr hat kein Unrecht begangen, „noch wurde Trug in seinem Mund gefunden“ (1. Pet 2,22; Jes 53,9). Nicht Jesus verhält sich hier unangemessen, sondern der Diener! Dem Sohn Gottes ins Gesicht zu schlagen, ist eine schreckliche Tat.

Jesus schlägt nicht zurück, schimpft auch nicht, stellt aber den Diener zur Rede. Will Er damit nicht sein Recht einfordern oder vielleicht eher die Anwesenden zur Besinnung bringen? Als Jünger Jesu können wir jedenfalls daraus lernen, in schwierigen Situationen auszuharren, indem wir Gutes tun und leiden. „Das ist wohlgefällig bei Gott“ (1. Pet 2,20). Sofern wir ein Unrecht ansprechen, dann nur, um das Unrecht bewusst zu machen – und nicht, um andere anzugreifen.

Der Diener kann hier offensichtlich nichts erwidern und bestätigt damit die Sündlosigkeit Jesu.

Es ist zwischen 6 und 9 Uhr am Morgen. Jesus wird in das Prätorium geführt, dem Amtssitz des römischen Statthalters. Die Passionsgeschichte Jesu setzt sich nahtlos fort, ohne Pause. Die Ereignisse der vorausgehenden Nacht können wir wie folgt datieren:

 

Johannes 18,28

Sie führen nun Jesus von Kajaphas in das Prätorium; es war aber frühmorgens. Und sie gingen nicht in das Prätorium hinein, um sich nicht zu verunreinigen, sondern das Passah essen zu können. (V. 28)

  • Am Abend isst Jesus mit seinen Jüngern das Passah sowie das Abendmahl.
  • Nachdem Judas den Obersaal verlassen hat, geht der Herr mit seinen Jüngern nach Gethsemane.
  • Ungefähr zwischen 21 und 24 Uhr wird Jesus verhaftet.
  • Zwischen 24 und 3 Uhr verhört der Hohepriester Annas den Angeklagten.
  • Zwischen 3 und 6 Uhr findet das Hauptverhör Kajaphas und dem Hohen Rat statt.

Es gibt wohl keine unpassendere Zeit für Gerichtsverhandlungen als die Nacht (vgl. Jer 21,12). Doch die religiösen Führer in Israel machen die Sache zu einer dringenden Angelegenheit. Die Nacht ist für sie die beste Gelegenheit, den gehassten Jesus von Nazareth ohne Volksauflauf zu verurteilen.

Da dem jüdischen Volk nicht gestattet ist, die Todesstrafe zu vollziehen, überliefern die Hohenpriester und die Diener Jesus an den römischen Statthalter. Doch was für eine furchtbare Heuchelei! Die religiösen Führer gehen nicht in das Prätorium hinein, um sich nicht durch Berührung von heidnischen Stätten zu verunreinigen. Die Passahfeier ist ihnen überaus wichtig – so scheint es; aber sie haben keine Gewissensskrupel, für einen Mord einzutreten und falsche Zeugen ausfindig zu machen. Dazu ist Religiosität fähig, wenn der lebendige Glaube fehlt.

 

Johannes 18,29-32

Pilatus ging nun zu ihnen hinaus und sprach: Welche Anklage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wenn dieser nicht ein Übeltäter wäre, hätten wir ihn dir nicht überliefert. Da sprach Pilatus zu ihnen: Nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Es ist uns nicht erlaubt, jemand zu töten – damit das Wort Jesu erfüllt würde, das er sprach, andeutend, welchen Todes er sterben sollte. (V. 29-32)

Die religiösen Führer des jüdischen Volkes haben Jesus verhört – und abgelehnt. Jetzt wird Er vor die weltliche Gerichtsbarkeit geführt. Ob man Ihn dort anders beurteilt? Zuerst hat es den Anschein. Doch letztlich wird die Regierungsgewalt, die Gott den Menschen anvertraut hat, um das Gute zu loben und alle zu bestrafen, die Böses tun, dazu benutzt, den „Heiligen und Gerechten“ zum Tod zu verurteilen (Apg 3,14; vgl. Röm 13,4). Das nennt man Justizmord.

Der römische Statthalter zeigt sich auf den ersten Blick freundlich und gerecht, verglichen mit den Hohenpriestern der Juden. Doch am Ende des Prozesses wird deutlich, dass ihm Ansehen bei Menschen wichtiger ist als Wahrheit und Gerechtigkeit.

Pilatus spürt, dass der vorgebrachte Fall kein Fall für ihn ist; er will seine Verantwortung dem jüdischen Volk zurückgeben. Deshalb fragt er nach einem greifbaren Anklagepunkt. Die religiösen Führer aber weichen aus. Entrüstet geben sie Pilatus zu verstehen, dass sie keineswegs ungerecht seien. Für sie steht unwiderruflich fest: Jesus muss sterben.

Mehrmals hat der Herr davon gesprochen, dass Er erhöht werden müsse – ein Hinweis auf seine Kreuzigung (vgl. Kap. 3,14; 8,28; 12,32.33).

Weil nur die Römer berechtigt waren, ein Todesurteil in Israel zu vollziehen, wurde Jesus gekreuzigt – und nicht gesteinigt, wie die Juden es sonst taten. So erfüllt sich jedes Wort Gottes.

 

Johannes 18,33-35

Pilatus ging nun wieder in das Prätorium hinein und rief Jesus und sprach zu ihm: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du dies von dir selbst aus, oder haben dir andere von mir gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich etwa ein Jude? Deine Nation und die Hohenpriester haben dich mir überliefert; was hast du getan? (V. 33-35)

Wenn Pilatus mit den Hohenpriestern reden will, muss er aus dem Prätorium hinausgehen, denn die Juden bleiben draußen stehen, um sich nicht zu verunreinigen, wie sie vorgeben. Dort draußen hat er den Anklagepunkt der Juden nun erfahren: Jesus mache sich selbst zum König. Diese Anklage ist heikel, denn nur derjenige kann „König der Juden“ sein, den die Römer dazu ernennen. Alle anderen werden als Aufrührer gegen Rom angesehen. Deshalb geht Pilatus wieder hinein, um zu hören, wie Jesus auf diesen Anklagepunkt reagieren wird.

Der Herr antwortet Pilatus mit einer Gegenfrage: „Sagst du dies von dir selbst aus, oder haben dir andere von mir gesagt?“ Hätte der Statthalter aus seiner Amtsführung heraus Bedenken gegen das Auftreten Jesu geäußert, dann hätte der Herr ihn beschwichtigen können: Er hatte sich keineswegs selbst zum König gemacht, sondern die Volksmenge wollte Ihn nach dem Speisungswunder zum König machen. Er hatte diese Ehrerweisung damals nicht angenommen und war weggegangen (Kap. 6,15). Denn sie waren nicht bereit, Buße zu tun.

Das wahre Gesicht – besonders der Führer des Volkes – hat sich deutlich gezeigt: Sie wollen Jesus nicht als ihren Messias annehmen. Deshalb ist es zwecklos, dass der Herr sich verteidigt.

Offensichtlich interessiert Pilatus sich nicht für die Gesetze und Bräuche der Juden; und zu diesem Volk will er schon gar nicht gehören. Ob er ahnt, wer vor ihm steht?

 

Johannes 18,36.37

Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, hätten meine Diener gekämpft, damit ich den Juden nicht überliefert würde; jetzt aber ist mein Reich nicht von hier. Da sprach Pilatus zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, dass ich ein König bin. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich der Wahrheit Zeugnis gebe. (V. 36.37)

Der Apostel Paulus schreibt von „Christus Jesus, der vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt hat“ (1. Tim 6,13). Dabei bezieht er sich auf den Gerichtsprozess vor dem römischen Statthalter, den der Evangelist Johannes am ausführlichsten beschreibt. Schauen wir, wie die Einzelheiten dieses guten Bekenntnisses hier zutage treten.

Jesus hat ein Reich! Was für eine kühne Aussage in Gegenwart eines Mannes, der die größte damals bestehende irdische Macht repräsentierte. Doch das Reich Jesu gleicht nicht den Staaten dieser Welt, noch leitet es seine Hoheit und Macht „von hier“ ab. Sein Reich empfängt all seine Autorität und Macht vom Himmel – es trägt himmlischen Charakter.

Der Herr hat an anderer Stelle erklärt, dass niemand das Reich Gottes sehen kann, es sei denn, er wird von neuem geboren (vgl. Kap. 3,3). Wer die Autorität Gottes bedingungslos anerkennt und an den Sohn Gottes glaubt, geht in das Reich Gottes ein.

Was für ein besonderer König ist Jesus! Er selbst ist der Ewige! Längst vor seiner Geburt wurde festgelegt, welchen Auftrag Er hier auf der Erde erfüllen sollte, nämlich von der Wahrheit zu zeugen. Aber der Sohn Gottes hat nicht nur über Wahrheit gesprochen, sondern Er selbst ist die Wahrheit (vgl. Kap. 14,6). Er hat offenbar gemacht, wie Gott die Dinge sieht. Alles entscheidet sich an seiner Person.

 

Johannes 18,38-40

Jesus spricht: Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme. Pilatus spricht zu ihm: Was ist Wahrheit? Und als er dies gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus und spricht zu ihnen: Ich finde keinerlei Schuld an ihm; ihr seid aber gewohnt, dass ich euch an dem Passah einen Gefangenen freilasse. Wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden freilasse? Da schrien wiederum alle und sagten: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber. (V. 38-40)

Viele Menschen verstehen die Worte Jesu nicht. Doch das Problem liegt nicht in der Person Jesu, sondern bei jedem persönlich. Denn echte Jünger Jesu verstehen Ihn. Sie sind „aus der Wahrheit“, das heißt, ihr Denken und Handeln ist von der Wahrheit bestimmt, wie die Bibel sie lehrt.

Pilatus kann mit dem Begriff „Wahrheit“ nicht viel anfangen, schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Reich eines Königs. Mit einem Königtum verbindet man vor allem Macht – und nicht Wahrheit.

„Was ist Wahrheit?“ Diese weltberühmte Frage scheint nicht zu verhallen. Will man sich aus dem absoluten Wahrheitsanspruch herauswinden, indem man die Wahrheit relativiert? Oder flüchtet man sich in die unendliche Diskussion darüber, wie Wahrheit definiert werden muss?

Der Sohn Gottes hat die Wahrheitsfrage längst beantwortet: „Dein Wort ist Wahrheit“ (Kap.17,17). Wer in diesem Wort bleibt, ist ein Jünger Jesu und wird die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird ihn frei machen (vgl. Kap. 8,31.32).

Pilatus hat die Wahrheit nicht erkannt und ist deshalb auch nicht frei Der weitere Verlauf des Prozesses zeigt, dass er sich den Drohungen der Menge beugt.

Jesus oder Barabbas, den Gerechten oder einen Übeltäter, den Urheber des Lebens oder einen Mörder? – Damals wählte man Barabbas ...