Bibel praktisch

Vergeben: Ja - aber vergessen?

 Viele ernsthafte Beziehungsstörungen unter Gläubigen haben ihre Ursache darin, dass begangene Schuld nicht biblisch behandelt wurde. Mal mangelt es an einem ehrlichen und uneingeschränkten Bekenntnis der Schuld, mal fehlt die Bereitschaft, wirklich und rückhaltlos zu vergeben. Manchmal lässt derjenige, dem Unrecht geschah, eine Wurzel der Bitterkeit in seinem Herzen aufkommen. Oft wird das Problem auch einfach verdrängt. Aber auf Dauer hilft kein Verdrängen, sondern nur eine gottgemäße Bereinigung der Angelegenheit. Manchmal hört man auch die Antwort: „Vergeben habe ich ja, aber vergessen kann ich das nicht!“ Was sagt Gottes Wort zu demjenigen, der zu vergeben hat?

 

Das Beispiel Gottes

In Epheser 4,32 lesen wir: „einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat.“ Da wird unser Blick zuerst einmal auf Gott gelenkt. Schon im Alten Testament liest man von Gott: „Du aber bist ein Gott der Vergebung“ (Neh 9,17b). Jesaja bezeugt, dass Gott „reich an Vergebung“ ist (Jes 55,7b). Er hat uns in seiner unendlichen Gnade unsere ganze Schuld vergeben – für immer und ewig. Aufgrund des stellvertretenden Opfers des Herrn Jesus handelt Er so: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“ (Heb 10,17). Wie glücklich dürfen wir sein, diese Worte von Gott selbst zu vernehmen. So hat der große und heilige Gott uns behandelt, als wir Ihm unsere Sünden bekannt haben und um Vergebung gebeten haben. Dabei müssen wir bedenken, welch geringen Anteil wir von unseren Sünden überhaupt gewusst und genannt haben, als wir uns bekehrt und Ihm unsere Sünden genannt haben! Dennoch hat Er uns alles vergeben, wenn wir nichts absichtlich verschwiegen haben. Und in dieser Haltung sollen wir auch zum gegenseitigen Vergeben bereit sein. Nichts Geringeres als Gottes eigenes Handeln wird uns von Paulus in Epheser 4 als Maßstab vorgestellt.

 

Was heißt überhaupt vergeben?

Vergeben bedeutet, die Anklage oder den Vorwurf fallen zu lassen und gleichzeitig an das Vorgefallene nicht mehr zu denken. Die Vergebung unserer Sünden hat Gott uns geschenkt auf der Grundlage von Golgatha: Dort hat der Herr Jesus sein Blut, das meint sein Leben, gegeben. „Ohne Blutvergießung gibt es keine Vergebung“ lesen wir in Hebräer 9,22. Auf Grund des stellvertretenden Opfers seines Sohnes hat Gott unsere Sünden vergeben. Für Gott heißt Sündenvergebung zugleich, dass Er dieser Sünden nie wieder gedenkt: „Ich werde ihrer nie mehr gedenken“ (Heb 8,12 und 10,17). Genauso sollen auch wir verfahren. Gott will, dass wir die Sache wirklich vergessen und nicht nachtragend sind.

Der Herr Jesus selbst fügt noch einen wichtigen Punkt hinzu: Wir sollen „von Herzen“ vergeben (Mt 18,35), das meint aufrichtig und endgültig. Dabei hat man denjenigen, dem zu vergeben ist, weiter lieb und denkt nicht:„Ich habe zwar vergeben, aber der oder die ist für mich ab jetzt gestorben.“ Im Herzen vergeben bedeutet, dass man für sich selbst schon vergeben hat, bevor der andere darum bittet. Denn so hat Gott gehandelt, wie wir es im Gleichnis vom „verlorenen Sohn“ (vgl. Lk 15,20) erkennen können.

Wichtig ist auch, auf sich selbst und auf seine eigene Mangelhaftigkeit zu sehen (vgl. Gal 6,1). Und wer ist nicht manches Mal auch mitschuldig gewesen (vgl. Mt 5,25)? – In dieser Haltung fällt es viel leichter, Vergebung deutlich auszusprechen, wenn der andere seine Schuld bekennt.

Nun mag jemand einwenden, dass man das geschehene Unrecht nicht einfach so vergessen könne. Das stimmt natürlich insofern, als wir unser Gedächtnis nicht wie eine Festplatte im Computer einfach löschen können. Je mehr uns etwas emotional belastet, umso länger bleibt es im Gedächtnis.

Aber eines können wir sehr wohl: jedes Mal, wenn die Erinnerung hochkommt, alle in dieser Richtung aufkommenden Gedanken zurückweisen, anstatt sie weiter zu verfolgen. Ein wirksames Hilfsmittel ist, in einer solchen Situation zu beten und ganz bewusst an etwas anderes zu denken. Darüber hinaus gilt, dass wir auf eine Sache, die wir vergeben haben, nie wieder zurückkommen dürfen. Gott tut das auch nicht: So weit der Osten ist vom Westen, hat er von uns entfernt unsere Übertretungen“ (Ps 103,12).

Außerdem: Je mehr ich mich mit positiven Dingen beschäftige, umso leichter fällt es, das Negative zu vergessen. Paulus empfiehlt uns in dieser Beziehung eine Menge „Denkstoff“: „Im Übrigen, Brüder, alles, was wahr, alles, was würdig, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was lieblich ist, alles, was wohllautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, dies erwägt“ (Phil 4,8). Das erfordert Energie oder innere Kraft. Gott, der Heilige Geist, der in uns wohnt, wird uns diese Kraft geben, wenn wir das wirklich wollen. Auf diese Weise können wir nicht nur Nachahmer Gottes sein, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu einem guten Miteinander unter Glaubensgeschwistern leisten.