Andacht

Zum Jahresbeginn - Erinnern und vergessen

„Der Mensch gleicht dem Hauch, seine Tage sind wie ein vorübergehender Schatten“, „Und meine Tage eilen schneller dahin als ein Läufer“, so sagen es David (Ps 144,4) und Hiob (Hiob 9,25). Haben wir das auch so empfunden, als der 1. Januar unaufhaltsam näher rückte? Vielleicht weniger. Wenn wir jung sind, erleben wir dies nicht in gleichem Maß wie die Älteren. Und doch lässt Gott uns allen sagen: „... merkt auf die Jahre von Geschlecht zu Geschlecht; frage deinen Vater, und er wird es dir kundtun ...“

Für Kinder Gottes wird eine solche Rückschau keineswegs durch Sehnsucht nach dem Vergangenen gekennzeichnet sein. Im Gegenteil: Wir wissen, dass wir einer glücklichen Zukunft entgegengehen, dass „das Schönste erst noch kommt“. Aber andererseits wäre es nicht recht, wenn wir die Erfahrungen des vergangenen Jahres vergessen wollten. Es wäre außerdem Undankbarkeit, denn in allen Situationen, die wir durchlebt haben, war Gott uns in seiner Gnade ganz nah. Wir dürfen als Gläubige die Worte Gottes an sein irdisches Volk Israel bestimmt auch zu uns gesagt lesen: „(Gott) gab Acht auf ihn, er behütete ihn wie seinen Augapfel“ (5. Mo 32,10). Das Bild von dem Augapfel spricht für sich; wie sorgfältig schützen wir unsere Augen vor Verletzungen und Schmutz. Noch zuverlässiger ist der Schutz Gottes über uns.

Von Natur sind wir jedoch oft vergesslich. Darum ist so ein „Rückblick“ ganz nützlich.

 

Wir dürfen uns erinnern an

... Segnungen Gottes

Sind wir uns stets – auch heute – der täglichen Güte Gottes bewusst? Oder haben wir die Gedanken an unseren Schöpfer und Erhalter zugunsten einer Haltung aufgegeben, die alles als selbstverständlich nimmt? „Preise den HERRN meine Seele, und vergiss nicht alle seine Wohltaten!“ (Ps 103,2) Ja, wenn man alles hat, was man sich wünscht, verdrängen die materiellen Dinge sehr leicht den Blick auf den Geber und seine Güte. Vorsicht, weil unsere natürlichen Herzen mit Egoismus, Hochmut und Undankbarkeit gefüllt sind!

 

... tägliche Bewahrung und Rettung aus Gefahr

Erinnerst du dich an eine große Gefahr, in der du bewahrt geblieben bist? Gott hat es getan. Das ist tägliche Rettung, die Er uns verheißen hatte: „Singt dem HERRN, preist seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag seine Rettung!“ (Ps 96,2). Und für die Zukunft lässt Er uns sagen: „Es ist gut, dass man still warte auf die Rettung des HERRN“ (Klgl 3,26).

 

... Vergebung und unser ewiges Heil

Haben wir jeden Tag daran gedacht, dass uns die Sünden vergeben sind, weil wir mit Reue und Bekenntnis den Herrn Jesus im Glauben als Heiland kennen lernten? Haben wir täglich an unseren Erretter und Herrn Jesus Christus mit Dankbarkeit gedacht? Gott warnt das Volk Israel, wenn es im verheißenen Land alles reichlich haben würde: „So hüte dich, dass du den HERRN nicht vergisst, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft“ (5. Mo 6,12).

Wenn wir uns der Gnade erinnern, die wir selbst erfahren haben, wenn wir daran denken, dass Gott uns unsere vielen Sünden vergeben hat, werden wir auch „zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend“ sein (Eph 4,32; Kol 3,13).

 

Wir sollten uns auch erinnern

... an die eigene Schwachheit und Gefährdung

Erinnern wir uns auch an ein weiteres Beispiel und Bild aus der Wüstenreise des Volkes Israel. „Gedenke dessen, was Amalek dir getan hat auf dem Weg ... wie er dir auf dem Weg entgegentrat und deinen Nachtrab schlug, alle Schwachen hinter dir her, als du matt und müde warst“ (5. Mo 25,17f). Amalek ist der Feind, der uns angreift, wenn wir – vielleicht durch Mangel an geistlicher Nahrung – geistlich schwach und müde geworden sind: das Fleisch, Ausdruck unseres alten Ich. Hier findet Satan, unser Feind, einen willigen Ansprechpartner, dem er begehrenswerte Dinge vorstellen kann, um Lust der Augen, Lust des Fleisches und Hochmut des Folge mir nach Lebens (s. 1. Joh 2,16) zu schüren. So geht es mit uns abwärts. Erinnern wir uns dann daran, dass wir die Hilfe dessen erbitten dürfen, der den Sieg davongetragen hat und unser Fürsprecher ist (Röm 8,34)?

 

... denn wir alle straucheln oft

Gab es in den letzten 365 Tagen nicht auch Tage, wo wir versagt haben? Das werden wir nicht so schnell vergessen haben. Gott zeigte uns, was in unserem Herzen war. Er musste uns demütigen und lehren, nicht auf uns selbst zu vertrauen, nicht etwas von uns selbst zu halten. Das müssen wir übrigens jedes Jahr mehr lernen, um zu bemerken, dass in uns nichts Gutes wohnt. Aber was wir dabei auch lernen ist, wie barmherzig und gnädig Gott ist, der den Strauchelnden aufrichtet. Als Erinnerung bleibt uns seine Liebe und Barmherzigkeit.

 

... an das tägliches Bibellesen und Beten

Sind wir stets dem Wort Gottes gehorsam gewesen? Hatten wir Freude beim Lesen der Bibel? Wenn nicht, erinnern wir uns an das, was Gottes Wort bewirken will: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln? Indem er sich bewahrt nach deinem Worte“ und „Dein Wort ist Leuchte meinem Fuße und Licht für meinen Pfad“ (Ps 119,9.105). Gott selbst spricht zu uns durch sein Wort. Wir wollten Ihn doch eigentlich täglich zu uns reden lassen, oder? Dann werden wir auch gern mit Ihm sprechen und vertrauensvoll Ihm alles anvertrauen. Sonst fehlt uns die Sicherheit auf dem Weg und außerdem das Glück der Gemeinschaft mit Gott, unserem Vater, und mit dem Herrn Jesus. Haben wir in unseren Gebeten auch an die Mitgeschwister gedacht? Hatten wir das Wohl der örtlichen Versammlung und aller „Heiligen“ – Eph 1, 15: Liebe zu allen Heiligen! – auf dem Herzen? Erinnern wir uns an so manchen Segen, den wir in den Versammlungsstunden durch den Dienst anderer Brüder hatten, die uns das Wort Gottes gepredigt haben. Und viele andere Dienste dienten zu unserem Wohl!

 

Wir dürfen und sollten aber auch manches vergessen:

Der Blick zurück, so nützlich er einerseits ist, so leicht könnte er uns auch an Dinge erinnern, die wir uns gewünscht und auch „besorgt“ haben, die uns aber in unserem Christendasein überhaupt nichts gebracht haben. Sicher, viele Stunden der Woche haben wir unsere täglich notwendige Arbeit getan, im Beruf oder in der Ausbildung, einige Stunden haben wir für Gottes Wort und Gebet genutzt – haben wir? –, aber manche Stunden haben wir auch für eigentlich Unnützes, vielleicht sogar Schädliches verwendet. Solche Dinge verbinden unser Bewusstsein mit der Welt und ihrem Denken. Wir sollten sie aus unserem „inneren Gedächtnis“ entfernen. Und wenn wir an sie denken wollen, dann mit dem Ziel, für die Zukunft aus diesen Erfahrungen zu lernen, um es anders zu machen. Das Volk Israel erinnerte sich in der Wüste an Ägypten: „Wir gedenken der Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen, der Gurken und der Melonen und des Lauchs und der Zwiebeln und des Knoblauchs; und nun ist unsere Seele dürre; gar nichts ist da ...“ (4. Mo 11,5f). Diese Erinnerung machte sie undankbar, unwillig und blind für die Geschenke Gottes. Das würde uns genau so gehen. Der Apostel Paulus schreibt an die Philipper. „Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,13- 14). Und dabei „vergaß“ er nicht weltliche Dinge, aber doch die, die er inzwischen als unnütz erkannt hatte, weil sie ihn von dem großen Ziel abbringen könnten. Sein Ziel war „Christus zu gewinnen“ (V. 8). Darin ist er uns Vorbild: nach vorn blicken, den Herrn Jesus betrachten und besser kennen lernen!

Wenn wir als glückliche Kinder Gottes, d.h. in der Gemeinschaft mit Gott, hier unseren Weg gehen wollen, dann gilt es auch für uns, alles zu „vergessen“, was uns von dem Herrn Jesus abzieht oder entfernt.

 

Nach vorne blicken

Wir warten ja auf Ihn, der bald wiederkommt, um uns zu sich zu nehmen in das Vaterhaus, wo wir endgültig alles „vergessen“ haben werden, was hier unsere Augen blind machen konnte für seine Liebe und Gnade. Vielleicht denkst du als junger Mensch nicht oder nicht gerne an „diese“ Zukunft, weil du auf dieser Erde noch etwas erreichen möchtest – einen Ehepartner finden, ein Kind bekommen, eine reizvolle Arbeitsstelle antreten etc. Aber die Hoffnung, für immer bei dem Herrn Jesus zu sein, darf und soll auch schon junge Christen erfüllen. Dort wird nur Harmonie und Glück in der durch nichts getrübten Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus sein. Dort wird Er der Mittelpunkt aller sein, wird Gegenstand ewiger Anbetung sein. Und auch dann werden wir die Erinnerung an die Wahrheit seiner Verheißung bewahren: „Ich werde dich nicht versäumen und dich nicht verlassen“ (Heb 13,5) und „Meine Gnade genügt dir ...“ (2. Kor 12,9).