Vom Egoismus zur Machtanmaßung - Diotrephes

Vom Egoismus zur Machtanmaßung – Diotrephes

Machtmissbrauch – fast täglich erreichen uns Nachrichten darüber. Unwillkürlich denken wir dabei an karrierebesessene Managertypen und machthungrige Politiker. Aber sind das wirklich die Einzigen?

Dass Machtmissbrauch selbst vor einem Christen nicht halt macht, sehen wir an Diotrephes, jenem Mann, über den uns der dritte Brief des Apostels Johannes berichtet:

„Ich schrieb etwas an die Versammlung, aber Diotrephes, der gern unter ihnen der Erste sein will, nimmt uns nicht an. Deshalb, wenn ich komme, will ich an seine Werke erinnern, die er tut, indem er mit bösen Worten gegen uns schwatzt; und sich hiermit nicht begnügend, nimmt er die Brüder nicht an und wehrt auch denen, die es wollen, und stößt sie aus der Versammlung“ (Verse 9.10).

Im engeren Sinne geht es in diesen Versen darum, dass Diotrephes zu verhindern suchte, dass solche Brüder eine Unterkunft fanden, die durchs Land zogen, um das Wort Gottes zu predigen1. Bei genauerem Hinsehen stellen wir jedoch fest, dass die Merkmale, die Diotrephes kennzeichneten, durchaus heute noch vorhanden sind. Und sie betreffen nicht nur „gestandene Christen“, sondern in gleicher Weise auch junge Gläubige, die Ziele vor Augen haben und etwas erreichen wollen. Daher möchten wir im Folgenden darüber nachdenken, wo wir selbst in der Gefahr stehen, der Versuchung zu erliegen.

1. Diotrephes wollte gerne der Erste unter ihnen sein

Bei den Führern, von denen uns Gottes Wort berichtet, handelt es sich nicht um Menschen, die eine bestimmte Position innehatten. Für sie ging es nicht um die Befriedigung eigener Machtgelüste. Ihnen lag es am Herzen, den Willen ihres Herrn im Glauben zu verwirklichen. Diese Männer waren Täter des Wortes (Jak 1,22). Ihr überzeugendes Glaubensleben verlieh ihnen geistliche Autorität. Darum wurden sie als Führer und Ratgeber anerkannt. Keiner von ihnen maßte sich diese Stellung selbst an. Doch Gott drückt sein Siegel unter ihr Glaubensleben, indem Er auch uns heute auffordert, den Glauben dieser Männer nachzuahmen (siehe Heb 13, 7).

Bei Diotrephes war das anders. Gottes Wort berichtet uns nicht, wie andere die Begabungen oder den Wandel dieses Mannes beurteilen. Aber wir lesen von seinen Beweggründen. Es ging ihm um seine eigene Person. Er wollte der Erste in der Versammlung sein.

Welche Beweggründe haben wir für unser Handeln und Reden? Der bewusste oder unbewusste Wunsch in unseren Herzen, Ansehen bei unseren Mitmenschen zu haben, ist häufig der erste Schritt auf dem Weg zur Machtanmaßung.

2. Diotrephes nahm den Apostel Johannes nicht an

Wir wissen nicht, was der Apostel an die Versammlung geschrieben hat. Tatsache ist aber, dass Diotrephes diesen anerkannten Führer des Volkes Gottes nicht akzeptierte. Auf den Brief des Apostels zu hören, bedeutete für Diotrephes, wie es scheint, einen anderen neben oder gar über sich dulden zu müssen. Er hätte nicht mehr im Mittelpunkt gestanden und über die anderen bestimmen können.

Uns werden keine Briefe von Aposteln mehr geschrieben. Aber wir besitzen apostolische Belehrung in dem Wort Gottes. Durch die Bibel spricht Gott zu uns. Aber wie gehen wir damit um? Hat Gottes Wort in allen Teilen uneingeschränkte Gültigkeit für uns? Gottes Wort seine Gültigkeit zu lassen, ist ein wirksamer Schutz vor der Machtfalle.

3. Der Apostel will an die Werke des Diotrephes erinnern

War Diotrephes darauf aus, die Erinnerung der Gläubigen an seine eigenen Werke zu verwischen? Zumindest können wir den Eindruck haben. Warum sonst wollte der Apostel die Gläubigen an die Werke dieses Mannes erinnern? „Deshalb, wenn ich komme, will ich an seine Werke erinnern, die er tut.“

Es ist immer wieder erschreckend, mit welcher Dreistigkeit manche Menschen ihr Fähnlein in den Wind hängen. Sie reden und handeln immer gerade so, wie es zu ihrem Vorteil ist. Das Schlimmste, was so jemandem passieren kann, ist, dass seine Mitmenschen an seine Taten oder Worte erinnert werden. In diesem Moment bricht ihr sorgfältig gehütetes Kartenhaus zusammen.

Als Christen dürfen wir uns genau entgegengesetzt verhalten. Nicht nur, dass wir stets die Wahrheit reden sollen, der Herr möchte, dass wir auch in unserem Handeln zu dem stehen, was wir sagen. Dann haben wir es auch nicht nötig, bei unseren Mitmenschen die Erinnerung an unsere Worte oder unsere Taten zu verwischen. Der Herr Jesus hat das einmal so formuliert: „Eure Rede sei aber: Ja – ja; nein – nein; was aber mehr ist als dieses, ist aus dem Bösen“ (Mt 5, 37).

4. Diotrephes redete schlecht über den Apostel Johannes und andere

Die Geschichte ist schon sehr alt, doch hat sie nichts von ihrer Aktualität verloren:

Eine Überlieferung berichtet, wie zu dem Philosophen Sokrates eines Tages ein guter Freund kam. „Hast du schon gehört, was die Leute über dich sagen?“, fragte der Freund. „Nein“, antwortete Sokrates. „Dann muss ich es dir sofort erzählen“, drängte der Freund. „Warte bitte noch einen Moment“, bat Sokrates. „Erst möchte ich wissen, ob du das, was du mir sagen willst, von demjenigen gehört hast, der es gesagt hat?“ Der Freund schüttelte den Kopf. Nein, das hatte er nicht. „Hast du dich erkundigt, ob es wahr ist, was die Leute über mich erzählen?“ Wieder musste der Freund verneinen. „Ist es denn wenigstens etwas Gutes?“, wollte Sokrates nun wissen. Auch das war nicht der Fall. „Dann will ich es auch nicht wissen“, erklärte Sokrates dem Freund und ging davon. – Was reden wir über andere? Die Aufforderung des Apostels Paulus an die Philipper ist eindeutig: „Wenn es irgendein Lob gibt, dies erwägt“ (Phil 4,8).Wie viele schlechte Worte würden gar nicht erst gesprochen, würden wir unser Reden mehr anhand der Fragen des Sokrates oder, noch besser, an den Maßstäben der Bibel überprüfen. Und noch einmal so viele böse Worte würden nicht gesprochen, wenn wir mehr miteinan- der statt übereinander sprächen2.

5. Diotrephes versucht, andere daran zu hindern, Gastfreundschaft zu üben

Offensichtlich begnügte sich Diotrephes nicht mit seiner üblen Nachrede. Um sicher zu gehen, dass seine schlechten Worte auch die nötige Wirkung zeigten, versuchte er andere, wie den Briefempfänger Gajus (Vers 5), dazu zu bringen, es ihm gleich zu tun. Sie sollten den Boten Gottes die Gastfreundschaft verweigern, so wie er selbst es tat. Und er wollte auch verhindern, dass seine Mitgeschwister die biblische Unterweisung dieser Brüder empfingen.

Und wir? Sind wir bereit, die Diener des Herrn aufzunehmen und das, was sie uns – gestützt auf das Wort Gottes – mitteilen, anzuerkennen und zu praktizieren? Und erinnern wir uns auch stets daran: Was der Herr Jesus für uns getan hat, hat Er auch für alle anderen getan, die Ihn im Glauben angenommen haben. Einem Kind Gottes Gastfreundschaft zu erweisen, ist das Gleiche, wie den Herrn selbst zu beherbergen (lies einmal Mt 25,31–46). In diesem Bewusstsein werden wir die Liebe unseres Heilands zu uns auch unseren Mitgeschwistern entgegenbringen. Andere dazu anzustiften, bestimmte Gläubige auszugrenzen, weil es meinen persönlichen Interessen zuwider ist, verbietet sich dann von ganz alleine.

6. Diotrephes hört nicht auf die Brüder

Der Apostel Johannes war nicht der Einzige, der die Absichten des Diotrephes erkannte. Einige Brüder besuchten die Geschwister in der Gegend, um das autoritative Wort Gottes zu verkündigen. Vielleicht suchten sie auch das Gespräch mit Diotrephes. Dann taten sie das, wozu der Apostel Paulus auch die Thessalonicher aufforderte (2. Thes 3,14). Sie achteten Diotrephes als Bruder und versuchten, ihn zurechtzuweisen. Doch statt dankbar die Belehrungen über die Wahrheit und auch die persönlichen Hinweise seiner Brüder anzunehmen, sein Verhalten zu prüfen und zu ändern, lehnte Diotrephes sie und ihren Dienst ab.

Wie verhalten wir uns, wenn wir auf etwas hingewiesen werden? Es bringt viel Segen mit sich, wenn wir auf den anderen hören und über seine Hinweise nachdenken. Oft genug fahren wir statt dessen aber sofort die Stacheln aus – „Der will mir was Schlechtes!“ – und gehen auf Abwehr.

Bin ich immer im Recht und lasse jeden Hinweis an mir abprallen, so komme ich schnell dahin, mich über andere zu stellen. Vom Hochmut zum Machtmissbrauch ist es dann leider oft nur noch ein kleiner Schritt.

7. Diotrephes will die Annahme dieser Brüder durch die Versammlung verhindern

Doch die Aktivitäten des Diotrephes sind noch stärker. Er geht in seinem Bestreben, der Erste unter ihnen zu sein, so weit, dass er sich in die Beziehungen seiner Mitgeschwister einmischt. Diotrephes übte allem Anschein nach Druck auf diejenigen aus, die auf die Ermahnungen und Hinweise der Brüder hören wollten, die er selbst ablehnte.

Ich brauche gar nicht massiven Druck auf andere auszuüben, um meine Ziele zu erreichen. Die Mittel, die uns der Feind Gottes zur Verfügung stellt, sind viel schwieriger zu durchschauen als plumpe Drohungen. Hier ein Gefälligkeitsdienst, da eine kleine Zuwendung, so können unbemerkt Abhängigkeiten geschaffen werden. Wichtig ist dabei nur, dass der andere seinen „Wohltäter“ kennt. Denn dann kann ich zu gegebener Zeit die „Daumenschrauben“ anziehen. „Eine Hand wäscht die andere. Gestern habe ich dir geholfen, heute musst du etwas für mich tun.“

Gegenseitige Hilfestellung ist gut und wichtig, besonders unter Christen in Zeiten, in denen die Ablehnung gegenüber Gott immer offensichtlicher wird. Problematisch wird es, wenn ich dieses eigentlich selbstverständliche Verhalten zu meinem eigenen Vorteil ausnutze und dabei andere an einem richtigen Verhalten hindere. Und genau das ist Machtmissbrauch.

8. Diotrephes stößt die aus der Versammlung, die eine abweichende Meinung haben

Allen Anstrengungen des Diotrephes zum Trotz gab es solche in der Gemeinde, die ihm nicht folgten, sondern auf die Brüder hörten. Für diese Geschwister war das Wort Gottes oberste Autorität und nicht die Meinung eines Einzelnen.

Wenn wir so weit sind, andere Gläubige aus der Versammlung Gottes hinauszustoßen, weil sie nicht unserer Meinung sind, sind wir genau da, wovor auch Petrus warnt („die da herrschen über ihre Besitztümer“, 1. Pet 5,3). Hat doch der Herr Jesus durch sein Erlösungswerk am Kreuz von Golgatha alle, die an Ihn glauben, zu einem Leib – seinem Leib – zusammengefügt. Jeder Gläubige ist ein Glied an diesem Leib. Und kein Glied dieses Leibes kann zu einem anderen Glied dieses Leibes des Herrn sagen: „Ich brauche dich nicht“ (1. Kor 12,21). Wie kann ich dann einen treuen Christen aus der Versammlung stoßen wollen?

Ein jeder aber prüfe sich selbst (1. Kor 11, 28)!

Häufig ist es uns leider gar nicht bewusst, dass gerade wir uns ganz oder teilweise so verhalten, wie es der Apostel Johannes bei Diotrephes anklagt. Deshalb tun wir gut daran, unser Verhalten und unser Reden immer wieder auf diese Punkte zu überprüfen. Und wenn wir dabei feststellen, dass der eine oder andere Aspekt häufiger in unserem Leben in Erscheinung tritt, ist es richtig und wichtig, den Herrn zu bitten, uns unsere Motive klar zu machen. Die Bitte Davids in Psalm 139 ist dafür beispielhaft:

„Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedan- ken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf ewigem Weg!“ (Verse 23.24).

Nun war Diotrephes sicher kein junger Christ. Also kannst du die Gedanken des Artikels getrost wieder vergessen? Zum Nachdenken: Wie sieht es denn im Kreis der Jugendlichen aus? Der Erste sein wollen, andere ablehnen, nicht aufnehmen, hinausdrängen – kommt dir das nicht vielleicht bekannt vor?

Unser Herr allein kann die Kraft und Weisheit schenken, unser Verhalten so zu ändern, dass wir nicht in die Machtfalle geraten.

„Alle aber seid gegeneinander mit Demut fest umhüllt; denn Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“ (1. Pet 5,5).

„Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf ewigem Pfade!“ (Psalm 139, 23.24)

 

1 Zu der Zeit, als der Apostel Johannes seinen dritten Brief schrieb, waren diese Männer auf die Unterstützung der Gläubigen angewiesen, in deren Gegend sie das Evangelium verkündeten. Ohne diese Unterstützung hatten sie weder einen Schlafplatz, noch bekamen sie eine Mahlzeit. (Vergleiche die kurze, treffende Ausführung in: Robert Lee, Abriss und Gliederung der biblischen Bücher; erhältlich beim Herausgeber von „Folge mir nach“.)

2 In dem Textzusammenhang geht das Reden gegen einen Apostel natürlich noch viel weiter und entspricht heute einer Kritik am Wort Gottes selbst.