Advent

Bethlehem – kein Platz im Gastzimmer

Alle Jahre wieder sind sie zu sehen – diese idyllischen Gemälde, auf dem Hirten und „himmlische Heerscharen“ abgebildet sind: die Hirten unten auf dem Feld und die Engel oben am Himmel. Diese Bilder sollen die Stimmung der bedeutsamen Nacht von Bethlehem einfangen, als der Sohn Gottes Mensch wurde. Viel aufschlussreicher als solche Bilder ist allerdings der betreffende Bibeltext in Lukas 2. Dabei stellt man auch gewisse Unterschiede fest …

 

Hirten auf dem Feld

Die Hirten auf freiem Feld damals in Israel genießen wenig Anerkennung: Es sind einfache Leute, die am Tag und in der Nacht ihre Herde bewachen. Doch Gott schenkt ihnen große Aufmerksamkeit – Er kennt sie und schätzt ihre Treue. Sie gehören offensichtlich nicht zu der geistlich toten Masse des Volkes, sondern sind gottesfürchtige Juden. Ihnen will Gott sich offenbaren; sie will Er gebrauchen, um die gute Botschaft über das neugeborene Kind weiterzugeben (vgl. Lk 2,17.18). Und sie sind es dann auch, die Gott preisen und loben, bevor sie wieder von der Bildfläche verschwinden (V. 20).

Dass Gott seine Freudenbotschaft nicht als Erstes den Schriftgelehrten und Pharisäern übermitteln lässt, widerspricht dem Elitedenken damaliger Zeit. Obwohl es im Volk Israel von jeher Oberste und Älteste gegeben hat, wendet Gott sich vielfach den Geringen zu und wählt solche aus, die keine natürlichen Vorzüge besitzen. Man denke nur an die Richter, die Gott als Retter für sein bedrängtes Volk schickte: Jeder hatte seine Schwächen.

Bis heute ist das so: „Das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott auserwählt“ (vgl. 1. Kor 1,26-30). Weil Gott nicht will, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, benutzt Er das Schwache, um sich selbst zu verherrlichen.

 

Ein Licht mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht kommt ein Engel des Herrn zu den Hirten – kein niedliches „Engelchen“, sondern offensichtlich eine furchterregende Erscheinung. Dazu wird die Herrlichkeit des Herrn sichtbar und beleuchtet die Hirten. Die Männer sind gewiss keine ängstlichen Typen, denn sie sind gewohnt, ihre Tiere gegen gefährliche Tiere und Räuber zu verteidigen. Aber jetzt bekommen sie große Furcht. Was hat es mit dem Licht auf sich?

Licht, das in die Finsternis scheint – so war es damals am ersten Schöpfungstag. So ist es auch, wenn Menschen das Wort Gottes annehmen; dann leuchtet Gott in ihr finsteres Herz (vgl. 2. Kor 4,6). Finsternis, Dunkelheit und Nacht beschreiben in Gottes Wort oft einen geistlichen Zustand der fehlenden Gotteskenntnis, Unmoral und teuflischen Macht.

In Israel ist es Nacht, buchstäblich und geistlich. Doch jetzt trifft ein, was in Jesaja vorhergesagt hat: „Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen; die da wohnen im Land des Todesschattens, Licht hat über ihnen geleuchtet … Denn ein Kind ist uns geboren“ (Kap. 9,1.5). Seit der Geburt des Sohnes Gottes ist Licht in die Welt gekommen – zuerst für die zwei Stämme Jakobs, die in Israel wohnen, dann aber auch für die Nationen (vgl. Jes 49,6).

 

Eine Freudenbotschaft

Der Engel des Herrn verkündigt den Hirten die gute Botschaft einer großen Freude – so könnte man die Aussage in Lukas 2,10 auch übersetzen. Warum große Freude? Weil ein Retter geboren worden ist, „welcher ist Christus, der Herr“ (V. 11). Und wen will Er retten? Der Engel des Herrn hat es Joseph in einem Traum mitgeteilt: das Volk Israel von ihren Sünden (vgl. Mt 1,21). Doch die Rettung beschränkt sich nicht auf ein Volk. So, wie der Sohn Gottes das „Licht der Welt“ gewesen ist, ist Er auch der „Retter der Welt“ (Joh 9,5; 4,42). In Ihm ist die Gnade Gottes für alle Menschen erschienen – ein Grund zur Freude. Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass der Retter wegen unserer Sünden leiden und sterben musste. Nur so konnte Er uns retten. Ihm sei Dank dafür!

Die Engel kennen Jesus nicht als ihren Retter. Dennoch nehmen sie mit größtem Interesse davon Kenntnis, dass Gott sich in seinem Sohn in Menschengestalt offenbart hat und deshalb Wohlgefallen an Menschen haben kann. Nie zuvor sind sie so beeindruckt gewesen von der Gnade und Herrlichkeit Gottes, die jetzt in Jesus erschienen ist. Da können sie nicht anders, als Gott zu loben. Dabei sprechen sie schon von den großartigen Ergebnissen des Kommens Jesu: Im Himmel wird Gott verherrlicht und auf der Erde wird Frieden sein. Unter der damaligen römischen Weltmacht, die von Daniel im Voraus als „schrecklich und furchtbar“ beschrieben wird, war vom angekündigten Frieden nichts zu sehen. Sie „fraß“, „zermalmte“ und „zertrat“  (vgl. Dan 7,7). Und solange der Friedefürst nicht sein Reich aufrichtet, warten wir vergeblich auf diesen Frieden. Doch die Verheißungen Gottes werden in Erfüllung gehen. Die Grundlage dafür ist seit 2000 Jahren gelegt – „durch das Blut seines Kreuzes“ (vgl. Kol 1,19.20).

Beachten wir, dass die „Menge des himmlischen Heeres“ hier nicht am Himmel erscheint, sondern in unmittelbarer Nähe der Hirten. Es ist, als wollten die Engel uns vormachen, wie sehr Gott im Blick auf seine Offenbarung in Jesus Christus zu loben ist – schon hier und heute.

 

Ein Säugling in Windeln gewickelt …

In keinem Evangelium wird das Menschsein Jesu so eindrücklich beschrieben wie im Lukasevangelium. Das wird zum Beispiel am Stammbaum deutlich, wo nicht die rechtliche Linie über Abraham, David und Joseph aufgezeichnet wird (vgl. Mt 1,2-16), sondern die Linie der Gnade über seine Mutter Maria (vgl. Lk 3,23-38). Weil Joseph an der Menschwerdung Christi keinerlei Anteil hat, wird er im Stammbaum von Lukas nicht erwähnt. Der Heilige Geist kam auf die Jungfrau Maria und so empfing und gebar sie ihren erstgeborenen Sohn.

Jesus Christus wurde von einer Frau geboren, kam als Säugling in die Welt und wurde in Windeln gewickelt. Wie berühren uns diese Worte! Sie lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der Sohn Gottes wahrer Mensch geworden ist. Dann wird noch ergänzt: „und in einer Krippe liegend“ (V. 12). Das sollte den Hirten zum Zeichen sein – so würden sie den Christus antreffen.

 

… und in einer Krippe liegend

Jesus wird in eine Futterkrippe gelegt, aus der sonst Tiere fressen. Das zeigt, wie tief sich der Sohn Gottes erniedrigte! Er kam nicht als gefeierter Königssohn in diese Welt, sondern trat in äußerst bescheidene Verhältnisse ein. Die Krippe musste für den Säugling herhalten, „weil in der Herberge [oder im Gastzimmer] kein Raum für sie war“ (V. 7). Diese Aussage schildert den tatsächlichen Platzmangel in Bethlehem, als die Juden der Aufforderung nachkamen, sich in ihrer Stadt einschreiben zu lassen. Doch sie hat ebenso eine übertragene Bedeutung: Die Welt hat keinen Raum für den Sohn Gottes. Sie will Ihn nicht – nimmt Ihn nicht auf. Dass man zu Weihnachten unzählige Krippen aufstellt, ändert leider nichts daran.

Wie ganz anders lautet die Botschaft des Evangeliums: „Es ist noch Raum“ (Lk 14,22). Jeder kann und soll zu Jesus, dem Retter, kommen; und wer zu Ihm kommt, den wird Er nicht hinausstoßen (vgl. Joh 6,37).

 

Es ist noch Raum!
Mein Haus ist noch nicht voll,

mein Tisch ist noch zu leer.
Der Platz ist da,
wo jeder sitzen soll.
O bringt doch Gäste her!
Geht, nötigt sie auf allen Straßen,

Ich habe viel bereiten lassen.
Es ist noch Raum.

Ernst Gottlieb Woltersdorf