Jesus Christus

Verhört – verurteilt – gekreuzigt (3)

Die Passionsgeschichte Jesu, die in direktem Zusammenhang mit seinem Kreuzestod steht, beeindruckt uns immer wieder. Wir können nicht oft genug unseren Retter und Herrn betrachten –  wie unter schmachvollster Behandlung seine Herrlichkeit zum Vorschein kam. Die folgenden Zeilen möchten Gedankenanstöße zu Johannes 19,17-37 geben.

 

Und sein Kreuz tragend, ging er hinaus zu der Stätte, genannt Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgatha heißt, wo sie ihn kreuzigten und zwei andere mit ihm, auf dieser und auf jener Seite, Jesus aber in der Mitte. (V. 17.18)

Mit schlichten Worten beschreibt der Evangelist die Kreuzigungsszene. Zuerst lesen wir, dass Jesus sein Kreuz trägt. Wer mit seinem Kreuz durch die Stadt ging, bezeugte vor allen Zuschauern, dass über ihn das Todesurteil gefällt war. Mehrfach hat der Herr dieses Bild benutzt, um zu verdeutlichen, dass seine Jünger bereits sein sollten, das Todesurteil vonseiten der ungläubigen Welt anzunehmen. Die ganze Kraft dieser bildlichen Ausdrucksweise wird hier gesehen.

Der Sohn Gottes trägt sein Kreuz – was für ein Anblick! – und geht „hinaus“: hinaus aus Jerusalem, der „Stadt des großen Königs“ (Mt 5,35).

Es geht nach Golgatha. Der Name dieses Ortes leitet sich von der besonderen Form des felsigen Hügels ab. Aber darin liegt auch eine symbolische Bedeutung. Ein Schädel bezeugt das demütigende Ende aller menschlichen Macht und Herrlichkeit. An diesem Ort soll der Sohn Gottes sterben!

Die Kreuzigung ist eine der qualvollsten Hinrichtungsarten. Dass sie dem Sohn Gottes, meinem Retter, nicht erspart blieb, lässt mich voller Bewunderung an Ihn denken.

Jesus hängt in der Mitte – als sei Er von den dreien der größte Verbrecher. Aus Sicht der Menschen nimmt Er offenbar die Stelle von Barabbas ein. Aus Gottes Sicht aber hat Er dort stellvertretend für alle Menschen gelitten, die an Ihn glauben würden. – Hat Er das Kreuz auch stellvertretend für dich erduldet?

 

Pilatus schrieb aber auch eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz. Es war aber geschrieben: Jesus, der Nazaräer, der König der Juden. Diese Aufschrift nun lasen viele von den Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt; und es war geschrieben auf Hebräisch, Lateinisch und Griechisch. Die Hohenpriester der Juden sagten nun zu Pilatus: Schreibe nicht: Der König der Juden, sondern dass jener gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. (V. 19-22)

„Gottes Sohn am Kreuzesstamm!“, so hat es ein Liederdichter ausgedrückt. Eine größere Schmach können wir uns kaum vorstellen. Und was können die Menschen, die sich das Schauspiel anschauen, oben am Kreuz lesen? Eine Überschrift: „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden.“ Pilatus hatte den Text verfasst und am Kreuz anbringen lassen.

Klar, dass die Hohenpriester mit dieser Formulierung nicht einverstanden sind. Doch sie haben Pilatus unter Druck gesetzt, Jesus zu verurteilen; jetzt vergilt er es ihnen durch die öffentliche Feststellung, dass der gehasste Jesus von Nazareth der König der Juden sei. Pilatus wird zur Korrektur aufgefordert, doch ohne Erfolg. Seine barsche Antwort ist zum geflügelten Wort geworden: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“

In alledem ist die Hand Gottes sehen. Er hat zu allen Zeiten dafür gesorgt, dass seinem Sohn Ehre erwiesen wird. Schon bei der Geburt Jesu, als sich in Israel kaum jemand für den „König der Juden“ interessiert hat, lässt Gott die Magier aus dem Osten kommen und seinem Sohn huldigen. Hier ist es vielleicht ein Brett, das weithin „predigt“, dass der verachtete Jesus von Nazareth tatsächlich der König der Juden ist.

Die Überschrift ist in den drei in Palästina vorherrschenden Sprachen jener Tage zu lesen: Hebräisch, die Sprache der Religion, in der das Alte Testament verfasst ist. Griechisch, die Sprache der Kultur im ganzen Römischen Reich. Lateinisch, die Sprache der politischen Macht. So gesehen ist die ganze Welt in das Kreuzesgeschehen einbezogen.

 

Die Soldaten nun nahmen, als sie Jesus gekreuzigt hatten, seine Kleider und machten vier Teile, jedem Soldaten einen Teil, und das Untergewand. Das Untergewand aber war ohne Naht, von oben an durchgehend gewebt. Da sprachen sie zueinander: Lasst uns dies nicht zerreißen, sondern darum losen, wem es gehören soll – damit die Schrift erfüllt würde, die spricht: „Sie haben meine Kleider unter sich verteilt, und über mein Gewand haben sie das Los geworfen.“ Die Soldaten nun haben dies getan. (V. 23.24)

Manchmal wird behauptet, die vier Evangelisten hätten voneinander abgeschrieben oder sie seien an der Tatsächlichkeit ihrer Berichte nicht interessiert gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Wie genau beschreibt der Apostel Johannes hier, wie die Soldaten mit den Kleidern Jesu umgegangen sind! „Die Soldaten haben dies getan“ – er ist sogar Augenzeuge dieser Tatsache gewesen.

Wissen die Soldaten, was sie hier tun? Sie erfüllen wörtlich die Prophezeiung, die ungefähr 1.000 Jahre vorher von David in Psalm 22 aufgeschrieben worden ist. So belanglos uns die Einzelheit über das nahtlose Gewand Jesu erscheinen mag – sie dient dazu, das Wort Gottes zu bestätigen.

Das Gewand ohne Naht hat zudem einen symbolischen Wert. Alles an Jesus Christus, dem Sohn Gottes, ist wie aus einem Guss, ohne Risse und ohne Fugen. Ob es seine Gedanken und Empfindungen sind, seine Worte oder seine Taten – alles ist vollkommen.

Wie anders sind wir Menschen in unserem sündigen Zustand! Das passende Symbol für uns und unsere Werke ist der Schurz aus Feigenblättern, den Adam und Eva zusammengeheftet haben, um sich zu bekleiden. Jeder, der die Form von Feigenblättern kennt, weiß, wie viele Nähte da entstehen – alles nur Flickschusterei umständlichster Art. Im Gegensatz dazu steht das Leben Jesu: vollkommen, „ohne Naht“!

 

Bei dem Kreuz Jesu standen aber seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalene. Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann spricht er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich. (V. 25-27)

An den Hohenpriestern und den rauen Soldaten vorbei sind dem Herrn einige Frauen bis ans Kreuz gefolgt. Unsere Aufmerksamkeit wird hier auf Maria, die Mutter Jesu gelenkt, obwohl sie sonst in diesem Evangelium nur anlässlich der Hochzeit in Kana ausdrücklich erwähnt wird (Kap. 2). Für sie ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo sich die Worte Simeons erfüllen, der zu ihr gesagt hat: „Aber auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk 2,35).

Maria weiß, dass ihr Sohn „vom Heiligen Geist gezeugt“ ist, dass Er „Jesus“ ist, der sein Volk von ihren Sünden erretten wird (vgl. Mt 1,20.21). Dennoch muss es für sie eine große seelische Belastung sein, ihren Sohn am Kreuz hängen zu sehen. Deshalb kümmert sich der Sohn Gottes liebevoll um sie – trotz seiner tiefen Leiden. Wie eindrücklich zeigt sich hier, dass Er wirklich Mensch ist: Er vergisst seine Mutter nicht. Und wie wahr erweist sich hier, dass echte Liebe nicht das Ihre sucht (vgl. 1. Kor 13,5).

Wie bei der Hochzeit in Kana redet Jesus Maria nicht mit „Mutter“, sondern mit „Frau“ an. Er spricht nicht als Sohn Marias, sondern als Sohn Gottes zu ihr und schenkt ihr einen neuen Sohn: Johannes, den Jünger, den Jesus liebt. Ihm wiederum vertraut der Herr Maria an; er soll für sie wie für eine Mutter sorgen, was er auch sogleich tut.

Inmitten aller hasserfüllten Blicke erstrahlt die Liebe Jesu vom Kreuz – und sie bleibt nicht ohne Antwort.

 

Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er – damit die Schrift erfüllt würde –: Mich dürstet! Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist. (V. 28-30)

Ungefähr sechs Stunden hängt Jesus schon am Kreuz. In seinen unermesslichen Qualen hat Er großen Durst. Und gerade hier zeigt sich wieder, dass Er nicht nur vollkommen Mensch ist, sondern auch der Sohn Gottes. Selbst in dieser dunklen Stunde überblickt Er die ganze Bandbreite der Prophezeiungen des Alten Testaments und weiß genau, dass von allen Prophezeiungen über seinen Tod nur noch eine in Erfüllung gehen muss. In Psalm 69 liest man: „In meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken“ (V. 22).

Er sagt: „Mich dürstet“, weil Er großen Durst verspürt. Zugleich will Er den ganzen Willen Gottes ausführen und alles das, was über Ihn geschrieben steht. Auch deshalb sagt Er: „Mich dürstet“, und gibt damit den Anlass dazu, dass das Psalmwort an Ihm erfüllt wird. Mit anderen Worten: Er hat dieses Wort deshalb öffentlich ausgesprochen, um die Weissagung Davids zu erfüllen.

Dann folgt das bedeutende, eindrucksvolle und weitreichende Wort: „Es ist vollbracht!“ Das einzigartige Werk, das Gott, der Vater, seinem Sohn aufgetragen hat, ist vollendet. Niemand kann und braucht es fortzusetzen oder zu ergänzen. Nur Er konnte durch sein Sühnopfer die Grundlage dafür legen, dass die Sünde vollständig abgeschafft wird (Heb 9,26). Was für ein Triumph und Segen für Menschen, Himmel und Erde!

„Niemand hat Macht über den Tag des Todes“, sagt der weise Salomo (Pred 8,8), und er hat recht. Doch hier ist einer, der über diese Macht verfügt. Er allein hat die Gewalt und das Recht, sein Leben zu lassen. Zugleich ist Er bereit, sich auch in dieser Handlung dem Gebot seines Vaters zu unterstellen (vgl. Joh 10,17.18). So übergibt Jesus seinen Geist seinem Vater. Er stirbt freiwillig für mich und für dich!

 

Die Juden nun baten Pilatus, dass ihre Beine gebrochen und sie abgenommen würden, damit die Leiber nicht am Sabbat am Kreuz blieben, weil es Rüsttag war – denn der Tag jenes Sabbats war groß. Da kamen die Soldaten und brachen die Beine des ersten und des anderen, der mit ihm gekreuzigt war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite. (V. 31-34)

Es ist beeindruckend, wie sich am Kreuz Jesu drei Dinge begegnen:

  1. die stolze Feindschaft der religiösen Führer der Juden,
  2. das rechtswidrige Urteilen und Handeln der heidnischen Autoritäten und
  3. Gottes Vorsatz, den verlorenen Menschen seine Gnade anzubieten.

Die Hohenpriester sind eifrige Verfechter der zeremoniellen Ordnung, und weil der Passah-Sabbat ansteht, ist in ihren Augen besondere Heiligkeit geboten. Sie können es nicht dulden, dass die toten Körper noch über den Sabbat am Kreuz hängen bleiben. Sie fühlen sich an die Anordnung Gottes gebunden, dass ein Leichnam nicht über Nacht an einem Holz hängen soll (vgl. 5. Mo 21,22.23). Wie widersprüchlich, wenn man bedenkt, dass dieses Gebot mit den Worten eingeleitet wird: „Wenn an einem Mann eine todeswürdige Sünde ist“! Dieser Teil des Gebotes wurde ganz außer Acht gelassen – Jesus war vollkommen unschuldig!

Wir hätten vielleicht angenommen, dass das Leben des Herrn das der beiden anderen Gekreuzigten weit überdauern würde, aber das Umgekehrte tritt ein. Er lässt in voller Absicht sein Leben, die beiden anderen sterben an den Folgen der Kreuzigung. Bezeichnend ist auch, dass Johannes die beiden Männer nicht Diebe oder Übeltäter nennt; es sind „zwei andere“ (V. 18). Ihre besonders schlechten Eigenschaften brauchen nicht erwähnt zu werden, um den Gegensatz zu Jesus zu vergrößern. Wie strahlt selbst am Kreuz die Herrlichkeit des Sohnes Gottes hervor!

 

Einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus. Und der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr; und er weiß, dass er sagt, was wahr ist, damit auch ihr glaubt. Denn dies geschah, damit die Schrift erfüllt würde: „Kein Bein von ihm wird zerbrochen werden.“ Und wiederum sagt eine andere Schrift: „Sie werden den anschauen, den sie durchstochen haben“. (V. 34-37)

Da Jesus bereits gestorben ist, ist es aus Sicht der Soldaten nicht mehr nötig, Ihm die Beine zu brechen. Doch letztlich erfüllen sie damit ein altes Bibelwort. Denn in den Anordnungen Gottes für das Passahlamm heißt es unter anderem: „Ihr sollt kein Bein an ihm zerbrechen“ (2. Mo 12,46). Das ist sehr beachtenswert. Gott zeigt uns auf diese Weise, dass das Passahlamm in Ägypten symbolischen Charakter hat. Es findet seine Erfüllung in dem Lamm Gottes von Golgatha: Christus ist das „Passahlamm“ für uns (1. Kor 5,7). Er hat sich selbst zu unserer Erlösung hingegeben. Und auch in seinem Tod sind seine Knochen nicht gebrochen worden.

Ein römischer Soldat durchbohrt mit einem Speer die Seite Jesu. Dass er in diesem Moment eine weitere Prophezeiung erfüllt, wird er nicht geahnt haben. Der Prophet Sacharja hat angekündigt, dass das Volk der Juden eines Tages ihren Messias sehen werden, Ihn, den sie durchbohrt haben (Kap. 12,10). Die Hauptverantwortung für diese Tat sieht Gott also bei ihnen, nicht bei den Römern.

Doch warum werden hier Blut und Wasser besonders hervorgehoben? Zum einen, als Beweis dafür, dass Jesus tatsächlich gestorben ist. Zum anderen braucht jeder Mensch Vergebung (Blut) und Reinigung (Wasser), um ewiges Leben zu empfangen. Beides ist durch den Opfertod Jesu zustande gebracht worden. Ewig sei Er angebetet für seine große Liebestat!