Themenheft

Beherrscht von der Sünde?

Der natürliche Mensch, der kein Leben aus Gott hat, ist ein Sklave der Sünde (Röm 6,17). Das ist sein normaler Zustand. Doch auch der wiedergeborene Christ kann praktischerweise von der Sünde beherrscht werden. Das ist ein schrecklicher Zustand, denn das neue Leben in ihm wird dabei gequält. Die gute Nachricht ist: Es gibt Befreiung! Dieses Thema behandelt Paulus in Römer 5 bis 8. Dabei geht es in Römer 7 darum, die Wahrheit von der Befreiung auch in der praktischen Erfahrung zu erleben.

 

Das Problem der Sünde

Nachdem der Apostel Paulus in den ersten Kapiteln des Römerbriefes gezeigt hat, dass der Mensch vor Gott schuldig geworden ist, weil er gesündigt hat, behandelt er das Problem der Sünde, der bösen Quelle, aus der alle schlechten Gedanken, Worte und Taten kommen. Diese Quelle hat jeder Mensch von Geburt an in sich. Es gab nur eine Ausnahme: Der Herr Jesus ist als Mensch gezeugt von Gott, dem Heiligen Geist. Deshalb war Sünde nicht in Ihm, Er ist „das Heilige, das geboren wurde“ (Lk 1,35).

Weil eine schmutzige Quelle immer nur Schmutz hervorbringt, kann sie nicht abgewaschen werden. Wie kann dann das Problem der Sünde gelöst werden?

 

Die Befreiung – lehrmäßig erklärt

Die Antwort lautet: Gott hat die Sünde in seinem eigenen Sohn gerichtet (Röm 8,3). Er hat den Herrn Jesus zur Sünde gemacht (2. Kor 5,21) und im Gericht Gottes so behandelt, als sei Er die Sünde in Person. Er trug das Gericht über die Sünde und starb am Kreuz auf Golgatha. Das Urteil ist ausgeführt, das Gericht ist vollzogen! Das rechnet Gott jetzt jedem zu, der an den Herrn Jesus glaubt. Er sieht uns, die Glaubenden, als mit Christus gekreuzigt. Das hat nach Römer 6,6 zwei großartige Folgen.

  • Der alte Mensch ist mitgekreuzigt. Das, was wir vor unserer Bekehrung waren, ist weggetan, ist beseitigt. Es ist am Kreuz des Herrn Jesus zu Ende gekommen, es ist mitgekreuzigt. Gott sieht es nicht mehr. In seinen Augen sind wir eine neue Schöpfung!
  • Der Leib der Sünde, diese „Sünden-Maschinerie“, ist abgetan, wir sind freigesprochen von der Sünde. So wie ein Eisenbahnwagen von der Lokomotive abgekoppelt wird, so sind wir von dem Zwang der Sünde befreit. Wir müssen nicht mehr sündigen.

Das sind zwei herrliche Ergebnisse des Werkes des Herrn Jesus für den Glaubenden, die wir dankbar im Glauben annehmen. Gott hat uns freigesprochen! Wir nehmen es an und halten es so, dass wir der Sünde gestorben sind, das heißt, dass wir für die Sünde nicht mehr ansprechbar sind.

 

Das Gesetz

Doch wie können wir das jetzt praktisch umsetzen? Diese Frage beantwortet Paulus ab Römer 7,14. Vorher schreibt er noch über ein Thema, das in diesem Zusammenhang sehr wichtig ist: über das Gesetz.

Ganz allgemein gilt ein Gesetz für einen Menschen, so lange er lebt. Paulus benutzt dazu ein Beispiel: Eine verheiratete Person ist durch das Gesetz an den Ehepartner gebunden, so lange der Ehepartner lebt. Ist der Partner gestorben, dann ist die Person frei. Übertragen wir das auf das Gesetz, das Gott im Alten Testament gegeben hat, dann herrscht dieses Gesetz über den Menschen, so lange er lebt. Aber gerade haben wir gelernt, dass wir mit Christus gekreuzigt sind. Das Gesetz herrscht also nicht mehr über uns, weil wir gestorben sind!

Weder steht das Gesetz weiterhin als Anklageschrift gegen uns, noch kann es uns als Lebensregel beherrschen. Es hat auch kein Recht mehr, die Begierde in uns zu wecken und uns dadurch zum Sündigen zu bringen. Wir sind gestorben und deshalb befreit von der Macht der Sünde und von dem Gesetz (Röm 7,6a). Wir sind eine neue Schöpfung und führen unser Leben in Neuheit des Lebens (Röm 6,4) und des Geistes (Röm 7,6b).

 

Eine Zwischenbilanz

Im Glauben nehmen wir also an, dass wir nicht mehr sündigen müssen. So weit, so gut. Allerdings passiert es in der Praxis doch immer wieder. Auch wenn ich weiß, dass ich nicht mehr sündigen muss, zeigt meine Erfahrung, dass ich es trotzdem immer wieder tue. Und manchmal geht es so weit, dass die Sünde regelrecht über mich herrscht. Was kann ich tun? Wie kann ich praktisch Befreiung erleben?

 

Die praktische Umsetzung

Um diese Frage zu beantworten, beschreibt Paulus in Römer 7,14-24 eine Person, die genau diesen Konflikt erlebt. Sie hat das neue Leben und will Gott gefallen. Sie will das Gute tun und dieser Wunsch kommt allein aus dem neuen Leben. Doch diese Person ist völlig auf sich selbst fixiert. Mehr als dreißig Mal kommen in diesen wenigen Versen die Worte „ich“, „meiner“, „mir“, „mich“ vor. Dieser Mensch versucht, nach einem eigenen guten Vorsatz und in eigener Kraft Gott zu gefallen. Und das geht gründlich schief. Es endet in dem Ausruf: Ich elender Mensch!

 

Die konkreten Erfahrungen

Bei dem Versuch, in eigener Kraft das Gute zu tun, macht die Person erste konkrete Erfahrungen. Sie beschreibt den eigenen Zustand in den folgenden Punkten:

  • Ich bin fleischlich; die Begierden, die aus meinem Fleisch kommen, kennzeichnen mich und ich schaffe es nicht, mit dem Sündigen aufzuhören.
  • Es gelingt mir nicht, das Gute zu tun, obwohl ich es doch so gerne will. Stattdessen tue ich das, was ich eigentlich hasse.
  • Das Gesetz verurteilt mich zu Recht, denn ich sündige und komme nicht davon los. Aber das Gesetz hilft mir nicht. Es ist nur wie ein Spiegel, der mein Problem noch deutlicher macht, ohne eine Lösung zu zeigen.

 

Nach diesen ersten Feststellungen lernt die Person, warum sie in diesem Zustand ist:

 

  • In mir wohnt noch die Sünde. Und die bösen Gedanken, Worte und Taten – alles das, was ich eigentlich gar nicht will – kommen aus dieser bösen Quelle.
  • Ich weiß, dass in meinem Fleisch nichts Gutes wohnt.

 

Exkurs – Die Sünde und das Fleisch

Machen wir an dieser Stelle eine kleine Einschaltung. Wie ist es mit der Sünde und mit dem Fleisch[1]? Sind sie nicht weggetan? Nein, das sind sie eben nicht. Die Sünde wohnt noch in uns, so lange wir auf der Erde leben. Die Sünde ist auch nicht gestorben. Aber wir sind für die Sünde gestorben, wir müssen nicht mehr sündigen. Unser Körper muss nicht länger das Werkzeug der Sünde sein, die immer noch in uns ist. Das ist ein großer Unterschied.

Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht zwischen dem „alten Menschen“ und dem „Fleisch“. Der „alte Mensch“ ist unsere Stellung vor Gott vor unserer Bekehrung. Sie existiert nicht mehr, denn der „alte Mensch“ ist mitgekreuzigt und damit gestorben und für immer weggetan. Das „Fleisch“ ist die alte und verdorbene Natur. Gott sieht uns nicht mehr „im Fleisch“, aber diese alte Natur ist noch da, und sie ist und bleibt unverbesserlich. Genau das lernt die Person in unserem Abschnitt. In dem Gläubigen gibt es also zwei Naturen!

 

Weitere konkrete Erfahrungen

 

Weiter lernt die Person einen ganz entscheidenden Punkt:

  • In eigener Kraft ist es unmöglich, das Gute zu tun und gegen die Sünde anzukämpfen. In eigener Kraft gelingt die praktische Befreiung nicht.

Ausgehend von dieser Erkenntnis geht der Blick weg von dem eigenen Ich. Die Lektion, dass Hilfe von außen nötig ist, ist gelernt! Deshalb folgt die Frage: Wer wird mich retten? Die Antwort wird bei Gott gefunden, der durch Jesus Christus alles getan hat, was hierzu nötig ist.

So bleibt am Schluss von Römer 7 die Einsicht, dass das Problem der beiden Naturen bestehen bleibt, solange wir auf der Erde leben. Da ist die neue, göttliche Natur, die nur das Gute will und tun kann. Aber da ist auch die alte, verdorbene Natur, die nur das Böse will und auch nichts anderes vollbringen kann. Wie kann nun die neue Natur das Leben bestimmen? Das gelingt nicht in eigener Kraft. Aber da ist jemand, der auch dafür alles gegeben hat. Es ist der Herr Jesus Christus.

 

Ein Ausblick

So lange wir also versuchen, in eigener Kraft die Befreiung von der Sünde praktisch zu verwirklichen, werden wir kläglich scheitern und in einem elenden Zustand bleiben. Wenn wir aber lernen, dass auch für ein befreites Leben ohne Sünde die Hilfe von Gott kommt, haben wir den richtigen Schlüssel gefunden. Wir verstehen, dass wir durch den Tod des Herrn Jesus befreit sind und die Sünde nicht mehr über uns herrscht, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind. Natürlich ist es unsere Verantwortung, von ganzem Herzen das Gute tun zu wollen. Aber die Hilfe dazu kommt von Gott. Er hat in Christus alles getan und geschenkt, was nötig ist, um ein befreites und glückliches Leben zu führen. Wichtige Lektionen dazu finden wir in Römer 8. Einige sollen am Schluss des Artikels genannt werden.

 

  • Wir sind befreit von der Verdammnis, aber auch von der Gesetzmäßigkeit der Sünde. Wir kommen nicht mehr ins Gericht und wir müssen nicht mehr sündigen (V. 1.2a).
  • In uns wirkt eine neue Gesetzmäßigkeit, die des Geistes des Lebens. Dieses „Gesetz[2]“ ist stärker als das „Gesetz“ der Sünde und des Todes. In der Fähigkeit des neuen Lebens und in der Kraft des Geistes Gottes können wir die Gesetzmäßigkeit der Sünde überwinden. Wir tun Gottes Willen und sündigen nicht (V. 2b).
  • Dabei erfüllen wir automatisch das Gesetz, denn das neue Leben will nichts anderes tun als Gottes Willen (V. 4).
  • Durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt, können wir die sündigen Handlungen des Leibes töten (V. 13b).
  • Der Heilige Geist leitet uns darin, das zu tun, was Gott wünscht (V. 14).
  • Wir selbst haben einen erneuerten Geist, der nicht ein Geist der Knechtschaft zur Furcht ist, sondern ein Geist der Sohnschaft. So haben wir freien Zugang zu Gott, der unser Vater geworden ist (V. 15).
  • Unser Lebensweg wird einmal in der Herrlichkeit des Himmels enden. Dann sind wir endgültig befreit, auch von der heute noch in uns wohnenden Sünde, von der alten und sündigen Natur (dem Fleisch) und sogar von den Schwachheiten unseres Körpers (V. 11.17b).

 

 



[1]     Das Wort „Fleisch“ hat im Neuen Testament verschiedene Bedeutungen. Einige werden nachstehend genannt. Das Fleisch ist (1) der Stoff, aus dem unser Körper besteht (Lk 24,39). Es ist (2) unser menschlicher Körper (Gal 4,13), den wir Gott oder der Sünde zur Verfügung stellen können und es ist (3) unsere menschliche Natur (neutral, nicht böse!) mit ihren Beziehungen (Joh 1,13). Dann ist es auch (4) unsere durch die Sünde verdorbene Natur (Röm 8,3) sowie (5) der Zustand des nicht erlösten Menschen vor Gott (Röm 7,5). In diesem Zustand ist der Glaubende nicht mehr!
[2]     Auch das Wort „Gesetz“ hat verschiedene Bedeutungen. In Römer 7 begegnet uns das Gesetz ganz allgemein (Kap. 7,1), das Gesetz des Alten Testaments (Kap. 7,4). In Römer 8,2 wird das Wort im Sinn einer Gesetzmäßigkeit (wie ein „Naturgesetz“) gebraucht, in Römer 8,3 ist wieder das Gesetz des Alten Testaments gemeint.