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Patientenverfügung

Liebe Redaktion,
wir haben eine Frage. Wie denkt ihr darüber, wenn wir Christen uns eine Patientenverfügung schreiben? Ist das ein Eingreifen in die Wege des Herrn? Weil man seinen Todeszeitpunkt somit bestimmen kann.
Vielen Dank!

Liebe S.,

herzlichen Dank für deine Frage. Ich finde es sehr gut, wenn ihr euch Gedanken macht, inwiefern wir durch unser Handeln in die Wege Gottes eingreifen.

Sinn von Patientenverfügungen

Im Blick auf eure Frage gilt es zunächst zu klären, was der Sinn einer Patientenverfügung ist. Für jeden von uns kann der Zeitpunkt kommen, wenn der Herr Jesus noch nicht gekommen ist, um uns in den Himmel zu holen, dass wir durch Alter oder Krankheit nicht mehr in der Lage sind, unseren persönlichen Willen (wirksam) zu formulieren. Es geht also um Situationen, in denen wir in einem Koma liegen, unser Hirn zum Beispiel durch einen Unfall derart geschädigt ist, dass wir unseren Willen nicht mehr verständlich machen können, oder dass wir durch Demenz keine nachvollziehbaren willentlichen Äußerungen mehr tun können. Was sollen die Ärzte dann tun, wenn es um Entscheidungen zu lebensverlängernden Maßnahmen geht?

Medizinische Lebensentscheidungen ...

Eine Entscheidung muss in dieser Situation immer getroffen werden: Entweder liegt eine Patientenverfügung vor, in der konkret die dann eingetroffene Problematik abgedeckt wird, oder die Ärzte müssen nach den gesetzlichen Vorschriften handeln, die für sie grundsätzlich bedeuten, lebensverlängernde bzw. -bewahrende Behandlungsformen vorzunehmen.

Wenn es einmal dazu kommt, dass nicht in einem akuten Notfall kurzfristig zu entscheiden ist, was zu tun ist, so liegt diese Entscheidung entweder bei demjenigen, den der Patient mit einer Vorsorgevollmacht ausgestattet hat, oder – wenn keine solche Vollmacht ausgestellt worden ist – bei dem vom Betreuungsgericht bestimmten gesetzlichen Betreuer. Dann ist es möglich, dass wir Christen es mit ungläubigen Personen zu tun haben, die eine entsprechende Entscheidung treffen werden. Zunächst wird auch vonseiten des Betreuungsgerichts innerhalb der direkten Verwandtschaft des Betroffenen Ausschau nach einem Betreuer gehalten. Wenn es jedoch aus diesem Umfeld niemand in der Nähe gibt, werden „Fremde“ dafür gewählt. Zwar ist davon auszugehen, dass auch diese Betreuer die Familien anhören werden. Entscheiden allerdings wird dann der gesetzlich bestellte Betreuer, ob zum Beispiel Maschinen abgeschaltet werden sollen, die das Funktionieren der Organe gewährleisten, auch wenn keine Hoffnung auf Besserung mehr besteht.

Dieses Beispiel zeigt, dass der Verzicht auf eine Patientenverfügung vielleicht dazu führt, dass ich selbst keine Entscheidung zu treffen habe. Aber es kommt dann trotzdem irgendjemand in die Situation, das tun zu müssen – an meiner Statt, möglicherweise jemand, der gar nicht in meinem Sinn entscheiden würde, oder jemand, der dann für mich in eine solch gravierende Zwangslage kommt. Insofern veranlasse ich durch den Verzicht auf eine solche Patientenverfügung lediglich, dass jemand anderes in diese Zwangssituation kommt. Ist das ihm gegenüber fair? Andererseits dürfen wir Gott vertrauen, dass Er genau in dem Moment, in dem jemand Entscheidungen zu treffen hat, die Klarheit dafür gibt. Er weiß besser als wir, was uns erwartet und was dann zu entscheiden ist. Man kann ja gar nicht für alle Eventualitäten Lösungen vorsehen.

Eine vernünftige und sinnvolle Verfügung ist vielleicht die Anfang 2011 herausgegebene „Christliche Patientenvorsorge“1 mit folgendem Wortlaut: „Für den Fall, dass ich meinen Willen nicht mehr bilden oder äußern kann und ich mich entweder aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess oder im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, verfüge ich durch Ankreuzen Folgendes: ….“ Verantwortliche Mediziner, die mit solchen Fällen zu tun haben, sagen allerdings, dass man in aller Regel gar nicht ausreichend konkret werden kann, um jeden möglichen Fall im Vorhinein abzudecken. Das aber ist nötig, damit eine Patientenverfügung auch anwendbar wird. Für jemanden, der nach einem Schlaganfall eine hochgradige Halbseitenlähmung mit Schluckund Sprechstörung hat, gilt sie z.B. schon mal nicht ... Aber es müssen trotzdem Entscheidungen zur künstlichen Ernährungsform, etc. getroffen werden. In Entscheidungssituationen ist so eine Patientenverfügung dann höchstens ein Leitfaden. Für Entscheidungen braucht man aber doch wieder einen Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten.

Die schwierigen Situationen sind meist nicht die, in denen sich jemand in einem unabwendbaren Sterbeprozess befindet oder im Endstadium einer tödlichen Erkrankung ist – dann ist meist schon aus ärztlicher Sicht klar, dass man nur noch Leiden lindern kann, aber nicht mehr lebensverlängernd oder -erhaltend eingreift. Schwierig sind die Situationen kurz davor, oder wenn man nicht weiß, ob jemand stirbt oder vielleicht noch länger leben wird. Wenn beispielsweise jemand eine sehr schwere, bleibende Hirnschädigung hat und man entscheiden muss, wie weit man in der Therapie geht, ob man alle Möglichkeiten inklusive aller „Maschinen“, Operationen, etc. ausnutzen soll, oder einfach den natürlichen Verlauf abwarten und die Sache Gott überlassen soll. Was ist da der richtige Weg? Greift man in die Wege Gottes ein, wenn man versucht, den Tod um jeden Preis aufzuhalten? Oder sollte man alles ausschöpfen, so gering die Chancen auch sind? Das sind die schwierigen Entscheidungen, die man oft gar nicht vorher festlegen kann.

... einen Vorsorgebevollmächtigten benennen ...

Das alles zeigt, dass man vor allem für solche Fälle eine Vertrauensperson als Vorsorgebevollmächtigten benennen und eine Betreuungsverfügung unterzeichnen sollte (Vorsorgevollmacht). Allen weitergehenden Texten, die heute öfter verwandt werden, wie z.B. dem Wunsch nach Beendigung aller Maßnahmen bei irreversibler Hirnschädigung, sollte man kritisch gegenüber stehen. Denn niemand weiß, wie er wirklich nach einem Schlaganfall entscheiden würde. Auch ein Weiterleben mit Behinderung kann von Gott gewollt und zum Segen sein. Hier sollte man Gottes Führung nicht vorgreifen.

Wenn man sich mit dem Thema befasst, sollte man sich vorher mit einem nahen Angehörigen oder einer Vertrauensperson darüber unterhalten, wie man zu medizinischen Eingriffen und lebensverlängernden Maßnahmen steht und am besten vorher eine Vorsorgevollmacht ausstellen (z. B. auf den Ehepartner...). Wenn der Vorsorgebevollmächtigte ein Christ ist, der einen kennt und von dem man weiß, dass er Entscheidungen unter Gebet trifft, ist dies sicherlich der beste Weg. Man kann die Patientenverfügung übrigens auch noch in einem ganz anderen Sinn einsetzen: Wenn man einen Behandlungsverlauf festlegt, der für ungläubige Menschen vielleicht seltsam erscheinen mag, dann sollte man die eigene Überzeugung begründen. So kann man auch Zeugnis für den praktischen Glauben an den Herrn Jesus ablegen. Dadurch wird später ein Arzt oder Betreuungsteam ein Glaubenszeugnis lesen, das zum persönlichen Glauben an den Herrn Jesus führen kann.

... bei eigener Willensfähigkeit

Nun kann es vorkommen, dass ich Entscheidungen über eine Behandlung treffen muss, welche (unter menschlichen Gesichtspunkten) die Länge meines Lebens beeinflusst. Nehmen wir an, ich bekomme Krebs und erfahre, dass dieser sehr weit fortgeschritten ist. Mediziner empfehlen mir, eine Operation mit anschließender Chemotherapie geschehen zu lassen, wobei dann noch zu einer Bestrahlung geraten wird. Die Heilungschancen liegen – statistisch – bei einer OP zusammen mit einer Chemotherapie bei 20%, in Verbindung mit einer anschließenden Bestrahlung bei 25%. Hier muss der Patient ebenfalls entscheiden, was er tun kann. Ist es ein Eingreifen in Gottes Wege, wenn man die Operation usw. in Anspruch nimmt? Kommt denn nicht die Erkrankung von Gott, zumindest durch Zulassung Gottes? Oder ist es ein Eingreifen in Gottes Wege, wenn ich die Operation nicht durchführen lasse, obwohl es diese Heilungsmöglichkeiten gibt? Denn wir dürfen doch durch die Erwähnung des „geliebten Arztes“ (Kol 4,14) darauf schließen, dass wir uns dem Rat von Ärzten anschließen dürfen, wenn sie uns einen nachvollziehbaren Behandlungsweg vorschlagen.

Macht es einen Unterschied, ob ich 35-jähriger Ehemann und Vater von vier Kindern bin, oder ob ich 68-jährig bin und keine Kinder mehr zu Hause habe? Als 35-Jähriger könnte ich bei Heilung weiter die so wichtige Aufgabe als Ehemann und Vater übernehmen. Aber ich könnte genauso gut nach einer schwierigen Herzoperation dahinsiechen und allen zu einer doppelten Last werden.

Das alles zeigt, dass es sich hier um derart persönliche Entscheidungen handelt, dass man diese Frage jedem selbst überlassen sollte. Wir sollten das alles aber immer unter Gebet tun – so oder so. Und wir dürfen auch den Rat geistlicher Geschwister annehmen, die uns gerade dann, wenn wir uns in schwierigen Umständen befinden (durch Krankheit oder seelischen Schwankungen), eine Hilfe sein können.

Gnade zur rechten Zeit

Dasselbe, so habe ich den Eindruck, gilt auch für Patientenverfügungen. Natürlich mag man argumentieren, dass Gott immer dann, wenn man in einer schwierigen Situation ist, die Gnade und Führung gibt, die man dann nötig hat (vgl. Mk 13,11). Andererseits finden wir in der Schrift auch, dass in einem rechten Maß Dinge vorher geplant werden dürfen (vgl. Röm 15,22 ff.; Jak 4,15). So gilt auch hier: Was für mich passend sein mag, muss nicht zugleich der Weg für meine Schwester oder meinen Bruder sein.

Medizin zur rechten Zeit

Paulus forderte Timotheus auf, Medizin zu nehmen (1. Tim 5,23) – das war allerdings keine lebensbedrohliche Krankheit. Trophimus wiederum ließ er in Milet krank zurück (2. Tim 4,20), ohne dass wir etwas von Behandlungen lesen. Und Epaphroditus war sogar dem Tod nahe durch eine Krankheit (Phil 2,26.27) – kein Lukas konnte helfen, sondern Gott griff in wunderbarer Weise ein.

Technische Möglichkeiten

Die technische Weiterentwicklung hat dazu geführt, dass Mediziner heute in vielen Fällen helfen können, in denen vor Jahren der kurzfristige Tod unausweichlich war. Aber nicht immer ist das, was technisch möglich ist, auch ethisch und moralisch der richtige Weg. Aber darüber kann man nicht pauschal entscheiden. Jeder lebt vor und hoffentlich mit seinem Herrn.

Man sollte zum Beispiel nicht den falschen Schluss ziehen, dass jemand, der sich im Wachkoma befindet und keine direkten Reaktionen mehr zeigen kann, empfindungslos ist. Manche Patienten haben im Nachhinein deutlich gemacht, dass sie in ihrer Gegenwart gesungene Lieder, gesprochene Gebete und liebevolle Zuwendungen durchaus empfunden haben, auch wenn sie das nicht artikulieren konnten. Der Geist (und die Seele) haben in einem Wachkoma den Körper eben noch nicht verlassen.

Da es für uns Christen nicht darum gehen kann, eine (aktive) Sterbehilfe zu erwirken, die bis heute in Deutschland ohnehin untersagt ist, kann man nicht von einem Eingreifen in die Wege Gottes sprechen. Darum geht es in der Patientenverfügung nicht. Aktive Sterbehilfe wäre in der Tat Sünde.

Persönliche Entscheidungen

Mit dieser Antwort wirst du kein „ja“ oder „nein“ zur Patientenverfügung erhalten. Ich hoffe, dass sie dir/euch trotzdem oder gerade deswegen einen Anstoß geben kann, diese Frage ins Gebet zu bringen. Ich glaube, das ist der richtige „Ort“, um für sich selbst zu einer Entscheidung zu kommen.

Fußnoten

1 zu finden unter: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/44430. Diese christliche Patientenverfügung soll besonders christlichen Überzeugungen und Wünschen Rechnung tragen.