Bibel praktisch

Gideon

Eine ernste Lage

Seit ungefähr sieben Jahren litten die Israeliten unter der Herrschaft der Midianiter, die in Israel einmarschiert waren.In riesigen Scharen kamen sie mit ihren Tieren und verdarben die Ernte, so dass in Israel keine Lebensmittel übrig blieben. Die Folge war eine große Armut und Schwachheit unter dem Volk Gottes. Von Helden keine Spur. Aus alledem hatte man den Eindruck, als hätte der Herr sein Volk verworfen.

Gideon sucht einen Ausweg

Was kann man in einer solch ausweglosen Situation tun? Eins auf jeden Fall: Zu dem Herrn um Rettung schreien. Und das hatte das Volk auch getan (V. 6). Zweifellos war Gideon auch dabei gewesen. Aber damit allein gibt er sich nicht zufrieden. Er klagt nicht nur, sondern er sucht jetzt auch eine Möglichkeit, etwas von der Ernte in Sicherheit zu bringen, um sich und seine Familie am Leben zu erhalten. Er schafft es, Weizen aufzuheben und bringt diesen in die Kelter. Sehr ungewöhnlich! Denn dort wurden normalerweise Trauben und Obst zu Wein und Saft gepresst. Der Weizen wurde üblicherweise auf einer Tenne ausgeschlagen. Das war damals meist eine Erhebung, und dort blies der Wind, so dass sich die Spreu von dem Korn leicht trennen ließ. Doch dahin wagte sich Gideon nicht. Er hätte ja entdeckt werden können. In der Kelter dagegen, die damals meist eine Vertiefung war, fühlte sich Gideon sicher. Hier arbeitete er nun. Aber reichte das schon aus, um Held genannt zu werden?

Gideon ein Glaubensheld

Die bekannte Heldentat Gideons kommt später, als er mit 300 Soldaten ein Heer von 135.000 Soldaten angriff und es (dann mit Verstärkung) besiegte. Darauf bezieht sich der Brief an die Hebräer, wenn er Gideon und andere Glaubenshelden erwähnt, „die durch Glauben Königreiche bezwangen … aus der Schwachheit Kraft gewannen, im Kampf stark wurden“ (Kap. 11,33.34). Hatte der Engel dieses zukünftige Ereignis schon vor Augen, als er in seinem Gruß sagte: „Der Herr ist mit dir, du tapferer Held!“? Mag sein. Aber in einem gewissen Maß muss er schon in der Kelter ein tapferer Held gewesen sein. Glaubensheld wird man schließlich nicht von jetzt auf gleich, und Heldentaten haben immer eine Vorgeschichte. Damit meine ich nicht den langen Prozess, den Gideon durchmachte, bis er das geeignete Werkzeug für den Herrn war. Nein, der Engel traf Gideon in der Kelter bereits als Held an. Sonst hätte er ihn so nicht ansprechen können. Zudem betont er gleich im Anschluss die Kraft Gideons: „Geh hin in dieser deiner Kraft“ (Ri 6,14). – Aber was hatte Gideon zum (Glaubens-) Helden qualifiziert?

K ennzeichen von Glaubens helden

Gideon weist sich durch vier Merkmale aus:

  • a) Er ist demütig. Er denkt nicht an sich. Die persönliche Anrede des Engels: „… mit dir … du“ erwidert Gideon mit „uns“. Und auf den „tapferen Held“ geht er in seiner Antwort gar nicht ein. Hätte er viel von sich gehalten, hätte er ganz anders reagiert. Nein, er hält sich für ganz unwichtig.
  • b) Er macht sich eins mit seinem Volk. War Gideon nicht vielleicht doch etwas besser als das übrige Volk? Die meisten seiner Volksgenossen dienten den Götzen, den kanaanitischen Göttern. Selbst sein Vater hatte einen Baalsaltar und eine Aschera 1 (Kap. 6,25). Gideon hatte da anscheinend nicht mitgemacht. Er war gedanklich bei dem wahren Gott, dem Herrn, und seinem Tun (vgl. V. 13). Dennoch zeigt er nicht mit seinem Finger auf die anderen, sondern macht sich eins mit ihnen. Ihre Sünde war auch seine Sünde; ihr Schicksal war sein Schicksal. Diese Einstellung haben alle Glaubenshelden. Sie gefällt Gott sehr gut.
  • c) Er sieht in allem das Handeln Gottes. Die Israeliten schrieen zu dem Herrn wegen Midian (V. 7). Sie sehnten sich Befreiung von diesem Feind, dachten aber über die Ursache der Misslage nicht nach. Gideon machte es anders: Er sieht ganz deutlich, dass es nicht zuerst um die Feinde geht. Er nimmt das Unheil aus der Hand des Herrn an. Gott war der Handelnde. Er hatte sein Volk „verlassen und sie in die Hand Midians gegeben“ (V. 13b). Das war echter Glaube. Gideon ließ sich nicht von dem Sichtbaren leiten, sondern sah „den Unsichtbaren“ (Heb 11,27).
  • d) Er lässt sich nicht von dem Feind erdrücken: Er „kämpft“ um Speise. Die Sache mit dem Weizen in der Kelter scheint auf den ersten Blick keine besondere Heldentat zu sein. Sie erhält allerdings sofort eine andere Gewichtung, wenn man die typologische (bildhafte) Bedeutung von Midian berücksichtigt. Ein Ausleger schreibt dazu: „Die Midianiter sind ein treffendes Bild von irdischen Dingen. Sie raubten den Israeliten die Freude an ihrem von Gott empfangenen Erbteil, so dass Not und Elend Einzug in ihr Leben hielten. Das ist genau das, was irdische Dinge bei einem Gläubigen bewirken, wenn er von ihnen beherrscht wird.“ 2

Gideon bleibt hartnäckig: Er lässt sich den Segen nicht rauben. Deshalb ist er ein Held. Wie wir das auf uns anwenden können, wollen wir noch etwas vertiefen.

M idian nicht nur damals ein Feind

Das Irdische – ist das nicht einer der größten Feinde in unserem Leben? – Aber was ist daran so schlimm? Irdische Dinge sind doch nicht böse und somit auch nicht „verboten“, oder? Das ist einerseits wahr. Denn einen großen Teil unseres Lebens müssen wir mit irdischen Dingen verbringen. Dabei geht es um unsere Pflichten in Familie, Schule, Ausbildung und Beruf. Auch der körperliche und mentale Ausgleich wie Sport und Spiel gehören dazu. Aber wenn wir andererseits anfangen würden, nach irdischen Dingen zu trachten, wenn die irdischen Dinge uns beherrschen würden, dann wären wir auf einem falschen Weg und würden uns nicht von der Welt unterscheiden: „Denn nach all diesem trachten die Nationen“ (Mt 6,32a).

Wer sich trotz aller irdischen Belange regelmäßig Zeit nimmt und die Bibel liest, um geistlich gesegnet zu werden, kann schon „Held“ genannt werden. Und wer darüber hinaus vor lauter irdischen Verpflichtungen eigentlich gar keine Zeit übrig hat, sich diese aber dennoch nimmt, und sich mit Mühe in das Wort Gottes vertieft (= Weizen ausschlägt), ist ein tapferer Held.

Helden gesucht

Vielleicht bist du schon ein (tapferer) Held. Dann mach weiter so. Früher oder später hat der Herr auch eine Aufgabe für dich: Hilf anderen, sich von „Midian“ (= dem Irdischen) nicht beherrschen zu lassen. Dann wirst du weitere Helden hinzugewinnen – zum Segen für Gottes Volk.

Hartmut

 

1 Zu Ehren der Astoret (weibl. Gottheit der Kanaaniter) in die Erde gesetzter Baumstamm mit Zweigen, aber ohne Wurzeln, der oft neben den Altären des Baal aufgerichtet wurde (Worterklärung Elberfelder Bibel, CSV 2003).

2 J.T. Mawson: Überwinden … aber wie? TELOS 1980, S. 66.

Andere Ausleger sehen in Midian „die Welt“. In gewisser Hinsicht liegen „irdisch“ und „weltlich“ nicht weit auseinander (vgl. 1. Kor 7,34b). Interessant ist jedenfalls, dass Gideons Geschichte einige Parallelen zum Neuen Testaments aufweist, vgl. Ri 6,3-6 mit Lk 8,14 und Kap. 7,5-7 mit 2. Tim 2,4.