Bibelstudium

Die Klagelieder

Die Klagelieder Jeremias drücken den Schmerz des Volkes Israel wegen der Zerstörung Jerusalems und des Reiches Juda aus. Die Last der Fremdherrschaft, der Hunger, die harte Arbeit, die Trauer um Verstorbene, all das bewegte das Volk. Und sicherlich auch die Frage, warum Gott sie voller Zorn gerichtet hatte. Damit die Klage des Volkes nicht in einer Anklage Gottes endete, leitete der Prophet Jeremia Israel in der Klage an. Aber nicht allein das

Einleitung

Jeremia möchte dem Schmerz des Volkes Worte verleihen und sie zu einer angemessenen Klage führen, um das Gericht richtig zu deuten und die Krise zu überwinden. Dazu zählt, dass die ganze Not vor Gott ausgesprochen wird, aber auch, dass die Schuld benannt und vor Gott bekannt wird. Die Israeliten müssen erkennen, dass die Ursache für das Gericht ihre eigenen Sünden sind. Indem sie das bekennen, rechtfertigen sie Gott in seinem richterlichen Handeln (vgl. Kap. 1,18). Gott ist gerecht, und Er ist treu. Weil seine Erbarmungen alle Morgen neu sind, kann das Volk ermutigt werden, um Wiederherstellung zu bitten.

Bevor ein Bibeltext praktisch angewandt oder prophetisch bzw. vorbildlich ausgelegt wird, ist es wichtig, die historische Bedeutung kennen zu lernen. Dazu dient dieser inhaltliche Überblick. Dabei stelle ich jedes Kapitel abschnittsweise vor. Der erste Vers der einzelnen Kapitel wird immer etwas ausführlicher kommentiert, weil er in das Thema des jeweiligen Kapitels einführt.

Kapiteleinteilung

Kapitel Überschrift Kapitelanfang
1 Der elende Zustand der Stadt Jerusalem Wie sitzt einsam die volkreiche Stadt …
2 Gottes Zorn über Jerusalem Wie umwölkt der Herr in seinem Zorn die Tochter Zion!
3 Das Leid des Propheten Ich bin der Mann, der Elend gesehen hat …
4 Gewichene Herrlichkeit Wie wurde verdunkelt das Gold …
5 Gebet der Hoffnung Gedenke, Herr, dessen, was uns geschehen ist!

Das erste Klagelied Der elende Zustand der Stadt Jerusalem

Im ersten Kapitel wird das Elend Jerusalems von außen (V. 1-11) und von innen (V. 12-22) beschrieben.

Vers 1

Das Buch Klagelieder beginnt mit einem Klageschrei, der mit „wie“ oder „ach“ wiedergegeben werden kann. So übersetzt zum Beispiel Hermann Menge: „Ach, wie liegt sie doch (jetzt) so einsam da, die (einst) volkreiche Stadt!“ Die Übersetzung Menges macht die Ursache der Klage deutlich: In der Geschichte Jerusalems gibt es ein „einst“ und ein „jetzt“. Die früher so bedeutsame Stadt ist in einen beklagenswerten, elenden Zustand geraten. Diese negative Veränderung wird durch drei Gegensatzpaare verdeutlicht (einsam/volkreich; Witwe/Große unter den Nationen; Fürstin/ fronpflichtig). Die Stadt war früher volkreich und ist jetzt einsam geworden; sie war die Große unter den Nationen und ist so schutzlos und hilfsbedürftig wie eine Witwe geworden; sie konnte einst wie eine Fürstin Tribut einfordern und ist nun selbst fronpflichtig und muss den Babyloniern dienen.

Klage über Jerusalem (V. 1-11)

Die ersten elf Verse von Kapitel 1 sind eine Klage des Propheten über Jerusalem. Wie ein Kommentator oder Berichterstatter beschreibt der Verfasser in Einzelheiten den elenden Zustand Jerusalems. Diese Außenperspektive wird nur in den Versen 9 und 11 unterbrochen, in denen sich die Stadt direkt an den Herrn wendet („Siehe, Herr, …“). Die Stadt ist völlig dem Handeln des Feindes ausgeliefert. Ein Überblick über den Zustand der Bevölkerung Jerusalems ergibt ein verheerendes Bild: Ein Großteil der Bevölkerung ist nicht mehr da, weil die Bewohner entweder im Kampf gegen die Babylonier gefallen oder durch die Folgen der Belagerung umgekommen sind.

Dann sind viele gewaltsam deportiert worden. Diejenigen, die noch in der Stadt leben, leiden unter der babylonischen Fremdherrschaft. Dieses Leiden umfasst nicht nur körperliche Strapazen durch Hunger und harte Arbeit, sondern auch das Empfinden, einsam und entehrt zu sein. Mit der Zerstörung des Tempels hat das jüdische Volk zudem sein „religiöses“ Zentrum verloren und die damit verbundenen Opfer und Feste (V. 4). Immer wieder flicht der Prophet den Grund für diese Katastrophe ein: „Der Herr hat sie betrübt wegen der Menge ihrer Übertretungen“ (V. 5) und „Jerusalem hat schwer gesündigt“ (V. 8). In dieser Not wendet sich Jerusalem an den Herrn, jedoch ohne ein Schuldbekenntnis zu formulieren (V. 9.11).

Klage von Jerusalem (V. 12-22)

In der zweiten Hälfte von Kapitel 1 spricht Jerusalem von sich in der ersten Person, es ist eine Klage von Jerusalem (mit Ausnahme von V. 17). Die Stadt fordert Vorübergehende dazu auf, ihren Schmerz anzuschauen (V. 12; vgl. auch V. 18), und beschreibt dann, wie sie Gottes Gericht empfindet. Mit verschiedenen Bildern wird das Gericht Gottes in den Versen 13-15 veranschaulicht. Es ist wie ein Feuer aus der Höhe, wie ein Jäger, der ein Netz ausbreitet, eine Wüste, ein Joch, ein Fest für die Feinde und wie das Treten der Kelter. In den Versen 18 und 20 kommt der Stadt ein erstes Bekenntnis über die Lippen, indem sie ihre Trotzigkeit eingesteht und zugibt, dass Gott gerecht ist. Der vorletzte Vers nennt nochmal ein Leitmotiv des ersten Kapitels: „Ich habe niemand, der mich tröstet!“ (vgl. V. 2.9.16.17.21). Das Kapitel endet mit einer Bitte um Vergeltung (V. 21.22). Jerusalems Hoffnung ist, dass Gott die Gegner für ihre Feindschaft bestrafen wird.

Das zweite Klagelied Gottes Zorn über Jerusalem

In dem zweiten Klagelied liegt der Schwerpunkt auf Gottes Zorn. Es ist der Herr, der seine Stadt schlägt. Es ist bemerkenswert, dass die Eroberungsmacht Babel oder deren König Nebukadnezar keinmal in den Klageliedern namentlich erwähnt wird. Die Verse 1-10 beschreiben Gottes Gerichtshandeln, es folgt eine Darstellung von Jeremias Trauer (V. 11-19) und eine Klage Jerusalems (V. 20-22).

Vers 1

Auch das zweite Klagelied beginnt mit dem Klageruf „Wie“ oder „Ach“. In diesem Kapitel wird der Zorn Gottes betont, der im ersten Vers gleich zweimal genannt wird („in seinem Zorn“ und „am Tag seines Zorns“). Der Herr umwölkt Jerusalem und hüllt sich selbst in eine Wolke (Kap. 3,44). So ist kein Kontakt, keine Gemeinschaft möglich zwischen Ihm und seinem Volk. Kein Gebet dringt mehr zu Ihm durch. Mit dem „Schemel seiner Füße“ ist wahrscheinlich die Bundeslade gemeint (vgl. Ps 99,1.5; 132,7) oder in einem weiteren Sinn der Tempel, in dem die Lade stand. Dass Er des „Schemels seiner Füße“ nicht gedacht hat, wird in den Versen 6 und 7 deutlich, in denen gezeigt wird, dass der Herr dem ganzen Gottesdienst in Israel ein Ende gesetzt hat. Jerusalem ist schwer gedemütigt worden, da der Herr die Herrlichkeit Israels vom Himmel zur Erde geworfen hat. Nichts ist mehr übrig geblieben von der alten Größe Jerusalems, von der man früher anerkennend sagte, dass diese Stadt der Schönheit Vollendung sei (Kap. 2,15). Der „Tag seines Zorns“ erinnert daran, dass Gott Gerichtstage bestimmt, die Er nach seinem Plan durchführt (vgl. V. 17 u. Apg 17,31).

Gottes Gerichtshandeln (V. 1-10)

Der Herr wird in diesem Abschnitt im Bild eines Feindes beschrieben, „er ist wie ein Feind geworden“ (V. 5). Mit verschiedenen Verben wird Gottes Gerichtshandeln geschildert, wie zum Beispiel „vernichten“, „verschlingen“, „zerwühlen“ oder „niederreißen“. In den Versen 6 und 7 wird besonders deutlich, dass Gott das schlägt, was Ihm selbst so wertvoll ist. Es ist sein Gehege (Tempel), der Ort seiner Festversammlung, sein Altar, sein Heiligtum und es ist auch sein Volk. Der Herr konnte es nicht länger dulden, dass in Verbindung mit seinem Namen so viel Unrecht geschah. Gott zerstört damit die Illusion seines Volkes, dass Er sich mit der nur äußeren Einhaltung von Geboten zufrieden geben würde und dass Er das, was nach seinem Namen genannt ist, nicht zerstören würde (vgl. Gottes deutliche Warnung in Jer 7,1-15).

Jeremias Trauer (V. 11-19)

In seiner Trauer um Jerusalem ringt der Prophet nach Worten. Als Vergleich für das Ausmaß der Zerstörung fällt ihm nur noch das Meer ein: „Deine Zertrümmerung ist groß wie das Meer“ (V. 13). Einen großen Anteil an diesem Gericht haben die Lügenpropheten, die lieber dem Volk schmeichelten, anstatt es aufrichtig vor dem kommenden Zorn Gottes zu warnen. Angesichts der großen Not und der Frage, wer hier noch helfen kann (V. 13), fordert Jeremia dazu auf, die ganze Not vor Gott zu bringen.

Klage Jerusalems (V. 20-22)

Zum vierten Mal (vgl. Kap. 1,9.11.20) wendet sich Jerusalem an den Herrn: „Sieh, Herr, und schau, wem du so getan hast!“ (V. 20). Die Einwohner Jerusalems legen dem Herrn ihre Fragen vor und erkennen an, dass sie nicht von einem unglücklichen „Schicksalsschlag“ getroffen wurden, sondern dass der Herr das Gericht ausgeführt hat. Für Jerusalem gibt es aber noch weitere Lektionen zu lernen.

Das dritte Klagelied Das Leid des Propheten

Der Prophet Jeremia teilt im ersten Abschnitt des dritten Klagelieds mit, wie er das furchtbare Leiden empfindet (V. 1-18). Und obwohl er das ganze Gewicht der Not spürt, beruft er sich auf Gottes Treue (V. 19-24). Dadurch, dass er vom Elend wegblickt und auf Gott schaut, kann er das Leid, welches das ganze Volk getroffen hat, richtig bewerten (V. 25-39). Im letzten Abschnitt fordert Jeremia die Israeliten zur Umkehr auf. Gemeinsam bekennen sie Gott ihre Untreue und bringen ihr Leid vor Gott (V. 40-47). Durch das Erzählen von persönlichen Erfahrungen mit Leiden, versucht Jeremia das Volk zu ermutigen, auf Gott zu vertrauen (V. 48-66).

Vers 1

Die Worte „Ich bin der Mann“ leiten den Abschnitt ein, der beschreibt wie Gottes Zorn persönlich empfunden wird. Es gibt verschiedene Vermutungen, wer sich hinter diesem „ich“ verbirgt. Gut nachvollziehbar ist, dass Jeremia hier seine eigenen Empfindungen beschreibt, die größtenteils mit denen des Volkes übereinstimmen. Er teilt die Not mit seinem Volk. Dabei gehen seine schmerzvollen Empfindungen aber über die Empfindungen des Volkes hinaus, da er zusätzlich dem Spott des Volkes ausgesetzt war (V. 14) und als ein Prophet Gottes tiefere Einsichten in Israels Schuld und Gottes Zorn hatte.

Jeremias Leiden (V. 1-18)

Die Verse zeigen das körperliche und seelische Leiden Jeremias, der sich als Zielscheibe sieht, auf die Gott mit seinen „Gerichtspfeilen“ schießt. Wie in Kapitel 2 wird hervorgehoben, dass es der Herr ist, der das Gericht ausführt. Aber hier wendet Er sich gegen einen Einzelnen. Die Qualen werden bildreich beschrieben und sie führen zu der resignierenden Aussage: „Dahin ist meine Lebenskraft und meine Hoffnung auf den Herrn“ (V. 18).

Hoffnung im Leid (V. 19-24)

In Vers 21 setzt sich Jeremia einen Gedankenstopp, indem er sich bewusst dafür entscheidet, auf Gottes Güte, sein Erbarmen und seine Treue zu hoffen. Und während er diese Eigenschaften nennt, spricht er ganz unvermittelt den Herrn selbst an: „Deine Treue ist groß.“ (V. 22) Gott hat sein Volk hart bestraft, in seiner Güte hat Er es aber nicht ausgelöscht. Er ist seinem Bund treu, sowohl in seinem Gerichtshandeln, als auch in seinem weiteren Weg mit Israel.

Die Bedeutung von Leid (V. 25-39)

Die bewusste Hinwendung zu Gott in den vorangegangenen Versen ist die Voraussetzung, um jetzt in der richtigen Art und Weise über das Leid nachzudenken. Die Frage nach dem Sinn von Leid oder genauer, warum Gott Leid zulässt oder bewirkt, hat schon viele beschäftigt. In den folgenden Versen werden einige wichtige Punkte zu diesem Thema genannt: Der Herr ist gütig gegen den, der sich auf Ihn stützt (siehe Jeremia); Erduldung von Leid („Stillhalten“) bringt Ausharren hervor; das Leid ist von Gott abgemessen („nicht auf ewig“); Gott betrübt nicht „von Herzen“; Ihm entgeht kein Unrecht; auch das Gericht kommt von Gott; das Leid war hier die Folge von Sünde, und Leid hat in diesem Fall ein konkretes Ziel: Gottes Volk soll wieder zu Ihm umkehren (vgl. V. 40 und Kap. 5,21: „Herr, bring uns zu dir zurück …“).

Gemeinsame und persönliche Klagen (V. 40-66)

Jeremia fordert das Volk zur Umkehr auf und gemeinsam bekennen sie: „Wir sind abgefallen und sind widerspenstig gewesen“ (V. 42) und tragen Gott ihre Not nochmal vor (V. 43-47). In seinem Dienst hat Jeremia sehr viel Widerstand erlebt. Diese Erfahrungen kann er dem Volk als ein Beispiel vorstellen, um zu zeigen, dass Gott aus tiefer Not retten kann und dass die Vergeltung in seiner Hand ist (V. 48-66).

Das vierte Klagelied Gewichene Herrlichkeit

Das vierte Klagelied stellt die Veränderung Jerusalems vor. Die Situation vor und nach der Eroberung – vom Glanz zum Elend –, wird im ersten Abschnitt beschrieben (V. 1-11). Die Gründe für die babylonische Eroberung werden im zweiten Abschnitt erörtert (V. 12-20). Die beiden letzten Verse beinhalten einen erfreulichen Ausblick für Jerusalem und eine Unheilsankündigung für Edom (V. 21.22).

Vers 1

Der Grund für den schon bekannten Klageruf „wie“ liegt in diesem Vers in der beschämenden Veränderung Jerusalems: Gutes, feines Gold wurde verdunkelt und wertvolle Steine wurden wertlos. Der zweite Vers wendet diese Veränderung auf die Einwohner Jerusalems an, denn Gottes kostbares Volk (aufgewogen mit Gold) ist wertlos geworden (wie Tonkrüge).

Vom Glanz zum Elend (V. 1-11)

Die vergangene Schönheit und Pracht Jerusalems wird in den ersten elf Versen in einem parallelen Aufbau gezeigt.

 

Paralleler Aufbau von Kap. 4,1-11

V. 1.2 Die Kinder Zions haben ihren Wert verloren (? verdunkelt) V. 7.8 Die Fürsten Zions habe ihren Wert verloren (? verdunkelt)
V. 3-5 Die grausamen Auswirkungen des Hungers V. 9.10 Die grausamen Auswirkungen des Hungers
V. 6 Israels Schuld und Gottes Gericht (im Vergleich zu dem Gericht Sodoms) V. 11 Gottes Gericht

 

Die Gründe für die Eroberung (V. 12-20) Das Unglaubliche ist geschehen, der Feind hat Jerusalem eingenommen (V. 12). Die nachfolgenden Verse nennen einige Gründe für die Eroberung: die Blutschuld der Priester und Propheten (V. 13), das Vertrauen auf menschliche Hilfe, auf Bündnispartner (V. 17), und das Versagen des Königs Zedekia (V. 20). In den Versen 14-16 ist nicht ganz leicht zu bestimmen, wer gemeint ist. Vers 13 erinnert an die Sünden der Priester und Propheten, die die von Gott bevollmächtigten Propheten abgelehnt und ermordet haben. Die folgenden Verse beschreiben das Gericht, dass die Priester und Propheten für ihre Schuld empfangen. Diese Strafe der Blindheit und des Umherirrens wurde schon im Gesetz vorausgesagt (vgl. 5. Mo 28,28.29.65). Buchstäblich blind wurde auch Zedekia, der nach seiner Flucht aus Jerusalem von den Babyloniern ergriffen, geblendet und nach Babel gebracht wurde (2. Kön 25,6.7). Er war kein König, unter dessen Schutz Israel hätte leben können (V. 20).

Heil für Zion, Unheil für Edom (V. 21.22) Der Streit zwischen Israel und seinem Brudervolk Edom hat seine Wurzeln in dem Konflikt zwischen Jakob und Esau. Häufig wird ihre Rivalität im Alten Testament geschildert, mit dem Ausgang, der sich auch hier findet: Israel wird gerettet, Edom gerichtet. Die Edomiter, die jetzt über den Untergang Jerusalems jubeln, werden ironisch aufgefordert sich zu freuen – denn Gottes Gericht wartet auf sie.

Das fünfte Klagelied Gebet der Hoffnung

Die Übriggebliebenen wenden sich mit der Bitte an Gott, ihrer zu gedenken (V. 1-18). In den letzten Versen bittet das Volk um Wiederherstellung. Ihnen ist klar, dass Gott bleibt, sein Thron feststeht, aber es bleibt bis zum Schluss die bange Frage: Rettet Er auch (V. 19-22)?

Vers 1

„Gedenke!“ und „Schau her und sieh!“- mit dieser direkten Ansprache des Herrn beginnt das letzte Kapitel. Schon mehrfach wurde Gott gebeten, auf das Elend zu sehen (Kap. 1,9.11.20; 2,20). Die Hoffnung, die sich hinter diesen Bitten verbirgt, ist die, dass der Herr auf das Elend sieht oder der Not gedenkt und handelt. So wie es der Herr auch mit ihren Vorfahren getan hat, die in Ägypten versklavt waren: „Gesehen habe ich das Elend meines Volkes … und ich bin herabgekommen, um es aus der Hand der Ägypter zu erretten.“ (2. Mo 3,7.8) Die Schmach, auf die der Herr sehen soll, wird in den folgenden Versen nochmal vor Ihm ausgebreitet.

Die Bitte, dass Gott gedenkt (V. 1-18)

In dem kürzesten der fünf Klagelieder schildern die Einwohner Jerusalems ihr Leid, damit Gott ihrer gedenkt. Die Verse 2-10 listen einige als besonders schmerzhaft empfundene Nöte auf: die Fremdherrschaft des Feindes, der Hunger, die Armut und die Trauer um Verstorbene. In den Versen 11-14 werden die Leiden verschiedener Bevölkerungsgruppen aufgeführt (in diesen Versen wechselt das Subjekt von der 1. zur 3. Person Plural, von „wir“ zu „sie“). Die Gruppen sind dabei jeweils paarweise angeordnet: Frauen/Jungfrauen (V. 11), Fürsten/Alte (V. 12), Jünglinge/Knaben (V. 13), Alte/Jünglinge (V. 14). Die Einwohner Jerusalems trauern, denn ihre geliebte Stadt, die „Krone ihres Hauptes“, ist verwüstet (V. 15-18).

Die Bitte um Wiederherstellung (V. 19-22)

Die abschließenden Verse zeigen den Wunsch des Volkes, zum Herrn zurückzukehren, dessen Thron in Ewigkeit feststeht: „Herr, bring uns zu dir zurück, dass wir umkehren!“ (V. 21). Am Schluss bleibt jedoch die Frage, ob Gott sein Volk nicht ganz verworfen habe und die Antwort wird nicht mehr gegeben – die Hinweise auf Gottes Treue in den Klageliedern bewahrheiten sich aber in der weiteren Geschichte Israels. Der Herr führte einen Überrest der 2 Stämme des Südreichs nach der babylonischen Gefangenschaft wieder zurück und Jerusalem konnte wieder aufgebaut werden.

Vertiefung

Für die Vertiefung eines inhaltlichen Überblicks können verschiedene Arbeiten hilfreich sein, wie zum Beispiel

  • das Erstellen einer eigenen Gliederung,
  • das Suchen von Schlüsselbegriffen oder Wortfeldern,
  • das Herausschreiben von Eigenschaften Gottes
  • die Erfassung biblischer Inhalte in einer Tabelle usw.

Die folgende Tabelle zeigt, wie total Gottes Gericht war, indem es alle Bevölkerungsgruppen betraf.

Philipp vom Stein

Personengruppen in den Klageliedern

Personengruppe Versagen oder Aufgabe bzw. Bedürfnis ? Gericht Stellenangabe
König Regierte nicht gottesfürchtig ? der Herr verschmäht ihn, er wurde gefangen nach Babel geführt. 2,2.6.9; 4,20
Fürsten Auch die Mitregierenden haben ihre Macht nicht gottesfürchtig eingesetzt ? auch sie wurden vertrieben und getötet, ihre Größe ist Vergangenheit. 1,6; 2,2.9; 4,7.8; 5,12
Priester Statt das Volk im Gesetz zu unterweisen, töteten sie Gottes Propheten ? sie wurden ohne Rücksicht behandelt und im Heiligtum ermordet. 1,4.19; 2,6.20; 4,13-16
Propheten Sollten das Volk warnen, haben es aber belogen und die echten Propheten abgelehnt ? erlangten keine Vision vom Herrn mehr und kamen um. 2,9.14.20; 4,13-16
Älteste Sie sollten Ratgeber sein ? sie sind umgekommen, trauern und können nicht mehr beraten. 1,19; 2,10; 5,12.14
Greise Bedürfen der Versorgung ? liegen am Boden, ohne Zuwendung und Hilfe. 2,21; 4,16
Väter Besondere Verantwortung für die Familie ? sind umgekommen. 5,3
Mütter/ Frauen Sie sollten die Kinder versorgen ? haben ihre Kinder gegessen und wurden Witwen; Frauen wurden entehrt. 2,12.20; 4,3.4.10; 5,3.11
Jungfrauen Für Tanz und Musik zuständig ? sie trauern, wurden entehrt, getötet und deportiert. 1,4.18; 2,10.21; 5,11
Jünglinge (Starke)/ Knaben Bilden die neue Generation, haben Kraft ? wurden getötet oder deportiert, müssen hart arbeiten. 1,15.18; 2,21; 5,13.14
Kinder/ Säugling Sind auf Pflege angewiesen ? werden nicht versorgt oder wurden sogar gegessen. 2,11.12.19.20; 4,3 5.10