Simon von Kyrene

Simon von Kyrene –

ein Mann, der vorübergehen wollte

Ein jüdischer Mann aus Kyrene, sein Name Simon, kam eines Freitags vom Feld. Auf dem Weg hinein nach Jerusalem begegnete ihm eine Volksmenge. In deren Mitte waren Soldaten, die drei zum Tod verurteilte Männer an einen Platz außerhalb der Stadt brachten, um sie dort hinzurichten. Simon wollte an der Menge vorübergehen. Plötzlich wurde er von den römischen Soldaten gezwungen, einem der Verurteilten das Kreuz nachzutragen.

Ein besonderer Rüsttag

Das Passahfest stand unmittelbar bevor. Es war Rüsttag, an dem die Vorbe- reitungen für das Fest getroffen wurden. Offensichtlich wollte Simon am Morgen noch etwas auf dem Feld erledigen. Etwa um die neunte Stunde un- serer Zeitrechnung1 (Mk 15,25) machte er sich auf den Heimweg. Wie wichtig war ihm wohl dieses Fest des Herrn, das zu den drei Festen gehörte, an denen alle Männlichen des Volkes Israel nach Jerusalem gehen sollten (vgl. 5. Mo 16,16)? – Leider war das für viele eine Formsache geworden. Nach außen hin hielten sie sich zwar streng an die Vorschriften; in ihren Herzen hatten sie allerdings keine Beziehung mehr zu dem Inhalt dieses Festes. Johannes zum Beispiel berichtet, dass die Juden, die den Herrn Jesus zu Pilatus brachten, nicht in das Prätorium (Amtssitz des römischen Statthalters) hineingingen, weil sie sich nicht verunreinigen wollten. Absurd – angesichts des Bösen, das sie gerade verübten.

Dieser Rüsttag war anders als sonst: Schon während der ganzen Nacht lie- fen Gerichtsprozesse. Es ging um Jesus, den Nazarener. Er war den Obersten der Juden ein Dorn im Auge. Sie wollten Ihn nicht als den verheißenen Messias und schon gar nicht als den Sohn Gottes anerkennen. Sie wollten Ihn unbedingt beseitigen und hatten durch den Verrat des Jüngers Judas endlich die passende Gelegenheit gefunden. Bestimmt hatten die Nachrichten darüber auch Simon erreicht. Aber hatten sie etwas in seinem Herzen bewegt? Allem Anschein nach nicht! Er wollte nichts damit zu tun haben. Was interessiert mich dieser Jesus?

Rüsttag heute

Für uns Christen heute ist der Sonntag ein besonderer Tag. Es ist der Tag, der dem Herrn gehört (vgl. Off 1,10). An diesem Tag versammeln sich Gläubige schon fast seit 2000 Jahren, um den Tod des Herrn Jesus zu verkündigen. Sie folgen damit einer Aufforderung des Herrn Jesus. Ist uns dieser Tag so wichtig, dass wir uns dafür „zurüsten“? Dieser Tag ist eine besondere Gelegenheit, gemeinsam mit anderen Glaubensgeschwistern (gerade im Zusammenhang mit dem Gedächtnismahl) Gott anzubeten. Sammeln wir Gedanken und Eindrücke, um dann unserem Gott sagen zu können, was wir Herrliches an seinem geliebten Sohn und seinem Werk entdeckt haben? Wie wichtig ist uns die Person des Herrn Jesus? Interessieren wir uns für alles, was mit Ihm in Verbindung steht? Viele Dinge – Arbeit, Prüfungsvorbereitungen, Urlaub, Hobbys und was es sonst noch so ge- ben mag – sind uns vielleicht wichtiger, als mit dem Herrn Jesus beschäftigt zu sein. Wollen wir uns wieder mal Zeit für Ihn nehmen? Die Freude am Herrn Jesus bringt Kraft in unser Christenleben (Neh 8,10) und Frische in die Versamm- lungsstunden.

Simon wollte vorübergehen

Zurück zu Simon von Kyrene. Versetzen wir uns in seine Situation. Er hat es jetzt eilig, nach Hause zu kommen. Sicher wartet die Familie, oder er will die verbleibende Zeit noch nutzen, verschiedene Vorbereitungen zu treffen. Plötzlich wird es ziemlich unruhig. Er trifft auf eine Volksmenge. In deren Mitte kann er römische Soldaten erkennen und auch irgendwelche Verurteilten, die ein Kreuz trugen. Nur nicht aufhalten lassen. Mal sehen, wie man sich schnell vorbeidrücken kann. Doch da treten ihm Soldaten in den Weg, ergreifen ihn (Lk 23,26) und erteilen ihm den Befehl, einem der Gefangenen das Kreuz nachzutragen. Ob die Soldaten diesem einzigartigen Verurteilten Erleichterung verschaffen wollten? Simon scheint dieser Auftrag nicht zu passen, aber die Soldaten lassen sich nicht beirren und legen ihm das Kreuz auf. Wie sieht denn der Verurteilte aus? Auf dem Kopf trägt er eine Dornenkrone, der Rücken ist von Peitschenhieben zerpflügt. Ergreift ihn jetzt ein wenig Mitleid?

Nun folgt er unmittelbar diesem Mann und hat Zeit, ihn zu beobachten. Ist das der Jesus, von dem er schon das eine oder andere gehört hatte? Die schwere Last kann nicht verhindern, dass ihm manche Gedanken durch den Kopf gehen. Warum wurde gerade er zu dieser Aufgabe gezwungen? Wollte Gott ihn vielleicht nicht als Unbeteiligten an seinem Sohn vorübergehen lassen und eine Entscheidung in seinem Herzen bewirken? Das ist jedenfalls meine Überzeugung.

Gleichgültig an Jesus vorbei?

So möchte Gott auch uns heute nicht achtlos an seinem Sohn vorübergehen lassen. Er will gern eine Entscheidung in unseren Herzen bewirken. Durchkreuzt Er nicht auch manchmal unsere Wege, um uns Gedanken über Jesus Christus zu machen? Er zwingt allerdings niemanden zu einer Entscheidung für oder gegen Ihn. Er appelliert an Freiwillige. Es ist die Liebe Gottes, die dazu bewegt, jeden von uns mit der Person Seines Sohnes zu konfrontieren, um uns, wenn irgend möglich, Heil und Frieden in Ihm finden zu lassen, um Menschen vom Rennen ins Geschoß zurückzuhalten (Hiob 33,18). Ist nicht gerade für solche, die von Kindheit an etwas von dem Herrn Jesus wissen, die Gefahr groß, dass einem die Botschaft nicht mehr „unter die Haut“ geht, um wirklich Entscheidungen für Jesus Christus zu treffen, Ihn als persönlichen Heiland im Glauben aufzunehmen und Ihm konsequent zu folgen?

Ein schweres Kreuz?

Simon von Kyrene trug das Kreuz Jesus gezwungenermaßen nach – so steht es in drei Evangelien. Dagegen lesen wir im Johannes-Evangelium, dass Jesus sein Kreuz selbst nach der Schädelstätte Golgatha getragen hat (Joh 19,17). Die Frage, ob das im Widerspruch zu den Berichten in den anderen drei Evangelien steht, wurde bereits im FMN-Heft 3/2009 erläutert. Ich denke, Simon konnte zwar das Holzkreuz tragen, aber er war ganz außerstande, das zu tragen, was mit diesem Kreuz Jesu in Verbindung stand. Den Fluch und das Gericht über die Sün- de konnte der Herr Jesus nur ganz allein tragen. Er ist für mich und dich ein Fluch geworden. Können wir das begreifen? Und das hat Er völlig freiwillig getan, wenn es auch äußerst schwer für Ihn war. Das Holzkreuz war dem Sohn Gottes sicherlich nicht zu schwer. Jedenfalls berichtet die Bibel an keiner Stelle davon.

Vom Kreuz tragen

In den ersten drei Evangelien lesen wir davon, dass der Herr Jesus die Volksmengen und insbesondere seine Jünger auffordert, auch ein Kreuz zu tragen. Aber beachten wir, dass dort gar nicht davon die Rede ist, das Kreuz Jesu zu tragen. Hier lesen wir davon, dass der Herr Jesus sagt, jeder „nehme sein Kreuz auf und folge mir nach“ (Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23).

Wer damals jemanden sein Kreuz tragen sah, wusste sofort, dass diese Person zum Tod verurteilt war. Die Aufforderung, das eigene Kreuz aufzunehmen, bedeutet somit, bereit zu sein, vonseiten der Welt das Todesurteil anzunehmen. Konkret: In der Nachfolge unseres Herrn und Meisters haben wir nichts anderes zu erwarten, als Er erlebt hat: Ignoranz, Verachtung, Hass und Verfolgung. Wenn wir in Deutschland und in den meisten europäischen Ländern nicht in dem Maß damit konfrontiert werden wie unser Herr, so bleibt der Grundsatz dennoch gültig (vgl. 2. Tim 3,12). Die Welt kann mit Kindern Gottes nichts anfangen. Sie sind nicht von ihr. Akzeptieren wir das und nehmen auf diese Weise unser Kreuz auf? Niemand wird dazu gezwungen. Aber es ist eine Bedingung für echte Jüngerschaft: „Wenn jemand mir nachkommen will, so ... nehme er sein Kreuz auf und folge mir nach“ (Mt 16,24). Fällt uns das schwer? Sicherlich nicht. Je mehr wir den Herrn lieben, umso leichter wird es uns fallen.

Das Kreuz tragen verändert

Auf dem Weg nach Golgatha war Simon von Kyrene dem Herrn Jesus so nah, wie kaum ein anderer. Er hatte Zeit, Ihn zu beobachten und über Ihn nachzudenken. Ob er den Richtplatz in Windeseile verlassen hat, nachdem er das Kreuz ablegen konnte, wird uns nicht berichtet. War er vielleicht, von den Geschehnis- sen und der Person Jesu beeindruckt, am Kreuz stehen geblieben und hatte mitverfolgt, was sich dort noch so alles zutrug? Es wird uns nicht berichtet. Wir wollen auch nicht darüber spekulieren. In Markus 15 werden uns allerdings die Namen seiner beiden Söhne genannt: Alexander und Rufus. Was hätte es für einen Sinn, wenn Markus und den Lesern damaliger Tage diese Personen völlig unbekannt gewesen wären? Vielleicht können wir daraus entnehmen, dass es sich bei ihnen um Gläubige handelt, die in irgendeiner Weise hervorgetreten waren. Ein Rufus wird im Brief an die Römer als ein Auserwählter im Herrn erwähnt (Röm 16,13). Einen Alexander finden wir in Ephesus (Apg 19,33). Mit Vorsicht dürfen wir daraus schließen, dass Simon zu Hause von den Ereignissen berichtet hat. Und sicherlich haben sie auch sein Leben verändert. Dieser„Kreuzweg“ war zu einem Wendepunkt in seinem Leben geworden.

Es ist auch heute noch so – wer Jesus begegnet, wird verändert. Und diese Veränderung hat auch Auswirkungen in der eigenen Familie. Simons Söhne und vielleicht auch seine Frau (vgl. Röm 16,13) wurden durch sein Vorbild geprägt und haben eine Entscheidung für den Gekreuzigten getroffen. Unser Verhalten ist oft eine bessere Predigt als viele Worte.

Jesus, der Gekreuzigte, verändert

Eine Beschäftigung mit dem Gekreuzigten lässt auch uns nicht unverändert. Eine solche Liebe, die stärker ist als der Tod, bleibt nicht ohne Wirkung. Sie erwärmt die Herzen und bewirkt Wachstum. Der Herr Jesus ging, sich selbst das Kreuz tragend, nach Golgatha. Wir dürfen Ihn heute noch auf diesem Weg begleiten. Der Heilige Geist möchte gern tiefe Eindrücke in meinem und deinem Herzen bei einer solchen Beschäftigung bewirken. Paulus verbindet gerade die Erniedrigung des Herrn Jesus bis zum Tod am Kreuz mit der Aufforderung: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war“ (Phil 2,5).

Aus Liebe zu Ihm werden wir ange- spornt, selbst „Kreuzträger“ in der oben erwähnten Weise zu werden. Seine Gesinnung wird unser Handeln prägen.

1 Die dritte Stunde jüdischer Zeitrechnung entspricht ungefähr der neunten unserer Zeitrechnung.