Zum 500. Geburtstag von Johannes Calvin

Zum 500. Geburtstag von Johannes Calvin

Am Ausgang des Mittelalters, vor 500 Jahren, wurde Johannes Calvin geboren. Er war einer der „großen“ Reformatoren, die im 16. Jahrhundert für eine Erneuerung der römischen Kirche kämpften und u.a. die Rechtfertigung durch Glauben (statt durch Werke) predigten. Calvin nahm an diesem geistlichen Kampf teil als Universitätsprofessor und Pastor in Genf. Er leistete große und nachhaltige Arbeit in der reformatorischen Lehre und Kirchenordnung. Sein Einfluss ist bis heute (insbesondere in der Reformierten Kirche) deutlich spürbar.

 

Der Student in Paris – Calvins Bekehrung

Johannes Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Noyon (Nordfrankreich) geboren und wuchs in einer Familie auf, die – wie alle Menschen in der damaligen christlichen Welt – der römischen Kirche angehörte. Insbesondere seine Mutter prägte ihn zu einer großen Hochachtung gegenüber dieser Kirche.

Mit 14 Jahren begann Calvin sein Studium am Pariser Collège de la Marche und wechselte als Nutznießer einer kirchlichen Pfründe1 1524 auf das Priesterseminar Collège Montaigu. Er studierte dann Jura und betrieb dazu humanistische Studien in Orléans und Bourges. Später ging er wieder nach Paris, wo er 1532 sein Studium als Lizenti- at der Rechte abschloss.

In Paris begann inzwischen die Reformation sich auszubreiten. Die von Machtkämpfen verdorbene, in Traditionen gegossene und teilweise mit heidnischem Aberglauben vermischte Religiosität wurde mehr und mehr von einem Glauben verdrängt, der sich nach dem Bekenntnis der Reformatoren für das Heil nur auf den Glauben, die Bibel und die Gnade stützte. Eine wichtige Rolle spielte dabei Lefebvre, Theologie-Professor an der Pariser Universität Sorbonne, der z.B. lehrte: „Gott allein ist es, der die Gerechtigkeit durch den Glauben verleiht, der allein aus Gnade rechtfertigt zum ewigen Leben“.

Calvin über seine Bekehrung

„Beeindruckt von der Neuerung der reformatorischen Lehre, wollte ich ihr mein Ohr kaum leihen und habe ihr anfangs tapfer und mutig widerstanden, zumal ich mich nur mit Mühe zu dem Eingeständnis bewegen ließ, ich hätte mein ganzes bisheriges Leben in Irrtum und Unwissenheit verbracht. Und besonders eines hinderte mich daran, jenen Leuten zu glauben: meine Ehrfurcht vor der Kirche. Als sich mein Geist nun zu ernsthafter Aufmerksamkeit bereit fand, da merkte ich erst, wie wenn mir jemand plötzlich ein Licht aufgesteckt hätte, in was für einem Sumpf von Irrtümern ich mich gewälzt hatte. Tief bestürzt über die Erkenntnis des Elends, in das ich gefallen war, hielt ich nichts für dringlicher, als über meine bisherige Lebensführung den Stab zu brechen und mich auf den richtigen Lebensweg zu verpflichten“2.

Die Kirche leistete großen Widerstand, und viele Anhänger der Reformation wurden verfolgt. Irgendwann in diesen Jahren wandte sich auch Calvin von der katholischen Kirche ab, bekehrte sich (wahrscheinlich 1533) und legte sein Amt nieder (1534). Gerade zu der Zeit, als Calvin nach Paris zurückkehrte, ging es dort hoch her: 1535 hielt der Rektor der Sorbonne, er hieß Cap, eine (wohl angeblich von Calvin mitverfasste) aufsehenerregende reformatorische Rede über Gerechtigkeit und Gnade. Im selben Jahr fand eine „Plakataktion“ der Reformatoren gegen die römische Messe statt. Die Kirche wehrte sich. Es kam zu Vertreibungen, und auch Calvin floh nach Basel.

Der Flüchtling in Basel – Calvins „Institutio“

Nachdem er aus Paris nach Basel geflohen war, gab Calvin 1536 erstmals sein Hauptwerk, die „Institutio“ („Institutio Christianae religionis” – „Unterweisung in der christlichen Religion“) heraus, die er noch mehrmals, zuletzt 1559 überarbeitete. Er versuchte darin, die christliche Lehre umfassend darzustellen. Damit wollte er vor allem die Position der verfolgten Protestanten gegenüber der römischen Kirche stärken. Die Grundlage von allem war für ihn Gottes Wort, das nicht bewiesen zu werden braucht, sondern aus sich heraus Autorität hat. Im Zentrum der Auslegung stand für ihn Jesus Christus.

Calvins Heilslehre gründete auf der doppelten Forderung nach Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis: Der Mensch muss sich selbst in seinem sündigen Zustand erkennen, muss erkennen, dass er Erlösung braucht. Und er muss Gott, seinen „Anker des Heils“ erkennen, der ihm in Christus seine Barmherzigkeit anbietet. Durch Buße und Glauben erlangt der Mensch die Rechtfertigung vor Gott. Calvin trat besonders für die Wahrheit von Gottes Souveränität und Gnade ein, ging aber in einigen Punkten seiner Auserwählungslehre über die Schrift hinaus (Ein Artikel dazu folgt im nächsten Heft.).

Der Reformator in Genf – Calvins Kampf an der Seite von Farel

1536 begab sich Calvin nach Genf. In der Schweiz wurde damals die Religion in jeder Stadt durch Wahlen festgelegt. In Genf war die Reformation in Folge des Wirkens von Farel, Viret und Froment bereits durch Ratsbeschluss angenommen worden. Dabei gab es erbitterten Widerstand, z.B. wurde Viret in Genf vergiftet, und Farel erlebte häufig heftige Angriffe bis hin zu massiver körperlicher Gewalt.

Obwohl Genf den reformierten Glauben also offiziell angenommen hatte, blieb noch viel Arbeit zu tun. Farel lud Calvin ein, an der Neuordnung der Kirche mitzuwirken. Calvin sträubte sich aber, weil er seine Aufgabe eher im Verfassen von reformatorischen Schriften als im „Kampf an der Front“ sah. Wie Calvin es später darstellte, konnte Farel ihn erst mit der Androhung des Fluches Gottes „überzeugen“, zu ihm nach Genf zu kommen. In Anlehnung an den reformatorischen Historiker d’Aubigné kann man über die beiden Reformatoren sagen: Wo Farel mit seinem mutigen und gefahrvollen öffentlichen Predigtdienst die Wälder gerodet hatte, beackerte Calvin den Boden, säte, jätete und organisierte das gewonnene Terrain gegen vielen Widerstand mit seinem schriftlichen und innerkirchlichen Dienst.

In Genf predigte Calvin, schrieb einen großen und einen kleinen Katechismus und widmete sich besonders der inneren und äußeren Kirchenordnung. Er lehrte den Unterschied zwischen der „unsichtbaren Kirche“ (alle Auserwählten) und der „sichtbaren Kirche“ (alle Bekenner, einschließlich der Auserwählten) und strebte nach mehr Echtheit und konsequenter Beachtung von Gottes Wort in der Kirche, auch mit den Mitteln der Kirchenzucht. Er predigte mit Farel nicht nur gegen grobe moralische Sünden, sondern bestand darauf, dass sich alle Kirchenmitglieder zu einem gottgemäßen Leben in Selbstverleugnung, einem bescheidenen, fleißigen Lebensstil und der Unterstützung von Armen und Bedürftigen verpflichten sollten.

Damit gerieten die Reformatoren insbesondere mit solchen Genfern aneinander, die als „Libertins“ einen luxuriösen und ausschweifenden Lebensstil pflegten. Calvin war überzeugt, dass es eine „Verhöhnung Christi“ wäre, wenn solche Spötter am Abendmahl teilnähmen. Er wollte „lieber hundertmal sterben“, als das zuzulassen. Eines Tages kam es zur „Kraftprobe“: Die Predigt war gehalten, und Calvin trat von der Kanzel herab, um Brot und Wein auszuteilen. Da machten sich die Unruhestifter auf den Weg zum Altar. Calvin schlang die Arme um die Sakramentsgefäße und rief laut: „Diese Hände könnt ihr zerbrechen, diese Arme mögt ihr abschlagen, ihr könnt mir das Leben nehmen. Aber ihr werdet mich nicht dazu zwingen, das Heilige den Gemeinen zu geben und den Tisch meines Gottes zu entehren.“3 Der Konflikt wurde in den Stadtrat getragen, der 1538 ein Redeverbot gegen Calvin und Farel verhängte. Als sie dennoch predigten, wurden die beiden Reformatoren aus Genf verbannt.

Der Exilant in Straßburg – Calvins Schriften für die Reformation

Calvin begab sich über Basel nach Straßburg, wo Martin Bucer schon seit zehn Jahren die Reformation befestigt hatte. Es hielten sich an die 15.000 französische Exilanten dort auf. Unter anderem freundete Calvin sich mit Luthers Mitstreiter Melanchthon an. In Straßburg heiratete Calvin im Jahr 1540 Idelette de Bures. Seine Frau verstarb bereits nach neun Jahren. Calvin blieb ohne Nachkommen, da die drei Kinder jeweils kurz nach der Geburt starben.

Calvin hielt als Pastor und Professor wöchentlich vier Predigten und verschiedene Vorlesungen. Aufsehen erregte er 1539 mit einer Verteidigungsschrift der Reformation, die Luther mit den Worten lobte: „Das ist eine Schrift, die Hand und Fuß hat“.

Als Calvin 1538 die französische Gemeinde von Strassburg übernahm, sang man dort schon Psalmen auf Deutsch – im Gegensatz zum in der römischen Kirche damals üblichen Messgesang der Mönche in Latein. Calvin war es ein Anliegen, dass die Gemeinde in ihrer Muttersprache sang – im Gottesdienst (später in Genf führt er den Psalmgesang in den Gottesdiensten ein), aber auch zu Hause. Die Psalmen hielt er für besonders geeignet; sie waren auch ein regelmäßiger Gegenstand seiner Predigten. In Strassburg erschien bald das erste französische Psalmenbuch in Versform; sieben Psalmen steuerte Calvin selbst bei. Wichtig war ihm ein musikalischer Stil, der die Ehre Gottes reflektierte. Darum ließ er alte Melodien anpassen und neue komponieren und wandte sich gegen die profanen (weltlichen) Melodien, die in Frankreich benutzt wurden. Die Gemeinde sang diese Lieder einstimmig.

Calvin lehrte darüber hinaus, dass die zehn Gebote nicht nur für das Volk der Juden im Alten Testament galten. Auch für die Gläubigen aus dem Zeitalter der Kirche seien sie seiner Meinung nach ein „sittliches Gesetz“, das sie beachten müssten, ja sie bildeten sogar eine Ordnung für die öffentliche Gemeinschaft – obwohl doch der Gläubige dem Gesetz gestorben ist (Röm 7,4; Gal 2,19)4. Überhaupt unterschied Calvin nicht grundsätzlich zwischen Altem und Neuem Testament. Nach seiner„Bundestheologie“ gab es nur einen Bund im Alten wie im Neuen Testament. Wenn man – wie Calvin – nicht die verschiedenen Heilszeiten, besonders die des Gesetzes und die des Christentums, auseinanderhält, hat die Lehre von dem einen Bund zur Folge, dass auch der Wert der himmlischen Stellung und Berufung der Versammlung gegenüber den irdischen Verheißungen des Volkes Israel verschwimmt5.

Der Reformator nochmals in Genf – Calvins Eintreten für die Kirchenordnung

Zwischenzeitlich hatte der Genfer Rat einen Beschluss gefasst, Calvin zur Rückkehr zu bewegen. Bei seinem zweiten und endgültigen Aufenthalt in Genf (von 1541 bis zu seinem Tod in 1564) widmete sich Calvin der Neuordnung der Kirche. Hier entstand der Genfer Katechismus, der eine Grundlage des heute noch von den reformierten Kirchen verwendeten Heidelberger Katechismus bildet. Calvin setzte mit großem Einsatz sein reformatorisches Werk fort, insbesondere durch Auslegungen über die Bücher der Bibel, die bis heute prägenden Einfluss haben. Im Jahr 1559 veröffentliche er die letzte Überarbeitung der „Institutio“ und stiftete eine theologische Akademie, die erste reformierte Universität.

Daneben war ein Schwerpunkt seines Wirkens die innere Ordnung der Kirche. Calvin sah die Kirchenzucht bis hin zum Ausschluss eines Kirchenmitglieds als die „Sehnen“ des Leibes der Kirche (Versammlung/Gemeinde) an, die die „Muskeln“ und „Glieder“ zusammen hielten. Ein Kirchenrat aus Ältesten und Pastoren (Konsistorium) hatte das Recht, Gesetze zu geben sowie Verächter des Gottesdienstes, sittenlose Personen und Verbreiter fremder Lehrmeinungen ohne Rücksicht auf ihren Stand zur Rechenschaft zu ziehen und der weltlichen Obrigkeit zur Bestrafung zu übergeben. Dabei zeigte sich als Kehrseite von Calvins eigenem Pflichtbewusstsein und seiner Disziplin eine große Strenge und Unerbittlichkeit gegenüber anderen.

So notwendig und biblisch begründet die Kirchenzucht ist – in ihrer unerbittlichen Handhabung und besonders in ihrer Verknüpfung mit der Staatsgewalt ging Calvin zu weit. Die Frage der richtigen Lehre und Praxis war damals kein bloßer Streit über Meinungen, sondern damit war oft das Urteil über Leben und Tod verbunden. Zur Zeit Calvins wurde gegen das Hexenwesen mit Verbrennungen eingeschritten. Es gab Enthauptungen und Verbannungen wegen Widerstands gegen die neue Ordnung und Lehre.

Calvin war zwar nicht dafür, die Auseinandersetzungen um Glauben und Religion kriegerisch auszutragen. So schrieb er dem Admiral de Coligny, dem Feldherrn und politischen Ober- haupt der Hugenotten in den Hugenottenkriegen gegen die katholischen Truppen: „Der erste Tropfen Blut, den unsere Leute vergießen, wird Ströme Bluts hervorrufen, die ganz Europa überschwemmen“6. Aber zur Verbrennung des Spaniers Servet, der die Dreieinheit Gottes bestritt und wegen aufrührerischer Aktivitäten angeklagt wurde, trugen Unterlagen bei, die Calvin der Behörde geliefert hatte. Calvin stimmte selbst dem Todesurteil zu, plädierte aber für die Hinrichtung durch das Schwert statt durch Verbrennung. Dass es etliche Reformatoren der römischen Kirche gleichtaten, Ketzerei mit dem Tod zu ahnden (auch Melanchthon hielt im Fall Servet das Todesurteil für richtig), ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Reformation und in Calvins Biographie.

Calvin starb am 27.05.1564. Er hatte sein Leben lang mit Krankheit zu kämpfen, doch in seinem Eifer und Fleiß für die universitäre Lehre, den Predigtdienst, ein enorm umfangreiches Werk an Bibelauslegungen und seine intensive seelsorgerliche Tätigkeit (er hinterließ 2.000 Briefe, von denen viele einen seelsorgerlichen Inhalt hatten) missachtete er beständig seine gesundheitlichen Grenzen. Drei Monate vor seinem Tod schrieb er: „Ich habe viele Schwächen gehabt, die ihr ertragen musstet, und selbst all das, was ich getan habe, ist im Grunde nichts wert. [...] Ich kann allerdings wohl von mir sagen, dass ich das Gute gewollt habe, dass mir meine Feh- ler missfallen haben und Gottesfurcht in meinem Herzen Wurzeln geschlagen hat. Ihr könnt es bestätigen, dass mein Bestreben gut gewesen ist. Darum bitte ich euch, dass ihr mir das Schlechte verzeiht. Wenn es aber auch etwas Gutes gegeben hat, so richtet euch danach und befolgt es!“7

Des Reformators 500. Geburtstag – Calvins Leben stellt Fragen an uns

Calvins 500. Geburtstag wird in der Schule oder anderswo zum Anlass genommen, sich mit seinem Leben und seiner Lehre zu beschäftigen. Man kann manches an ihm kritisieren. Doch ist Calvin in vielem ein Vorbild. Gutes und Schlechtes wirft für uns Fragen auf. Z. B.:

• Bin ich offen dafür, meine traditionelle Überzeugung anhand der Bibel zu überprüfen? Bin ich bereit, mit allen Konsequenzen für Gottes Wahrheit einzutreten?

• Wie denke ich über Gottes Heiligkeit in Bezug auf meinen persönlichen Lebenswandel und die Versammlung (Kirche/Gemeinde) (z.B. 1. Kor 3,16; 6,19)? Was halte ich von „Selbstzucht“ und von „Kirchenzucht“?

• Ist mir der Unterschied klar zwischen der Staatsgewalt und der Kirche (z.B. Mk 12,17)?

 

1 Calvins Vater, der selbst ein kirchlicher Funktionsträger war, hatte für ihn eine finanzielle Unterstützung der Kirche erwirkt. Dazu übernahm Johannes Calvin ein kirchliches Amt, das ihm ein Einkommen verschaffte, aber keine Pflichten enthielt („Pfründe“).

2 Auszugsweise zitiert nach Rohloff, Calvin kennen lernen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, S. 14.


3 Wiedergegeben nach Piper, Überwältigt von Gnade, CLV 2006, S. 191.

4 Zum Thema „Der Christ und das Gesetz“ s. die Serie in FMN 2007, ab Heft 6, S. 20. 

5 S. zu dem Thema der verschiedenen „Haushaltungen“, die die Unterschiede in Gottes Handeln mit den Menschen in den verschiedenen Epochen zeigen, die Serie in FMN 2007 ab Heft 1, S. 27.

6 Zitiert nach Chambon, Der französische Protestantismus, CLV 2004, S. 63.

7 Zitiert nach Plasger, Johannes Calvins Theologie – Eine Einführung, Vandenhoeck & Ruprecht, 2008, S. 16.