Themenheft

Barmherzigkeit – nicht nur für Samariter angesagt

Barmherzigkeit klingt sperrig und unmodern – dabei ist es im menschlichen Miteinander hochaktuell.

Der Duden definiert Barmherzigkeit als „aus Mitleid und Mitgefühl helfend, Armut und Leiden zu lindern“. Entstanden ist das Wort aus misericordia (lateinisch: miser = schlecht; cordis = Herz), das im 3. Jahrhundert in der Vulgata, der lateinischen Bibelübersetzung, verwendet wurde. Als Übersetzung zieht es in die gotische Bibelübersetzung von Wulfila – und dann über Martin Luther in die deutsche Sprache ein. Das Wort hat im Griechischen die Bedeutung von „Mitleid zeigen nach außen“[1]; es setzt Bedarf beim Empfänger und dementsprechende Mittel bei dem, der Barmherzigkeit übt, voraus.

Das Wort ist im Deutschen zusammengesetzt aus arm und Herz. Somit kann man noch heute die Bedeutung dem Wort selbst entnehmen, nämlich ein Herz für die Armen zu haben. Barmherzigkeit ist damit umfassender als Mitgefühl oder Mitleid; es ist ein inneres Betroffensein, das aktiv wird und hilft.

 

Barmherzigkeit – ein Wesenszug Gottes

Gott selbst ist barmherzig. Schon David beschreibt Ihn als „barmherzig und gnädig, langsam zum Zorn und groß an Güte“. Jakobus schreibt, dass „der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist“ und Paulus erhebt den „Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, den Vater der Erbarmungen“ (Ps 103,8; Jak 5,11; 2. Kor 1,3). 

Wenn du neues Leben hast, dann bist du „durch Gnade errettet“, und „Gott, der reich ist an Barmherzigkeit“, hat dich, als du tot in deinen Sünden warst, mit dem Christus lebendig gemacht. Während Gnade vor allem den Geber im Blick hat, erinnert Barmherzigkeit mehr an das Elend und die Armut des Empfängers. Doch Barmherzigkeit ist nicht allein auf Gott beschränkt, denn der Gläubige soll „herzliches Erbarmen“ zeigen und soll „Barmherzigkeit üben, mit Freudigkeit“ (Eph 2,4.5; Kol 3,12; Röm 12,8).

Prototyp und Musterexemplar für Barmherzigkeit ist der barmherzige Samariter im Gleichnis in Lukas 10. Als dieser an den Ort des Überfalls kommt, sieht er den, der ausgeraubt und halbtot zurückgelassen wurde. Er wird „innerlich bewegt“, tritt näher, behandelt die Wunden, investiert Medikamente und Zeit und bringt den Schwerverletzten anschließend noch in Sicherheit. Im Herzen getroffen, scheut er weder Mühen noch Kosten, um zu helfen. Der Samariter ist ein Bild des Herrn Jesus – gleichzeitig aber auch ein Vorbild für uns, denn es heißt: „Geh hin und tu du ebenso.“

 

Barmherzigkeit – Kontrapunkt zur Ellenbogen-Mentalität

Unsere westliche Kultur ist auf Stärke und Durchsetzungskraft ausgerichtet. Es ist eine Ellenbogen-Gesellschaft, die Schwächere übersieht, Benachteiligte ausgrenzt und Verlierer links liegen lässt. Wenn du hier also barmherzig sein willst, musst du einen Blick für deine Mitmenschen haben. Du musst Schwäche, Zurücksetzung, Mobbing und Unterdrückung wahrnehmen und dann – im Herzen davon betroffen – nicht schweigen, sondern aktiv werden, handeln, dich einsetzen, helfen, investieren.

Wenn Jesus Christus dein Herr und Heiland ist, dann weißt du, was Barmherzigkeit ist, denn du hast sie bei deiner Bekehrung selbst erfahren. Doch darüber hinaus erlebst du sie täglich, denn wenn du betest, empfängst du Barmherzigkeit und findest Gnade zu rechtzeitiger Hilfe. Und ganz sicher hast du sie auch schon so konkret und hautnah im täglichen Leben erfahren wie damals Daniel, als „Gott ihm Gnade und Barmherzigkeit gab vor dem Obersten der Hofbeamten“ (Heb 4,16; Dan 1,9).

 

Barmherzigkeit – ein Auftrag für alle Christen

Du bist nun aufgefordert, hinzugehen und selbst barmherzig zu sein, wie auch dein himmlischer Vater mit dir barmherzig war. Sei Salz und Licht unter Menschen, von denen sich viele nur noch um sich selbst drehen und nur sich und die eigenen Interessen und Probleme sehen. Sei deshalb ein Gegenpol, sei barmherzig (oder wie du es auch nennen magst) – und das nicht gequält oder missmutig, sondern freudig! Nimm wahr, wo jemand leidet, ausgegrenzt oder zurückgesetzt wird – und dann stell dich auf seine Seite, beherzt und engagiert! Natürlich in Abhängigkeit von deinem Herrn und Meister, im Vertrauen auf Ihn, in der Kraft von oben und mit Liebe und herzlichem Erbarmen im Herzen (Lk 6,36; Röm 12,8). 



[1] Vine, Expository Dictionary of NT Words