John Wycliff - Vorreformator und Bibelübersetzer

John Wycliff

Vorreformator und Bibelübersetzer

John Wycliff (Wiclif, Wyclif, Wicliffe) kämpfte intensiv für die Wahrheit des Wortes Gottes und übersetzte als Erster die Bibel in die englische Sprache. Obwohl Wycliff Bedeutendes geleistet hat, ist er hierzulande nicht sehr bekannt. Deshalb wollen wir mal einen Blick in das Leben und Wirken dieses Mannes werfen. Im Mittelpunkt soll dabei seine Arbeit der Bibelübersetzung stehen.

Über die ersten Lebensjahre John Wycliffs ist wenig bekannt. Er wurde zwischen 1324 und 1330 in der Grafschaft Yorkshire in England geboren. Ungefähr 1345 begann er ein Studium an der angesehenen Universität in Oxford. Dort standen Philosophie, Naturwissenschaften, Mathematik und besonders Theologie auf seinem Programm.

Als Student musste er erleben, dass die Pest nach Oxford kam und Tausende in den Tod riss. Wahrscheinlich hat er in diesen schlimmen Tagen Jesus Christus als seinen Retter kennen und lieben gelernt. Fortan sollte sein Leben dem großen Meister gehören.

Wycliff schloss seine Ausbildung an der Universität in Oxford mit einem theologischen Grad ab. Er wurde später Professor an dieser Universität und arbeitete außerdem als Pfarrer. Als gläubiger Christ untersuchte er eifrig das Wort Gottes und musste feststellen, dass vieles in der katholischen Kirche – deren Mitglied er war – nicht der Bibel entsprach.

Wycliff und die katholische Kirche

Früh fing Wycliff an, gegen die falschen Lehren und Praktiken der Kirche zu predigen und zu schreiben. Er verwarf unter anderem den Bilder- und Heiligendienst; er wandte sich gegen das Heiratsverbot für Priester, die Ohrenbeichte und den Ablasshandel. Er griff die Autorität des damals sehr mächtigen Papstes an und sagte, dass die Kirche auch ohne Papst leben könne, da Christus das alleinige Haupt der Kirche sei. In späteren Jahren wies er ferner die Transsubstantiationslehre als unbiblisch zurück (nach dieser bösen Lehre verwandelt sich beim Abendmahl das Brot in den Leib und der Wein in das Blut Jesu).

Auch die Bettelmönche, die als Wanderprediger durch das Land zogen, wurden von ihm streng getadelt. Denn sie lagen den Menschen auf der Tasche und führten sie mit ihren fantasievollen, unbiblischen Predigten in die Irre. Als Wycliff einmal gefragt wurde, ob er die Bettelmönche mit einem Wort aus der Schrift belegen könne, antwortete er kühl: „Wahrlich, ich kenne euch nicht“ (Mt 25,12).

Die unerschrockenen Predigten Wycliffs blieben nicht ohne Echo. Mönche und kirchliche Würdenträger leisteten ihm erbitterten Widerstand. Er wurde verleumdet und mit allen erdenklichen Schimpfnamen belegt. Ein Bischof bezeichnete ihn als eine Pest, als Kind des Teufels und als Vorläufer und Schüler des Antichristen. Seine Lehren wurden beim Papst als Irrlehren angezeigt. Dass Wycliff dennoch nicht aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche ausgeschlossen und in ein Gefängnis gesteckt wurde, lag – zumindest vordergründig betrachtet – daran, dass einflussreiche Leute ihn beschützten. Einer davon war John of Gaunt, der Herzog von Lancaster.

Im Jahr 1382 berief jedoch William Courtenay, der 1381 Erzbischof von Canterbury geworden war, ein Konzil in einem Dominikanerkloster in London ein. Das Konzil verurteilte 24 Artikel aus Wycliffs Werken als Häresien (d.h. als Lehren, die im Widerspruch zur Lehre der Kirche stehen). Daraufhin wurde Wycliff von der Universität verbannt und aus Oxford vertrieben. John Wycliff widmete sich jetzt vermehrt seinem wichtigsten Werk: der Übersetzung der Bibel.

Wycliff und die Bibel

In England war die Bibel in den Tagen Wycliffs nur in lateinischer Sprache erhältlich. Viele konnten Latein nicht verstehen. Zudem war das Lesen der Heiligen Schrift den sogenannten Laien (also solchen, die nicht von der Kirche zu Priestern geweiht waren) verboten. Als im 13. Jahrhundert einige Bibelteile ins Französische übersetzt worden waren, hatte Papst Gregor IX. auf dem Konzil in Toulouse (1229) angeordnet: „Wir untersagen auch, dass man den Laien gestattet, die Bücher des Alten und Neuen Testamentes zu besitzen ... Wir verbieten ihnen auf das nachdrücklichste, die oben erwähnten Bücher in der Volkssprache zu besitzen. – Die Wohnungen, die elendesten Hütten und selbst die verborgensten Zufluchtsstätten jener Menschen, bei denen man derartige Schriften findet, sollen vollständig vernichtet werden. Diese Leute sollen bis in die Wälder und Höhlen verfolgt werden, und wer ihnen Obdach gewährt, hat strenge Strafe zu erwarten.“

John Wycliff war katholischer Priester und las viel in der lateinischen Bibel. Er war völlig überzeugt, dass die Bibel das irrtumslose Wort Gottes ist und bezeichnete die Autorität der Bibel als „unendlich höher“ als die Autorität aller anderen Bücher. Seine zahlreichen Schriften – von denen nicht mehr viele erhalten sind – sind voll von Bibelzitaten und Hinweisen darauf, dass man die Bibel fleißig lesen und ihre Lehren genau befolgen soll.

Es keimte in ihm der Wunsch auf, die Bibel ins Englische zu übersetzen, damit viele das Wort Gottes lesen und verstehen könnten. Er war empört darüber, dass die Kirche eine Übersetzung der Heiligen Schrift in die Landessprache verbot. In gewohnt scharfer Weise stemmte sich Wycliff in Wort und Schrift dagegen. Er schrieb unter anderem: „Wer kann Christus weniger lieben, wer wird von Gott mehr verflucht, als wer eine solche Übersetzung verhindert?“ Und: „Es ist eine gotteslästerliche Ketzerei, die Schrift von den Laien fernzuhalten.“

Wycliff fragte seine Gegner zu Recht: Wie soll ein Christ die Gebote des Herrn halten (Joh 14,21), wenn er sie nicht kennt? Wie soll er Rechenschaft von seiner Hoffnung geben (1. Pet 3,15), wenn er nichts von ihr weiß? Und warum soll das Wort Gottes nicht in der Landessprache gelesen werden, wenn es in dieser Sprache den Leuten verkündigt wird (wenn auch oft nur sehr dunkel und verfälscht)?

Das absurde und geradezu teuflische Übersetzungsverbot wurde gern damit begründet, dass die „Laien“ das tiefe Wort Gottes nicht verstehen könnten und es nur zu ihrem Schaden verdrehen würden. Sie sollten es sich besser von den Priestern erklären lassen. Doch Wycliff konterte: Sollte manmNahrung deshalb verbieten, weil manche zu viel essen? Sollte man Kindern Lesen und Schreiben nicht beibringen, weil sie am Anfang Fehler machen? Kann ein Priester mit einer lateinischen Bibel nicht genauso irren wie ein „Laie“ mit einer englischen? Und warum soll das Lesen der Bibel zur Sünde führen – ist Sünde nicht vielmehr die Folge davon, dass man sie nicht liest?

Im Frühjahr 1380, vielleicht auch schon früher, begann Wycliff mit der Übersetzung der Bibel. Er war dabei nicht auf sich allein gestellt, sondern wurde von verschiedenen Männern unterstützt. Bei der Übersetzung konnte Wycliff weder den hebräischen noch den griechischen Grundtext zu Rate ziehen, da er diese Sprachen nicht beherrschte. Er benutzte als Basis für seine Arbeit die Vulgata, eine weit verbreitete lateinische Übersetzung aus dem 4. Jahrhundert. Zuerst wurden die Evangelien übersetzt, dann weitere Teile des Neuen Testaments. Anschließend wurde das Alte Testament ins Englische übertragen. 1384, im Todesjahr Wycliffs, konnte die erste Bibelausgabe fertig gestellt werden. Bereits 4 Jahre später erschien eine überarbeitete Fassung1.

Als die Wycliff- Übersetzung herauskam, war die Buchdruckkunst
noch nicht erfunden. Die Bibel oder Teile davon mussten von Hand abgeschrieben werden. Das war natürlich ein sehr hoher Aufwand, der entsprechend bezahlt werden musste. Mehrere Monatslöhne eines Normalverdieners wurden beim Erwerb einer Bibel fällig. Dennoch wurde die Übersetzung unter die Leute gebracht. In keinem Land Europas war im 14. und 15. Jahrhundert die Bibel in der Volkssprache so weit verbreitet wie in England. Im Jahr 1810 wurde die Wycliff-Übersetzung schließlich gedruckt.

Matthew 8,27: Forsothe men wondreden, sayinge: What manere man is he this, for the wyndis and the see obeishen to hym? [Wycliff- Übersetzung, 1384]

Matthew 8,27: The men were amazed, and said, „What kind of a man is this, that even the winds and the sea obey Him?” [New American Standard Bible, 1995]

Matthäus 8,27: Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was für einer ist dieser, dass auch die Winde und der See ihm gehorchen? [Elberfelder Übersetzung, Edition CSV Hückeswagen]

Freunde und Anhänger Wycliffs ver- breiteten nun das, was er gelehrt hat- te. Diese Männer wurden Wycliffiten oder auch Bibel-Menschen genannt. Sie wurden von der katholischen Kirche unterdrückt und verfolgt. Einige wur- den hingerichtet. Manche von ihnen verbrannte man mit ihrer geliebten Bi- bel auf dem Nacken.

Wycliffs Tod

Das Leben Wycliffs verlief so, wie es Sprüche 4,18 beschreibt: „Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe.“ Sein Glaube leuchtete immer heller und die Übersetzung der Bibel brachte ihm in den letzten Jahren seines Lebens tiefe Freude und krönte seine Arbeit für den Herrn. Am 31.12.1384 starb John Wycliff an den Folgen eines Schlaganfalls. Ein arbeitsreiches und gesegnetes Leben war zu Ende gegangen.

Auf dem Konzil von Konstanz (1415- 1418)2 wurden die Lehren Wycliffs verurteilt und – was in England noch nicht geschehen war – ein formelles Verdammungsurteil über ihn ausgesprochen. Der Papst selbst verkündigte, dass Wycliffs Lehren Ketzereien seien. Es wurde angeordnet, Wycliffs Bücher zu verbrennen. Aber nicht nur seine Bücher sollten verbrannt werden, sondern auch seine Gebeine. 1428 wurden darum die sterblichen Überreste Wycliffs aus dem Friedhofsgrab ausgegraben und den Flammen übergeben. Die weitere Ausbreitung der Bibel konnte das freilich nicht verhindern.

Die Verbreitung der Bibel heute

Die Bibel ist heute weit verbreitet. Sie wurde mittlerweile in fast 2.500 Sprachen übersetzt, wobei allerdings oft nur Teile der Bibel übertragen worden sind. Wer in Deutschland, England und in vielen anderen Ländern eine Bibel haben möchte, kann sie zu sehr erschwinglichen Preisen bekommen und nach Herzenslust darin lesen. Die Frage ist nur, ob wir von dieser wunderbaren Möglichkeit auch regen Gebrauch machen. In vergangenen Jahrhunderten haben Menschen viel dar- um gegeben, eine Bibel in ihrer Sprache zu besitzen. Und viele Menschen heute haben heute immer noch keine Bibel in einer Sprache, die sie verstehen können. Wir jedoch haben diesen Schatz – bloß, was machen wir damit?

Erschütternd ist, dass viele Menschen kein Interesse für die Bibel aufbringen, die sie doch so leicht bekommen könnten. Manche haben noch nie in der Bibel gelesen. Sollten wir unsere Zeitgenossen nicht (noch stärker) auf das Wort Gottes hinweisen? Man kann ja klein anfangen und ihnen ein Lukas- oder Johannesevangelium in die Hand drücken bzw. in den Briefkasten werfen. Wer Lukas- oder Johannesevangelien zum Verteilen haben möchte, kann diese kostenlos beim Herausgeber von Folge mir nach erhalten (siehe Impressum).

Mit zwei Fragen möchte ich diesen Ausflug in das Leben John Wycliffs be- enden: Lieben und lesen wir die Heilige Schrift? Verteilen und verbreiten wir das Wort Gottes?

Hauptsächlich benutzte Quellen:

  • Frühling im Mittelalter – John Wycliff und sein Jahrhundert (Manfred Vasold)
  • Die Vorreformatoren des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts (Fried- rich Böhringer)

1 Im Jahr 1850 wurde schließlich die erste Ausgabe Wycliffs sowie die bearbeitete Ausgabe in einem Werk zusammengefasst und gedruckt. Die beiden Texte wurden dabei nebeneinander gestellt. Diese Arbeit wurde, wie viele andere alte Werke auch, (teilweise) vor kurzem digitalisiert und kann im Internet abgerufen und heruntergeladen werden: http://www.archive.org/stream/holybiblecontain- 04wycluoft

2 Dieses Konzil verurteilte auch Jan Hus zum Tod. Jan Hus hatte die Schriften Wycliffs mit brennendem Auge und fiebrigem Interesse gelesen und ist dessen größter „Schüler“ geworden. Mehr zu Jan Hus in FMN 02/2007, Seite 31 ff.