Aktuelles

Die Welt - eine Wüste?

„Wo nichts ich seh’ als eine Wüste, ein ödes Land, wo Dürre wohnt“ – so beginnt ein Gedicht, das der bekannte Ausleger und Dichter John Nelson Darby im 19. Jahrhundert geschrieben hat. Etwas verstaubt, mag ein junger Christ denken. Handelt es sich wirklich um eine Weltanschauung, mit der die heute lebende Generation sich nicht mehr identifizieren kann? – Im Folgenden geht es weniger um den Liedtext als vielmehr darum, inwieweit die Bibel das Thema „Wüste“ behandelt, und was für eine Bedeutung für den Gläubigen sich dahinter verbirgt.

 

Aus der Geschichte des Volkes Israel

Dass Christen ihr Leben mit einer Wüstenreise vergleichen, sollte uns nicht verwundern. Der Apostel Paulus, vom Heiligen Geist inspiriert, hat es auch getan. Zuerst nennt er in 1. Korinther 10 einige Elemente der Wüstenreise des Volkes Israel (Rotes Meer – Wolke – Manna – Wasser aus dem Felsen – Wüste), anschließend wendet er sie auf die Gläubigen der Gnadenzeit an: „Diese Dinge aber sind als Vorbilder für uns geschehen, damit wir nicht nach bösen Dingen begehren, wie auch jene begehrten“ (V. 6; vgl. auch V. 11). Wir entnehmen daraus, dass das Thema „Wüste“ für Christen in jeder Zeit von Bedeutung ist.

 

Erst das Rote Meer, dann die Wüste

Das Volk Israel befand sich 430 Jahre in Ägypten. Obwohl es den Gott ihrer Väter aus den Augen verloren hatte (vgl. 2. Mo 3,13), gab es doch nie seine Identität auf. Allerdings war die Situation in Ägypten äußerst miserabel: Die Israeliten waren Knechte und mussten hart arbeiten. Gott sandte einen Retter, Mose, der sie befreite. Er sollte sie in ein großartiges Land führen, das Gott den Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob bereits lange vorher verheißen hatte. Mit dem Durchzug durch das Rote Meer war die erste Hürde genommen. Das Volk konnte singen: „Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg deines Erbteils, die Stätte, die du, Herr, zu deiner Wohnung gemacht hast“ (2. Mo 15,17). Eine schöne Aussicht für das Volk. Nur, wie kamen sie jetzt am schnellsten in dieses herrliche Land? – Gottes Weg führte durch das Rote Meer, am Berg Sinai vorbei und dann viele Kilometer durch die Wüste.

 

Nur für den Gläubigen ist die Welt eine Wüste

Die Philister, die sich damals im Südwesten von Palästina sesshaft gemacht hatten, kamen wahrscheinlich auch aus Ägypten. Allerdings hatten sie keinen Durchzug durch das Rote Meer erlebt, geschweige denn hatte ihr Weg sie am Berg Sinai vorbei und durch die großen Wüsten Sin und Paran geführt. Ihr Leben ist auch grundsätzlich von der der Israeliten zu unterscheiden. Sie wurden nicht von einer Knechtschaft erlöst. Nur das Volk Gottes zog durch das Rote Meer und erlebte eine beeindruckende Befreiung von seinen Feinden. Auf uns übertragen bedeutet das: Nur für das Volk Gottes, das eine ewige Erlösung durch den Tod des Herrn Jesus kennt (vorgebildet im Roten Meer), ist der Weg zum Ziel auch eine Wüstenreise.

Anders gesagt: Nur Gläubige empfinden, dass die Welt eine Wüste ist. Sie haben zwar nicht wie die Israeliten einen Umzug hinter sich, aber ihr Inneres ist verwandelt worden – und deshalb sehen sie jetzt ihre Umgebung nicht mehr als etwas Attraktives, sondern als etwas Unattraktives an, das ihrem neuen Leben nichts bietet.

 

Was kennzeichnet eine Wüste?

Mindestens vier Merkmale sind typisch für eine Wüste. Dort gibt es (abgesehen von den Oasen)

a) kein Wasser,

b) keine Nahrung,

c) keine Orientierung und

d) vielerlei Gefahren.

 

Kein Wasser?

Kaum war das Volk Israel drei Tage in der Wüste (Sur), fing das Dilemma schon an: Sie fanden kein Wasser. Und das, was sie fanden, war ungenießbar – bitter (vgl. 2. Mo 15). Kurze Zeit später die gleiche Situation: In Rephidim (Wüste Sin) gab es auch kein Wasser (vgl. 2. Mo 17). So ergeht es auch dem, der mit Christus gestorben ist. Er besitzt jetzt neues Leben, das ewige Leben, das seinen Ursprung im Himmel hat. Deshalb wird er empfinden, dass dieses Leben durch nichts in der Welt erfrischt werden kann.

Aber ohne Wasser geht es nicht! – Es ist lebensnotwendig. Ohne Wasser wäre das Volk damals umgekommen. Das war natürlich nicht Gottes Absicht. Aber nur das Wasser, das von Gott selbst kommt, dient der Belebung. Im ersten Fall wies Gott auf ein Holz. Es musste mit dem bitteren Wasser in Berührung kommen. Im zweiten Fall sollte der Fels geschlagen werden. Beides – Holz und der geschlagene Felsen – weisen auf den gestorbenen Christus hin (vgl. 1. Kor 10,4).

Auch wenn der Christ in dieser Welt kein „Wasser“ findet, das ihn erfrischt, muss er nicht ohne „Wasser“ leben. Im Gegenteil, „das Wasser, das ich ihm geben werde“, sagt der Herr Jesus, „wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt“ (Joh 4,14b). Gemeint ist der Heilige Geist. Er schenkt uns eine dauerhafte Befriedigung (vgl. Joh 4,14a). Er führt uns in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Das ist der Genuss des ewigen Lebens (vgl. Joh 17,3). Einen größeren Segen kann man sich kaum vorstellen – und das in der Wüste!

Im Alltag mag das so aussehen: Du erlebst, dass Deine Kameraden oder Kollegen Dich ausgrenzen. Das tut weh. Um Dir den Frust zu vertreiben, legst Du Musik auf. Eine scheinbare Erleichterung macht sich bemerkbar. Doch der Gedanke an den nächsten Tag ist wie ein Stich. Dann greifst Du zur Bibel. Beim Lesen entdeckst Du: Meinem Herrn ist es nicht anders ergangen als mir. Er war oft einsam. Und wie viel Ablehnung hat Er erleben müssen!

Der Weg in seiner Nachfolge bedeutet Gemeinschaft seiner Leiden – und am Ende ewiges Leben. Dieser Gedanke erfrischt: Es lohnt sich, durchzuhalten – seinetwegen.

 

Keine Nahrung?

Was sollten die Kinder Israel in der Wüste essen? In der Wüste gab es ja keine Nahrungsmittel. Auch hier gilt dieselbe Lektion wie beim Wasser: So angenehm und attraktiv manche Dinge in der Welt sind – diese bietet nichts, was uns Kraft gibt für unser Glaubensleben. Vielleicht wird das nicht jeder sofort so empfinden. Wer jedoch eine wirkliche Notlage (z.B. eine schwere Krankheit) erlebt hat, weiß, wie arm und leer die Welt letztlich ist.

Niemand braucht enttäuscht zu sein. Gott hält eine Speise bereit, die direkt aus dem Himmel kommt. Damals war es das Man. Und heute? „Mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel … Ich bin das Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6,32.41). Christus selbst, der Mensch gewordene Sohn Gottes, ist die Speise für sein Volk in der Wüste.

Was bedeutet das praktisch? Wir lesen (hoffentlich) jeden Tag in der Bibel, dem Wort Gottes. Dort finden wir den einzigartigen Menschen Jesus. Er ist in jeder Hinsicht unser vollkommenes Vorbild. Je mehr wir uns von Ihm „nähren“, umso mehr Kraft haben wir, Ihm wohlgefällig zu leben; umso mehr Energie haben wir, mit Ausdauer zu laufen und nicht zu ermatten (vgl. Heb 12,1.3).

„Das kenne ich ja, und doch habe ich keine Freude am Bibellesen“, denkt vielleicht jemand. Liegt es vielleicht daran, dass Du nicht den Herrn Jesus beim Bibellesen suchst? Oder liest Du zu viel weltliche Literatur, die Dir den Appetit verdirbt? Wer sich (wieder) Zeit nimmt, das Wort Gottes sorgfältig und mit Ehrfurcht zu lesen, wird feststellen, wie einzigartig diese Speise ist: schön anzusehen, gut im Geschmack und gut zu verarbeiten (vgl. 4. Mo 11,7.8). Eine enorm vielseitige Nahrung, die alles enthält, was ein Christ in der Wüste braucht.

 

Keine Orientierung?

Ohne Kompass ist man in der Wüste verloren. Sie bietet keine Orientierung. Straßen und Schilder sucht man vergeblich. Gut, dass das Volk damals die Wolkenund Feuersäule hatte. Sonst hätten sie nicht gewusst, wo es langgehen sollte und wo sie Halt machen sollten. Welcher vergleichbare Reiseführer ist den Christen anvertraut? Es ist Gott, der Heilige Geist, der in uns wohnt. Seine Leitung geschieht oft lautlos – so wie bei der Wolkensäule. Er führt uns nicht nach einem bestimmten Schema. Manchmal verweilt Er „viele Tage“, ein anderes Mal „wenige Tage“; zuweilen auch nur „einen Tag und eine Nacht“ – „oder zwei Tage oder einen Monat oder eine geraume Zeit“ (vgl. 4. Mo 9,19–22). Nur wer aufmerksam ist, wird wahrnehmen, wann und wohin es auf unserer Lebensreise weitergeht.

Das hört sich geheimnisvoll an, ist es aber nicht. Eher selten leitet der Heilige Geist durch spektakuläre Erlebnisse. Meist wirkt Er durch das Wort Gottes. Wie oft spricht ein Bibelvers oder -abschnitt speziell in unsere Situation!

Darüber hinaus gibt der Heilige Geist uns ganz allgemein eine bibelorientierte Ausrichtung – und das in einer orientierungslosen Umgebung. In dieser Hinsicht bringt der Heilige Geist nichts grundsätzlich Neues hervor. Die Wahrheit der Bibel ist schon mehrere Tausend Jahre alt – und immer noch aktuell. Ganz im Gegenteil zur (Geistes-) Wissenschaft. Sie propagiert ständig neue Erkenntnisse. Was gestern noch ratsam war, ist heute schon überholt. Wer kann da noch die Orientierung behalten? – Christen können dankbar sein. Sie wissen, wo es lang geht. Auf ihren „Kompass“ ist Verlass, weil die „Nadel“ ihre Ausrichtung nie ändert: „Der Ratschluss [o. Plan] des Herrn besteht ewig, die Gedanken seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht“ (Ps 33,11).

 

Vielerlei Gefahren

Die Gefahren, die das Volk Israel damals in der Wüste erlebte, wurden hauptsächlich durch feindliche Völker verursacht:

  1. Amalekiter (2. Mo 17),
  2. Kanaaniter (4. Mo 21),
  3. Amoriter (4. Mo 21),
  4. Moabiter (4. Mo 22) und
  5. Midianiter (4. Mo 31).

Die ersten drei genannten Feinde erklärten Israel den Krieg. Die Moabiter hatten einen Angriff geplant, den Gott allerdings abwendete. Die Midianiter hatten Israel durch ihre List befeindet (4. Mo 25,18). Deshalb beauftragte Gott die Israeliten, sich an diesem Volk zu rächen.

Solange das Volk Israel in Ägypten war, kannte es den Kampf gegen feindliche Mächte nicht. Wohl befand es sich unter einer feindlichen Macht, aber erst als es von der Sklaverei erlöst war und das Wasser aus dem geschlagenen Felsen getrunken hatte (2. Mo 17), wurde es das Opfer feindlicher Attacken.

Wie so oft, lassen sich diese geschichtlichen Ereignisse gut deuten. Und zwar so: Ein Mensch, der aus der Gewalt der Finsternis errettet wurde (Kol 1,13) und mit dem Heiligen Geist versiegelt ist (Eph 1,13), hat den Teufel als Widersacher (Satan) und Ankläger gegen sich. Wiedergeborene Menschen sind diesem ein Dorn im Auge. Und er unternimmt alles, um sie zu versuchen, d.h. sie von einem Gott wohlgefälligen Weg abzubringen.

Wie können wir solche Angriffe überstehen? Nur mit Gottes Hilfe. Er ist für uns – wer könnte dann siegreich gegen uns sein (vgl. Röm 8,31)? Zudem steht uns der Thron der Gnade zur Verfügung (d.h. wir gehen bewusst in die Gegenwart Gottes), „damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe“ (Heb 4,16). Gott schenkt den Sieg – heute wie damals.

 

Geht es nicht auch ohne Wüste?

Das Leben eines Gläubigen enthält manchmal zahlreiche Widerwärtigkeiten (vgl. Ps 34,20). Da mag jemand fragen: Wofür das Ganze? Wäre es nicht einfacher – sowohl für den Menschen als auch für Gott –, wenn ein Gläubiger diese „Wüstenerlebnisse“ nicht mitmachen müsste? Doch unser guter Gott verfolgt mehrere, gute Ziele mit der Wüste. Drei sollen an dieser Stelle genannt werden:

  1. Wir lernen kennen, was in unseren Herzen ist (vgl. 5. Mo 8,2). Den Charakter eines Menschen lernt man am besten in widrigen Lebensumständen kennen. Da zeigt sich, wer wir wirklich sind: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes“ (Röm 7,18). Wir sind zu allem Bösen fähig.
  2. Wir lernen kennen, wie gütig unser Gott ist (vgl. 5. Mo 29,4.5). Unsere Verlegenheiten sind Gottes Gelegenheiten, seine Größe, Macht und Liebe zu zeigen. Diese Gelegenheit wird es im Himmel nicht mehr geben.
  3. Je mehr wir empfinden, wie groß und schrecklich die Wüste ist (vgl. 5. Mo 1,19), umso mehr lösen wir uns von den irdischen Dingen und warten sehnlich auf den Himmel. Bei paradiesischen Zuständen hier auf der Erde wäre das sicherlich nicht der Fall.

 

Warum dauert die Wüstenreise so lange?

Die Entfernung zwischen dem Horeb (Sinai) und Kanaan ist überschaubar: elf Tagereisen. Das Volk wanderte allerdings fast 40 Jahre durch die Wüste. Musste das sein? War es nicht Gottes Absicht, das Volk schnell in das Land Kanaan zu bringen (vgl. 5. Mo 1,6–8)? Eigentlich ja. Doch wegen seines Ungehorsams und Unglaubens strafte Gott das Volk und ließ es Jahrzehnte in der Wüste umherziehen (vgl. 5. Mo 2,1). Dass Gläubige heute ein Leben lang die Welt als eine Wüste empfinden, hat nichts mit einer Strafe zu tun. Letztlich dienen denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten (Röm 8,28). Aber was die drei oben genannten Ziele Gottes mit der Wüste betrifft – brauchen wir nicht meist viele Jahre, bis wir sie erreichen?

Der Himmel wird einmal zeigen, was wir in dieser Welt für unseren Herrn waren. Und wir werden darüber staunen, was Er für uns gewesen ist.