Bibelstudium

Bibelstudium - Der Streit um die Auserwählung Oder: "TULIP" - Die "fünf Punkte des Calvinismus"

Im „Calvin-Jahr“ lohnt sich nicht nur ein Blick auf die Person des Johannes Calvin (dazu Heft 2, S. 9). Uns interessiert auch die Lehre, die sich aus seinem Wirken entwickelt hat. Der „Calvinismus“, der sich seit Calvin fortund auch von ihm wegentwickelt hat, spielt in den reformierten Kirchen (die eine Teilströmung innerhalb der evangelischen Kirche bilden) eine wichtige Rolle. Die reformierte Theologie insgesamt hat seit einigen Jahren zunehmenden Einfluss in der Christenheit gewonnen, gerade auch im evangelikalen Bereich. Wir können sie an dieser Stelle nicht komplett erörtern, sondern  uns nur mit einigen Kernaussagen beschäftigen – den „fünf Punkten des Calvinismus“. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Lehre von der Auserwählung, oft auch „Gnadenlehre“ genannt.

 

Die Entstehung der „fünf Punkte des Calvinismus“

Wesentliche Kernpunkte der Lehre des Calvinismus wurden im 17. Jahrhundert in den sogenannten „Fünf Punkten des Calvinismus“ niedergelegt. Diese Punkte stammen nicht von Calvin selbst (1509–1564), sondern wurden erst in der „arminianischen Kontroverse“ im 16./17. Jahrhundert so ausformuliert. Damals lehrte Jacobus Arminius (1560–1609) in den reformierten Kirchen der Niederlande u. a. den freien Willen des Menschen und wandte sich gegen die klassische reformierte Lehre von der bedingungslosen Auserwählung der Gläubigen. Im Jahr 1618 wurde in Dordrecht eine Allgemeine Synode der reformierten Kirchen einberufen, die die Lehren der Arminianer als der Heiligen Schrift widersprechend verwarf. Die Essenz der damals entwickelten „Dordrechter Lehrsätze“ ist als die „Fünf Punkte des Calvinismus“ bekanntgeworden. Diese „fünf Punkte“ sind nicht die Grundlage und auch keine umfassende Darstellung der calvinistischen Lehre, aber sie geben doch ihren Kern wieder.

 

TULIP – Die „fünf Punkte des Calvinismus“

  1. Die völlige Verderbtheit des Menschen (total depravity) – der Mensch ist durch den Sündenfall so vollständig verdorben, dass er sich noch nicht einmal selbst bekehren kann.
  2. Die bedingungslose Erwählung (unconditional election) – Gott hat bestimmte Menschen zum Heil erwählt und die anderen zum Verderben bestimmt.
  3. Die begrenzte Sühnung (limited atonement) – nur für die Erwählten ist Jesus Christus am Kreuz gestorben.
  4. Die unwiderstehliche Gnade (irresistible grace) – die Erwählten führt Gott in Gnade zur Bekehrung, ohne dass der Mensch dem widerstehen könnte oder sich nach seinem freien Willen positiv dafür entscheiden könnte.
  5. Das Ausharren der Heiligen (perseverance of the saints) – die Erwählten erhält Gott bis zum Ende ihres Lebens im Glauben; sie selbst zeigen Ausharren im Glauben und in guten Werken.

 

Was die Bibel dazu sagt

1. Der Mensch ist durch und durch böse – kann er sich bekehren?

Die calvinistische Lehre von der „völligen Verderbtheit des Menschen“ besagt, dass der Mensch infolge des Sündenfalls unfähig zu allem Guten ist. Ohne die Neugeburt kann und will er nicht zu Gott umkehren, mit anderen Worten: Er kann sich ohne die vorherige Neugeburt nicht bekehren. Mit diesem Lehrsatz antwortete die Dordrechter Synode auf die Auffassung der Arminianer, dass der Mensch einen freien Willen hat, der es ihm ermöglicht, sich zu bekehren.

Beide Lehrmeinungen knüpfen an die Lehre der Bibel an, gehen aber (in entgegengesetzter Richtung) über sie hinaus.

 

Was sagt die Bibel?

Die Bibel lehrt, dass alle Menschen Sünder sind und deshalb nicht die Herrlichkeit Gottes erreichen (Röm 3,23). Aus Gottes Sicht ist der Mensch moralisch tot (Eph 2,1) und braucht neues Leben (Joh 3,3). Er ist ein Knecht der Sünde (Joh 8,34; Eph 2,3). Es gibt unter den Menschen keinen, der Gott sucht (Röm 3,10.11). So kommt auch niemand zu Gott, ohne dass der Vater ihn zieht (Joh 6,44.65). Der Mensch braucht Gott, der sein Herz auftut und erleuchtet (Apg 16,14; 2. Kor 4,6). Die Errettung durch Glauben ist Gottes Gabe (Eph 2,8). Diese Seite, die heutzutage oft nicht deutlich genug betont wird, vernachlässigen die Arminianer.

Die Calvinisten dagegen vernachlässigen die menschliche Verantwortung. Denn Gott gebietet jedem Menschen, dass er Buße tun soll; die Buße ist ein Akt des Gehorsams (Apg 17,30; 2,40; Röm 1,5; 2. Thes 1,8) und eine Willensentscheidung (Off 22,17). So ist der Mensch verantwortlich, Gottes (An-)Gebot im Glauben anzunehmen; er wird aufgefordert zu glauben (Mk 1,15; 5,36; Apg 16,31).

 

Der Kern des Problems: Die Unterscheidung zwischen Gottes souveräner Gnade und der menschlichen Verantwortung

In 2. Timotheus 2,19 wird ein Bild benutzt, um den Zusammenhang von Gottes Gnade und Souveränität sowie der Verantwortung des Menschen zu zeigen: Es gibt ein Siegel, dessen eine Seite lautet: „Der Herr kennt, die sein sind“; und die andere Seite lautet: „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit“. Der Mensch kann die eine wie auch die andere Seite erkennen, aber er kann sie nicht übereinander bringen: Sieht er nur die menschliche Seite, so hat er Gottes Gnade und Souveränität nicht im Blick; sieht er nur Gottes Seite, so bekommt er Probleme mit der menschlichen Verantwortung und mit Gottes Gerechtigkeit.

Man kann hier auch an 1. Korinther 13,12 denken, dass wir Menschen, solange wir noch auf der Erde sind, nur „stückweise“ erkennen. Wir können das „Stück“: „Gottes Gnade und Souveränität“ einzeln erkennen, ebenso das „Stück“: „Verantwortung des Menschen“ – aber nicht beide Seiten gleichzeitig, so dass wir das volle Bild der Wahrheit auf einen Blick hätten.

Aber der Mensch muss die beiden Seiten auch nicht zusammenbringen, denn Gott wird immer seinem Wesen treu bleiben – aus Gottes Sicht haben beide Seiten des    20  Bibelstudium    Siegels volle Geltung. Darauf kann ich mich verlassen. Und der Mensch darf sie auch nicht zusammenbringen. Will er göttliche Gnade und Souveränität sowie menschliche Verantwortung in ein stimmiges Konzept zwingen, so endet das unweigerlich in einer Überbetonung des ersten (Calvinismus) oder des zweiten (Arminianismus).

 

Praxistipp: Brauche ich eine „Erfahrung“, dass Gott mich erretten will?

Wenn ich Gottes Seite der Errettung (sein erweckendes und überführendes Wirken in dem Sünder) in den Vordergrund stelle, komme ich schnell zu der Frage, ob Gott überhaupt schon in mir gewirkt hat – sonst kann ich mich ja gar nicht bekehren. Dann warte ich vielleicht auf eine Erfahrung: Ich will (passiv) erleben, dass Gott mir die Bekehrung gibt. Aber ich kann mich – statt auf meine Erfahrungen – auf die Aussage des Herrn Jesus stützen, dass der, der an ihn glaubt, ewiges Leben hat (Joh 3,16; 5,24). Deshalb spricht die Bibel den Menschen anders an:„Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht“ (z.B. Heb 4,7).

 

2. Die einen zum Heil erwählt, die anderen zur Verdammnis bestimmt?

Nach dem calvinistischen Grundsatz der„bedingungslosen Erwählung“ hat Gott vor Grundlegung der Welt aus dem gesamten Menschengeschlecht eine bestimmte Menge von Menschen zum Heil auserwählt. Die Menschen, die Er nicht erwählt hat, hat Gott beschlossen zu verdammen und ewig zu strafen. Demgegenüber hat Gott nach Auffassung der Arminianer diejenigen Menschen zum Heil erwählt, von denen er wusste, dass sie sich einmal zu Ihm bekehren würden.

Auch bei diesem Punkt ziehen beide Lehrmeinungen aus der Lehre der Bibel Schlussfolgerungen, die sich anhand der Schrift nicht begründen lassen.

 

Was sagt die Bibel?

Die Bibel spricht mehrfach davon, dass Gott bestimmte Menschen zu bestimmten Vorrechten auserwählt hat. Das mag unbequem sein, aber es ist die Lehre der Schrift. Allerdings behandelt die Bibel das Thema Auserwählung – was die heutige Gnadenzeit betrifft – weniger in den Kategorien von „Heil“ und „Verderben“. Bei den Auserwählten der christlichen Zeitepoche geht es in erster Linie um die christliche Stellung: Wer die christliche Stellung (geheiligt und tadellos vor Gott in Liebe) innehat, der ist von Gott dazu vor Grundlegung der Welt auserwählt worden (Eph 1,4).

Gottes Auswahl beruht allein auf seinem Wohlgefallen und auf seinem Willen (Eph 1,5.9.11; vgl. 2. Mo 33,19; 5. Mo 7,7.8; Röm 9,6 ff.). Das vernachlässigen die Arminianer und schmälern (eigentlich: beseitigen) damit Gottes Souveränität. Seine Entscheidung ist nicht „bedingt“, sie ist nicht vom menschlichen Verhalten abhängig. Die Auserwählung ist geschehen mit Vorkenntnis Gottes von der Person, aber nicht auf Grund der Vorkenntnis Gottes von dem Verhalten der Menschen, die sich bekehren würden (1. Pet 1,2; vgl. Apg 13,48).

Die Bibel lehrt aber nicht, dass jemand zum Verderben zuvor bestimmt wird. Die „doppelte Prädestination“, die die Calvinisten lehren, scheint zwar logisch. Sie ist aber noch nicht einmal eine zulässige logische Schlussfolgerung. Gott hätte zwar das Recht, Menschen zur Verdammnis auszuwählen (Röm 9,20 ff.). Aber Gott will, dass alle Menschen errettet werden (1. Tim 2,4). Wer gerichtet werden wird, war nicht bereit, Buße zu tun, hat sich selbst Verderben aufgehäuft (Röm 2,5) und zum Verderben zubereitet (Röm 9,22; 1. Pet 2,8).

 

Praxistipp: Wie kriege ich die Frage der Auserwählung „in den Griff“?

Wichtig ist es, zwischen Gottes Seite (souveräne Gnade) und der menschlichen Seite (Verantwortung) zu unterscheiden:
Wenn ich mich zu dem Herrn Jesus bekehrt habe und damit meiner Verantwortung nachgekommen bin, kann ich dankbar sein: Ich weiß, dass ich auserwählt bin (Eph 1,4). Das macht es mir groß, dass Gott mich schon kannte und liebte, bevor ich überhaupt geboren war. Und an dem gelebten Glauben meiner Glaubensgeschwister erkenne ich, dass sie auserwählt sind (1. Thes 1,4). Ob ein Mensch, der sich noch nicht bekehrt hat, auserwählt ist – darüber muss ich mir keine Gedanken machen. Da befinde mich auf der anderen Seite des „Siegels“, der Verantwortung: Ich soll und möchte diesen Menschen zu dem Herrn Jesus führen. Im Gespräch mit einem Ungläubigen ist die Auserwählung erst recht kein Thema, denn für ihn gilt nicht: „Prüfe, ob Du auserwählt bist“, sondern: „Tue Buße und bekehre Dich!“ Wer will, kann kommen (Offb 22,17). Wer sich nicht bekehren will, geht deshalb verloren.

 

3. Sühnung nur für die Auserwählten?

Der calvinistische Lehrsatz der „beschränkten Sühnung“ besagt, dass der Tod des Sohnes Gottes nur für die Erwählten wirksam ist. Demgegenüber vertreten die Arminianer die Auffassung, dass im Tod Christi am Kreuz die Sühnung umfassend für alle Menschen erfolgt ist, jedoch nur für diejenigen wirksam wird, die sich zu Gott bekehren.

Die Calvinisten beschränken die Heilswirkungen des Todes des Herrn Jesus zu Recht auf die Gläubigen, vernachlässigen dabei aber, dass die Sühnung für die ganze Welt ist.

 

Was sagt die Bibel?

Die Bibel sagt, dass der Herr Jesus „die Sühnung für unsere Sünden“ ist, „nicht allein aber für die unseren, sondern für die ganze Welt“ (1. Joh 2,2; vgl. 4,10). Wo Sünden sind, verlangt Gott seinem heiligen Wesen gemäß nach Sühnung – das heißt: Er verlangt den Tod (Röm 6,23), und zwar den Tod eines Gerechten. Diese Forderung hat der Herr Jesus durch seinen Tod am Kreuz erfüllt. Entgegen der Lehre der Calvinisten ist die Sühnung nicht auf die Auserwählten beschränkt: Gott hat alle Menschen geliebt; „jeder“, der an ihn glaubt, wird errettet werden (Joh 3,16); Christus ist „für alle gestorben“ (2. Kor 5,15); Er schmeckte „für alles [oder: jeden] den Tod“ (Heb 2,9); Er gab „sich selbst zum Lösegeld für alle“ (1. Tim 2,6); in Ihm ist Gottes Gnade „heilbringend für alle Menschen“ erschienen (Tit 2,11). Die Sühnung ist unteilbar. Sie hat ihren Wert durch die Sündlosigkeit und Heiligkeit des Opfers von Jesus Christus; dieses sühnende Opfer reicht für alle und für jeden.

Der einzelne Mensch muss dieses Sühnmittel aber „durch den Glauben“ in Anspruch nehmen (Röm 3,25; vgl. V. 22). Wenn die Calvinisten die Wirkung der Sühnung beschränken, unterscheiden sie damit nicht zwischen der (allgemeinen) Wirkung der Sühnung und der (beschränkten) Wirkung der Stellvertretung. Insofern widersprechen ihnen die Arminianer zu Recht, dass die persönlichen Wirkungen der Sühnung (Erlösung, Vergebung, Rechtfertigung, ...) nur bei denen eintreten, die Buße tun und an den Herrn Jesus glauben (vgl. Eph 1,7; Offb 1,5). Dabei fällt auf, dass die Bibel, wenn es um den stellvertretenden Aspekt des Todes des Herrn Jesus geht, stets nur den Begriff „für viele“ gebraucht (Heb. 9,28; vgl. 1. Pet 2,24; Röm 5,18.19; Jes 53,12; Mt 26,28), nicht„für alle“, wie bei der Sühnung (s.o.).

 

Praxistipp: Darf ich evangelistisch sagen: Der Herr Jesus ist für dich gestorben?

Der Herr Jesus ist für jeden Menschen gestorben. Er ist gestorben, um jeden Menschen zu erretten. Er ist als vollkommener, heiliger Mensch für Gott so ein wertvolles Sühn-Opfer gewesen, dass es für alle und jeden ausreicht. Deshalb darf ich jeden Menschen einladen: Komm zu dem Herrn Jesus, Er ist für Dich gestorben (2. Kor 5,11 ff., insb. V. 15.20).

 

4. Die Neugeburt – nur Gottes Wirken, oder muss der Mensch auch wollen?

Nach dem calvinistischen Grundsatz von der „unwiderstehlichen Gnade“ bewirkt Gott selbst in den Auserwählten die neue Geburt ohne ihr Zutun. Der Mensch kann keine Willensentscheidung treffen, sich zu bekehren, sondern der Glaube „ereilt“ ihn. Gott bewirkt im Menschen das Glauben-Wollen und das Glauben selbst.

Demgegenüber kann der Mensch nach Auffassung der Arminianer Gottes Willen und Wirken auch widerstehen. Erst wenn er sich für den Glauben entscheidet, erfolgt die Wiedergeburt.

Wie in Punkt 1 und 2 geht der Calvinismus wiederum über die Schrift hinaus, indem er einseitig Gottes Souveränität betont. Der Arminianismus neigt demgegenüber dazu, diese Seite zu vernachlässigen.

 

Was sagt die Bibel?

Ein Schlüsselproblem ist Gottes Wille: Was will Gott – und: Kann der Mensch Gottes Willen widerstehen? Im griechischen Grundtext gibt es zwei verschiedene Begriffe für „Willen“: Der eine (thelo, thelema) drückt mehr Gottes Wunsch aus, der andere (boulomai, boulema) betont Gottes Autorität. Dass irgendjemand verloren geht (2. Pet 3,9), ist kein unabänderlicher Beschluss/Befehl („nichtboulomai“). Gemäß 1. Timotheus 2,4 will/wünscht (thelo) Gott, dass alle Menschen errettet werden. Sein Gnadenangebot gilt für alle Menschen: Alle sind Sünder und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade (Röm 3,23.24). Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen (Tit 2,11; 1. Tim 2,4). Wer zu dem Herrn Jesus kommt, den wird Er nicht hinausstoßen (Joh 6,37).

Es gibt andererseits einen absoluten und souveränen Willen Gottes, dem niemand widerstehen kann. Zu diesem autoritativen Willen gehört auch, dass die vor Grundlegung der Welt Auserwählten auf jeden Fall gerechtfertigt und verherrlicht werden (Röm 8,28-30). Deshalb ist ihr Heil sicher (s. Punkt 5). Dies ist die wichtige Seite von Gottes souveräner Gnade, die die Arminianer vernachlässigen.

Der Mensch hat dagegen die Verantwortung, Gottes Willen nachzukommen (s. Punkt 1). In der Bibel gibt es – entgegen der calvinistischen Lehre – zahlreiche Beispiele, dass Menschen Gottes Willen widerstanden haben. Gott hat die Juden Jerusalems gerufen, aber sie haben „nicht gewollt“ (Mt 23,37); einigen Juden sagte Er: „ihr wollt nicht zu mir kommen“ (Joh 5,40; vgl. Joh 1,11; 12,48). Später sagte Stephanus über seine Mörder, dass sie dem Heiligen Geist widerstritten, wie schon zuvor ihre Väter (Apg 7,51; vgl. Röm 10,21). Und der Herr sagte über die Pharisäer und Gesetzesgelehrten, dass sie Gottes Ratschluss (Gottes grundsätzlichen Willen, dass alle Menschen errettet werden, 1. Tim 2,4) in Bezug auf sich selbst zunichte machten, da sie sich nicht der Bußtaufe unterzogen (Lk 7,30).

 

Praxistipp: Darf ich für die Errettung jedes Menschen beten?

Auch hier muss man wieder beide Seiten auseinander halten: Gott will (wünscht), dass alle Menschen errettet werden. Seine Gnade ist für alle da. Aber er zwingt niemanden zum Heil; man kann sich bewusst gegen Ihn entscheiden, und man kann sich bewusst für Ihn entscheiden. Das hat Folgen in der Ewigkeit.  Ich kann also unbesorgt, im Glauben und ohne zu zweifeln für die Errettung eines Menschen beten, denn ich kenne Gottes Willen, dass er alle Menschen – auch diese Person – erretten will. Dazu kann ich nicht nur um Gottes Wirken an dieser Person beten, sondern mich auch in Kontakten und Gesprächen von Gott gebrauchen lassen. Wie sich dieser Einzelne entscheidet, ist dessen Verantwortung.

 

5. Heilssicherheit, Heilsgewissheit – was bringt die Auserwählten ans Ziel?

Der calvinistische Lehrsatz vom „Ausharren der Heiligen“ besagt, dass die Auserwählten und durch Gottes unwiderstehliche Gnade Bekehrten nicht von sich aus in dieser Gnade bleiben können, aber dass Gott sie bis zum Ende in der Errettung erhält. Die Gewissheit hierüber haben die Gläubigen aus dem Glauben, dem Streben nach guten Werken und den Sakramenten. Die Arminianer hingegen waren zur Zeit der Dordrechter Synode von der Schrift her nicht überzeugt, dass ein Gläubiger nicht vom Glauben abfallen könnte und lehrten später, dass ein Gläubiger sein Heil verlieren kann.

Die Calvinisten betonen zu Recht die Lehre der Schrift von der Sicherheit und Gewissheit des Heils (hier haben die Arminianer Unrecht), bringen aber in die Lehre der Heilsgewissheit Gedanken hinein, die Gesetzlichkeit und Elitedenken fördern.

 

Was sagt die Bibel?

Die Bibel lehrt deutlich die Unverlierbarkeit des Heils – aus reiner Gnade: Es ist Gottes Gnade, dass Er„errettete“, von neuem geborene Kinder Gottes bis zum Ende bewahrt (1. Pet 1,9.10.13; 5,10.12; Jud 24.25); er wird uns „befestigen bis ans Ende“ (1. Kor 1,8; 2. Thes 3,3); er wird das„gute Werk“, das er mit der neuen Geburt in uns„angefangen“ hat, „vollenden bis auf den Tag Christi“ (Phil 1,6). Die Auserwählten werden bis ans Ende bewahrt (Röm 8,30; 1. Thes 5,24). Dies verkennen die Arminianer.

Auch hier gibt es allerdings eine Seite der Verantwortung. Die Bibel warnt, dass jemand, der sich zu Christus bekennt, wirklich durch Buße und Glauben von neuem geboren worden sein muss. Sonst wird er nicht errettet werden, selbst wenn er Christus als „Herrn“ anruft (Mt 7,23; vgl. Joh 15,2.6; Röm 11,22). Der Christ muss – im Bild eines Wettkampfs – schon darauf achten, wie er läuft: „Lauft nun so, dass ihr ihn erlangt“ (1. Kor 9,24). Jemandem, der auf dem falschen Weg läuft, sagt Gott nicht:

„Der falsche Weg führt Dich dennoch zum Ziel“. Deshalb die Warnung, dass das Salz nicht kraftlos werden soll (Mt 5,13) und dass ein Diener nicht verwerflich werden soll (1. Kor 9,27; 1. Thes 3,5). Der Herr ruft zu konsequenter Hingabe in der Jüngerschaft (Lk 14,31; Joh 8,31) und zu praktischer Heiligkeit auf (Heb 12,14). Letztlich wird jeder Gläubige errettet werden – vielleicht ist es „mit Not“ (1. Pet 4,18), vielleicht „so wie durchs Feuer“ (vgl. 1. Kor 3,15), aber doch errettet. Wie gnädig ist Gott!

Das Heil ist dem Gläubigen also sicher. Kann er sich dessen auch persönlich gewiss sein? Ja. Diese innere Gewissheit kommt aber – entgegen der Lehre der Calvinisten – nicht aus der praktischen Heiligkeit, die die Echtheit des Glaubens „beweist“. Sondern der Heilige Geist bewirkt sie in dem Gläubigen (Röm 8,15; Gal 4,6) aufgrund des klaren Zeugnisses der Bibel. Viele Bibelstellen bezeugen ein echtes „Wissen“ z.B. von Gottes gutem Ziel mit uns (Röm 8,28), unserer göttlichen Natur (1. Joh 5,19) und der Erkenntnis Gottes (1. Joh 5,20), unserer Auferstehung (2. Kor 4,14; 5,1) und der Ewigkeit, in der wir dem Herrn Jesus Christus gleich sein werden (1. Joh 3,2). Ein Leben in praktischer Heiligkeit wird diese Heilssicherheit nicht erhöhen, bestärkt jedoch diese Gewissheit, die sich auf das Wort Gottes gründet (vgl. 1. Joh 3,14).

 

Praxistipp: Heilssicherheit und Heilsgewissheit

Auch bei diesem Thema muss man der Versuchung widerstehen, eine Seite gegen die andere auszuspielen. Die Schrift lehrt klar, dass ein Gläubiger, der von neuem geboren ist, das Heil ewig sicher hat. Das beseitigt aber nicht seine Verantwortung zu einem gottgemäßen Wandel. Deshalb warnt Gott vor einem leichtfertigen Leben. Das stellt aber wiederum seine Zusage nicht in Frage, dass er die Seinen bis ans Ende bewahren wird. Beide Seiten haben ihre volle Geltung, ihren Ernst und ihren Trost.  Wichtig ist, dass ich meine persönliche Gewissheit des Heils nicht aus eigenen Erfahrungen herleite oder aus meiner praktischen Heiligkeit, die ich ohnehin nie dauerhaft erreiche. Sondern dass ich mein volles Vertrauen auf die Aussagen der Bibel stütze, die dem Gläubigen ein sicheres Heil garantieren.

 

Zusammenfassung

Wenn man die„fünf Punkte des Calvinismus“ aus der Sicht der Bibel beleuchtet, wird deutlich, dass der Calvinismus zwar durchweg an die Schrift anknüpft. Er geht aber in Form von Schlussfolgerungen über die Schrift hinaus, um ein in sich schlüssiges Lehrsystem zu begründen. Es geht darum, sich auf die Aussagen der Bibel zu beschränken und auch zwei eindeutig bezeugte Lehraussagen nebeneinander stehen zu lassen, selbst wenn sie sich aus menschlicher Sicht scheinbar widersprechen.