Gideon und sein Vlieszeichen - Vorbild oder Warnung

Gideon und sein Vlies-Zeichen – Vorbild oder Warnung?

Warum ist es falsch, wie Gideon in Richter 6,36-40 um ein Zeichen zu bitten, um vor einer Sünde bewahrt zu blei- ben, und fest damit zu rechnen, dass der Herr die Antwort auf dieses Zeichen erfüllt? E.R.

Du meinst sicher mit der Bewahrung vor einer Sünde einen falschen Weg, eine falsche Entscheidung, und nicht „konkrete“ Sünden – da ist Gottes Wort ja eindeutig und direkt zu befolgen. Wenn es im Leben um solche Wegentscheidungen geht, sind in erster Linie die Fragen „Ist der Weg in Übereinstimmung mit Gottes Wort?“ und „Gehe ich diesen Weg zu Gottes oder zu meiner eigenen Ehre?“ zu stellen. Doch auch dann ist noch nicht jeder Weg als Gottes Weg („Ebne vor mir deinen Weg“, Ps 5,9) erkennbar. Manchmal gilt es dann zu warten und die innere Überzeugung durch Gebet zu erhalten. Nicht selten können auch äußere Umstände ein zusätzlicher Fingerzeig, ja vielleicht eine Art von Zeichen sein (2. Kor 2,13).

Eine regelrechte „Verabredung“ mit dem Herrn zu treffen, etwa in dem Sinn von: „wenn die erste Absage auf meine Bewerbung eintrifft, soll ich mich für einen anderen Beruf entscheiden“, birgt jedoch die Gefahr in sich, weniger in Ruhe den Willen des Herrn zu erflehen und dadurch vielleicht doch auf einem „Holzweg“ zu landen. Ich würde nicht sagen, dass der Herr diese Möglichkeit nicht auch mal schenkt, aber ein Leiten mit seinen Augen (Ps 32,8) ist doch dem durch Zaum und Zügel (Vers 9) allemal vorzuziehen.

Man sollte aber auch vorsichtig sein, eine Entscheidung, die man getroffen hat und die man später wieder korrigieren musste, gleich als Sünde zu bezeichnen (besonders bei anderen!). Mancher Zick-Zack-Kurs in unserem Leben kann auch zur Schulerziehung Gottes gehören!

Gott hatte Gideon übrigens bereits vorher deutlich seinen Auftrag und auch die Zusage seiner Gegenwart gegeben (Ri 6,14.16), da gab es eigentlich nichts mehr zu bestätigen. Deshalb gibt es an dieser Handlung Gideons auch nicht viel zu loben. Es fällt auch auf, dass Gideon durch die doppelte Zuwendung Gottes beim Vlies weder mehr Zuversicht bekam (das kam erst, als er von dem Traum des Midianiters erfuhr) noch mehr Klarheit. Das sollte uns vorsichtig im Umgang mit sogenannten Zeichen machen. Es sollte uns sicher zu denken geben, dass der Apostel Paulus, nachdem er ein für uns vielleicht „eindeutiges“ Zeichen empfangen hatte (das Gesicht des mazedonischen Mannes) nach Rücksprache mit seinen Mitarbeitern zu dem eher vorsichtigen Schluss kommt: „da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe“ (Ap. 16,10).

Aber ist die Geschichte nicht zugleich ein Spiegel unserer eigenen Unsicherheit – und der mitfühlenden Gnade Gottes? Wenn Gott uns etwas klar gemacht hat, brauchen wir dazu keine Zeichen mehr und offenbaren dann eher Unglauben als Vertrauen, wenn wir noch in den Startlöchern bleiben. Aber zugleich lässt sich der Herr oft zu uns herab und gibt uns – zum Beispiel durch klare Begleitumstände – zusätzliche Gewissheit. So gütig ist unser Herr!

Ich hoffe, Deine Fragen richtig verstanden und auch für Dich nützlich behandelt zu haben. Wenn nicht, so danke ich Dir für Hinweise und werde diese gerne berücksichtigen. Herzliche Grüße,

Martin Schäfer