Für die sind wir der letzte Dreck

Für die sind wir der letzte Dreck
Straßenkinder auf der Flucht / Leben in der Bauruine
Der Wind pfeift durch die zerbrochenen Scheiben, es regnet. Unter dem Fenster haben sich Pfützen gebildet. Durch das undichte Dach tröpfelt Wasser auf die halbverfaulten Dielen. Modriger Geruch durchzieht die Bauruine im Stadtzentrum von H. „Dies ist die einzige trockene Ecke im ganzen Haus" , erklärt Nils und rückt auf der verschmutzten Matratze näher an seine Freunde heran. „Hier können wir wenigstens ein paar Wochen bleiben. Aber wenn der Bagger kommt, müssen wir uns wieder was anderes zum Pennen suchen." Nils (15), Silvia (16), Anika (13), „Krümel" (15) und Heike (17) leben seit Monaten auf der Straße. „Wir haben uns vor ein paar Wochen auf dem Marktplatz kennengelernt", erzählt Nils, „Anika und Krümel suchten einen Platz zum Pennen, da haben wir sie einfach mitgenommen. Silvia tauchte erst vor ein paar Tagen auf und tat uns total leid. Sie war gerade aus der Klapse abgehauen."
Die fünf Jugendlichen gehören zu den 50 000 Straßenkindern in Deutschland, die keine feste Bleibe haben. Jeden Tag kämpfen sie aufs neue ums Überleben. Sie betteln, schlafen in Abbruchhäusern, in Parks oder bei Freiern vom Drogenstrich. Die meisten sind von zu Hause ausgerissen, viele sind aber auch von ihren Eltern verstoßen worden. In manchen Fällen haben es das Jugendamt und die Polizei längst aufgegeben, die Ausreißer wieder nach Hause zu bringen. Wie viele Straßenkinder es in H. derzeit gibt, weiß niemand genau. Bei dem anonymen Hilfsprojekt „S.C.H.I.R.M. e.V." , WO Straßenkinder ohne Ausweiskontrolle duschen und ihre Wäsche waschen dürfen, in Notfällen auch ärztliche Hilfe vermittelt bekommen, sind zur Zeit 326 Straßenkinder registriert. „Viele trauen sich nicht, zu uns zu kommen und um Hilfe zu bitten", sagt Klaus-Dieter D., ein Sozialarbeiter des Vereins. „Sie haben Angst, sofort wieder nach Hause gebracht zu werden - für viele von ihnen der blanke Horror. Niemand haut ohne Grund ab. Die Kinder haben alle die gleichen Erfahrungen gemacht: Gewalt in den Familien, mangelnde Zuwendung, schlechte Leistungen in der Schule. Ihr einziger Ausweg war die Flucht. Sie hauen auch vor ihren eigenen Problemen ab." So wie „Krümel", der eigentlich Silvio heißt. Die anderen haben ihm den Spitznamen verpaßt, weil er für seine 15 Jahre sehr zierlich ist. „Dem haben sie nie was Gescheites zu essen gegeben, deswegen ist er so klein geblieben", sagt Heike, die auf dem selbstgebastelten Grill - als Rost dient eine verbogene Fahrradfelge - eine Dose Suppe aufwärmt.
Bis vor fünf Monaten hat „Krümel" bei seiner Mutter in einem trostlosen Plattenbau gelebt. Sein Vater ist vor zwei Jahren ausgezogen. „Krümel" sagt: „Eines Tages kam sie mit einem neuen Freund an, plötzlich war ich überflüssig. Sie hat sich überhaupt nicht mehr um mich geküm-mert. Da bin ich zum ersten Mal abgehauen. Meine Mutter hat zwar eine Vermißtenanzeige aufgegeben, aber als mich die Bullen wieder nach Hause gebracht hatten, war sie richtig enttäuscht, daß ich so schnell wieder da war. Ich war ihr im Weg. Immer wieder hat sie mich eingesperrt. Wegen jeder Kleinigkeit hat sie mich geschlagen. Ich hab's nicht mehr ertragen und bin zum zweiten Mal abgehauen." Das war vor drei Monaten. „Wenn ich jetzt von der Polizei hier kontrolliert werde, können sie nichts machen", sagt „Krümel". ,Erstens weiß jeder Bulle, daß ich gleich wieder abhaue, zweitens liegt sowieso keine Vermißtenanzeige mehr vor." Das schlimmste Schicksal hat Silvia erlitten. Die Hauptschülerin wurde vor zwei Wochen in die Nervenheilanstalt zwangseingeliefert - wegen akuter Selbstmordgefahr. Ein türkischer Drogendealer hatte sie vergewaltigt, danach schnitt sie sich die Pulsadern auf. „Dieses Schwein hat zuerst auf nett gemacht und mich zum Essen eingeladen. Dann hat er mich in einen Park gefahren und vergewaltigt." Tränen laufen ihr übers Gesicht. Heike nimmt sie in den Arm. „Das Leben auf der Straße ist einfach Asche! Manchmal sind wir total am Ende - wir leben doch nicht freiwillig auf Platte. Jeder von uns träumt von einem richtigen Zuhause, von einer Familie, die zusammenhält. Aber uns will doch keiner. Für die da draußen sind wir der letzte Dreck."
Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19.10.1998
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