Der alte Elia und der junge Elisa

0. Einleitung

Leider ist auch unter uns Christen das Verhältnis zwischen Älteren und Jüngeren oft belastet oder gestört. Dagegen enthält die Bibel ermutigend viele Beispiele eines guten Miteinander von Jung und Alt, unter anderen Mose und Josua, Hiob und Elihu, Eli und Samuel, Noomi und Ruth, Mordokai und Esther, Elisabeth und Maria, Paulus und Timotheus. Sie zeigt aber auch, dass diesem Miteinander zunächst ein Lern- und Erziehungsprozess vorausgegangen war, durch den diese Gläubigen den Herrn und sich selbst besser kennengelernt hatten. Ein sorgfältiges Studium ihrer Erfahrungen wird uns befähigen, in jedem Alter das Verhältnis zwischen den Generationen positiv zu beeinflussen.
Wir möchten uns heute den Propheten Elia und Elisa zuwenden.

1. Schwere Zeiten

Knapp sechzig Jahre nach der Teilung des Reiches Salomos wurde Ahab König über den nördlichen Teil, das Königreich Israel. Wirtschaftlich und außenpolitisch standen die Dinge nicht schlecht. Aber für alle Israeliten, die dem HERRN noch treu dienen wollten, begann eine schreckliche Zeit. Schon seit zwei Generationen gingen die zehn Nordstämme nicht mehr zu den Jahresfesten des HERRN nach Jerusalem. Sie begnügten sich mit den Scheingottesdiensten in Bethel bzw. Dan, die dort seit König Jerobeam unter Missachtung aller göttlichen Anordnungen vor goldenen Kälberstatuen stattfanden. Nun hielt Ahab die Zeit für gekommen, jede Erinnerung an den HERRN, den Gott Israels, auszulöschen. Seiner zidonischen Frau Isebel zuliebe führte er mit brutaler Gewalt den kanaanäischen Baalsdienst ein. Gottes Wort fasst zusammen: „Und Ahab tat mehr, um den HERRN, denGott Israels, zu reizen, als alle Könige Israels,die vor ihm gewesen waren” (1. Kön 16,33).

2. Glauben unter verwirrenden Umständen

Vor diesem düsteren Hintergrund leuchtet der Glaube des Propheten Elia, wie er uns in 1. Könige 17 und 18 beschrieben wird, um so heller. Gestützt auf ein Bibelwort (5. Mo 11,16.17) und nach eindringlichem Gebet (Jak 5,17), kündigt er Ahab mutig ein göttliches Strafgericht an (1. Kön 17,1): „So wahr derHERR lebt, der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe, wenn es in diesen Jahren Tau und Regen geben wird, es sei denn auf mein Wort!” (Baal war u.a. der Wettergott der Kanaaniter.) Noch entschiedener geht Elia am Ende der dreieinhalbjährigen Trockenperiode vor, die das Ansehen Baals stark erschüttert hatte. Er möchte nun öffentlich beweisen, dass der HERR allein Gott ist und dass Seine Macht und Seine Gedanken unverändert fortbestehen. Die Errichtung des Altars, die zwölf Altarsteine (nach den 12 Stämmen Israels), das Darbringen des Opfers, der Opferzeitpunkt, seine Anrede Gottes als „HERR, Gott Abrahams, Isaaks und Israels” kurz alles, was Elia tut oder spricht, gründet sich ausschließlich auf das Wort Gottes, soweit es damals vorhanden war. Der Herr bekennt sich eindrucksvoll zu seinem Glauben.
Bedenken wir eigentlich genügend, dass derHerr sich auch heute niemals unserem Zustand anpasst (2. Tim 2,13), sondern unverändert Gehorsam gegen Sein Wort erwartet? Auch Elias Geschichte beweist, dass Glaubenssiege keine Frage von Kraft oder Schwachheit sind, sondern auf Gehorsam gegen GottesWort beruhen.

3. Nach einem Sieg ist die Gefahr am größten

„Deshalb nehmet die ganze Waffenrüstung Gottes, auf dass ihr an dem bösen Tage zu widerstehen und, nachdem ihr alles ausgerichtet habt, zu stehen vermöget” (Eph 6,13).
Noch am Tag des Sieges erhält Elia eine Morddrohung Isebels. Darauf verlässt er ohne göttlichen Befehl sein Arbeitsfeld, das Reich Israel. Wir können den Propheten gut verstehen. Auch uns leitet viel zu oft Menschenfurcht. Aber es war nicht nur das; der Herr sieht tiefer. Elia, der „um seines Lebens willen” Samaria verließ, bittet unter dem Ginsterstrauch, „dass seine Seele stürbe”. Er beginnt sein Gebet mit den Worten: „Es ist genug”.
Heißt das: „Ich kann nicht mehr” oder: „Ich will nicht mehr”?
Zunächst stärkt der Herr Seinen müden Knecht. Viel später erst, am Berg Horeb, kommt die ernste Frage: „Was tust du hier, Elia?”
Haben wir alle nicht auch schon diese Frage hören müssen? Haben wir sie vielleicht noch öfter überhört?
Die Antwort Elias lässt erkennen, dass neben der Furcht auch eine tiefe Enttäuschung, ja Verbitterung seiner Flucht zugrunde lag - Verbitterung über Gottes Volk. Der Herr setzt Seine gnädigen Bemühungen fort: „Stelle dich auf den Berg vor den HERRN!” Der Prophet soll nicht gekränkt in der Höhle, sondern endlich wieder vor dem HERRN stehen wie bei seiner ersten Botschaft. Dann macht ihm der Herr durch Anschauungsunterricht deutlich, dass Seine Gnade für dieses Volk noch nicht zu Ende ist. Kann Elia Israel wenigstens jetzt mit den Augen Gottes sehen?
Er verklagt seine Brüder ein zweites Mal mit den gleichen Worten! Auf dem Karmel hatte er noch das ganze Volk bitten können: Tretet her zu mir! Er fühlte da, dass Gottes Volk und Gottes Prophet zusammengehören. Hier stellt er sich über und gegen dieses Volk. Dort kämpfte er für die Ehre des Herrn, hier verteidigt er hartnäckig seine eigne Ehre.
Aber kein Diener kann auf die Dauer Gottes Volk und sich selbst anders sehen als der Herr, ohne untauglich zu werden.
Elia will sich nicht als Prophet der Gnade gebrauchen lassen. So muss er hören: „Elisa, den Sohn Saphats, von Abel Mehola, sollst du zum Propheten salben an deiner Statt” (1.Kön 19,16). Er muss weiter hören, dass er nur einer von siebentausend Treuen ist.
Ein wichtiger Hinweis! Die Begebenheit auf dem Horeb fand zwischen dem Herrn und Seinem Diener allein statt. Soweit es Elia betraf, war die Sache abgeschlossen. Wenn sie uns dennoch mitgeteilt wird, dann sicher deshalb, weil der Herr beim Lesen auch dir und mir ganz ernste Fragen stellen möchte.

4. Der junge Elisa

„Und er ging“ ist das erste, was uns anschließend von Elia berichtet wird. Der Herr hat Seinen Diener wiederhergestellt. Trotzdem muss er seinen Nachfolger berufen. Aber er tut es nicht widerstrebend oder lustlos. Das Ich bereitet Elia keine Mühe mehr; eifrig sucht er Elisa und findet ihn. Wenn es doch noch mehr solche gereiften, älteren Knechte gäbe, die sich vom Herrn auf den einen oder anderen „Elisa“ aufmerksam machen lassen, um dann einfühlsam und liebevoll Starthilfe zu einem gesegneten Dienst zu geben. —
Der Herr beruft seine Knechte in der Regel aus einem erfolgreichen Berufsleben und aus geordneten familiären Verhältnissen. Das sehen wir hier ebenso wie z.B. bei Mose, Gideon, David, Daniel, Nehemia, Petrus, Johannes, Matthäus, Lukas, Aquila und Priscilla. Elisa — sein Vater war offensichtlich wohlhabend - beaufsichtigt elf Pflüger, indem er selbst den zwölften Pflug führt. Da wirft der große Prophet seinen Mantel auf den noch jungen, aber eindeutig vom Herrn berufenen Diener, und dieser versteht den Ruf. Dennoch lässt Elia dem Überraschten genügend Zeit, die Konsequenzen für sein persönliches Leben zu ziehen. Er macht Elisa auch keinerlei Vorschriften.
Wie viele Probleme, Umwege und Enttäuschungen wären Jüngeren, die der Herr gebrauchen wollte, erspart geblieben, wenn unweise Geschwister sie nicht vorzeitig in den Dienst gedrängt hätten. Aber auch der Diener selbst kann sich im Zeitpunkt irren; Mose irrte sich um vierzig Jahre.
Entschlossen, aber nicht übereilt, bricht Elisa alle Brücken zu seinem bisherigen Leben ab. Dann heißt es schließlich: „Er machte sich auf und folgte Elia nach und diente ihm” (1.Kön 19,21). Das tat er über Jahre, bis er „Prophet an Elias Statt” werden konnte.
War ein Mann wie Elisa in der Zwischenzeit nicht völlig unterfordert? Konnte der niedrige Dienst nicht auch seinem Ansehen schaden?Im Gegenteil! „Und einer von den Knechten des Königs von Israel antwortete und sprach: Hier ist Elisa, der Sohn Saphats, der Wasser
goß auf die Hände des Elia. Und Josaphat sprach:
Das Wort des HERRN ist bei ihm” (2. Kön 3, 11.22).
„Die, welche wohl gedient haben, erwerben sich eine schöne Stufe und viel Freimütigkeit im Glauben, der in Christo Jesu ist” (1. Tim. 3, 19):

5. Wenn ich dich verlasse!

Der letzte Weg führt Elia nach göttlicher Anweisung über Gilgal, Bethel und Jericho an den Jordan. An allen drei Orten fordert er Elisa zum Zurückbleiben auf, doch wie schön ist die gleichbleibende Antwort: „So wahr der HERR lebt und deine Seele lebt, wenn ich dich verlasse!” 
Müssen wir uns hier vielleicht anklagen, wenn wir an ältere Geschwister denken, die nach Jahren treuer Nachfolge infolge Krankheit oder Alter mehr und mehr aus dem Gesichtskreis der Öffentlichkeit verschwinden?
An allen drei Orten befanden sich Söhne derPropheten, die Elisa nun mitteilen wollen, was er längst weiß und vor allem glaubt. Bei ihnen ist es reines Kopfwissen ohne lebendigen Glauben, und daher auch ohne praktische Auswirkungen. Als die Himmelfahrt tatsächlich stattgefunden hatte, ließen sie drei Tage nach Elia suchen. Die stillen, harten Jahre in der praktischen Nachfolge des Herrn, die Elisa mit Elia geteilt hatte, lassen sich einfach durch nichts ersetzen und auch nicht überspringen.
Was unterschied später Timotheus von den „Unbewährten hinsichtlich des Glaubens”?

„Du aber hast genau erkannt meine Lehre, mein Betragen, meinen Vorsatz, meinen Glauben, meine Langmut, meine Liebe, mein Ausharren, meine Verfolgungen, meine Leiden” (2. Tim 3,10.11). Wie mancher musste ein wichtiges Werk wieder aufgeben, weil ihm die stillen Jahre unter Seinem Joch fehlten, weil er mit Goliath kämpfen wollte, ehe er unbeobachtet Löwen und Bären im Glauben bezwungen hatte.

6. Deshalb will ich Sorge tragen (2. Pet 1,12)

Der Jordan teilt sich vor Elia und Elisa. Diesmal verlässt der Prophet das Land nicht eigenmächtig, auch nicht mit dem Wunsch zu sterben. Der Herr hat weit Besseres für ihn vorgesehen. „Die MICH ehren, werde ICH ehren“ (1. Sam 2,30). Aber da war Elisa, der zurück bleiben musste. Vom Herrn Jesus lesen wir, dass Er die Seinen bis ans Ende liebte (Joh13,1). Wie bewegend sind Seine Abschiedsworte (Joh 13 16), Sein Gebet in Johannes 17, die Anordnungen bezüglich der Mutter (Joh19)! Auch viele treue Knechte dachten an die Zeit „nach ihrem Abschied”, segneten und warnten die Zurückbleibenden: Jakob, Mose,Josua, David, Paulus, Petrus und manche andere.
Welch einen Schatz besitzt das Volk Gottes in den älteren Geschwistern, die vieles so klar sehen und darüber ihre Hände falten; wie wird ihr Hingehen verspürt. Verachten wir auch ihre Warnungen nicht.
Elisa wird jetzt aufgefordert: „Begehre, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde“ (2. Kön 2,9). Er bittet um ein zweifaches Teil vom Geist des Elias. Hätten wir das von dem jungen Gläubigen erwartet? Es war doch eine Zeit größter Schwachheit und unübersehbaren Niedergangs, wo selbst Elia einmal aufgeben wollte! Der sagt ihm auch ganz offen, dass er sich da etwas Schweres gewünscht habe. Denn dieses zweifache Teil würde vor allem doppelte Mühe, doppelten Widerstand bedeuten.
Wer kannte das besser als Elia? Er wußte andrerseits auch, dass das Maß geistlicher Kraft nicht von den Zeitumständen, sondern nur von Glauben und Gehorsam abhängig ist. Der erfahrene Diener beschönigt nichts, aber er macht den Jüngeren auch nicht mutlos; er hat ein Wort Gottes für ihn.

7. Der Mantel fällt herab

„Und es geschah, während sie gingen und im Gehen redeten” das wollen wir nicht übersehen.
Wir alle wissen aus schmerzlicher Erfahrung, wie notvoll sich der gemeinsame Weggestalten kann und wie leicht der Dialog abreißt.
Hier gehen zwei Gläubige mit einem Altersunterschied von etwa vierzig Jahren den gleichen Weg und reden miteinander. Was sie verbindet, ist Eifer für die Ehre und Sache des Herrn. Kurz darauf geht der Dienst problemlos auf die nächste Generation über. Elisa sieht Elia scheiden, und somit hat Gott seine Bitte um ein zweifaches Teil vom Geist des Elia erhört (Elia hat sieben, Elisa vierzehn Wunder getan). Mit der Entschlossenheit des Glaubens nimmt er Elias Mantel auf und zerreißt die eignen Kleider. Das ist ein volles Ja zu seiner Berufung an Elias Statt. Gott bestätigt dann durch erneutes Zerteilen der Jordan fluten diese Berufung auch Öffentlich.

8. Den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmet ihren Glauben nach (Heb 13,7).

Die gemeinsamen Erfahrungen und der unveränderte Wirkungskreis hätten Elisa verleiten können, jetzt einfach den Dienst Elias nachzuahmen. Doch ahmte er nur dessen Glauben nach, blieb aber im übrigen von den Weisungen des Herrn abhängig. Andernfalls hätte er seinen Auftrag sicher verfehlt. Denn nach dem Willen des Herrn sollte er in einem Geist der Gnade wirken und nicht Gericht verkündigen. Beten wir um Abhängigkeit! Sogar Jakobus und Johannes meinten später einmal, sie dürften einfach Elia kopieren, als sie Feuer auf die abweisenden Samariter herabrufen wollten (Lk 9,54). Die Rücksprache mit dem Herrn bewahrte sie vor dieser Torheit. Sie hätten Ihn, den wahren Elisa, verunehrt und Seine Gnadenabsichten durchkreuzt. In dieser Gefahr stehen auch wir, sobald unsere persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus aus irgendeinem Grund unterbrochen ist. Sie lässt sich weder durch ein gutes Vorbild noch durch langjährige Erfahrung ersetzen, so wertvoll beide an sich auch sind.
(In diesem Artikel ging es um Elia und Elisa als Vertreter zweier Generationen, d.h., der biblische Bericht über sie wurde nur ausschnittsweise behandelt. Für ein intensiveres Studium wird empfohlen: H. Smith, Elia und Elisa, 208 S., 13,80 DM, Ernst-Paulus-Verlag, Neustadt.)