Editorial

Die Gedankenfreiheit

Vor einiger Zeit stieß ich noch einmal auf das folgende bekannte deutsche Volkslied:

 

1. Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten,
sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen,
es bleibet dabei:
die Gedanken sind frei.

 

4. Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke;
denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
die Gedanken sind frei.

 

Immer wieder hat es seit der Entstehung dieses Liedes (die ursprüngliche Fassung entstand wohl vor 1800) in Zeiten von Unterdrückung das Sehnen des Menschen nach Freiheit und eben auch Meinungsfreiheit verdeutlicht. Hier ein paar Beispiele:

  • Robert Scholl, der Vater von Sophie Scholl wurde 1942 von den Nazis wegen kritischer Äußerungen inhaftiert. Sophie stellt sich an die Gefängnismauer und spielte ihrem Vater das Lied auf der Blockflöte vor.
  • Berlinern an die „Völker der Welt“, Berlin nicht preiszugeben. Nach der Rede stimmten die Menschen spontan dieses Lied an.
  • 1989 wurde das Lied auf dem Theaterplatz in Dresden von der Dresdner Staatskapelle gespielt und von Tausenden mitgesungen.

Einerseits kann man die Empfindungen der Menschen durchaus nachvollziehen. In unserer Zeit, wo Tatsachen behauptet werden, aber nicht bewiesen; wo „Cancel Culture“ und „political correctness“ vorschreiben wollen, was man noch denken und sagen darf, wird sich mancher fragen, ob mal wieder die Gedankenfreiheit auf dem Spiel steht.

Aber sind die Gedanken wirklich absolut frei? Der Mensch wird sich einmal für all sein Tun – und dazu gehören auch seine Gedanken – vor Gott verantworten müssen. Und die menschlichen Gedanken enthalten ja nicht nur edle Freiheitsideale. Auch all das Schreckliche in dieser Welt und jede Sünde wurde vor der Ausführung „ausgedacht“. Der Herr Jesus macht dies in Mk 7,21 deutlich: „Denn von innen aus dem Herzen der Menschen gehen hervor die schlechten Gedanken: Hurerei, Dieberei, Mord …“

Nein, der Mensch ist nicht frei zu denken, was er will. Aber die gute Nachricht ist:

  • dass auch unsere sündigen Gedanken vergeben und wir davon gereinigt werden können.
  • dass wir unsere Gedanken an Christus binden können und damit wirklich frei sind. „… und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (2. Kor 10,5).

Wir wollen unsere Gedankenwelt am Wort Gottes schärfen und das Gebet Davids zu unserem Gebet machen: „Lass die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens wohlgefällig vor dir sein, Herr, mein Fels und mein Erlöser!“ (Ps 19,15)