Ein peinlicher Auftritt?

Ein peinlicher Auftritt?

Wie Joseph seinen Vater zum Pharao brachte

Joseph ist für Jung und Alt ein großes Vorbild. Seine sittliche Reinheit, sein Ausharren, sein Gottvertrauen, seine Vergebungsbereitschaft - das alles können wir von ihm lernen. Beispielgebend ist auch, wie er mit seinem alt gewordenen Vater umgegangen ist. Das soll uns im Folgenden anhand von 1. Mose 47,7-10 beschäftigen.

„Und Joseph brachte seinen Vater Jakob und stellte ihn dem Pharao vor. Und Jakob segnete den Pharao. Und der Pharao sprach zu Jakob: Wie viele sind die Tage deiner Lebensjahre? Und Jakob sprach zum Pharao: Die Tage der Jahre meiner Fremdlingschaft sind 130 Jahre; wenig und böse waren die Tage meiner Lebensjahre, und sie haben die Tage der Lebensjahre meiner Väter in den Tagen ihrer Fremdlingschaft nicht erreicht. Und Jakob segnete den Pharao und ging vom Pharao hinaus.“

Joseph war der zweite Mann in Ägypten. Er verfügte über eine ungeheure Macht. „Deinem Befehl soll mein ganzes Volk sich fügen; nur um den Thron will ich größer sein als du“ (Kap. 41,40), hatte der Pharao gesagt. Und so kam es dann auch. In der siebenjährigen Hungersnot gingen alle zu Joseph, um Getreide zu kaufen, auch über die Landesgrenzen hinaus. Josephs Familie war mittlerweile auch in Ägypten angekommen. Es war sogar Josephs ausdrücklicher Wunsch gewesen, seinen Vater mitsamt der Großfamilie in seiner Nähe zu haben (Kap. 45,10).

Wie barmherzig zeigt sich Joseph hier. Er wollte seine Familie gut versorgen. Mehr noch: Er liebte seine Familie. Offensichtlich reichte es ihm nicht, auf Entfernung Kontakt zu halten. Es war ihm wichtig, die familiären Beziehungen zu pflegen. Und noch etwas war Joseph wichtig: Er wollte seinen Vater dem Pharao vorstellen.

Stellen wir uns vor, wir wären wie Joseph aufgrund hervorragender Leistungen in eine hohe Stellung befördert worden. Unser Vater dagegen gehörte zu einer Berufsgruppe, die im eigenen Umfeld keine besondere Wertschätzung genießt. - In Ägypten konnte man nämlich mit einem Schafhirten als Vater gar nicht punkten, „denn alle Schafhirten sind den Ägyptern ein Gräuel“ (Kap. 46,34). - Würden wir da unseren Vater der obersten Führungsriege vorstellen? Jedenfalls würden wir unsere Eltern gründlich darauf vorbereiten. Wie wichtig es ist, sich angemessen zu benehmen, besonders wenn man es nicht gewohnt ist, sich in der High Society zu bewegen …

Das Gespräch zwischen Jakob und dem Pharao nimmt einen guten Anfang. Jakob segnet diesen Weltherrscher. Aber dann? Wird es jetzt nicht peinlich? Auf die Frage nach dem Alter berichtet Jakob wenig Ruhmreiches. Anstatt von seinem Erfolg zu erzählen, den er in seinem Arbeitsleben hätte vorweisen können, spricht er von Fremdlingschaft, einer kurzen und bösen Lebenszeit und davon, dass er an seine Vorväter nicht heranreicht.

Hat Jakob nichts Besseres zu berichten? - Für die Welt mag das Erwähnte unbedeutend oder gar verächtlich sein. Aber wer im Alter mit einer solchen Demut von sich spricht, zeigt moralische Größe. Und wer sich als Fremdling in dieser Welt betrachtet, beweist, dass er im Glauben auf seinen Gott lebt und auf ein besseres, d.h. himmlisches Zuhause ausgerichtet ist (vgl. Heb 11,16a). Wie wird sich Gott über diese wenigen Worte Jakobs gefreut haben - vielmehr als wenn dieser seine eigene Ehre gesucht hätte. „Darum schämt sich Gott nicht, ihr Gott genannt zu werden“ (Heb 11,16b).

Was wird Joseph gedacht haben? Wir kennen ihn als einen geistlichen Mann. Deshalb können wir annehmen, dass er sich der Worte seines Vaters nicht geschämt hat. Wie ehrte er seinen Vater allein dadurch, dass er ihn mit dem Pharao bekannt machen wollte. Darüber hinaus wird Joseph das wertgeschätzt haben, was Gott im Leben seines Vaters bewirken konnte. Und er wird auch nicht übersehen haben, dass die Audienz beim Pharao so endete wie sie begann: Jakob segnet den Pharao.

Wer war hier eigentlich der Größere - Jakob oder der Pharao? Zweifellos Jakob. Denn: „Ohne allen Widerspruch wird das Geringere von dem Besseren gesegnet“ (Heb 7,7). Was für eine Würde strahlt Jakob hier aus. Der fordernde Jakob wird zum segnenden Jakob. Nicht derjenige, der die höchste Position besetzt, ist der Größte. Groß (für Gott) sind solche, die sich selbst gering achten und die in der Gnade und Erkenntnis Gottes bzw. unseres Herrn Jesus Christus gewachsen sind.

Wie siehst du deine Eltern? Legst du die Maßstäbe der Welt an: Aussehen, Intelligenz und Reichtum? Oder gelten für dich göttliche Werte wie Glaube, Demut und die Erwartung der himmlischen Hoffnung? Darin sind uns unsere Eltern oft weit voraus.

In jedem Fall sollen wir unsere Eltern ehren (Eph 6,2.3) - auch wenn sie schon älter oder alt geworden sind oder wenn sie scheinbar wenig(er) aufzuweisen haben. Darin ist uns Joseph ein Vorbild.

Hartmut Mohncke