Editorial

Grußwort

Beim Bibellesen fiel mir kürzlich Psalm 119,136 ins Auge:

„Wasserbäche fließen herab aus meinen Augen, weil sie dein Gesetz nicht beachten.“

Dieser Vers passt als Überschrift über unser Themenheft „Jeremia“. Vielleicht kennst du noch nicht viel von diesem Propheten, der ein langes Buch geschrieben hat, an das viele sich kaum herantrauen. Aber eins werden die meisten schon gehört haben: Jeremia wird der „weinende Prophet“ genannt. Jeremias Leben war wirklich von Trauer und Weinen gekennzeichnet.

Wir im Westen leben heute in einer Spaßgesellschaft. Weinen und Trauern will nicht mehr so recht zu uns passen. Warum dann das Leid dieses Propheten ausführlich erörtern? Sollten wir uns als Christen nicht vielmehr allezeit in dem Herrn freuen (Phil 4,4)? – Freude im Herrn ist enorm wichtig. Nur sie macht uns dauerhaft wirklich glücklich. Und bald wird sie ihren Höhepunkt erreichen – wenn wir unseren Herrn von Angesicht sehen werden.

Aber Freude im Herrn schließt Trauer nicht aus. Ich darf noch einmal an den oben erwähnten Vers erinnern und einen Vers aus der Bergpredigt hinzufügen: „Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden“ (Mt 5,4).

Dieser Vers gilt für die Jünger des Herrn in der Zeit seiner Verwerfung. Er ist also höchstaktuell. Was will er sagen? Wer die Welt, die den Herrn verwirft, und den fortschreitenden Verfall in der Christenheit beobachtet, wird nicht anders können als zu trauern – vorausgesetzt, er hat die richtige Sicht. Gott wird durch uns (wir gehören dazu!) sehr verunehrt, so dass wir über seine Langmut staunen, die das alles noch erträgt.

Das Abweichen im Volk Gottes sollte uns keineswegs gleichgültig sein. Wollen wir neu lernen, darüber aufrichtig Leid zu tragen? Dann teilen wir die Empfindungen unseres Herrn und können uns ein bisschen mehr in die Gemütslage Jeremias einfühlen.