Vergebung - Es tut mir leid

Entschuldigung“ scheint das Wort zu sein, das man am schwersten über die Lippen bringt. Jeder weiß aus Erfahrung, wie schwer es aus menschlicher Sicht ist, um Vergebung zu bitten. In einer kleinen Serie soll das Thema der gegenseitigen Vergebung behandelt werden, das für das Miteinander als Glaubensgeschwister so „lebenswichtig“ ist.
In diesem Beitrag geht es um die Anforderungen, die wir an Menschen stellen, die gegen uns gesündigt haben: Wie viel Sündenbekenntnis, wie viel Buße müssen sie zeigen, damit wir ihnen vergeben?

Wie viel Buße brauchen wir?
Kaum jemand wird bestreiten, dass wir einander vergeben sollen. Wenn uns in der Praxis Vergebung Schwierigkeiten macht, liegt das Problem meist woanders: „Der andere hat ja nicht um Ver- gebung gebeten! Er hat ja nicht wirklich Buße getan, hat mir seine Sünde nicht bekannt. Zumindest nicht vollständig. Oder nicht korrekt. Und auch nicht aufrichtig. Sondern verbunden mit Vorwürfen gegen mich. Es stimmt zwar – ,die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden’ (1. Pet 4,8), aber nur was aufgedeckt wurde, kann auch zugedeckt werden. Ein Bekenntnis muss her, und zwar vollständig und aufrichtig. Außerdem – so schnell geht das nicht: ’Wer seine Übertretungen bekennt und lässt, wird Barm- herzigkeit erlangen’ (Spr 28,13) – ich möchte auch eine vollständige Korrektur seines Verhaltens sehen, überprüfbar über einen längeren Zeitraum. Der Weg der Buße ist nie einfach – und ich möchte es dem anderen da auch nicht zu leicht machen ...“ Solche oder ähnliche Gedanken macht sich das verletzte Ego, wenn jemand ihm etwas angetan hat – und das klingt alles sehr„geistlich“, oder?


Nun ist es tatsächlich so, dass nach Gottes Maßstab die Schuld zwischen Menschen durch Bekenntnis und Ver- gebung ausgeräumt werden muss. Es genügt nicht, „mal drüber geredet zu haben“. Ein Sündenbekenntnis ist kein Larifari. Wenn ich „Sorry“ sage, mag das in manchen, geringfügigen Situationen angemessen und ausreichend sein – aber wird mit diesem Wort eigentlich eine „Sünde bekannt“? Ich kann auch mich selbst nicht „entschuldigen“. Ich kann um Entschuldigung bitten1 – aber was Gott verlangt, ist, dass ich meine Sünde konkret benenne und bekenne. Darum kommt man nicht herum. Ich kann auch nicht sagen: „Gott hat mir vergeben, das musst du auch tun“. Die Schuld muss in jeder Beziehung, die betroffen ist, separat ausgeräumt werden: Gegenüber Gott, gegenüber Menschen und gegebenenfalls auch gegenüber der Versammlung. Das Beispiel aus 3. Mose 5 macht deutlich: Der gläubige Israelit, der sich schuldig gemacht hatte, musste Gott ein Schuldopfer darbrin- gen (V. 6), er musste darüber hinaus sei- ne Sünde bekennen (V. 5) und schließlich seine Schuld auch tatsächlich wie- dergutmachen und Schadensersatz leisten (V. 16.23.24).


–>Der Schlüssel zur Bereinigung von Schuld durch Vergebung ist das Sündenbekenntnis. Das bedeu- tet, dass man seine „Sünde“ „bekennt“.

Ein schwerer Weg
Der Weg des Bekenntnisses und der Vergebung ist für beide Seiten schwie- rig, weil beides, sowohl das Bekenntnis als auch die Vergebung, dem Ego wi- derstrebt:

  • Eine Sünde zu bekennen, legt offen, dass meine „reine Weste“ einen Flecken hat. – Aber könnte ich wirklich je behaupten, eine reine Weste zu haben? Wir alle straucheln oft, auch ich, auch der andere.
  • Eine Sünde zu vergeben, bedeutet, dem anderen eine „Schuld“ zu erlassen, die er mir gegenüber hat. Der andere ist nicht mehr im Unrecht. Ich bin nicht mehr Opfer, bin ihm nicht mehr „moralisch überlegen“. – Aber ist der andere dem Herrn nicht ge- nauso viel wert wie ich? Mehr noch: Der andere zeigt geistliche Stärke, indem er eine Sünde bekennt – da bin ich in Zugzwang. Und ist es nicht besser, einander wieder in die Augen zu sehen, anstatt auf den anderen hinabzusehen?

Es ist gut, hier zwei Seiten auseinander zu halten, nämlich Gottes Seite und meine. Wenn jemand gegen mich gesündigt hat, hat er auch gegen Gott gesündigt. Entscheidend ist letztlich nicht meine, sondern Gottes Seite: Die Beziehung des Bruders zu Gott ist gestört, er wird geistlich leiden. Das kann mir nicht egal sein, wenn ich ihn wirklich lieb habe. Deshalb werde ich mich darum bemühen, dass der Bruder mit Gott ins Reine kommt. Aber ich bin nicht für Gottes Wirken im Gewissen des anderen zuständig. Ich bin nicht derjenige, der die „würdige Frucht der Buße“ in dem anderen hervorbringt und beurteilen kann. Ich bin nicht der Zuchtmeister meines Bruders; ich soll ihn nicht durch Seelenübungen führen, läutern und wiederherstellen. Sondern ich soll: vergeben!


Deshalb sollte ich mit Gottes Seite nicht meine Seite vermengen, die mich selbst als „Opfer“ der Sünde betrifft. Auch ich habe zwar ein gewisses „Recht“ darauf, dass die Sünde bekannt wird. Auf dieses „Recht“ kann ich aber verzichten. So hat es unser Erretter selbst getan, als Er Gott den Vater bat, denen zu vergeben, die Ihn kreuzigten – ohne dass diese Männer irgendeine Reue gezeigt hatten (Lk 23,34)2. Stephanus folgte seinem Vorbild, als er gesteinigt wurde (Apg 7,60).


Ich sollte also dem anderen den schweren Weg nicht noch schwerer machen, indem ich ein ausdrückliches, umfassendes und aufrichtiges Bekenntnis verlange – so wünschenswert all das auch ist. Vielleicht signalisiert mir eine freundliche Geste, dass der Bruder/die Schwester verstanden hat. Und kann nicht schon eine bloße Verhaltensänderung zeigen, dass der andere bereut? Die Sünde der Hartherzigkeit und Unbarmherzigkeit führt Brüder und Schwestern schnell in Schützengräben; Vergebungsbereitschaft holt sie heraus und bringt sie zum Brückenbau. Das erfordert Schritte aufeinander zu, von beiden Seiten.


–>Man sollte einander das Bekenntnis und die Vergebung nicht durch hohe Ansprüche und Forderungen erschweren.


Im nächsten Heft: Was wir von unserem Vorbild, dem Herrn Jesus, lernen kön- nen, wenn es um Vergebung geht.

1 Mit der Bitte um „Entschuldigung“ bittet man eigentlich um Vergebung. Seltsam, dass es viel schwerer fällt, das zu formulieren, was man meint: „Ich bitte dich um Vergebung“. Dabei verlangt Gott eigentlich keine Bitte um Vergebung, sondern ein Sündenbekenntnis. Auf das Bekenntnis hin muss die andere Seite vergeben – darum muss ich eigentlich nicht extra bitten. Vergebung kann allerdings nicht ich verlangen, aber Gott verlangt es von der anderen Seite, der ich die Sünde bekannt habe. 

 

2 Diese Vergebung bezieht sich nicht auf das ewige Heil, sondern darauf, dass Gott diese Menschen nicht unmit- telbar für das schreckliche Verbrechen richtete, den Sohn Gottes zu kreuzigen. Der Herr wird diese Bitte an den Vater aber kaum ausgesprochen haben, ohne auch selbst diesen Männern persönlich vergeben zu haben.