Vom Glauben abfallen

Vom Glauben abfallen?

Hallo,

erst kürzlich habe ich eine Predigt zum Thema Gnade gehört. Vorher wurde mir immer gelehrt, dass man vom Glauben abfallen kann. In besagter Predigt wurde aber verkündigt, dass man, wenn man einmal vom ganzen Herzen sich bekehrt hat, nicht mehr abfallen kann. Nun bin ich ein wenig irritiert. Könnten Sie mir da weiterhelfen?

Danke im Voraus. MfG A. P.

Lieber Herr P.,

Sie sprechen ein wichtiges Thema an, und ich möchte gern versuchen, Ihnen weiterzuhelfen. Ich nehme mir vor, mich dabei ausschließlich auf Gottes Wort zu stützen. Mir ist bewusst, dass Christen, die in dieser Frage zu einer anderen Antwort kommen als ich, dies auch für sich in Anspruch nehmen. Ich kann Sie deshalb nur bitten, die jeweiligen Auffassungen anhand der Bibel zu prüfen und von dem Herrn Jesus die richtige Antwort zu erbitten.

Ausgangspunkt Ihrer Frage ist der Begriff „Abfall“. Was ist eigentlich „vom Glauben abfallen“?

Ein „Abfallen“ wird im Neuen Testament mit unterschiedlichen Worten beschrieben. Insbesondere im Hebräerbrief und im ersten Timotheusbrief gibt es eine Reihe von Aussagen dazu – auf diese möchte ich mich beschränken (auf 2. Thes 2,3 möchte ich nicht näher eingehen – da geht es nicht um den individuellen, persönlichen Glauben und Abfall, sondern darum, dass die Christenheit sich nach der Entrückung der von neuem geborenen Gläubigen insgesamt von Jesus Christus lossagen wird).

1. Timotheusbrief

1. Timotheus 4,1: „Der Geist aber sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden, indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen“; ähnlich in 1,19 („indem du den Glauben bewahrst und ein gutes Gewissen, das einige von sich gestoßen und so, was den Glauben betrifft, Schiffbruch gelitten haben“) und 6,20.21 („O Timotheus, bewahre das anvertraute Gut, indem du dich von den ungöttlichen, eitlen Geschwätzen und Widersprüchen der fälschlich so genannten Kenntnis wegwendest, zu der sich bekennend einige von dem Glauben abgeirrt sind“).

Wenn im Neuen Testament von „Glauben“ die Rede ist, muss man zwischen dem Glaubensgut („objektiv“), also dem Inhalt oder der Lehre des Glaubens, und der Glaubensüberzeugung („subjektiv“), also dem persönlichen Vertrauen auf Gott und sein Wort, unterscheiden. Was in dem jeweiligen Bi- belvers gemeint ist, erklärt sich durch die Auslegung des Verses im Zusammenhang; tendenziell geht es eher um das Glaubensgut, wenn vor „Glaube“ ein Artikel steht („der Glaube“) – aber das ist im Deutschen in vielen Übersetzungen nicht immer erkennbar, weil die Übersetzer oft zur besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit einen Artikel hinzugefügt haben, selbst wenn im griechischen Grundtext keiner steht. Ein deutliches Beispiel für den Glauben im objektiven Sinne, das Glaubensgut, ist Judas, Vers 3: Judas ermahnt, „für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen“. Überliefert worden ist nicht die persönliche Über- zeugung, sondern das Glaubensgut, die Glaubensinhalte. Ein Beispiel für den Glauben im subjektiven Sinne, die Glaubensüberzeugung, ist das Kapitel 11 des Hebräerbriefs; „durch Glauben“ handelten diese Glaubensmänner, aus Glaubensüberzeugung heraus. Absolut trennen kann man beide Seiten aber nicht, denn die Überzeugung richtet sich immer auf ein Glaubensgut, und das Glaubensgut ist wertlos, wenn es nicht mit einer persönlichen Überzeugung verbunden ist; aber die beiden Seiten kann man (und muss man) manchmal schon unterscheiden.

Langer Vorrede, kurzer Sinn: Bei den Stellen im Timotheusbrief geht es (zumindest in Kapitel 4,1 und 6,21) m.E. um das Glaubensgut. Die Menschen, von denen da die Rede ist, halten das christliche Glaubensgut – oder Teile da- von – nicht mehr hoch, sondern achten auf „Lehren von Dämonen“. In 4,3 gibt es Beispiele: Es wird verboten zu heiraten usw. Ob diese Menschen errettet sind oder nicht, ist eine andere Frage, über die Paulus hier nichts sagt. Der „Schiffbruch“, den sie erlitten haben, ist nicht das ewige Verlorengehen (sie „haben“ ja bereits Schiffbruch erlitten, leben aber noch unter den Gläubigen), sondern dass sie mit der Aufgabe des Glaubensguts die gute Orientierung verloren und Schaden genommen haben. Wie viel Schaden kann z.B. das Verbot zu heiraten in einem persönlichen Leben anrichten!

Hebräerbrief

Auch im Hebräerbrief kommt der Gedanke des Abfallens vom christlichen Glauben mehrmals vor. Heb 2,1: „Deswegen sollen wir umso mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa abgleiten“ (vgl. 12,25: „abwenden von dem, der von den Himmeln her redet“) oder 3,12–14: „Gebt Acht, Brüder, dass nicht etwa in jemand von euch ein böses Herz des Unglaubens sei in dem Abfallen vom lebendigen Gott“ (vgl. 4,11: „damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Ungehorsams falle“) oder 6,4–9: „Denn es ist unmöglich, diejenigen, die einmal erleuchtet worden sind und die himmlische Gabe geschmeckt haben und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind, und das gute Wort Gottes und die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters geschmeckt haben und abgefallen sind, wieder zur Buße zu erneuern, da sie den Sohn Gottes für sich selbst kreuzigen und ihn zur Schau stellen. ... Wir sind aber in Bezug auf euch, Geliebte, von besseren und mit der Errettung verbundenen Dingen überzeugt, wenn wir auch so reden“ (vgl. 10,26: „mit Willen sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben“).

Die Empfänger des Hebräerbriefs waren ehemalige Juden, die sich dem christlichen Glauben (zumindest äußerlich durch die Taufe) angeschlossen hatten und nun von ihren ehemaligen Glaubensgenossen drangsaliert wurden (s. 10,32 ff.; vgl. Apg 8,1; 12,1 ff.). Sie standen in der Gefahr, dem Druck nachzugeben, den christlichen Glauben aufzugeben und wieder zum Judentum zurückzukehren. Der Schreiber des Hebräerbriefs ermahnt und ermuntert sie mehrfach, an dem Glauben, zu dem sie sich bekennen, festzuhalten.

In Kapitel 3 und 4 zieht er eine Parallele zum irdischen Volk Gottes, Israel. Bei der Wüstenwanderung zeigte der überwiegende Teil immer wieder seinen Unglauben. Diese Juden gehörten äußerlich betrachtet zum erlösten Volk, wanderten hinter Gott her (die Schechina war der sichtbare Ausdruck seiner Gegenwart) durch die Wüste, vertrauten aber nicht wirklich dem Gott, zu dem sie sich bekannten. Die Adressaten des Hebräerbriefs nahmen eine Stellung von Christen ein, und der Schreiber ermahnt sie, dass sich dahinter kein „böses Herz des Unglaubens“ verbergen soll, denn das müsste Gott richten. Wer von neuem geboren wird, kann sicherlich auch in praktischem Unglauben leben, aber er hat kein böses, sondern ein reines Herz (Heb 3,12; Apg 15,9); das spricht dagegen, dass hier von neuem geborene Gläubige gemeint sind.

Das entspricht auch der Belehrung von Hebräer 6,4-9: Man kann von Gottes Licht erleuchtet worden sein (ohne selbst Licht zu sein, wie ein von Neuem Geborener, vgl. Mt 5,14); man kann Gottes Segen und sein Wort geschmeckt haben (ohne es zu essen und innerlich aufzunehmen, vgl. Ps 119,103; Joh 6,48ff.); man kann sogar etwas von dem Wirken des Geistes Gottes empfunden haben (wie Saul, der ein Gottloser war, 1. Sam 10) und sich an der Aussicht einer Zukunft bei Gott erfreut haben – all das ist durch Gott hervorgebracht worden. Wenn es aber nicht zu einer echten Umkehr zu Gott geführt hat, hat der „Erleuchtete“ keine wirkliche und damit endgültige Heilsstellung erreicht. Eine ernste Warnung an die Juden, die das Christentum „geschmeckt“ hatten, mit dieser Gnade nicht zu„spielen“, sondern Gottes Heilsangebot ernst zu nehmen und anzunehmen. Täten sie das nicht und würden sie wieder zum Judentum zurückkehren, dann wäre das eine solche Verachtung der Gnade Gottes in der Person seines Sohnes Jesus Christus, dass es der (ja auch von den Juden veranlassten) Kreuzigung gleichkäme – ohne die Möglichkeit einer Buße und Vergebung. Ähnlich stellt es Petrus dar, wenn er in 2. Petrus 2,21 f. falsche Lehrer, ungläubige Menschen beschreibt, die „sich abwenden von dem überlieferten heiligen Gebot“ und „wie die gewaschene Sau zum Wälzen im Kot“ zurückkehren.

Kann jemand, der sich von ganzem Herzen bekehrt hat, abfallen?

Jemand, der sich von ganzem Herzen bekehrt hat, kann nicht in dem Sinne vom Glauben abfallen, dass er ewig verloren geht. Er kann wohl einzelne Ele- mente des christlichen Glaubens aufgeben, er kann auch in seiner Glaubensüberzeugung schwach werden. Es kann sein, dass man äußerlich fast nichts mehr von seiner Bekehrung wahrnimmt – aber ein von neuem Geborener wird nicht in die Hölle kommen. Das geht m. E. (u. a.) aus den folgenden Bibelstel- len deutlich hervor:

• Römer 8,38.39: Uns (d.h. die von neuem Geborenen, die von Gott zum christlichen Heil Berufenen, vgl. V. 28) kann nichts von der Liebe Gottes scheiden. Insbesondere der Unglaube, ein Verlieren oder Aufgeben des Glaubens, kann keine Trennung von dem Gott der Liebe verursachen: Mit „Tod“ oder „Leben“, „Gegenwärtigem“ oder „Zukünftigem“ ist m. E. alles erfasst, was einem Menschen geschehen kann – und nichts von alledem kann uns von Gott trennen.

Johannes 10,27–30: Das Bild von den Schafen und vom Hirten: Der Herr kennt seine Schafe, sie hören seine Stimme und folgen ihm. Wenn uns niemand aus der Hand Gottes, des Vaters und auch niemand aus der Hand des Herrn Jesus rauben kann, dann kann das auch Satan nicht, und auch wir selbst können nicht gleichsam aus der Hand Gottes fallen oder herausspringen. Der Vater und der Sohn sind stärker als wir.

• Hebräer 10,14: Wenn die durch Gott Geheiligten auf immerdar vollkommen gemacht sind, hört diese Vollkommenheit, die uns passend für Gott gemacht hat, nie auf, auch nicht in dem Moment, in dem jemand schwach im Glauben wird.

• 1. Korinther 1,8 (vgl. Phil 1,6): Was machte Paulus so zuversichtlich, dass Gott die Korinther „befestigen wird bis ans Ende“ oder in den Philippern das begonnene, gute Werk „vollführen wird bis auf den Tag Jesu Christi“? Weder die Korinther (die fleischlich waren), noch die Philipper (wo es Streit gab), waren perfekt. Nein, er sah die Seite Gottes, der seine Kinder auf jeden Fall und unter allen Umständen bewahren würde, bis sie bei ihm im Vaterhaus ankommen würden.

Johannes 3,16.36; 5,24; 1. Johannes 5,13: Mit der Neugeburt bekommt der Gläubige das ewige Leben (s. auch 2. Kor 5,17; Eph 2,8–10). Das ewige Leben ist nicht das biologische Leben ohne Ende (auch für Gläubige hat das körperliche Leben – grundsätzlich – einmal ein Ende), es ist auch nicht die zeitlose Existenz der Seele (auch Ungläubige haben eine ewige Seele), sondern es ist das göttliche Leben, das ein Leben besonderer, eben göttlicher Qualität ist: Jesus Christus ist das ewige Leben (1. Joh 5,20). Dass wir Christus haben (Er wohnt durch den Heiligen Geist in uns), und dass wir mit Christus verbunden sind (unser Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott, Kol 3,3), und dass wir bereits jetzt mit Ihm, dem Haupt, als der eine Leib untrennbar verbunden, in den himmlischen Örtern sind (Eph 2,6), verleiht unserem Leben eine neue Dimension, eine ganz neue Art von Existenz. Wenn wir das wieder verlieren würden, wäre das ewige Leben kein ewiges Leben. Dann wäre es auch nicht wahr, dass der Heilige Geist bei uns bleibt in Ewigkeit (Joh 14,16), und dann wäre unser Leben nicht in Gott.

Allerdings macht Paulus in seinem Bild vom Wettlauf in 1. Korinther 9 klar, dass das Laufen an sich – das Leben nach christlichem Bekenntnis, aber ohne wirkliche Ausrichtung nach Gottes Willen – nicht das Ankommen am Ziel garantiert. Man muss schon darauf ach- ten, wie man läuft:„Lauft nun so, dass ihr ihn erlangt“ (V. 24). Wie viele Menschen „laufen“ in einem christlichen Rahmen von Taufe, Sakramenten, guten Werken usw. und werden doch nicht ankom- men, weil sie mangels Buße und Bekehrung kein neues Leben haben? Und wie viele, die neues Leben haben, laufen doch nicht so, „dass sie ihn erlangen“? Jemandem, der auf dem falschen Weg läuft, sagt Gott nicht: „Der falsche Weg führt Dich dennoch zum Ziel.“ Aber Paulus selbst war sich seiner Errettung ganz sicher, auch wenn er seinen „Wettlauf“ noch nicht beendet hatte (s. z.B. Phil 1,21.23; 2. Tim 1,12), das wird auch hier in 1. Korinther 9 deutlich („Ich laufe nicht wie aufs Ungewisse“).

Zu dem gesamten Thema „Kann ein Christ verloren gehen“ kann ich Ihnen ein Büchlein mit demselben Titel empfehlen, das kürzlich im CSV-Verlag (www.csv-verlag.de) eschienen ist.

(Autor: Arend Remmers, 120 S., E 3,50)

In „Folge mir nach“, Heft 7 und 8/2006, sind auch zwei Beiträge dazu veröffentlicht worden.

Ich hoffe, dass ich Ihnen einige Anregungen zu Ihrer Beschäftigung mit diesem Thema geben konnte.

 

Herzliche Grüße

Thorsten Attendorn