Carl Hildebrand Freiherr von Canstein

Auf dem Kalender stand der 4. August des Jahres 1667. In der Familie
des Oberhofmarschalls von Canstein, wohnhaft in Lindenberg bei Fürstenwalde, war das ein großer Tag — ein Sohn, Carl Hildebrand, wurde geboren. Der Vater empfing ihn mit großen Erwartungen. Der Junge sollte einmal, wie seine Vorfahren, in den Dienst des brandenburgischen Kurfürsten treten.
Doch zwei Jahrzehnte später sah sich der Oberhofmarschall enttäuscht. Carl Hildebrand ging seinen eigenen Weg. Im Alter von 25 Jahren zog er nach Brüssel. Dort erkrankte er schwer an Ruhr. In seiner Not setzte der junge von Canstein seine Hoffnung allein auf Gott und versprach: "Wenn ER mich von dieser Krankheit errettet, dann will ich Ihm mein Leben lang dienen." Was die Ärzte kaum gehofft hatten, traf ein. Der junge Mann wurde wieder gesund.
Carl Hildebrand änderte nun sein Leben von Grund auf. Er kehrte zurück nach Berlin, wo er Philipp Jakob Spener kennenlernte. Aus diesem ersten Treffen sollte bald ein vertrautes Verhältnis werden. Spener wurde sein Seelsorger und tröstete ihn am Sarg seiner Mutter.
So hat dem großen und barmherzigen Gott gefallen nach seiner guten Hand über mir, den hochwürdigen und hochgelehrten Theologen, Herrn Philipp Jakob Spener, der Heiligen Schrift Doctorem, zu einem Werkzeug seiner Gnade an mir zu gebrauchen. Die Güte des Herrn hat mich eines innig vertrauten, fast täglichen Umgangs mit diesem teuren Mann fast zehn Jahre und darüber gewürdigt.

Von einem Verwandten hatte er das vor den Toren Berlins gelegene Gut Dahlwitz geerbt, so dass ihm beträchtliche Mittel zur Verfügung standen. Durch August Hermann Francke, den Waisenhausvater in Halle/Saale, wurde seine Wohltätigkeit stark angeregt. Er begann, das Werk in Halle, besonders das Waisenhaus, mit der nicht unerheblichen Summe von 7000 Talern zu unterstützen. 1711 erklärte Canstein urkundlich, dass weder er noch seine Erben befugt seien, Kapital und Zinsen jemals einzufordern.
Während eines Besuchs erzählt Francke ihm von seinen Problemen. Francke beklagt, dass es schwer sei, Bibeln zu bekommen, und dass diese sehr teuer seien. Da hat von Canstein eine Idee: Er will versuchen, so viel Geld aufzubringen, dass in Halle eine eigene Bibeldruckerei gegründet werden kann. Gesagt, getan. Mit einem Aufruf wendet sich von Canstein 1710 an die "evangelische Christenheit". Die Bibel soll zu einem geringen Preis gedruckt werden, damit sie auch an die Armen gegeben werden kann, da die Heilige Schrift "alle anderen Bücher übertrifft wie die Sonne die Sterne".
Das Echo in den deutschen Landen bleibt nicht aus. Die Druckerei kann eingerichtet werden.
Sein Druckereileiter, ein Mann namens Elers, hat noch eine Idee dazu: Von den fertig gesetzten Bibelseiten lässt er Messingplatten ausgießen. Davon werden dann alle späteren Bibelausgaben gedruckt. So wird der Bibeldruck in bis dahin ungeahnter Weise verbilligt.
Als 1712 zuerst das Neue Testament erscheint, kann es zum sensationellen Preis von 2 Groschen angeboten werden! Schon ein Jahr später ist die ganze Bibel zu haben für zehn Groschen! Überall sprach man von ihr, der "Armenbibel", wie sie der Volksmund genannt hatte, denn jetzt konnten zum ersten Mal in der Geschichte die armen Handwerker und Bauern eine Bibel bezahlen.
Im Vorwort zur "Harmonie und Auslegung der vier Evangelisten" sagt Canstein über sein Leben:
Nächstem habe insonderheit zu gedenken, dass Gottes Güte und unverdiente Barmherzigkeit den Anfang meiner Bekehrung gemacht und den kräftigen und lebendigen Ausschluß der Worte Davids Psalm 119,132.133: "Wende dich zu mir und sei mir gnädig, wie du pflegtest zu tun denen, die deinen Namen lieben. Lass meinen Gang gewiss sein in deinem Wort und lass kein Unrecht über mich herrschen." So sind mir selbige auch von der Zeit an stets ein kräftiger Antrieb gewesen, der Betrachtung göttlichen Wortes obzuliegen, und darinnen mit Wahrheit mein einiges Vergnügen und Ruhe zu finden ... Wie kann ich besser meine Dankbarkeit in der Hochachtung der von ihm in besonderem Maß empfangenen Wohltaten, die insgesamt so beschaffen, dass deren die wenigsten in der Welt so reichlich empfangen, bezeugen, als dass ich suche und trachte, sein Gnadenreich zu befördern, meinem Nächsten zur seligmachenden Betrachtung des göttlichen Wortes zu führen und zu dem Ende bemüht zu sein, dass dasselbe bei uns auf allerlei Art und Weise reichlich wohnen möge.
Am 18. August 1719, während August Hermann Francke und Feldmarschall von Natzmer (der Pflegevater Graf von Zinzendorfs) um sein Sterbebett standen, wurde von Canstein abgerufen.
Klaus Güntzschel