Lebensbeschreibung

Martin Luther – biographische Notizen (Teil 4)

Das „schwarze Kloster“ – ein Haus voller Leben

Martin und Katharina Luther bekamen insgesamt sechs Kinder. Doch in dem „schwarzen Kloster“ [1] waren das nicht die einzigen Bewohner. Das Haus war ständig voller Leben. Besonders von Katharina, der Hausherrin, wurden viel Kraft und verschiedene Fähigkeiten gefordert.

 

Johannes (Hans) Luther[2]

Das erste Kind der Familie Luther kommt am 7. Juni 1526 zur Welt. Die Geburt wird von Freund und Feind mit Spannung erwartet. Der Ehe des ehemaligen Mönchs mit der entlaufenen Nonne stehen manche skeptisch gegenüber. In einer Zeit, in der der Aberglaube allgegenwärtig ist, hätte eine Fehlgeburt oder die Geburt eines behinderten Kindes unvorhersehbare Folgen haben können. Das Ehepaar vertraut jedoch Gott und hofft auf ein gesundes Kind. Die Wehmutter (so nannte man die Hebamme damals) überreicht den Eltern schließlich einen gesunden Jungen, den Luther nach seinem Vater Johannes nennt. Es gibt dazu folgende Bemerkung Luthers in einem Brief an seinen Schwager: „Wolle auch von meinetwegen Agricola sagen, das meine Käthe von großer Gotts Gnaden einen Hansen Luther geboren hat gestern um zwei“[3]. Es ist interessant, dass Luther als Paten für seine Kinder sowohl Männer als auch Frauen wählt, da beide Geschlechter für die Erziehung zum rechten Glauben wichtig seien. Diese Paten hatten auch die Sorge für die verwaisten Patenkinder. Da Luther stets in Erwartung seines baldigen Todes lebt, denkt er hier an seine (dann möglicherweise) verwaisten Kinder. Zumal nach damaligem Recht die Mutter und Witwe ohne Vormund auch nicht rechtsfähig war.

1527 zieht die Pest in Wittenberg ein. Die Universität wird nach Jena verlegt. Doch trotz anderslautender Bitten seines Fürsten bleiben Luther und seine Familie in Wittenberg. Zu ihrem Entsetzen erkrankt Johannes Ende Oktober an starkem Fieber. Auch hierzu die Worte Luthers: „Meine Käthe ist bis jetzt stark im Glauben und gesund. Mein Hänschen liegt schon acht Tage an einer noch ungeklärten Krankheit darnieder (wie ich beinahe vermute, an der Krankheit dieser Zeit).“[4] Hans erholt sich jedoch wieder und kann am Jahreswechsel wieder aufstehen. So erleben Martin Luther und seine Frau gleich bei ihrem ersten Kind die Not, die damals fast jede Familie traf, aber sie erfahren auch die Hilfe des Herrn.

Elisabeth Luther

Am 11. Dezember 1527 – zu der Zeit, als es Johannes anfing besser zu gehen – haben die Luthers die Freude der Geburt ihres zweiten Kindes: Diesmal ist es eine Tochter. Diese Freude sollte jedoch nicht lange dauern. Am 3. August 1528 stirbt die kleine Elisabeth. Der Tod seiner Tochter lässt Luther tieftraurig zurück. Er tröstet sich damit, dass Gott seinem „Elschen“ erspart habe, all das Übel zu sehen.

Magdalena (Lenchen) Luther

Am 4. Mai 1529 wird Magdalena Luther geboren. Nach dem Tod der kleinen Elisabeth waren beide Eltern über die Geburt der Tochter besonders froh. Der dreijährige Hans hatte wieder ein Schwesterchen. Magdalena ist eine besonders begabte Tochter. Luthers Kinder werden von Privatlehrern im Elternhaus unterrichtet. Auch die Töchter lernen lesen und schreiben sowie die Grundbegriffe in Latein, Mathematik und Musik. Dies ist für die damalige Zeit durchaus nicht selbstverständlich. Die Mutter unterweist die Töchter zudem in der Führung des Haushalts.

Im September 1542 erkrankt Magdalena. Die Eltern stehen hilflos und voller Sorge am Bett ihrer kranken Tochter. Luther scheut sich nicht, mit ihr über den Tod zu sprechen und findet bei der Tochter tiefes Gottvertrauen. Ihr Todeskampf dauert noch zwei lange Wochen an. Am Mittwoch, den 20. September 1542, geht Magdalena heim. So müssen die Eltern auch ihre zweite Tochter wieder hergeben. Luther sagt dazu: „Ich gebe diese Tochter unserem Gott sehr gern, nach dem Fleisch aber hätte ich sie gern länger bei mir behalten; weil er sie aber weggenommen hat, so danke ich ihm.“[5] Magdalena Luther wird, wie alle Familienmitglieder von Universitätsangehörigen, unter akademischer Anteilnahme bestattet. Dabei ist es bemerkenswert und sicher ungewöhnlich, dass der Rektor der Universität besonders den christlichen Sinn und die Einsicht in die Glaubenswahrheiten sowie die Ergebenheit in den Willen Gottes bei der 13-Jährigen hervorhebt.

Martin Luther (jun)

Am 9. November 1531 wird der zweite Sohn der Familie Luther geboren, der wie sein Vater den Namen Martin bekommt. Neben den Briefen und Tischreden Luthers gibt es auch einige, wenige Zeugnisse über das Familienleben der Luthers von Gästen im Hause. So notiert der Hausarzt Matthäus Ratzeberger, Luther habe nach dem gemeinsamen Abendessen oft die Notenbücher geholt, um zu musizieren und zu singen. Dabei werden die Fortschritte Martins von den Eltern aufmerksam beobachtet und gefördert. Allerdings sehen die Eltern auch mit einer gewissen Sorge einige Charakterzüge des Jungen. „Martin ist ein Schalk, um den habe ich Sorge.“ Er sei ein loser Vogel, und Gott möchte verhüten, dass er sich nicht der Rechtsgelehrsamkeit widme. Diese Befürchtung erfüllt sich jedoch nicht. Martin studiert später, wie sein Vater, Theologie. Nach dem Tode beider Eltern[6] fällt ihm als dem ältesten noch im Hause lebenden Sohn[7] eine größere Verantwortung zu.

Paulus Luther

Im Januar 1533 wird der dritte Sohn, Paulus Luther, geboren. Er wächst mit seinen Geschwistern im Elternhaus auf, wo er auch anfangs unterrichtet wird. Später geht er, zusammen mit seinen Brüdern Johannes und Martin, zum weiteren Unterricht in das Haus Melanchthons. Paulus ist fast 13 Jahre alt, als er und seine Brüder den Vater auf seiner letzten Reise begleiten. Das Leben der Kinder des Reformators ist besonders bedroht. So erlebt Paulus seinen 14. Geburtstag auf der Flucht.

Im November 1543 wird Paulus an der Universität eingeschrieben. Er studiert Medizin und entspricht damit auch dem Wunsch seines Vaters. 1558 erhält der 25-jährige Mediziner einen Ruf an die Universität Jena. In seiner Antrittsvorlesung führt er sein Interesse an der Medizin auf den Einfluss seiner Mutter zurück, die eine gute Arzneikundige und Krankenpflegerin gewesen sei.

Margarete Luther

Am 17. Dezember 1534 wird Luthers Frau Katharina von ihrem sechsten Kind entbunden, das nach der Großmutter den Namen Margarete bekommt. Die Geschwister sind damals acht, fünfeinhalb, drei und fast zwei Jahre alt. Die Eltern und das Dienstpersonal werden mit dieser Kinderschar alle Hände voll zu tun gehabt haben.

Margarethe lernt 1554 im Hause Melanchthons den aus Ostpreußen stammenden Studenten Georg Wilhelm von Kunheim kennen und lieben. Dessen Entschluss, die einzige lebende Luthertochter zu heiraten, stößt bei seiner stolzen Adelsfamilie und bei Herzog Albrecht[8] auf große Ablehnung. Doch Melanchthon, unter dessen Vormundschaft die 19-jährige Margarete Luther steht, schreibt in anderer Angelegenheit einen Brief an Herzog Albrecht, den er mit den Worten beendet: „Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Eure Hoheit von Mitleid gegen die tugendsame und gut beanlagte Tochter Luthers erfüllt werde.“ Nun erhalten Margarethe und Georg die Erlaubnis zur Eheschließung.

Die Fehlgeburt

Fünf Jahre nach der Geburt Margaretes erwarten Luther und Käthe ihr siebtes Kind. Katharina ist inzwischen 40 Jahre alt. Doch schonen kann sie sich nicht. Wieder zieht die Pest in die Stadt und es müssen Kinder aufgenommen werden. Dieses Mal verläuft die Entbindung nicht gut. Das Kind wird am 22. Januar 1540 tot geboren und die Mutter ist dem Tode näher als dem Leben. Luther weicht in dieser lebensbedrohlichen Situation nicht von der Seite seiner Frau. Am 10. Februar trifft als Geschenk des besorgten Kurfürsten ein Reh für die kranke Lutherin ein. Sie ist immer noch nicht außer Gefahr. Am 26. Februar verlässt sie erstmals ihr Krankenlager. Erst am 8. April kann Luther Melanchthon melden, dass seine Käthe wieder gesund sei.

Vom Ehepaar Luther ins Haus aufgenommene Kinder

Das Haus der Luthers bietet allerdings noch vielen anderen eine Heimstätte. Die hohe Sterblichkeitsrate macht viele Kinder zu Waisen und wirft die Versorgungsfrage auf. So nehmen auch Martin Luther und seine Frau so manche Kinder aus der Verwandtschaft auf:

A)    Kinder väterlicherseits

  • Nach dem Tode seines Schwagers Georg Kaufmann und seiner Schwester nehmen Luthers alle sechs Kaufmann-Geschwister in ihr Haus auf.
  • Eine Schwester Luthers hatte den Mansfelder Polner geheiratet. Auch dieses Ehepaar stirbt früh und die verwaisten Kinder Johannes und Magdalena Polner werden ins Lutherhaus aufgenommen. Magdalena ist offensichtlich in Krankenpflege sehr bewandert, was in jener Zeit von unschätzbarem Wert ist.
  • Nach dem Tod seiner Schwägerin Barbara Luther, der Frau seines Bruders Jakob, kommt deren Sohn auch in das Haus in Wittenberg – der dritte Martin Luther!
  • Anna Strauß, die Enkelin einer Schwester Luthers, wird ebenfalls aufgenommen. Da es zeitweilig mehrere Mädchen in heiratsfähigem Alter im Hause Luther gibt, bringt dies weitere Aufgaben mit sich[9].

B)    Kinder mütterlicherseits

  • Florian von Bora, Sohn von Katharinas Bruder, kommt zum Unterricht nach Wittenberg. Er ist geradezu bevorrechtigt, da seine Eltern noch leben.

Und dann noch die Studenten!

Als ob das noch nicht genug wäre, ist das schwarze Kloster auch eine Studentenburse[10] für die Universität. Manche Studenten der Universität Wittenberg wohnen im Hause Luther und haben das Vorrecht, seinen Ausführungen bei Tisch zuzuhören. Ihnen verdanken wir auch die Notizen zu Luthers Tischreden.

 

Die Tischreden Martin Luthers

Zur Es­sens­zeit im Hause Martin Luther ver­sam­meln sich um seinen Tisch nicht nur seine Fa­mi­li­en-An­ge­hö­ri­gen wie seine Frau Ka­tha­ri­na, die Kinder, die Nichten und andere Verwandte, sondern auch Stu­den­ten, Freunde, Rei­sen­de und Schüler, die gerade zu Gast sind.

Statt zu schweigen, wie es für Martin Luthers während seiner Mönchszeit üblich war, leitet er häufig kurz nach Beginn des Essens in ein lebhaftes Gespräch über. Alles, was am Tag vorgefallen war, kann hier besprochen werden. Aber meistens sind es geistliche Themen, die erörtert werden.

Der Zwickauer Pfarrer Konrad Cordatus, der ab Sommer 1531 für längere Zeit als Logiergast im Hause Luther verweilt, beginnt, die Tischreden Martin Luthers systematisch bereits während des Essens mitzuschreiben.

Seinem Beispiel folgen schon bald auch andere Gäste. Ein jeder notiert, was ihm wichtig erscheint.

  • Der eine schreibt wörtlich mit,
  • der andere notiert in einem besonderen Schnellschreibsystem die wichtigsten Punkte,
  • einer fasst das Gehörte in der unter Akademikern gebräuchlichen Sprache Latein zusammen,
  • oder aber er notiert sich die in Latein gesprochenen Worte Martin Luthers in seiner Landessprache.

In der Zeit von 1531 bis zum Tod Martin Luthers im Jahre 1546 sind zahlreiche Gespräche mitgeschrieben worden. Ungefähr 20 Jahre nach Martin Luthers Tod wurden diese Gesprächsnotizen gesammelt und unter dem Titel „Tischreden“ veröffentlicht.

 

 



[1] Das Haus wurde 1504 als Augustinerkloster in Wittenberg errichtet. Damals war es noch unter dem Namen „Schwarzes Kloster“ bekannt (wegen der Kuttenfarbe der Augustinermönche). Auch Martin Luther lebte hier ab 1508 als Mönch. Im Zuge der Reformation wurde das Kloster aufgelöst. Luther bekam das Haus 1532 übereignet und bewohnte es mit seiner Familie. Heute ist das einstige Wohnhaus Luthers das größte reformationsgeschichtliche Museum der Welt.
[2] Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, das Leben der Kinder Luthers bis zum Ende zu verfolgen. Interessierte Leser seien auf die Literaturangabe am Ende verwiesen.
[3] Martin Luther, Briefe (Eine Auswahl), Insel Verlag, S.126
[4] D. Martin Luthers Briefe (Teubner Verlag), S. 161
[5] Luther Deutsch, Band 9, Martin Luther Tischreden, S. 291
[6] Siehe die vorigen Artikel dieser Serie
[7] Johannes hatte inzwischen eine Stelle als Jurist in der herzoglichen Kanzlei in Weimar angenommen
[8] Dieser muss als Landesfürst die Hochzeit genehmigen.
[9] Ehen mussten in jener Zeit, wenn schon nicht vermittelt, so doch zumindest genehmigt werden.
[10] Der Ausdruck Burse bezeichnet eine Gemeinschaft, die aus einer gemeinsamen Kasse lebt, wie auch deren Behausung. Gemeint ist in der Regel eine studentische, streng reglementierte Wohn- und Lebensgemeinschaft, wie sie vom Hochmittelalter bis in das 17. Jahrhundert in Universitätsstädten bestanden. Bursen sind sozusagen die Vorläufer von Studentenwohnheimen.