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Depressionen bei jungen Menschen

Nicht zuletzt der Selbstmord des exzellenten Fußball-Torhüters Robert Enke hat das Thema „Depression“ wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht. Wir haben Dr. Cor Reumerman daraufhin gebeten, für „Folge mir nach“ einen Aufsatz zum Thema „Depressionen bei jungen Menschen“ zu schreiben.

 

Wie muss ich Depression einordnen?

Depression ist eine international anerkannte Krankheit. Jemand leidet nach medizinischer Diagnose dann unter einer Depression, wenn seine Stimmung über längere Zeit hinweg sehr niedergeschlagen ist. Die ganze Sichtweise eines Menschen wird dadurch geprägt. Dass Depression eine wirklich ernst zu nehmende Krankheit ist, zeigt eine aktuelle Aussage von Dr. med. R.S. Kahn, Professor in der Psychiatrie an der Universität Utrecht. In einem Interview sagte er kürzlich: „Eine Depression hat mit einem ,sich anstellen’ nichts zu tun. Es ist [wenn du so etwas behaupten würdest, CR], als ob du jemand nach einem Herzanfall, einen Schlappschwanz nennst” (Uniek, Jan. 2010, S. 10-11).

 

Was für Arten von Depressionen gibt es?

Es gibt sehr viele verschiedenartige Depressionen, die außerdem „persönlich gefärbt“ sind. Dennoch kann man sie meines Erachtens am besten grob einteilen in endogene und exogene Depressionen; d.h. dass sie durch Einflüsse bzw. Faktoren von innen oder von außen entstehen. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Hauptarten von Depressionen ist ungefähr eins zu zehn. Das bedeutet, dass auf eine endogene Depression zehn exogene Depressionen kommen! Eine rein endogene Depression entsteht fast immer durch eine Stoffwechselstörung im Gehirn. Eine exogene Depression wird auch „reaktive Depression“ genannt, weil es sich dabei vielfach um eine gemütsmäßige „Reaktion“ auf belastende Einflüsse von außen handelt.

Oft gibt es Mischformen, wobei die Depression sowohl endogene als auch exogene Elemente umfasst.

 

Wie kann ich feststellen, ob ich eine Depression habe?

Obwohl jede Depression eine unterschiedliche persönliche Färbung aufweist, kann man doch im Allgemeinen beobachten, dass während einer (längeren) Zeit ein Missverhältnis zwischen psychischer Tragkraft und Traglast auftritt. Der typische Verlauf einer Depression ist, dass man sich morgens gemütsmäßig am schlechtesten fühlt, abends (verhältnismäßig) am besten. Wenn man überarbeitet ist bzw. bei einigen anderen (neurologischen) Krankheiten ist der Verlauf genau umgekehrt. Daraus kannst du also auch schon entnehmen, ob du an einer Depression leidest oder nicht.

Die Tragkraft wird unter anderem bestimmt durch

  • die körperliche und seelische Gesundheit,
  • innere Ruhe und Ausgeglichenheit,
  • offenen Austausch von Gedanken und Gefühlen mit anderen vertrauten Personen
  • ein Gefühl von Geborgenheit in Gott und Vertrauen zu Gott.

Die Traglast wird unter anderem gebildet durch

  • körperliche Krankheiten,
  • schwächende Infektionen (oft: ernste Grippe!),
  • Stress,
  • andauernde Probleme auf der Arbeit oder zu Hause,
  • „Life Events“,
  • Mangel an sozialen Kontakten und guten Aussichten.

Mit dem (international gebräuchlichen) Ausdruck „Life Events“ (= Lebensereignisse) werden solche Ereignisse im persönlichen Leben angedeutet, die eine Person besonders angreifen und tief zu Herzen gehen, wobei man sich machtlos und hilflos fühlt. Besonders trifft dies zu bei dem (plötzlichen) Verlust einer Person, die einem sehr lieb und vertraut ist, wenn man z.B. nahe Verwandte wie den Ehepartner oder Sohn/ Tochter verliert, oder Freund/Freundin.

Aus der Berichterstattung in „FMN 12/2009“ (S. 4–7) habe ich den Eindruck gewonnen, dass solch ein Verlust („Life Event“) offensichtlich eine besondere Rolle spielte bei der Depression des deutschen Fußball-Nationaltorhüters Robert Enke, der seine schwerkranke Tochter verlor, die er sehr liebte. Außerdem scheint mir die Tatsache wichtig, dass er (so viel ich verstanden habe) nicht mit seinen Fußball-Freunden usw. über diesen Kummer sprach, was ihm sehr zu schaffen machte.

Wie wichtig ist es bei all diesen traurigen Dingen dann aber für unsere Herzen, einen Vater im Himmel zu haben, der uns liebt und völlig versteht! Ihm, und ebenso dem Herrn Jesus, dem guten Hirten, dürfen wir alles anvertrauen (lies dazu Ps 77,11–14a; 103,13.14; Mt 11,28–30; Röm 8,31.32; Phil 4,6.7; 1. Pet 5,7–10). Darf ich dich, der du dies liest, fragen: Tust du das auch?

 

Was sind die Kernvorgänge bei Depression?

Wer eine Depression bekommt, fängt an, sich selbst innerlich zu verwerfen und feindlich gegenüberzustehen. Man spricht auch wohl von „eingefrorener Wut“ sich selbst gegenüber. Das wird „der Gegenpol zu Aggression“ genannt, die bekanntlich nach außen gerichtet ist. Diese innerlichen Gedanken und Empfindungen nun, die im Anfangsstadium meistens nicht geäußert werden, untergraben alles andere und führen zu weiteren depressiven Beschwerden. Man beschuldigt sich selbst ständig und sieht alles „wie durch eine dunkle Brille“. Es entsteht ein Gefühl, der Sache nicht mehr gewachsen zu sein, so dass man „in Kreisen denkt“ und sich dieser innerliche Prozess immer wiederholt. Dadurch geht die Stimmung spiralförmig immer mehr in die Tiefe. Das kann bis hin zu Selbstmordgedanken führen, wenn nicht rechtzeitig eingegriffen wird. In solch einem Endstadium ist jemand „suizidgefährdet“, das heißt, er denkt darüber nach, ob und wie dieses „furchtbare Leiden“ beendet werden könnte. Schließlich fängt man an, dies auch konkret zu planen. Es hat sich herausgestellt, dass die landläufige Auffassung, „wer über Selbstmord redet, begeht ihn nicht“, falsch ist.

 

Wie kann Depression behandelt werden?

Depressionen kann man durch Medikamente und Gespräche (holländisch: ‘pillen + praten’) behandeln. Die Medikamente (Antidepressiva) bewirken, dass sich die Stimmung bessert. Manchmal sind zusätzlich Schlafmittel (Sedativa) nötig, weil durch das ständige Grübeln Schlafstörungen auftreten können. Die Gespräche sind wichtig, weil dadurch die negativen Gedanken geäußert und (hoffentlich) zu positiven Gedanken verändert werden können. Dazu ist aber aufseiten des Arztes und Seelsorgers Zeit, viel Geduld und eine einfühlsame Haltung notwendig, ohne Verurteilung oder Ablehnung der betreffenden Person.

 

Wie kann ich einer Depression vorbeugen?

  • Achte darauf, dass bei dir Tragkraft und Traglast im Gleichgewicht bleiben. Das heißt konkret, dass du deine eigene Grenzen im Visier hältst und darauf achtest, dass sich (besonders nervliche) Anspannung und Entspannung abwechseln. Auch ein gesunder Ausgleich ist wichtig. Du musst also „nicht alles auf eine Karte“ setzen, sondern deine Kräfte und Aufgaben verteilen. Störung dieses Gleichgewichts kann z.B. auftreten bei einer starken Grippe (die Tragkraft ist kleiner geworden) als auch bei Stress auf der Arbeit oder sonst wo (die Traglast ist größer geworden). Der oben genannte Professor Kahn machte bezüglich Stress folgende Bemerkung: „Wichtiges Merkmal von Depression ist die Anfälligkeit des Gehirns für Stress.“
  • Bemühe dich um die Pflege guter sozialer Kontakte, wobei du dich austauschen kannst mit vertrauten christlichen Freunden, Geschwistern, Verwandten usw.
  • Nicht alles, was auf dich zukommt, solltest du gleich „persönlich“ nehmen, dir diesen „Schuh anziehen“.
  • Du darfst dich selbst (als Kind Gottes) so sehen, wie Gott dich sieht (vgl. Eph 1,6 Fußnote). Und so darfst du dich selbst auch annehmen – „angenehm gemacht in dem Geliebten“.
  • Wenn du trotz oben genannter Maßnahmen doch nach einiger Zeit merkst, dass du Gefahr läufst, eine Depression zu bekommen, musst du geeignete Medikamente nehmen. Bitte denk nicht: „Vielleicht geht es von selbst vorbei“ – mach nicht einfach weiter. Viele warten zu lange mit einer Behandlung. Dadurch dauert eine Genesung unnötig lange. Voraussetzung ist allerdings anzuerkennen: „Ich habe eine Depression.“ Dieses „ nicht wahrhaben wollen“ ist oft ein großes Hindernis.

 

Wie gehe ich am besten um mit depressiven Personen aus meinem Verwandten-, Geschwisteroder Freundeskreis?

  • Bemühe dich, ihnen gegenüber eine einladende und nicht verurteilende Haltung einzunehmen. Das wird sie dazu bringen, sich zu öffnen und ihre Probleme zu äußern. Aufgrund ihrer Selbstverwerfung (Kernvorgang bei Depression, siehe oben) denken sie, dass niemand sie mehr mag. Solch ein Denken wird „Projektion“ genannt.
  • Argumentiere nicht und vermeide Diskussionen mit ihnen. Lass ihre Aussagen einfach für sich stehen, denn so empfinden sie es für sich selbst („subjektives Empfinden“). Das sollten wir akzeptieren.
  • Dagegen ist es hilfreich, offene oder ergänzende Fragen zu stellen. Das sind Fragen, die nicht einfach mit „ja oder nein“ abgetan werden können. Solche Fragen fordern auf, mehr zu erzählen über die persönlichen Nöte und Probleme. Das alleine wirkt schon therapeutisch, denn dadurch kommen sie eher aus ihrem „Kreisdenken“ (s.o.) heraus.
  • Wenn dies tatsächlich gelingt, kannst du sie als Nächstes dazu anleiten, über Zusammenhänge zwischen ihrer Depression und möglichen Faktoren nachzudenken, die zu dieser Depression geführt haben. Diese Einsicht ist für einen Betroffenen ebenfalls sehr hilfreich.

 

Welche allgemeinen Ratschläge soll ich sonst beachten?

  • Habe genügend Zeit (und übe Geduld) im Blick auf die depressive Person, damit sie sich äußern kann.
  • Versuche eine Perspektive zu bieten. Im Allgemeinen hat die Depression nämlich eine „günstige Prognose“, das heißt, in den meisten Fällen tritt eine echte Gesundung ein.
  • Du könntest das z. B. so illustrieren, dass sich die betreffende Person jetzt „wie in einem Tunnel“ befindet, wobei „das Licht am Ende des Tunnels schon zu sehen“ ist.
  • Wenn es dir gelingt, seine/ihre negative Einstellung (= Lebenshaltung) in eine positive Richtung zu lenken, ist schon viel gewonnen.
  • Versuche mit kleinen Schritten aufzubauen.
  • Sporne an (so weit dies schon gelingt) zum Mitdenken über mögliche Lösungen. Diese können auf körperlicher, emotionaler oder geistlicher Ebene liegen.
  • Du darfst hinweisen auf den Unterschied zwischen Glaube und Gefühl (das Letzte ist bei Depression fast immer krankhaft „unten“). Du könntest das z.B. mit folgendem Bild klarmachen: Der Glaube ist wie der Zeiger in einem Kompass, der immer zum Norden zeigt. Wenn es stürmt oder Unwetter gibt, vibriert er zwar, aber die Richtung ändert sich nicht. So ist es auch mit unserem Glauben. Der ist nämlich immer auf Gott und den Herrn Jesus gerichtet! Unser Gefühl dagegen ist sehr wechselhaft. Darauf sollten wir uns also nicht stützen.
  • Es ist hilfreich, Gottes bedingungslose Liebe zu betonen, die Er bewiesen hat, indem Er seinen geliebten Sohn gab zu unserem Heil (vgl. 1. Joh 4,10; Röm 5,8).
  • Sporne die depressive Person an zu einer vergebenden Haltung, auch sich selbst gegenüber!
  • Halte für dich fest: Auch ernsthafte Gläubige können eine Depression bekommen, auch du.
  • Die Schuldgefühle einer depressiven Person hängen fast immer zusammen mit einer Art „Pseudoschuld“, das heißt, sie sind bedingt durch ihre Krankheit. Es ist wichtig, den Unterschied zu echter Schuld zu erklären. Erfahrungsgemäß wird dies oft vergessen.

 

Zusammenfassung

Depression ist eine wirkliche Krankheit, die auch bei jungen Menschen auftreten kann. Sie bewirkt ein schlimmes Leiden, wobei besonders das Gemüt angegriffen wird. Dabei verschlechtert sich die Stimmung immer mehr. Alles wird „wie durch eine dunkle Brille“ gesehen. Wiederherstellung ist zum Glück in vielen Fällen möglich. Rechtzeitige Einnahme von Medikamenten und hilfreiche Gespräche können mit des Herrn Hilfe Heilung bewirken,. Ferner gibt es eine Reihe von Möglichkeiten und Maßnahmen, um ein erneutes Auftreten einer Depression in Zukunft zu vermeiden.