Der Prediger

Bibelstudium

Der Prediger (Teil II)

Im ersten Teil der Betrachtung über das Buch des Predigers haben wir gesehen, dass sich Salomo, der Sohn Davids, als ein „Weisheits-Lehrer“ an eine Versammlung von Menschen wendet, um sie zu belehren. Das Haupt-Schlüsselwort, das dem ganzen Buch seinen besonderen Charakter verleiht, lautet: „unter der Sonne“. Damit wird klar, dass die Suche nach dem bleibenden Wert des Lebens unter dem Blickwinkel des irdischen und menschlichen Horizonts geschieht. Der Prediger lässt die Offenbarung Gottes (das, was Gott uns in seinem Wort mitgeteilt hat) völlig außer Acht. Dieses Mal wird mit dem Nachdenken über die 14 Untersuchungen des Predigers begonnen.

Einleitung – Alles ist Eitelkeit (Kapitel 1)

Das Buch des Predigers beginnt mit einer Art Einleitung. In den Versen 2–11 finden wir die Darlegung des Themas. In diesen Versen stellt der Prediger eine These auf. Er sagt mit einem Wort: Es gibt nichts unter der Sonne, das uns einen bleibenden Gewinn gibt (siehe V. 3). Und das ganze Buch wird dafür benötigt, um seine These zu beweisen. Doch bereits in der Einleitung zeigt der Prediger einiges, was seine These stützen kann. Zuerst beschreibt er anhand des Beispiels der Natur das Gesetz des Kreislaufs: „Eine Generation geht und eine Generation kommt; aber die Erde besteht ewig. Die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter ... Der Wind geht nach Süden und wendet sich nach Norden ...“ Man könnte sagen: Wie ist das alles so langweilig! Wie ist das alles so ermüdend! „Die Flüsse fließen ins Meer“ – das war schon immer so. „Das Meer wird nicht voll.“ Und alles fängt wieder von vorne an.

In Vers 9 bringt der Prediger es auf den Punkt: „Das, was gewesen ist, ist das, was sein wird; und das, was geschehen ist, ist das, was geschehen wird. Und es gibt gar nichts Neues unter der Sonne.“ Entspricht die Beobachtung des Predigers der Wahrheit? Würde man nicht meinen, dass gerade in den letzten Jahrzehnten Erfindungen gemacht wurden, von denen unsere Vorfahren nicht einmal geträumt hätten? – Sicherlich gab es zur Zeit des Predigers nicht den Fortschritt unserer Tage. Doch die Technik steht bei ihm nicht im Vordergrund. Ihm geht es nicht nur um sichtbare Ergebnisse. Er denkt weiter und fragt nach dem Wesen der Dinge. Und er hat Recht: Im Wesentlichen gibt es nichts Neues. Erfindungen waren schon immer Bestandteil der Schöpfung. Fast jede Erfindung hat nämlich das Ziel, das Leben angenehmer zu gestalten, zu bereichern. Hinzu kommt das Bedürfnis des Menschen, etwas Neues zu erfinden. Das, was sich im menschlichen Herzen abspielt, hat sich nicht wirklich geändert. Es ist nämlich immer noch derselbe Mensch. So gesehen hat sich im Lauf der Jahrtausende nichts Neues ergeben.

In dem folgenden Abschnitt (V. 12–18) berichtet der Prediger von seiner großen Weisheit. Gern wollte er alles erforschen – immer mit dem Ziel: Was ist der Sinn des Lebens? Doch je mehr er an Erkenntnis in dieser Frage zunimmt, je intensiver er forscht, desto mehr Kummer bedrückt ihn. Das ist nur allzu verständlich. Denn wer sich – ohne die Offenbarung Gottes zu berücksichtigen – mit der Frage beschäftigt, was der bleibende Wert aller Arbeit des Menschen unter der Sonne ist (vgl. V. 13), wird feststellen müssen, dass die Antwort nur negativ ausfallen kann. Ganz anders ergeht es dem, der die Offenbarung Gottes in der Person Jesus kennt! Die wachsende Erkenntnis des ewigen Lebens bewirkt bei ihm nicht Kummer und Verdruss, sondern zunehmende Gnade und tiefen Frieden (vgl. 2. Pet 1,2).

1. Untersuchung: Welchen bleibenden Wert hat es, wenn man sich alle Freuden und jeglichen Genuss auf der Erde leistet (Kapitel 2,1–11)?

In diesem Abschnitt finden wir den Prediger als den König, der allen Begierden frönt. Er gönnt sich alles und genießt jede Freude. Als eine Art Höhepunkt erwähnt er „die Wonne der Menschenkinder: Frau und Frauen“. Und tatsächlich gab ihm das für eine Zeit große Freude (vgl. V. 10). Doch worin bestand der bleibende Wert? „Und ich wandte mich hin zu allen meinen Werken, die meine Hände gemacht hatten, und zu der Mühe, womit ich mich wirkend abgemüht hatte: Und siehe, das alles war Eitelkeit und ein Haschen nach Wind; und es gibt keinen Gewinn unter der Sonne“ (Kap. 2,11).

2. Untersuchung: Welchen bleibenden Wert hat es, wenn man sich abmüht und anschließend alles einem anderen überlassen muss (Kapitel 2,12–26)?

Der Prediger überlegt: Wer sich das ganze Leben abmüht, Weisheit aufhäuft und am Ende seines Lebens mit leeren Händen dasteht, weil er alles seinem Nachfolger abtreten muss, hat das Ziel des Lebens nicht erreicht. Dieser Gedanke bringt ihn zum Verzweifeln (vgl. V. 20).

Kennst du einen Menschen, der sich sein ganzes Leben abgemüht, ja so- gar sein Lebenswerk mit übermäßigem Eifer betrieben hat? – Der Apostel Paulus. Am Ende seines Lebens sitzt er im Gefängnis, nur wenige sind bei ihm. Alle Geschwister aus Kleinasien hatten ihn verlassen. „Armer Mann“, denken vielleicht einige. Was ist von seiner Mühe übrig geblieben? Obwohl diese Situation äußerst deprimierend war, verzweifelte Paulus nicht. Auch war er weit davon entfernt, das Leben zu hassen (vgl. V. 17). Er kannte seinen Gott, der ihn reichlich belohnen würde für sein Werk. Von Ihm, dem gerechten Richter, erwartete er „die Krone der Gerechtigkeit“ (vgl. 2. Tim 4,8). Seine Augen waren eben nicht von den Dingen unter der Sonne gefesselt, sondern von seinem Herrn und dem „himmlischen Reich“ (vgl. 2. Tim 4,18).

3. Untersuchung: Welchen bleibenden Wert hat die Mühe, wenn der Mensch die Zeit(en) nicht in seiner Hand hat (Kapitel 3,1–15)?

Einige dieser Verse sind uns geläufig. Hier und da werden sie zitiert; dabei werden sie nicht selten aus dem Zusammenhang gerissen. Doch was hat der Prediger gemeint? Er bildet 14 Paare, die jeweils gegensätzliche Lebenssituationen beinhalten (V. 1-8). Die Beschreibung spiegelt das Leben auf der Erde wider: Alles ist in Bewegung, nichts hat Bestand. Daran kann der Mensch auch nichts ändern. Bei dieser Beobachtung kann man zu der Schlussfolgerung kommen, dass sich alles gegenseitig aufhebt und deshalb am Ende nichts übrig bleibt.

Im weiteren Verlauf des dritten Kapitels spricht er davon, dass Gott die Ewigkeit in das Herz des Menschen gelegt hat (V. 11). Auch dieser Vers ist gut bekannt. Er belegt, dass der natürliche Mensch ein Ewigkeitsempfinden hat, d.h., in seinem tiefsten Inneren ist der Mensch sich bewusst, dass er unsterblich ist.

Wenn wir den Zusammenhang berücksichtigen, in dem diese Aussage steht, dann könnte mit „Ewigkeit“ auch eine undefiniert lange Zeit gemeint sein (vgl. Kap. 1,10). Gott gibt dem Menschen das Verlangen ins Herz, sein Handeln und seine Zeiten verstehen zu wollen. Er handelt zu allen Zeiten nach denselben Grundsätzen (vgl. V. 15), doch der Mensch ist nicht in der Lage, das „Werk von Anfang bis zu Ende zu erfassen“ (V. 11). Ihm bleibt nur die Ehrfurcht (V. 14). – Da der Prediger bei seiner Untersuchung nicht viel weiter kommt, bestätigt er an dieser Stelle erneut, dass es nichts Besseres gibt, „als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun“ (V. 12).

4. Untersuchung: Welchen bleibenden Wert hat die Mühe, wenn sie durch Unrecht beeinträchtigt wird (Kapitel 3,16–4,6)?

Der Prediger beobachtet, dass in dieser Welt Recht und Unrecht existieren. Bedauerlich ist, dass das Unrecht überwiegt. Der Grund liegt darin, dass Gott nicht sofort eingreift – obwohl Er zu seiner Zeit alles ins Gericht bringen wird. Die Ungerechtigkeit auf dieser Erde scheint auch noch eine Lektion für die Menschen zu beinhalten: Sie sollen erkennen, dass es ihnen nicht besser ergeht als den Tieren (vgl. V. 18.19). – Eine völlig verkehrte Sicht. Dahin kommt der Mensch, wenn er die Offenbarung Gottes nicht berücksichtigt.

Nachdem der Prediger von dem Tod spricht, kommt er im vierten Kapitel auf die ungerechten Verhältnisse in diesem Leben zurück. Seine Überlegungen enden in dem trostlosen Vergleich, dass der noch nicht Geborene glücklicher ist als die Lebenden.

Zu dem Unrecht kommen noch Eifersucht (V. 4) und Faulheit (V. 5) ins Spiel. Beides führt zum Ruin. „Auch das ist Eitelkeit“.

5. Untersuchung: Welchen bleiben- den Wert hat die Mühe, wenn man keinen Gefährten hat, mit dem man die Früchte seiner Arbeit teilen kann (Kapitel 4,7–12)?

Wofür sollte ein Mensch sich quälen? Nur für sich selbst? „Das ist Eitelkeit.“ Deswegen sucht der Prediger nach einer Lösung „unter der Sonne“, die das Leben sinnvoller und erfüllter macht. Sein Hinweis, dass zwei besser daran sind als einer, ist durchaus beachtenswert. Nicht allein im Blick auf die Arbeit, sondern auch im Blick auf ein Fallen, Frieren und einen gewalttätigen Angriff erweist er seine Richtigkeit. Diese Verse beschränken sich natürlich nicht auf die Ehe, nein, auch der Wert einer Freundschaft oder einer anderen gesellschaftlichen Verbindung steht außer Frage.

Wie kommt der Prediger nun in Vers 12 auf eine dreifache Schnur? Im natürlichen Bereich ist es gewiss so, dass man zu Zweit besser daran ist als alleine. Zu dritt zu sein ist in vielerlei Hinsicht jedoch noch besser. Gerade ein aus drei Strängen geflochtenes Seil weist eine enorme Reißfestigkeit auf. Gerade eine dritte Person dient oft der Ausgewogenheit und hilft, gegensätzliche Tendenzen auszugleichen.

Doch sicherlich dürfen wir hier den ersten versteckten Hinweis auf den Herrn Jesus erkennen. Wenn Er als Dritter (oder besser: als Erster) in die Verbindung zweier Menschen eintritt, wird sich diese als unauflöslich erweisen.

6. Untersuchung: Welchen bleibenden Wert haben die höchsten Ehrungen der Welt, wenn sie nur von kurzer Dauer sind (Kapitel 4,13–16)?

Hier wird von einem armen Jüngling berichtet, der aus armen Verhältnissen stammt und bereits eine Zeit im Gefängnis zugebracht hatte. Doch ist er dabei, König zu werden und den alten König zu ersetzen. Schon der alte König herrschte über ein sehr großes Volk, an dessen Spitze jetzt der junge König treten sollte. Alles scheint auf einen „Senkrechtstarter“ hinzudeuten. Doch dann kommt das Ernüchternde: „Dennoch werden sich die Späteren seiner nicht freuen“ (V. 16).

Der Prediger schildert also den Werdegang eines zuerst verachteten Mannes, der bis zur höchsten Sprosse der menschlichen Gesellschaft aufsteigt, dort allerdings nur für eine kurze Zeit alle Ehre empfängt, weil das Volk sich schnell von ihm abwendet.

Woran mag der Prediger gedacht haben? Wir wissen es nicht. Woran denken wir? Trifft diese Geschichte nicht auch auf den Herrn Jesus zu (mehr im Sinn eines Schattens als eines Bildes)? War nicht auch Er der Arme (vgl. 2. Kor 8,9) und der, in dem die Weisheit zur vollständigen Darstellung kam (vgl. Mk 6,2; 1. Kor 1,30)? War nicht auch Er im „Haus der Gefangenen“, d.h. im Tod (vgl. die vorbildliche Bedeutung von Joseph im Gefängnis)? Und als solcher empfing Er das höchste Königtum. Doch wer ist Ihm zugetan? Wer fragt nach Ihm? Leider nur einige wenige. Alle anderen haben sich von Ihm abgewandt. Selbst im 1000-jährigen Reich wird es am Ende dazu kommen, dass Menschen von den Enden der Erde kommen werden, um sich gegen Ihn aufzulehnen (Off 20,7 ff.).

7. Untersuchung: Viele Worte zu machen ist wertlos, da sie Unüberlegtes beinhalten, worüber Gott zürnen mag (Kapitel 4,17–5,6)

In diesen Versen spricht der Prediger über das Reden, Schweigen und Träumen. In Bezug auf Gott ist nach seiner Empfehlung Vorsicht und Zurückhaltung geboten. Das gilt besonders für den Schwur. „Besser, dass du nicht gelobst, als dass du gelobst und nicht bezahlst“ (V. 4).

Welches Ziel verfolgt der Prediger mit diesen Warnungen und Empfehlungen? Man bekommt den Eindruck, dass er sagen möchte: Wenn du in deinem Leben viel redest, viel träumst und vielleicht sogar vor Gott schnell einen Schwur ablegst, besteht die Gefahr, dass du unrealistisch wirst. Du wirst keinen Nutzen davon haben, und schon gar nicht Gott dadurch gefallen. Im Gegenteil, Gott mag sogar darüber zürnen „und das Werk deiner Hände verderben“ (V. 5). Deshalb gilt: „Vielmehr fürchte Gott“ (V. 6).

Gelten diese Verse nun auch uneingeschränkt für uns? Eine Parallelstelle im Neuen Testament finden wir sicherlich in Matthäus 6,7, wo der Herr Jesus davor warnt, beim Beten zu plappern wie die Nationen, die meinen, um ihres vielen Redens willen erhört zu werden. Und das sollten wir unbedingt beherzigen! Dennoch ist klar, dass der Prediger an dieser Stelle nicht eine typisch christliche Anweisung ausspricht. Seine Gottesfurcht führt ihn dazu, vor Gott nur einige wenige Worte zu reden (vgl. V. 2). Die Freimütigkeit eines Kindes Gottes, das vertrauensvoll „in allem durch Gebet und Flehen mit Danksagung seine Anliegen vor Gott kundwerden lässt“ (Phil 4,6), ist ihm völlig unbekannt (vgl. auch Heb 10,19–22). Er hat eben eine eingeschränkte Sicht. Dementsprechend ist auch seine Belehrung zu beurteilen.