Besondere Stunden

Bibelstudium

Viele besondere „Stunden“

Die eine, außergewöhnliche Stunde war für den Herrn Jesus sein Leiden und Sterben am Kreuz, das der gleichnamige Artikel in diesem Heft beschreibt. Dem Leser der Evangelien fällt jedoch zugleich auf, dass Johannes an etlichen Stellen den Ausdruck „Stunde“ benutzt, ohne dass er damit immer die Leiden des Herrn meint. Im Wesentlichen lassen sich die verschiedenen Texte in zwei Rubriken einteilen. Diese kleine Übersicht soll beim Einordnen der verschiedenen Stellen helfen.

 

Die „Stunden“ des Herrn – von Gott bestimmte Zeitpunkte

a) Die Stunde seiner Leiden von den Menschen (Joh 7,30; 8,20)

Leiden

Bereits im Alten Testament hatten alle Propheten bezeugt, dass der Christus, der Gesalbte des HERRN, leiden sollte (Apg 3,18). Als dann der Herr Jesus kam und im Alter von ungefähr 30 Jahren seinen Dienst begann, begegnete Ihm von Anfang an der „Widerspruch von den Sündern“ (Heb 12,3). Doch der eigentliche Höhepunkt seiner Leiden durch Menschen begann mit seiner Verhaftung und endete mit seiner Kreuzigung. In diesem Sinn spricht der Herr in Johannes 7,30 und 8,20 über „seine Stunde“: Die Menschen wollten Ihn schon bei diesen Gelegenheiten greifen und/oder töten, aber der Zeitpunkt – der in Gottes Hand lag – war noch nicht gekommen. Erst nach seinem ergreifenden Beten in Gethsemane war die Stunde nahe gekommen, in der Er in die Hände von Sündern überliefert werden sollte (Mt 26,45; Mk 14,41). Das war die Stunde der Menschen (Lk 22,53) und zugleich seine Stunde!

b) Die Stunde seines Verlassenwerdens von den Jüngern (Joh 16,32)

Verlassen

Die Stunde der Leiden durch Menschen war auch die Zeit, in der alle Jünger zerstreut wurden und Ihn verließen. Doch diese große Einsamkeit und Leidensnot wurde mehr als „ausgeglichen“ durch ungetrübte Gemeinschaft mit dem Vater: „Siehe, die Stunde kommt und ist gekommen, dass ihr zerstreut werdet, jeder in das Seine, und mich allein lasst; und ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir“ (Joh 16,32)!

c) Die Stunde seines Verlassenwerdens von Gott (Joh 12,27)

Alleine

Was waren die körperlichen und seelischen Leiden, die Menschen unserem Erlöser zufügten, im Vergleich zu den sühnenden Leiden von Gott in den Stunden der Finsternis? Diese Leidensstunde stand von Anfang des Lebens des Herrn an immer wieder wie ein Schatten des Kreuzes vor Ihm. So rief Er auch in Johannes 12,27 in tiefer Not des Vorempfindens aus: „Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Doch gerade für diese Stunde der Sühnung unserer Schuld war Er ja gekommen – und Er wollte im Sterben seinen Vater verherrlichen. Deshalb fährt Er fort: „Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen“ (V. 27b). Wunderbarer Erretter, der Gottes Ehre und unsere Erlösung um den Preis des Verlassenwerdens von Gott bewirkt hat!

d) Die Stunde seiner Rückkehr zum Vater in die Herrlichkeit (Joh 13,1; 17,1)

Rückkehr

Der Herr Jesus wusste alles, was an Leiden über Ihn kommen würde (Joh 18,4). Aber Er wusste auch um die vor Ihm liegende Freude, nach dem vollbrachten Werk wieder aus dieser Welt zum Vater zu gehen (Joh 13,1; vgl. auch V. 12 u. 28). Wie öfters im Johannesevangelium richtete Er seine Gedanken voraus auf die Zeit nach seinen Leiden und seinem Tod. Auch in Johannes 17,1 geht es Ihm um diese große Sache seiner Verherrlichung beim Vater: „Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche“. Nur als gleichrangig mit dem Vater konnte Er um seine Erhöhung bitten: Er wünschte als Mensch die Herrlichkeit beim Vater zu bekommen, die Er als Gott, der Sohn, ewig besaß (V. 5). Die Jünger sollten sich über diesen Weggang des Herrn zum Vater freu- en (Joh 14,28) – freuen wir uns auch über Ihn in der Herrlichkeit?

e) Die Stunde seiner Verherrlichung vor der Welt (Joh 2,4; 12,23)

Verherrlichung

In Johannes 1,35–2,11 beschreibt der Evangelist drei Tage und skizziert dadurch ein Miniaturbild von drei Aspekten kommender Epochen: Erst die Zeit des Christentums (Joh 1,35–42, Christus, das Lamm Gottes, als Zentrum), dann die der Bekehrung von Juden, die Christus als Messias annehmen werden (Joh 1,43–51, Christus, der König und Messias) und schließlich die Zeit des Friedensreiches für die ganze Welt (Joh 2,1–11, Christus im Galiläa der Nationen nach Mt 4,15). Dieser letzte, dritte Tag hat die Hochzeit in Kana zum Thema. In Johannes 2,4 antwortet der Herr Jesus auf den Appell seiner Mutter, zu handeln: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (Joh 2,4)1. Er war noch nicht in der Position eines Gebieters, eines Herrschers über Menschen und Natur, sondern Er wartete auf diese Zeit. In dem danach erfolgten Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein demonstriert Er zwar seine kommende Herrlichkeit (V. 11), aber nur als einen Vorgeschmack auf die Zukunft in seinem Reich.

In Johannes 12, als Ihn Griechen sehen wollten, antwortete der Herr Jesus: „Die Stunde ist gekommen, dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde“ (Joh 12,23)2. Als König Israels (V. 13) war seine Verherrlichung eigentlich gekommen, aber um als Sohn des Menschen über die ganze Welt zu regieren (vgl. Ps 8,5–7), musste Er erst sterben – um danach viel Frucht bringen zu können (V. 24). Die Christen bilden die erste Frucht dieser noch kommenden Ernte und erfreuen sich schon jetzt an der Herrlichkeit des Herrn Jesus.

f) Seine Stunde als Richter (Joh 5,28)

Gericht

Der Herr Jesus hat als Sohn des Menschen vom Vater auch die Gewalt, die Kompetenz, erhalten, um Gericht auszuüben, sein Urteil zu sprechen und zu vollziehen. In Johannes 5,28 fasst Er dabei diese ganze Periode seiner zukünftigen Richtertätigkeit unter dem Begriff „Stunde“ zusammen, obwohl diese Stunde verschiedene Zeitpunkte beinhaltet: Die erste Auferstehung, die des Lebens (die auch in mehreren Etappen verläuft, vgl. 1. Thes 4,16; Off 20,4 – 6), und die zweite Auferstehung, die des Gerichts (vgl. Off 20,14: „der zweite Tod“). Der Retter von Golgatha wird auch der Richter des Universums sein!

Die „Stunden“ der Christen – reicher Segen für Gläubige

a) Die Stunde des Glaubens (Joh 5,25)

Glauben

Immer wieder beschreibt der Evangelist Johannes die Notwendigkeit, an den Sohn Gottes zu glauben, auf Ihn zu hören. Dazu gilt es wach zu werden, den geistlichen Totenschlaf zu beenden: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist jetzt, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“ (Joh 5,25)3. Der Herr Jesus wollte und will als verherrlichter Herr Menschen ewiges Leben geben – dazu bat Er um seine Verherrlichung (Joh 17,1.2). Diese Stunde ist immer noch da – nutzen wir sie für uns und/oder andere?

b) Die Stunde der Offenbarung des Vaters (Joh 16,25)

Offenbarung

Der Herr Jesus erläuterte seinen noch unverständigen Jüngern in der Nacht vor seiner Kreuzigung die Notwendigkeit seines Weggehens: Erstens könnte nur so der Heilige Geist als neuer Sachwalter zu Ihnen kommen und sie in die Wahrheit einführen. Und außerdem würde dann die Stunde kommen, in der Er ihnen und uns – durch den Geist – „offen von dem Vater verkündigen“ würde (Joh 16,25). Den Vater kennen zu lernen als Vater des Herrn Jesus, als eine Person, mit der Gemeinschaft über den Sohn genossen werden kann (1. Joh 1,4) – das ist eine der höchsten Segnungen für uns Christen!

c) Die Stunde der Anbetung des Vaters (Joh 4,23)

Anbetung

Zur Zeit des Alten Testaments beteten die Juden Gott nach bestem Wissen an. Aber mit dem Erlösungswerk, dem Kommen des Heiligen Geistes und dem Empfang des ewigen Lebens sind Menschen jetzt befähigt, in Geist und Wahrheit anzubeten. Sie haben den Heiligen Geist empfangen und können Gott, der ein Geist ist, deshalb auch in einer geistlichen, Ihm angemessenen Form anbeten (Joh 4,23). Und zudem hat sich Gott die Wahrheit über sich und seinen Sohn„restlos“ offenbart – und befähigt die Gläubigen jetzt, Ihn in Übereinstimmung mit dieser kompletten Wahrheit anzubeten. Genießen und praktizieren wir dieses Vorrecht? Der Vater sucht „solche“ als seine Anbeter ...

d) Die Stunde der Verfolgung (Joh 16,4)

Verfolgung

Die Jünger und auch diejenigen, die durch ihr Wort an den Herrn Jesus geglaubt haben (Joh 17,20), sollten von der Welt nichts Gutes erwarten:„Wenn die Welt euch hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat“ (Joh 15,18). Die religiösen Menschen würden jedoch sogar meinen, Gott mit der Verfolgung dieser „Abtrünnigen“ einen Dienst zu erweisen (Joh 16,3; vgl. Paulus: Apg 22,3.4). Wenn diese Stunde gekommen sein würde (Joh 16,4), würden die Worte des Herrn sich für die Jünger als richtig erweisen. Und wir? Sollten wir nicht bereit sein, für den überragenden Segen, verbunden mit unserem großartigen Herrn, hier und da Nachteile oder Spott in Kauf zu nehmen?

Vielleicht können diese kurzen Überlegungen zum besseren Verständnis der erwähnten Bibeltexte beitragen und zu weiterem, eigenem Studium anregen ...

 

1 Dieser Vers wird von anderen auch auf die Leiden des Herrn bezogen in dem Sinn, dass dann, in seiner Stunde, der Mensch über Ihn Gewalt haben würde, während Er bis dahin ganz in dem war, was seines Vaters war (Lk 2,49) und sich deshalb nicht von einem Menschen (Maria) gebieten ließ.

2 In Johannes 13,31 benutzt der Herr Jesus dieselbe Formulierung und meint doch offenbar etwas ganz anderes, nämlich das Offenbarwerden seiner persönlichen Herrlichkeit am Kreuz. Der Zusammenhang, in dem die beiden Texte stehen, macht die Bedeutung an der jeweiligen Stelle deutlich.

3 Der Zusatz „und ist jetzt“ steht nicht in Vers 28; dort geht es um eine noch spätere Epoche. Zugleich zeigt der Zusatz das „Vorausdenken“ (o. Antizipieren) des Herrn an die Zeit nach dem vollbrachten Werk – ein wichtiges Element zum Verständnis des Johannesevangeliums.