Beeindruckend

August Philipp Michel - Vom Geldfälscher zum Evangelisten

Hätte er den Beamten der königlich preußischen Finanzverwaltung nicht selbst gezeigt, dass es sich bei den Geldscheinen, die sie gerade in Händen hielten, um Fälschungen handelte, er wäre wahrscheinlich nicht aufgeflogen. Selbst im Zeitalter von Farbkopierer und Bildbearbeitungssoftware gilt er nach Aussage eines Kriminalkommissars noch als König unter den Geldfälschern.

Was war das für ein Mann, dieser August Philipp Michel, den die Gnade Gottes vom Geldfälscher zum Evangelisten werden ließ?

 

Kindheit und Jugendzeit

Viel wissen wir nicht aus der Zeit seines Lebens vor der Bekehrung. Er wurde am 20. März 1820 als siebtes Kind des Arztes Ernst Martin Michel und seiner Frau Anna Christine in Siegen geboren. Als er drei Jahre alt war, starb der Vater. Seine Mutter mühte sich nach Kräften, ihren Sohn nach den Gedanken Gottes zu erziehen. Doch fehlte dem siebten Kind spürbar die strenge Hand des Vaters, die seinem ausgeprägten Eigenwillen die Grenzen hätte zeigen können.

Nach dem Besuch der Lateinschule erlernte er das Lithographenhandwerk, bei dem er aus Schieferplatten Druckvorlagen herzustellen hatte. Dabei kam ihm seine ausgeprägte künstlerische Begabung sehr zugute. Schnell hatte August Michel den Ruf, die besten Druckvorlagen weit und breit zu fertigen. Der junge Mann gründete ein eigenes Unternehmen und hätte damit, nach Meinung vieler seiner Zeitgenossen, sehr reich werden können.

 

Der wilde Michel

Doch August Michel stand der Sinn nach anderen Zielen. Und so lieferte der begabte Druckvorlagenhersteller sein Meisterstück als Geldfälscher und Falschmünzer ab. Die Münzpresse hatte er in das Türblatt seiner Stube eingebaut. Jeder, der die Türklinke betätigte, presste so unbemerkt eine falsche Münze und wurde zum Mittäter. Auch die Druckvorlagen für die Geldscheine waren im Türblatt versteckt.

Weil August Michel keine Schlägerei und keine Mutprobe ausließ, hieß er bald überall im Siegerland nur noch „der wilde Michel“. Schon die Nachricht, er sei mit seinen Gesellen im Anmarsch, verbreitete an manchen Orten Angst und Schrecken. Jeder fürchtete, das nächste Opfer seiner Streiche zu werden. Er selbst hat später kaum über diese Zeit seines Lebens erzählt. So lässt sich die Wahrheit über manche abenteuerliche Episode aus dieser Zeit nur schwer überprüfen. Einige  betrachteten ihn als eine Art Robin Hood oder Michael Kohlhaas des Siegerlandes, der es mit den Regierenden aufnahm und tat, was ihm selbst Recht erschien. Tatsächlich ging es ihm, so weit wir wissen, zu keiner Zeit darum, auf ungesetzliche Weise reich zu werden. Doch am ehesten wollte August Michel wohl einfach seinen Spaß haben und jedem beweisen, was für ein toller Kerl er war.

 

Der Wendepunkt

Liest man die Geschichte der Könige von Israel und Juda, ist häufig von einer ersten und einer zweiten Geschichte ihres Lebens die Rede. So heißt es  zum Beispiel von Asa in 1. Chronika 16: „Und siehe, die Geschichte Asas, die erste und die letzte, siehe, sie ist geschrieben in dem Buche der Könige von Juda und Israel“ (Vers 11).

Bei Asa spricht seine erste Geschichte von der Zeit in seinem Leben, in der er tat, was Gott von ihm wollte. Die Letzte handelt davon, wie Asa nach allen wunderbaren Erfahrungen mit Gott am Ende seines Lebens erkrankte. Doch statt den Herrn zu suchen, suchte er Hilfe bei den Ärzten (2. Chr 16,12).

Auch August Michel hatte eine erste und eine letzte Geschichte. Doch bei ihm war es anders als bei Asa. Bei ihm steht zuerst ein Leben in der Sünde, fern von Gott. Doch dann kehrte er um. Die letzte Geschichte August Michels ist die Geschichte seines Dienstes für Gott. Doch wie kam es dazu?

 

Beim Namen gerufen

Einige Male ging August Michel der Polizei ins Netz, doch immer wieder entkam er seiner gerechten Strafe. Einmal verschlug es ihn auf der Flucht sogar bis nach Frankreich. Für den heimatverbundenen Michel eine Weltreise. Doch am Ende saß er, zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, im Zuchthaus in Münster. Hier kamen ihm die Worte seiner Mutter wieder in den Sinn und er erkannte, dass er so, wie er war, keinen Platz bei Gott in der Ewigkeit erlangen konnte.

Eine Zeit lang versuchte er, sich durch ein duldsames Leben das Wohlwollen Gottes zu verdienen. Doch immer wieder brach sein widerspenstiges Wesen durch. Tiefe Selbstzweifel befielen ihn, zeitweise trug er sich sogar mit Selbstmordgedanken. Da hörte er eine Predigt des Gefängnispfarrers über Jesaja 43,1: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“

 

Durch die Gnade errettet

Dieses Wort traf den Gefangenen mitten ins Herz. August Michel begann, in der Bibel zu lesen. Irgendwann stieß er dabei auf Epheser 2,8: „Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittels des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es.“

Das war der Durchbruch. August Michel fiel in seiner Zelle auf die Knie und schüttete sein Herz vor Gott aus. Er bekannte Gott seine Verbrechen und fand Jesus Christus als seinen Heiland, der für alle seine Schuld am Kreuz von Golgatha das Gericht Gottes getragen hat.

Die Suche nach Heilsgewissheit

Doch immer noch fand August Michel keine rechte Ruhe. Er war der Meinung, zu einer echten, umfassenden Sündenvergebung gehöre das Bekenntnis der Schuld gegenüber demjenigen, gegen den er gesündigt hatte. Wo immer August Michel die Möglichkeit dazu fand, bat er um Vergebung. Was war aber mit den Menschen, die mittlerweile gestorben waren, die er nicht mehr um Vergebung bitten konnte? Besonders die Schuld gegenüber der Mutter drückte ihn sehr. Wieder kam Gott dem Suchenden zu Hilfe, diesmal in Gestalt des Reichsgrafen Karl, Graf zu Salm-Horstmar. Dieser Adelige hatte sich seit seiner Bekehrung in besonderer Weise der Gefangenenmission verschrieben und führte August Michel zur völligen Heilsgewissheit.

Dieser Graf war es auch, der sich für die Begnadigung August Michels einsetzte und sie schließlich in einer Privataudienz beim König von Preußen auch erwirkte.

 

Ein Täter des Wortes

Vom ersten Tag in Freiheit an hatte das Leben August Michels eine ganz neue Ausrichtung. Brachte ihn seine Widerspenstigkeit vor seiner Bekehrung in manche Bedrängnis, wurde das neue Leben des Bekehrten schon in seinem Verhalten im Gefängnis sichtbar. Und auch in Freiheit war es seine tägliche Bitte, in Demut und Abhängigkeit von seinem Herrn ein Täter des Wortes zu sein, um dadurch seinen Herrn und Heiland zu ehren. Die Treue im Kleinen kennzeichnete seinen ganzen weiteren Lebensweg.

Ein ernster Beter  Viele Stunden verbrachte Michel im Gebet. Seine Gebete waren eine kindlich zutrauliche Aussprache mit Gott, einfach und natürlich, kurz und bündig, herzlich und – bei Gebeten in der Öffentlichkeit – die Herzen bewegend. Ein spezielles Gebetsanliegen blieben ihm zeitlebens die Gefangenen, für  die er in besonderer Weise fürbittend eintrat, oft unter Tränen. Auch die Arbeit auf den Missionsfeldern und die Jugend waren ihm ständige Gebetsanliegen.

 

Hirte und Evangelist

„Das Gebet des Glaubens wird den Kranken heilen, und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden begangen hat, wird ihm vergeben werden.“ Dieses Wort aus dem Jakobusbrief (Kapitel 5,15) hatte für August Michel große Bedeutung. Denn sein vornehmstes und wohl auch gesegnetstes Arbeitsfeld waren die Zimmer der Kranken und Sterbenden. Unzähligen hat er in den schweren Stunden der Krankheit Trost und neue Glaubenszuversicht gegeben, weil er den Blick der Kranken einfühlsam auf den Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes lenkte. Wann immer es möglich war, machte er sich im Gebet eins mit der Not der Niedergebeugten.

Und mancher, der sein Leben lang dem Wort vom Kreuz ablehnend gegenüberstand, hat durch den anhaltenden und ausdauernden Dienst und das Gebet August Michels noch auf dem Sterbebett Frieden mit Gott gefunden. Denn August Michel gab keinen auf. Egal, wie abweisend ihm die Menschen begegneten, wenn es galt, war er da. Dann scheute er auch vor unangenehmen Wahrheiten nicht zurück, um einen verlorenen Sünder zu überführen und zur Umkehr zu bringen. Er wiegte niemand in trügerischer Sicherheit. „Du musst sterben“, sagte er beispielsweise einmal einem Sterbenden, der noch keine Vergebung seiner Sünden hatte, ohne Umschweife. „Aber nicht wahr, du weißt, was ich für ein Mensch gewesen bin? Wenn aber der Michel im Zuchthaus Gnade gefunden hat, sollte da für dich nicht auch Gnade vorhanden sein?“

 

Widersteht dem Teufel

Es war ein Anliegen August Michels, das Wort Gottes im täglichen Leben praktisch in die Tat umzusetzen und dem Herrn Jesus konsequent treu zu sein. So wurde er eines Tages gefragt, ob er in der Lage sei, einen wichtigen Brief mit einer vertraulichen geheimen Botschaft so zu öffnen und anschließend wieder zu schließen, dass die Manipulation nicht auffiele. „Ja, das kann ich, aber ich tue es nicht“, antwortete Michel. Da bat der Besucher, er möge ihm doch wenigstens erklären, wie so etwas ginge, damit er es selbst tun könne. „Da ist die Tür! Wenn Sie sich nicht hinausmachen, schmeiße ich Sie hinaus!“, antwortete Michel barsch.

Mehrfach versuchten Besucher, ihn wieder zur Falschmünzerei zu verführen oder zumindest die Anleitung dazu von ihm zu erschleichen. Bei solchen Versuchungen reagierte August Michel äußerst unwirsch. Der sonst so liebevolle und einfühlsame Mann konnte dann sehr rabiat werden. Hatte er dem ersten Versucher noch das Evangelium derart eindringlich gepredigt, dass der Besucher vor Schreck erstarrte, schickte er dem Zweiten seinen Hund hinterher, um den unliebsamen Gast loszuwerden. Noch mit 70 Jahren fasste er einmal einen Besucher am Genick und warf ihn eigenhändig aus dem Haus hinaus.

 

Ein Original Gottes

Eines Tages unterhielt sich August Michel mit etlichen Gästen über Gottes Wort. Die Kaffeetafel war bereits gedeckt. Die Runde war so ins Gespräch vertieft, dass irgendwann einer zu Kaffee und Kuchen griff und es sich schmecken ließ. Andere folgten seinem Beispiel, ohne etwas zu bemerken. „Wir haben ja überhaupt noch nicht für die guten Gaben gedankt“, stellte plötzlich einer der Gäste fest. Betretenes Schweigen machte sich breit. Da betete August Michel: „Herr, du siehst, wie sehr wir mit Dir und mit Deiner herrlichen Person beschäftigt sind. Und nun haben wir darüber angefangen, zu essen, ohne Dir zuerst für all die guten Gaben zu danken. Und es hat uns auch noch geschmeckt! Herr, das möchten wir dir doch bekennen und um Vergebung bitten. Und nun segne doch bitte diese Speise. Amen.“

 

Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein

Die letzten Lebensjahre August Michels waren von schwerer Krankheit gekennzeichnet. Doch auch hier zeigte sich, wie der Glaube an den Sohn Gottes als seinen Erretter einen Menschen verändert. War er in seiner Jugend oft voller Ungeduld, ertrug er jetzt die größten Schmerzen, die der Prostatakrebs verursachte.

„Indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser.“ (Phil 1,23) Dieser Wunsch des Apostels Paulus wurde dabei immer mehr auch der Wunsch August Michels. „Herr, vergiss deinen August nicht“, betete er manches Mal, wenn die Schmerzen unerträglich wurden.

Heimzugehen an dem Tag, an dem die Menschen der Kreuzigung des Herrn Jesus gedenken, war ihm dabei etwas Besonderes. Am Karfreitag des Jahres 1900 erfüllte Gott seinem treuen Diener diese letzte Bitte und erlöste ihn von seiner schweren Krankheit. Über 2000 Gläubige folgten bei der Beerdigung dem Sarg, um dem Mann das letzte Geleit zu geben, der vielen von ihnen der Wegweiser zu Jesus Christus und damit zum ewigen Leben geworden war.