Lebensbeschreibung

Missionsbräute im 19. Jahrhundert

Die 1815 gegründete Basler Mission hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dem Missionsbefehl des Herrn Jesus nachzukommen, indem sie Missionare auf das Missionsfeld, z.B. nach Afrika, entsandte. Dabei herrschten strenge Regeln. So wurden nur unverheiratete Männer in die Basler Mission aufgenommen, denen auch während ihrer Ausbildungszeit jeder engere Kontakt mit dem weiblichen Geschlecht untersagt war. Denn die Missionsgesellschaft sandte nur unverheiratete Männer in das Missionsgebiet aus. Schließlich würde eine Ehe zu viel Zeit beanspruchen, die letztlich der Missionsarbeit verloren ging.

Der anfängliche Gedanke eines zölibatären Missionars ließ sich jedoch auf Dauer nicht durchhalten. So wurde 1837 eine „Heiratsordnung“ für die Missionare erlassen. Hauptpunkt dieser Verordnung war die Tatsache, dass jede Eheschließung eines Missionars der Basler Mission von der Missionsleitung zu genehmigen war. Bei Zuwiderhandlung erfolgte der Ausschluss aus der Missionsgesellschaft. Hatte ein Mann den Wunsch zu heiraten, dann konnte er, allerdings frühestens nach zwei Jahren Pionierarbeit auf dem Missionsfeld, eine „Bitte um Heiratserlaubnis“ an die Missionsleitung richten. Die Missionsleitung übernahm dabei in der Regel auch die Aufgabe der „Brautschau“. Prediger, Pfarrer oder Lehrer sahen sich in den Pietistenkreisen in Württemberg (von dort kamen auch die meisten Missionare der Basler Mission) nach Mädchen im heiratsfähigem Alter um, die eine passende Ehefrau für einen Missionar in Übersee abgeben würden. „Auswahlkriterien“ waren dabei vor allem: die Herkunft aus einem gläubigen Hause, die eigene Glaubensfrömmigkeit, Gesundheit, Bildung und Alter. War die Suche „erfolgreich“, schlugen sie das Mädchen der Missionsleitung vor. Fand der Vorschlag auch dort Zustimmung, bekam das betreffende Mädchen eines schönen Tages einen Brief aus Basel mit der Anfrage, ob sie gewillt sei, mit einem bestimmten Missionar, den sie in den meisten Fällen nicht kannte, die Ehe einzugehen.

Diese Entscheidung – Ausreise auf das Missionsgebiet und Heirat eines Missionars –, bedeutete damals meistens einen Abschied von der Heimat, und zwar für immer. Noch dazu war die Sterberate in dem für Europäer geradezu „mörderischen“ Klima in Afrika sehr hoch.

Die Brautzeit diente dann der Vorbereitung der Ausreise und dem Briefwechsel mit dem zukünftigen Ehemann, von dem die Braut, wenn es hoch kam, eine Fotografie besaß. Die Reise selbst dauerte mit Postkutsche und Segelschiff mehrere Monate. Bei ihrer Ankunft standen die Frauen dann ihrem Bräutigam zum erstenmal von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Spätestens nach zwei Wochen war Hochzeit.

 

Alles nur ein altmodischer Brauch?

Einen Mann heiraten, den du nicht kennst, den andere ausgesucht haben, in eine ungewisse Zukunft ziehen und vielleicht früh sterben – wer macht denn so was? So denkst du vielleicht. Irrtum, die meisten der Mädchen nahmen jenen „Antrag“ an. Wie lässt sich das erklären? Sicher nicht nur damit, dass dies in „der guten, alten Zeit“ eben so üblich war. Diese im Pietismus aufgewachsenen Mädche

  • sahen darin eine „Berufung Gottes”;
  • freuten sich über die Möglichkeit, selbst im „Weinberg des Herrn” mitarbeiten zu können;
  • sahen sich selbst als Hilfe ihres Mannes, den sie bei seiner Missionsarbeit unterstützten, indem sie den Haushalt führten, mitunter als Hebammen arbeiteten, Kinder unterrichteten und andere Tätigkeiten wahrnahmen.

Die Tübinger Kulturwissenschaftlerin Dagmar Konrad, die diese Erscheinung untersucht hat, kommt in ihrem Buch „Missionsbräute, Pietismus des 19. Jahrhunderts in der Basler Mission“ zu dem Ergebnis: Beide Eheleute waren fest im Glauben verwurzelt, bei den Ehen waren Trennungen daher extrem selten.

Keine Angst, wir haben nicht die Absicht, unseren unverheirateten Lesern vorzuschlagen, den Weg in die Ehe nach dieser Vorgehensweise aus dem 19. Jahrhundert zu beschreiten. Auch in jener Zeit war dieser Weg nicht der allgemein übliche. Aber wir wollen andererseits diese jungen Christinnen auch nicht überheblich belächeln. Etwas können wir von ihnen sicher lernen: Wir leben in Tagen, wo Freiheit und Selbstbestimmung groß geschrieben werden. Aber diese Eigenschaften bilden kaum die Basis für gesunde Ehen. Eheprobleme, auch unter Christen, nehmen eher zu. Die „Missionsbräute“ des 19. Jahrhunderts rufen ihren „Schwestern“ in unserer Zeit zu:

  • Ein persönliches Glaubensleben,
  • der Wunsch, für den Herrn zu wirken, Gottes Führung und Berufung erkennen und ausleben,
  • eine Hilfe des Mannes sein, mit dem man sich vor Gott in der Ehe verbunden hat –

das sind auch heute Bausteine einer glücklichen Ehebeziehung.

Bei allen zeit- und kulturbedingten Unterschieden – diese Gesinnung ist auch
heute noch gefragt.

 

DER PIETISMUS

Der Pietismus (von lat. pietas = Frömmigkeit) ist eine im 17. Jahrhundert einsetzende religiöse Bewegung im Protestantismus. Auf die kirchengeschichtliche Entwicklung hat der Pietismus nach der Reformation einen entscheidenden Einfluss. Das Ziel des Pietismus war die Wiederbelebung und Erneuerung der Kirche und des geistlichen Lebens. Insofern ist der Pietismus eine Gegenbewegung gegen die Erstarrung der kirchlichen Orthodoxie einerseits und die Verstandeskultur der Aufklärung andererseits. Neben die Rechtfertigung – das Erbe der Reformation – tritt die Betonung der Wiedergeburt. Der Pietismus betont die subjektive Seite des Glaubens, aber er entwickelt auch einen starken missionarischen und sozialen Eifer. Der Pietismus ist allerdings keine einheitliche Erscheinung. In der geschichtlichen Epoche zwischen 1670 und 1780 kann man sechs Formen des Pietismus unterscheiden.

  1. Der reformierte Pietismus (Holland/ Niederrhein)
  2. Der lutherische Pietismus (Spener)
  3. Der hallesche Pietismus (Francke)
  4. Der radikale Pietismus
  5. Der Herrnhuter Pietismus (Zinzendorf) 6.Der schwäbische Pietismus (Bengel/ Oetinger)

Führende Vertreter des Pietismus sind:

Philipp Jakob Spener (1635-1705)

August Hermann Francke (1663-1727)

Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700- 1760

Professor Joachim Feller, ein Freund August Hermann Franckes, hat die Definition des Pietismus poetisch gefasst:

„Es ist jetzt stadtbekannt der Nam‘ der Pietisten. Was ist ein Pietist?

Der Gottes Wort studiert.

Und nach demselben auch ein heilig Leben führt.“

Besonders im württembergischen Raum sind die Einflüsse des Pietismus bis heute bemerkbar.