Fasten - noch zeitgemäß

Fasten - noch zeitgemäß?

Vor einiger Zeit las ich in Markus 9 die Begebenheit von dem Besessenen mit dem stummen Geist, den sein Vater zu den Jüngern gebracht hatte, damit sie ihn von seiner Besessenheit heilten. Die Jünger waren dazu nicht in der Lage. Als der Vater dann mit seinem Sohn zu dem Herrn Jesus kam, heilte Er ihn sofort. Später fragten die Jünger den Herrn, warum sie den Dämon nicht austreiben konnten. Die Antwort des Herrn Jesus lautete: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als nur durch Gebet und Fasten" (V. 29). Seitdem läßt mich das Thema des Fastens nicht mehr los. - Ich stellte mir die Frage, ob es auch heute Probleme geben mag, wo es gut wäre, zu beten und zu fasten.

Kurze Zeit danach bekam ich einen Brief, wo mir jemand folgendes schrieb: „Am meisten freuen wir uns, daß unser Sohn (24. J.) ... eine klare Entscheidung für den Herrn getroffen hat. Als er jünger war, ging er mit uns aus Gehorsam [zu den Zusammenkünften|. Als Student ist er in die Welt mitgerissen worden. Wir haben gefastet und gefleht um seine Rettung. Der Herr ist gnädig." Wieder fragte ich mich, ob mir die Errettung eines Menschen einmal so wichtig war, daß ich für seine Rettung gefastet und gebetet hätte.

Wieder kurze Zeit später las ich in einer kleinen Biographie folgendes1: „Eine Kleinigkeit aus dem privaten Bereich wird die Leser sicherlich interessieren, denn auch ich (etwa 20 Jahre jünger als Darby) bekam dadurch praktischen Anschauungsunterricht. Anläßlich eines Abendessens bemerkte Bruder Darby beiläufig: 'Ich möchte euch gern sagen, wie ich lebe. Euretwegen habe ich heute mehr gegessen als üblicherweise. Ansonsten ist es meine Gewohnheit, am Samstag einen kleinen, warmen Braten zu mir zu nehmen, am Sonntag esse ich kalt, am Montag esse ich kalt, desgleichen am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Freitags habe ich nichts gegen ein Kotelett oder ein Steak einzuwenden, und am Samstag schließt sich der Kreis wieder'. Wie Bruder Darby hatte auch ich als junger Christ asketisch gelebt.

Durch meine allgemeine Gleichgültigkeit äußeren Dingen gegenüber hatte ich so stark abgenommen, daß mir der Arzt genau das als notwendig verschrieb, was ich in Selbstverleugnung aufgegeben hatte. Wie ungewöhnlich, daß ein Mensch, dem eine so außergewöhnliche Fähigkeit des abstrakten, generalisierenden Denkens verliehen war, sich gleich dem Apostel herabneigen konnte, um einem noch unerfahrenen Jünger klarzumachen, alles, auch Essen und Trinken, zur Ehre Gottes zu tun. Zu diesem Zeitpunkt wies Bruder Darby keinerlei asketische Züge auf, sondern lebte in völliger Freiheit in bezug auf die notwendige Nahrung (dabei war sein Herz darauf gerichtet, dem Herrn zu gefallen). Obwohl dies manchem unwesentlich erscheinen mag, war es für mich doch ein wertvoller Hinweis für mein tägliches Leben, und durch mich auch für andere; denn mancher Gläubige, 'vom Aussatz gereinigt', vergißt oder vernachlässigt, in levitischer Ausdrucksweise, all sein Haar zu scheren und seine Kleider zu waschen, obwohl er vorschriftsmäßig gebadet haben mag (3. Mose 14, 8.9). Es ist sehr menschlich, wie einer von ihnen gesagt hat, unsere natürliche 'Ehrenhaftigkeit' behalten zu wollen und diese dem Herrn zu geben, eine Gabe, die in Seinen Augen verabscheuungswürdig ist, weil sie zutiefst weltlichen Charakter trägt." - Ein Blick in das Alltagsleben geschätzter Männer Gottes im vorigen Jahrhundert - und wieder fragte ich mich, ob uns nicht manches verlorengeht, wenn wir eine solche Bescheidenheit kaum kennen.

Die Seele kasteien

Im Alten Testament ist häufig die Rede vom „Kasteien der Seele", hauptsächlich in Verbindung mit dem großen Versöhnungstag (3. Мо 16,29.31; 23,27.29.32; 4. Мо 29,7; 30,14). Darüber hinaus auch in Psalm 35,13 und Jesaja 58,3.5. Manche Übersetzungen geben den Ausdruck „Kasteien der Seele" mit „Fasten" wieder. In Psalm 35,13 gibt David uns einen gewissen Schlüssel in die Hand, was dieser Ausdruck bedeutet: „Ich aber, als sie krank waren, kleidete mich in Sacktuch; ich kasteite mit Fasten meine Seele." In dieser Stelle wird die enge Verbindung zwischen dem Fasten und einer echten Beugung der Seele (Demütigung) deutlich.

Vorkommen von Fasten in der Bibel

In den Büchern Mose finden wir (abgesehen von „Kasteien der Seele") den Ausdruck „Fasten" nicht. Im Alten Testament kommt das Wort vor in

  • Richter 20,26;
  • Samuel 7,6; 31,13;
  • Samuel 1,12; 12,16.21-23;
  • 1. Könige 21,9.12.27;
  • Chronika 10,12;
  • Chronika 20,3;
  • Esra 8,21.23;
  • Nehemia 1,4; 9,1;
  • Esther 4,3.16; 9,31;
  • Psalm 35,13; 69,10; 109,24;
  • Jesaja 58,3.4.5.6;
  • Jeremia 14,12; 36,6.9;
  • Daniel 6,19; 9,3;
  • Joel 1,14; 2,12.15;
  • Jona 3,5;
  • Sacharja 7,5; 8,19;

im Neuen Testament in

  • Matthäus 4,2; 6,16.17.18; 9,14.15; 17,21;
  • Markus 2,19.20; 9,29;
  • Lukas 2,37; 5,33.34; 18,12;
  • Apostelgeschichte 10,30; 13,2.3; 14,23;
  • 2. Korinther 6,5; 11,27.

Wenn wir uns die Mühe machen, diese Stellen einmal nachzulesen, kommen wir zu folgenden Schlüssen, die wir über das Fasten ziehen können. Gefastet wurde

  • in Zeiten besonderer persönlicher Not/ Sünde oder Not/Sünde unter dem Volk Gottes: Bruderkrieg unter dem Volk Israel/Bedrängnis durch Feinde außerhalb des Volkes Israel
  • in Verbindung mit Trauer beim Tode von Angehörigen/Fürsten des Volkes
  • in Verbindung mit Demütigung über Sünde und einen falschen Weg
  • in Verbindung mit dem ernsten Erforschen des Willens Gottes und der Bitte um Wegweisung in bestimmten Lagen
  • in Verbindung mit einer ausdrücklichen Zusammenkunft zur Demütigung wegen Sünde
  • um sich in einer bestimmten Notlage vor Gott zu demütigen und ernstlich zu beten/ flehen
  • in Verbindung mit hingebungsvollem Dienst für Gott

In Jesaja 58, Jeremia 14 und Sacharja 7,5 deckt Gott ein formelles, heuchlerisches, selbstgefälliges Fasten auf, an dem Er keine Freude hat. Warnende Worte finden wir auch aus dem Mund des Herrn Jesus in Matthäus 6. Auf die Gefahren des Fastens kommen wir noch zurück.

Verschiedene Bereiche des Fastens

Fasten kann sich auf sehr unterschiedliche Bereiche beziehen. Hier einige Beispiele:

a) Zuerst einmal bezieht sich Fasten auf die Nahrungsaufnahme. Wir finden Beispiele in der Schrift für kurzzeitiges Fasten (Ri 20,26), aber auch für lang andauerndes Fasten (Ps 109,24), so daß der Körper sehr geschwächt wurde. Fasten ist der Verzicht auf irdische Dinge, die an sich nicht sündig sind (es sei denn, daß jemand unmäßig ißt und trinkt).

b) Dann denken wir an alkoholische Getränke. Wenn die Bibel auch kein striktes Alkoholverbot lehrt, ist doch ein vorsichtiger Umgang mit alkoholischen Getränken angebracht. Wie zurückhaltend spricht der Apostel über das Trinken von Alkohol (1. Tim 5,23); an anderer Stelle warnt er vor einem falschen Gebrauch von Wein (Eph 5,18).

c) In 1. Korinther 7,5 schreibt Paulus über Enthaltsamkeit in der Ehe, um Muße zum Gebet zu haben.

d) Fasten kann sich auf Lebensnotwendig-keiten wie Schlaf, Ruhe oder Umgang mit Menschen beziehen.

e) Fasten hat auch mit Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit zu tun, die in Galater 5,22 zur Frucht des Geistes gezählt werden.

Kann man auch von uns sagen, daß wir genußsüchtig, willensschwach und verweichlicht sind, was gewisse Annehmlichkeiten betrifft?

Ziel des Fastens

Geistlich motiviertes Fasten kann niemals Selbstzweck sein. Es dient dazu, in einer bestimmten Notlage die Demütigung vor Gott auszudrücken und die Abwendung von irdischen und natürlichen Dingen zu fördern, damit wir mehr geistliche Energie für das Gebet finden. Zugleich ist Fasten eine Übung in Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit.

Gefahren des Fastens

Nun ein Hinweis auf Gefahren des Fastens.

Das Fasten kann in zweierlei Hinsicht mißbraucht werden: Im Gebet suchen wir Gott näherzukommen und legen Ihm unsere Nöte vor. Aber das Gebet und das Fasten als ein Druckmittel Gott gegenüber zu benutzen wäre völlig falsch. Andererseits ist das Fasten von Menschen wie den Pharisäern zur Zeit des Herrn Jesus benutzt worden, um vor den Menschen besonders fromm und Gott hingegeben zu erscheinen. Das ist die Sünde der Heuchelei, vor der der Herr Jesus die Jünger ernstlich warnt: „Wenn ihr aber fastet, so seht nicht düster aus wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, damit sie den Menschen als Fastende erscheinen. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn schon empfangen. Du aber, wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dir das Gesicht, damit du nicht den Menschen als Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten" (Mt 6,16-18). Der selbstgerechte Pharisäer prahlte: „Ich faste zweimal in der Woche" (Lk 18,12). In solchen Fällen ist Fasten nicht der Ausdruck des demütigen Niederbeugens vor Gott, sondern dient der hochmütigen Selbsterhöhung über andere.

Nachahmenswerte Beispiele aus der Zeit der Apostel

Wir schließen mit einigen Zitaten aus der Apostelgeschichte und dem 2. Brief an die Korinther und lassen sie auf uns einwirken: „Während sie aber dem Herrn dienten und fasteten, sprach der Heilige Geist: Sondert mir nun Barnabas und Saulus zu dem Werke aus, zu dem ich sie berufen habe" (Apg 13,2). „Als sie ihnen aber in jeder Versammlung Älteste erwählt hatten, beteten sie mit Fasten und befahlen sie dem Herrn an, an den sie geglaubt hatten" (Apg 14,23). „In Schlägen, in Gefängnissen, in Aufständen, in Mühen, in Wachen, in Fasten" (2. Kor 6,5). „In Mühe und Beschwerde, in Wachen oft, in Hunger und Durst, in Fasten oft, in Kälte und Blöße" (2. Kor 11,27).

Sicher tun auch wir gut daran, das Verhalten und die geistliche Gesinnung dieser frühen Christen und Diener des Herrn nachzuahmen: „Seid meine Nachahmer" (1. Kor 4,16; 11,1; Heb 6,12). Dann wird der Herr uns helfen, auch im Blick auf das Fasten das vor Ihm Wohlgefällige zu tun.

 

WAS MIR UNSER HERRGOTT GIBT, DAS NEHME ICH GERN, WAS ER NICHT GIBT, DAS KANN ICH GUT ENTBEHREN. DAS IST MEIN REGISTER, DASS ICH MIR GENÜGEN LASSEN KANN; SO HALTE ICH HAUS.

MARTIN LUTHER

 

1 W. Kelly, John Nelson Darby - wie ich ihn kannte, S. 7f.