Bibelstudium

Einleitende Bemerkungen zum Propheten Obadja (3)

Es interessiert uns besonders, was für „Antworten“ der Prophet Obadja auf die fünf bzw. sechs Schlüsselfragen gibt, die wir uns im ersten Artikel dieser Serie angeschaut haben. Aber um seine Weissagung gut zu verstehen, müssen wir erst den Kontext streifen. In jedem Artikel wollen wir uns jeweils mindestens einen der jeweiligen Schlüssel ansehen.

 

1. Wer ist der Schreiber?

Es ist nicht schwer, den Propheten herauszufinden, den Gott hier benutzt hat. Er wird im ersten Vers genannt und heißt Obadja. Allerdings kennen wir nicht mehr als seinen Namen. Er besteht aus zwei Teilen: Obed und Jah bzw. Jahwe.

Boas und Ruth nannten ihren Sohn Obed. Dieser Name bedeutet: Diener bzw. Knecht. Obadja wurde somit „Knecht Jahwes“, Diener des Herrn, genannt. Ist das nicht ein schöner Titel?

Es ist eine Ehre, dem großen Gott des Himmels zu dienen. Er ist aber nicht nur grundsätzlich der allmächtige Gott, sondern hat sich als der „Ich bin, der ich bin“ (2. Mo 3,14; 6,3) seinem Volk Israel gegenüber offenbart. Der Name Jahwe spricht von seiner Zuwendung zu Menschen, ganz besonders zu seinem irdischen Volk, den Israeliten.

Obadjas Name ist Programm. Er war zufrieden, Diener dieses erhabenen Herrn zu sein. Im Neuen Testament liest du, dass sich Jakobus als „Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ vorstellt. Das geht sicher noch weiter, liegt jedoch auf dieser Linie. Jakobus nannte sich nicht Bruder des Herrn Jesus, obwohl er es war und sich als solcher hätte bezeichnen können. Er ist damit zufrieden, Diener zu sein.

Bist auch du glücklich, einfach Knecht Gottes und des Herrn Jesus zu sein? Natürlich sind wir viel mehr: Wir sind Kinder Gottes und Söhne Gottes. Es ist allerdings etwas Herrliches, Diener dieses erhabenen Herrn sein zu dürfen. Man sollte es unserem Leben auch ansehen können.

Abschließend zur „Abgrenzung“: Es gibt neben diesem und anderen Obadjas, die in Geschlechtsverzeichnissen erwähnt werden, noch einen bekannten Mann mit demselben Namen im Alten Testament. Dieser war Zeitgenosse von Elia (1. Kön 18,3-16). Man kann aber ziemlich sicher sagen, dass diese beiden Obadjas nicht identisch sind. Sie lebten nicht zur selben Zeit.

 

11. Wann hat Obadja geschrieben?1

Wir können nicht mit letzter Bestimmtheit sagen, wann Obadja gelebt und gedient hat. Von seinem Dienst kennen wir ohnehin nur dieses Buch. Es gibt darin allerdings einen Hinweis, der uns eine zeitliche Einordnung ermöglicht.

Es heißt in Vers 11: „An dem Tag, als du gegenüberstandest, an dem Tag, als Fremde sein Vermögen wegführten und Ausländer zu seinen Toren einzogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen.“

Hier geht es um eine Eroberung Jerusalems. Der Kontext des Verses weist auf eine Belagerung und Zerstörung der Stadt durch einen übermächtigen Feind hin. Dieser nahm anscheinend auch viel Beute mit.

Das lässt uns an die Invasion Jerusalems durch Nebukadnezar denken, den Herrscher von Babel (2. Kön 24,10; 25,1; Dan 1,1). Dann hätte Obadja frühestens nach der ersten Wegführung (im Jahr 605 v. Chr.) geschrieben. Die dritte Wegführung fand im Jahr 586 v. Chr. statt. Es macht den Eindruck, dass der Prophet auf eine solche Belagerung und Wegführung zurückblickte, die vermutlich schon einige Zeit zurücklag (V. 11-14). Das legt nahe, dass der Schreiber sein Buch im 6. Jahrhundert v. Chr. verfasste.

Bibelausleger denken noch über eine zweite Datierungsmöglichkeit nach. In der Zeit des Königs Jorams, des Sohnes Josaphats, fielen die Edomiter, von denen Obadja schreibt, von der Oberherrschaft Judas ab (2. Chr 21,8-10). Wäre dieses Ereignis Anlass des Schreibens, läge die Abfassungszeit im 9. Jahrhundert vor Christus. Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang keinen Hinweis auf Jerusalem und eine Belagerung dieser Stadt. Daher ist zuerst genannte Datierung wahrscheinlicher.

 

19. Inwiefern kann man von einem AT-Charakter Obadjas sprechen? (Schlüssel 1)

Damit sind wir beim „Schlüsselbund“. Im ersten Artikel dieser Reihe hatten wir fünf Schlüssel zum Verständnis der Propheten des Alten Testaments vor uns. Der Charakter der Bücher des Neuen Testaments ist mit Ausnahme der Offenbarung anders als der dieser Propheten. (Übrigens gehören die Kapitel 4-20 des letzten Bibelbuches ebenfalls nicht mehr zur „christlichen Zeit“. Sie tragen ähnliche Kennzeichen wie die Bücher des Alten Testaments. Auch die Botschaft Obadjas offenbart einen solchen Charakter.)

Obadja spricht von einem Boten, der unter die Nationen gesandt wurde (V. 2). In der ersten christlichen Zeit ist noch die Rede davon, dass Paulus unter den Nationen, Petrus aber unter den Juden seinen Dienst tat. Aber seitdem der Heilige Geist durch Paulus die Lehre über die Versammlung Gottes bekannt gemacht hat, gibt es diese Unterschiede nicht mehr, jedenfalls nicht inmitten der Gläubigen. Die Korinther „waren“ ursprünglich von den Nationen – nun jedoch nicht mehr (1. Kor 12,2). Jetzt ist nicht Jude oder Grieche (Heide, Nation), wie der Apostel ausdrücklich schreibt (Gal 3,28; Kol 3,11). Das heißt nicht, dass Gottes Wort nicht unterscheidet zwischen Juden und Griechen (1. Kor 10,32; Röm 1,16). Diese Differenzierung hat aber keine Bedeutung, was Gottes Handeln mit Menschen betrifft.

Vor diesem Hintergrund ist auch das Gericht über eine Nation, wie es in diesem Propheten über die Nachkommen Esaus ausgedrückt wird, kein Gegenstand neutestamentlicher Briefe. Im Alten Testament dagegen werden solche Gerichte über diverse Völker oder Nationen immer wieder beschrieben. Sie betreffen Edom, Moab, Ammon, Syrien, Assyrien, Babel, Israel, Juda usw. Diese Gerichtshandlungen können wir auch nicht einfach eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen. Natürlich übt Gott heute noch Zucht. Aber es ist ein Handeln gegenüber Einzelnen und im Blick auf die Versammlung (Gemeinde) Gottes, das Haus Gottes (1. Pet 4,17). Das jedoch ist nicht – wie bei diesem Propheten – eine Ausrottung von Nationen und Personen (V. 9). Gott Regierung ist grundsätzlicher Art und in indirekter Weise und hat nicht direkt mit einzelnen Völkern zu tun.

Das gilt auch für die Stadt Jerusalem (V. 11). Natürlich gibt es diese Stadt heute. Sie muss auch „überleben“, damit Gott in der Zukunft mit seinem Volk Israel wieder anknüpfen kann. Es wird wieder einen Tempel geben (vgl. Hes 40-48). Aber Jerusalem hat an sich heute keine Bedeutung, die aktuell über die Wichtigkeit von Berlin, Paris oder New York hinausgeht, da das Volk Israel und die Stadt Jerusalem sozusagen auf dem „Abstellgleis“ steht. Das war zur Zeit des Alten Testaments anders. Da war Israel das Volk Gottes. So wird es auch dann, wenn die Gläubigen entrückt sein werden (1. Thes 4,15-17), wieder sein. Heute aber ist Israel ein Land wie jedes andere. In den Briefen des Neuen Testaments finden wir daher keine Betonung Jerusalems oder Israels als Land.

 



[1] Ich benutze die Nummerierung dieser „Fragen“ bzw. Zwischenüberschriften aus dem zweiten Teil dieser Artikelserie. Dann kann man sich besser zurechtfinden.