Post von Euch

Die Beschneidung des Timotheus

Liebe Brüder im Herrn,

da ich mich zur Zeit mit den Timotheus-Briefen beschäftige, war der Aufsatz über Timotheus in Heft 5/98 besonders interessant und lehrreich für mich. Es wurde u.a. deut-lich, was es für Timotheus bedeutete, mit Paulus zu gehen und die Schmach des Christus zu tragen. In diesem Zusammenhang habe ich folgende Frage:

Gibt es Bibelstellen, die uns sagen, daß Timotheus nach dem Gesetz nicht hätte beschnitten werden sollen (vgl. „Folge mir nach", Heft 5/ 98, S. 20, 5. Abschnitt)?

Nach 1. Mose 17,12 sollte alles Männliche beschnitten werden, sogar Fremdlinge und für Geld Erkaufte. Fremdlinge durften auch an Opfern und Festen teilnehmen (3. Mo 22,18; 5. Mo 16,11.12). Auch Mose mußte die Söhne seiner midianitischen Frau beschneiden. Zudem beziehen sich die im Aufsatz zitierten Bibelstellen (Esra 9+ 10; Neh 13,23-31) auf die Völker, mit denen Gott jegliche Verbindung ausdrücklich verboten hatte (Ammon, Moab und die Bewohner des verheißenen Landes; vgl. 2. Mo 34, 15.16; 5. Mo 7,1-3; 20,16; 23,3). Mit anderen Völkern gestattete das Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen eine Mischehe (5. Mo 20,14.15; 21,10.11; 3. Mo 24,10?). Damit möchte ich jedoch nicht die Mischehe Eunikes rechtfertigen. Ihr griechischer Ehemann war wahrscheinlich ungläubig, denn er wird in Apostelgeschichte 16,1 im Gegensatz zu seiner „jüdischen, gläubigen" Frau gesehen. Wie groß ist die Gnade, die daraus Timotheus hervorgehen läßt!

H. Spies, Wetter

 


Lieber Bruder Spies,

...Es ist schön, wenn man sich über biblische Themen austauschen kann. Dabei ist es - bei allem Vertrauen, das wir gern den Belehrungen von Lehrern des Wortes Gottes entgegenbringen - wichtig, daß wir ihre Aussagen anhand der Schrift selbst überprüfen und im Licht des Wortes Gottes zu eigenen Uberzeugungen kommen. Häufig stellen wir dabei fest, daß die Gläubigen, von denen wir wis-sen, daß sie eine besondere Einsicht in das Wort Gottes haben oder hatten, genau unsere Uberzeugung wiedergeben. Aber manchmal sehen wir einzelne Punkte eben auch anders.

In Verbindung mit Deiner Frage versuche ich, eine Antwort - auch im Sinn des im vergangenen Jahr heimgegangenen Bruders Georges André - zu finden.

Georges André bezieht seine Auffassung, daß die Juden Timotheus nicht beschnitten hatten, weil sein Vater Grieche war, auf drei Stellen:

a) 1. Korinther 7,14: „Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den Bruder; sonst wären ja eure Kinder unrein, nun aber sind sie heilig." Durch das „nun" scheint Paulus aufzeigen zu wollen, daß hier ein Unterschied zu den Tagen des irdischen Volkes Gottes existiert, in denen die Ehe mit einem ungläubigen, nicht aus dem Volk Gottes stammenden Menschen eine Verunreinigung und Unheiligkeit bedeutete. Wir wissen u. a. aus 5. Mose 7,3 und 23,3, daß dies gerade auf das Volk Israel zutraf.

Wenn nun solch eine Mischehe zustande kam, dann können wir uns gut vorstellen, daß Kinder nicht beschnitten werden konnten. Dazu finden wir über den Fremden, den Fremdling und den Unbeschnittenen ausreichend Stellen im Alten Testament, die deutlich ma-chen, daß Gott sich von solchen absondert. Als Beispiel diene hier Hesekiel 44,9: „So spricht der Herr, HERR: Kein Sohn der Fremde, unbeschnitten am Herzen und unbeschnitten am Fleisch, von allen Söhnen der Fremde, welche inmitten der Kinder Israel sind, soll in mein Heiligtum kommen. Auch aus 2. Mose 12,43.44 lernen wir die Gedanken Gottes über den Fremdling kennen, der nicht beschnitten war. Daraus wird deutlich, daß es nicht nur um Menschen aus den ursprünglichen Stämmen Kanaans ging, sondern grundsätzlich um den Fremden, der nicht zum Volk Israel gehörte.

 

Die Beschneidung des Timotheus

Hesekiel 44 macht klar, daß gerade auch Menschen der Völker (Reiche) betroffen sind, in deren Mitte sich das Volk Israel viele Jahrhunderte befand, denn solche Personen wohnten natürlicherweise in der Mitte des Volkes. Da nun Griechenland das Reich vor dem Römischen war, betrifft diese Sache natürlich gerade den Vater des Timotheus, der Grieche war.

b) Esra 9 und 10: „Das Volk Israel und die Priester und die Leviten haben sich nicht von den Völkern der Länder, nach deren Greueln, abgesondert, nämlich der Kanaaniter, der Hethiter, der Perisiter, der Jebusiter, der Am-moniter, der Moabiter, der Agypter und der Amoriter; denn sie haben von ihren Töchtern für sich und für ihre Söhne genommen, und so hat sich der heilige Same mit den Völkern der Länder vermischt" (9,1.2). Hieran wird deutlich, daß Du in dem Punkt recht hast, daß es in erster Linie um die direkten Einwohner des Landes Kanaan ging, die von Beginn an von dem Volk Israel unter Josua ausgetrieben werden sollten. Wenn man aber einen Vergleich mit der Liste der Stämme zieht, die in 5. Mose 7,1-3 genannt werden, so stellt man beispielsweise fest, daß Moab dazugekommen ist. Welche Gründe auch immer dazu geführt haben - und auch Salomo wird diese Verbindung mit einer Moabitin zum Verhängnis, und das macht ihm Gott zum Vorwurf - so zeigt dies doch, dal wir in dieser Hinsicht keine vollständigen Listen in Verbindung mit verbotenen Ehen und Verbindungen finden. Auch Esra 10,10, wo Esra von „fremden" Frauen spricht, scheint darauf hinzudeuten, daß man hier nicht einfach in der Anwendung die einzelnen genannten Stämme als Maßstab nehmen darf, sondern den Grundsatz geltend machen soll: Die Verbindung mit einem Fremden war untersagt ...

c) Nehemia 13,23-31: Auch hier ist - analog zu Esra 9 und 10 - von fremden Frauen die Rede (z. B. in Vers 26).

Aus diesem allem scheint hervorzugehen, daß die Beschneidung des Timotheus als Sohn eines Fremden, eines Griechen, nicht stattfinden konnte, da er einer unheiligen und damit unreinen Verbindung entsprang. Dies hätte im Gegensatz zu dem Zeichen der Beschneidung gestanden, die u. a. Absonderung für Gott bedeutete. Eine andere Frage ist, ob der Vater des Timotheus noch lebte, weil sonst nie von ihm gesprochen wird. Wenn dem nicht so ist, so können wir dennoch ver-stehen, daß seine Mutter Eunike ihn nicht beschnitt, da sie ja offensichtlich recht früh Christin geworden war und eine Beschneidung nicht mehr für notwendig er-achtete.

Nun kann man sich zu Recht fragen, warum der Apostel Paulus den Timotheus beschnitt, wo doch gerade in Apostelge-schichte 14 und 15 die Frage der Beschneidung gelöst und niemandem mehr auferlegt wurde. Gerade das jedoch zeigt die christliche Freiheit, indem Paulus im Sinn von 1. Korinther 9,20.21 den Juden zum Juden wurde, um sie für das Evangelium zu gewinnen. Paulus wußte, daß viele Juden den Dienst des Evangeliums von seiten eines unbeschnittenen Juden nicht akzeptieren würden, und beschnitt daher Timotheus - im Gegensatz zu Titus, dessen Beschneidung tatsächlich ein Unterwerfen unter jüdische Gesetze bedeutet hätte, was Paulus bei den zur Gesetzlichkeit neigenden jüdischen Christen in Jerusalem unter keinen Umständen bereit war zu tun.

Es würde mich freuen, wenn diese kurzen Hinweise eine Hilfe sein könnten, den Punkt besser zu verstehen. Letztlich lernen wir alle voneinander, und in vielen Fragen können wir keine endgültige Antwort geben, weil jeder von uns diese in persönlicher Demut und Übung vor dem Herrn erwägen muß.

Herzliche Grüße in unserem Herrn Jesus sendet

Dein Manuel Seibel